„Das Amtsgericht ähnelte gestern einer Hochsicherheitsanlage:
Rund um das Gebäude in der Bernhard-Göring-Straße waren
fast 200 Beamte der Bereit-schaftspolizei, der Kripo und aus den umliegenden
Revieren im Einsatz. Wenige Meter neben dem Haupteingang standen Wasserwerfer.
An den Wänden waren ferngelenkte Kameras angebracht, die jeden Besucher
filmten. Wer in das Gebäu-de wollte, mußte sich ausweisen. Vor
dem Verhandlungsraum stand ein Metall-detektor. Wie auf dem Flughafen mußten
alle Zuschauer vor dem Gang durch die Anlage, ihre Taschen leeren, Uhren
und Schmuck ablegen. Sogar Geldbörsen wurden nach gefährlichen
Gegenständen kontrolliert. Unmittelbar vor der Ein-gangstür stand
ein Beamter, der jeden noch einmal "filzte". Alles, was als Waffe hätte
benutzt werden können, wurde von den strengen Sicherheitsbeamten bis
zum Ende der Verhandlung in einem besonderen Raum aufbewahrt. Im Gerichtssaal
saßen neben Kripo- und Vollzugsbeamten auch zwei Männer mit
Feuerlöschern. Sie sollten einschreiten, wenn sich die Angeklagten
oder Zuschauer selber anzün-den würden. Kripo-Chef Uwe Matthias:
"Wir sind überaus vorsichtig, da wir mit fanatischen Einzeltätern
rechnen müssen, die die Verhandlung stören wollen." Anwalt Rainer
Ahues verstand das, "aber meinen Laptop brauche ich dennoch in der Verhandlung,
den kann ich nicht draußen lassen." Die Beamten hatten den Mann nämlich
nicht mit dem Computer in den Saal lassen wollen. Erst eine rich-terliche
Erlaubnis löste das Problem.“
(Leipziger Volkszeitung, 23.6.99) |
Dies - und ein absolutes Versammlungsverbot für einen großen Teil der Südstadt (Umgebung des Gerichts) bis zum Ende der Prozesse - bildete den Auftakt zu dem Prozeß gegen die ersten fünf von 73 angeklagten KurdInnen in Leipzig. Ihnen wird die Beteiligung an der Besetzung des griechischen Generalkonsulates am 16. Februar vorgeworfen.
Ein Sondereinsatzkommando der Polizei hatte das Gebäude am späten Nachmittag dieses Tages gestürmt. Gegen 61 der verhafteten KurdInnen laufen nun Ermittlungsverfahren vor dem Leipziger Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung, schwerem Landfriedensbruch und schwerem Hausfriedensbruch. Gegen zwölf weitere Kurden, die als »Rädelsführer« ausgemacht wurden, wird zusätzlich wegen angeblicher Geiselnahme ermittelt. Diese Prozesse werden vor dem Landgericht geführt und sollen im Herbst beginnen. Die insgesamt 73 Angeklagten befin-den sich seit ihrer Festnahme ununterbrochen in verschiedenen Gefängnissen in Untersuchungshaft.
Aus Angst vor einem politischen Großverfahren hat die Leipziger Staatsanwaltschaft die Angeklagten in Gruppen zu je fünf Personen aufgeteilt. Zusätzlich zur Strafverfolgung erließen die Ordnungsämter der Wohnorte gegen einige KurdInnen weitreichende politische Betätigungsverbote.
Im ersten Prozeß gegen fünf Angeklagte interessierte sich die Richterin jetzt vor allem dafür, ob die drei Deutschen, die sich im Gebäude befanden, als »Geiseln oder Gäste« behandelt wurden, und ob es während der Besetzung eine Befehlsstruktur gegeben hat. Sie wirkte immer etwas ungehalten, wenn - offensichtlich wegen Übersetzungsschwierigkeiten - nicht direkt auf ihre Frage geantwortet wurde. In diesem Fall wurden "nur" Bewährungsstrafen verhängt
Außerdem scheint sich die Vermutung zu bestätigen, daß
Angeklagte unter Druck gesetzt werden, gegen andere KurdInnen auszusagen.
Dies wurde in diesem ersten Fall deutlich, in dem zuvor angeblich gemachte
Aussagen zurückgezogen und später erneut bestätigt wurden.
Die Methode der deutschen Behörden ist durchsichtig. Sie soll die
Betroffenen verunsichern, entpolitisieren und spalten. Die Drohung mit
Abschiebung ist ein besonderes Druckmittel, das die Angeklagten zu einer
individuellen und denunziatorischen Handlungsweise zwingen soll. Für
diese Art der Redewilligkeit versprechen die Behörden dann Strafmilderung.
Abzuwarten bleibt, ob es Polizei und Justiz in den noch folgenden Prozessen
und Verfahren gelingt, weitere Kurdinnen und Kurden gegeneinander auszuspielen.