Am 2. Juli beginnt vor dem Landgericht Berlin der vierte Prozeß
gegen einen der Angeklagten im Zusammenhang mit der Protestaktion am israelischen
Generalkonsulat am 17. Februar. Ihm werden gefährliche Körperverletzung
und schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.
In den ersten beiden Prozessen vor dem Jugendgericht konnten die Vorwürfe
des schweren Landfriedensbruchs nicht aufrechterhalten werden. Der erste
Angeklagte ist wegen einfachen Hausfriedensbruchs, der zweite wegen einfachen
Widerstands gegen die Staatsgewalt zu jeweils 4 Wochen Jugendarrest verurteilt
worden. Beide waren fast 3 Monate in Untersuchungshaft - Haftentschädigung
wurde nicht gezahlt.
Der dritte Prozeß in dieser Reihe, der Mitte Juni vor dem Landgericht
stattfand, platzte am zweiten Tag. Angeklagt war M. K.; er soll mit einer
Eisenstange am Rathenau-platz einen Polizisten geschlagen haben.
Gleich zu Beginn zeigte sich die Einstellung des Gerichts zu dem Prozeß:
So wurde der Antrag des Angeklagten, nicht ge-zeichnet zu werden (türkische
Behörden er-fahren von deutscher Seite schon genug über Abge-schobene,
und kurdische DemonstrantInnen gelten generell als PKK-An-hängerInnen),
ebenso ab-gelehnt wie die Anträge der Verteidigung, die Ver-handlung
vor einem Amtsgericht zu führen und sie in einen größeren
Raum zu verlegen, damit auch die Familie und andere, die noch draußen
warteten, teilnehmen könnten (Begründung der Richterin: "Das
liegt in der Natur der Sache - es ist genug Platz.").
Nach der Vorladung eines falschen Zeugen aufgrund des gleichen Nachnamens
(übrigens der gleiche Fehler wie beim letzten Prozeß vor dem
Jugendgericht!), der Abwesenheit anderer Zeugen, der Aussageverweigerung
des Hauptzeugen unter Berufung auf ein "Dienstgeheimnis", das im nachhinein
weder von der Richterin noch vom Staatsanwalt akzeptiert wurde, fehlenden
(entscheiden-den?) Sekunden auf dem gezeigten Polizeivideo, Wider-sprüchen
bei den Zeugenaussagen und diversen Urlaubs-plänen bei den Verfahrensbeteiligten
wurde das Verfah-ren ohne neuen Termin vertagt. M. K. bleibt trotz aller
Widersprüche in Untersuchungshaft - wo er schon seit vier Monaten
sitzt, ohne daß die üblichen Kriterien für "Fluchtgefahr"
erfüllt wären: Er lebt seit vielen Jahren in Deutschland, hat
Familie und - noch - eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Nun droht
ihm wie vielen anderen die Abschiebung. Dabei stellten etliche Widersprüche
schon am ersten Verhandlungstag den "dringenden Tat-verdacht" in Frage.
M. K. habe das Recht auf ein ordentliches Gerichtsver-fahren, unabhängig
davon, ob er den Polizisten bei den „Krawallen“ in der Nähe der israelischen
Botschaft mit der Eisenstange verletzt habe oder nicht, sagte seine Rechtsanwältin
Annette Jansen. Sie vermutete jedoch, daß an ihrem Mandanten ein
Exempel statuiert werden soll: "Selbst wenn er freigesprochen wird, so
saß er doch einige Monate in Haft. Und das ist es wahrscheinlich,
was man glaubt, das die Öffentlich-keit will."
Justizsprecherin Michaela Blume nannte die Vor-würfe "völligen
Blödsinn". M. K.s Haftdauer habe eine durchaus normale Länge.
Es sei auch an der Tagesordnung, daß Zeugen verwechselt würden
oder nicht zu einem Termin erschienen. Der Verteidigung kommt indes der
Prozeß nicht nur wegen der Verzöge-rungen merkwürdig vor.
"Es ist nur ein Verhandlungstag angesetzt worden, obwohl dem Gericht klar
sein müßte, daß das nicht an einem Tag zu regeln ist",
sagte Frau Jansen.
Mit einem neuen Gerichtstermin ist frühestens im Sep-tember zu
rechnen. (Quelle der Zitate: Süddeutsche Zei-tung)
Insgesamt 229 KurdInnen waren am 17. Februar, dem Tag der Protestaktion
am israelischen Generalkonsulat, in Berlin festgenommen worden. Gegen mindestens
140 Personen läuft ein Ermittlungsverfahren. Trotz anders-lautender
Angaben befinden sich nach unserer Kenntnis immer noch zwölf Kurden
in Untersuchungshaft.
Schon die erste Reaktion von Schily & Co. nach den Protestaktionen
im Februar war die Ankündigung sofor-tiger und verstärkter Abschiebungen.
Dementsprechend wurden parallel zu den Ermittlungs- und Strafverfahren
die Daten aller erfaßten KurdInnen vom Landeskriminalamt an die Ausländerbehörde
gege-ben. Die Behörde versendet seitdem Briefe, in denen eine Anhörung
zur Ausweisung angekündigt wird - unabhän-gig vom bisherigen
Aufenthaltsstatus und von der zu erwartenden Strafe. Begründet werden
die Ausweisungs-ankündigungen außer mit der „Beeinträchtigung
der Interessen der BRD“ auch folgendermaßen: "Zudem ist davon auszugehen,
daß bestimmte Personenkreise ihr Gesamtverhalten (das der KurdInnen,
Anm.d.A.) zum Anlaß nehmen, in zunehmendem Maße Ausländerfeind-lichkeit
zu propagieren".
Die KurdInnen sind also an der Ausländerfeindlichkeit selbst schuld!
Die Ausländerbehörde hat öffentlich be-stätigt, daß
sie einige der Angeklagten noch vor dem Abschluß ihrer Strafverfahren
in die Türkei abschieben will. Es ist oft genug dokumentiert worden,
welche Ge-fahren politisch aktiven Kurden und Kurdinnen nach einer Abschiebung
in die Türkei drohen.
In der öffentlichen Diskussion um die kurdischen Prote-ste und
die tödlichen Schüsse der israelischen Sicher-heitsbeamten werden
die Kurden von allen Seiten als Problem der "Inneren Sicherheit" betrachtet.
Ausgeblen-det wird der politische Charakter und Hintergrund ihres Protestes:
die Entführung Abdullah Öcalans. Daß die Sorge um das Leben
des Vorsitzenden der Kurdischen Arbeiterpartei PKK berechtigt war, zeigt
der Schaupro-zeß gegen Abdullah Öcalan vor einem Staatssicherheits-gericht,
in dem die Anklage schon die Todesstrafe bean-tragt hat.
Die kurdische Initiative für einen Friedensdialog, die Abdullah
Öcalan während seines Aufenthaltes in Europa zu verbreiten versuchte,
wurde durch die europäischen Staaten, maßgeblich auch die BRD,
abgewiesen. So wurde dessen Verschleppung aus Kenia politisch erst ermöglicht.
Die anhaltenden Waffenlieferungen und Ausbildungshilfen Deutschlands für
den Krieg gegen das kurdische Volk gehen ungebrochen weiter, auf Proteste
von kurdischer Seite dagegen wurde und wird weiterhin mit schärfster
Kriminalisierung reagiert.
Berlins Innensenator Werthebach wiederholte zuletzt am 26. Juni, jegliche
deutsche Beteiligung am Krieg gegen die KurdInnen leugnend: "Ich werde
nicht zulassen, daß die innertürkischen Auseinandersetzungen
auf Berliner Straßen ausgetragen werden."
Der Kurdistankonflikt ist ein internationaler politischer Konflikt.
Genau das hat sich in den kurdischen Pro-testaktionen in Deutschland und
Berlin ausgedrückt. Deren politische und juristische Aufarbeitung
- Straffrei-heit für die israelischen Sicherheitsbeamten und massive
Anklagen und Ausweisungsdrohungen gegen Kurden und Kurdinnen - dokumentiert
erneut den Konfrontationskurs Deutschlands gegen die kurdische Bewegung.
Diese Politik, die nur Verfolgung, Verbote und Verhaf-tungen kennt,
muß aufhören. Insbesondere sind die Ab-schiebungen von KurdInnen
in die Türkei zu stoppen, ihnen drohen Folter und Tod!
Unterstützt die Angeklagten! Laßt sie nicht allein!
Beobachtet die Prozesse!
2. Juli, Freitag, um 9.00 Uhr, Saal 202 13. Juli, Dienstag, (Zeit u. Raum bitte erfragen) jeweils Landgericht Moabit, Turmstr. 91 |
Freiheit für die kurdischen politischen Gefangenen! Einstellung
aller Verfahren!
Weg mit dem PKK-Verbot!
Keine Abschiebungen in die Türkei!
Keine Militär- und Polizeihilfe für die Türkei!