PROZESS-INFO BERLIN                    Nr.1. / 28.6.99

Presse- und Informationsbüro
zu den sächsischen Kurdenprozessen

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Dresden, den 27.6.99


Prozeß gegen Kurden in Leipzig wegen der Besetzung des griechischen Konsulats im Februar 1999

-  Politisches Betätigungsverbot für einzelne Angeklagte
-  Reduzierung der KurdInnen auf Kriminelle
-  Reue als juristisches Prinzip

Am 16. Februar besetzten KurdInnen das griechische Konsulat  in Leipzig, nachdem sie von der Entführung Abdullah Öcalans  (Generalsekretär der PKK) aus der griechischen Botschaft in Nairobi in  die Türkei erfuhren. Anders als in anderen deutschen Städten, wo es zu  ähnlichen Besetzungen kam, reagierte die sächsische Polizei mit  übertriebener Härte. Sie stürmte das Gebäude des griechischen Konsulats  und nahm über 70 Personen fest.

Am 22. Juni 1999, fast ein halbes Jahr später, fand der erste Prozeß  gegen die Besetzer und Besetzerinnen statt, die bis zur  Urteilsverkündung, wie auch alle anderen Angeklagten, in  Untersuchungshaft saßen. Die Anklage der Staatsan-waltschaft lautete:  schwerer Landfriedensbruch, schwerer Hausfriedensbruch und  gemeinschaftliche Freiheitsberau-bung. Eine Frau und vier Männer wurden  zu Freiheitsstrafen zwischen 10 und 14 Monaten auf Bewährung verurteilt.  Obwohl die Angeklagten nicht vorbestraft waren und ihnen der schwere  Landfriedensbruch nicht eindeutig nachgewie-sen werden konnte, entschied  sich die Richterin Piesecky für die Freiheitsstrafen. Offensichtlich  wurde in diesem ersten Prozeß, daß diejenigen, die Reue zeigen und ihre  politischen Motive verleugnen, günstiger davonkommen. Es stellt sich die  Frage, wieviel Druck nötig war, z.B. durch die Androhung einer  Abschiebung in die Türkei, um die Angeklagten zu ihren Aussagen zu  bewegen.

Für die nun folgenden Prozesse - die über 70 Angeklagten wurden in  Fünfergruppen aufgeteilt - bleibt zu befürchten, daß mit diesem ersten  Urteil eine Grundlage für die Verurteilung aller anderen Angeklagten  geschaffen wurde. Dabei scheinen die politischen Hintergründe und Motive  der angeklagten Kurden und Kurdinnen nicht zu interessieren. Vielmehr  läßt die bisherige Linie der Staatsanwaltschaft einen unbedingten  Verurteilungswillen erkennen. Damit be-findet sie sich in völliger  Übereinstimmung mit der bundesdeutschen Innenpolitik, die nichts  unversucht läßt, Kurden und Kurdinnen in die Türkei abzuschieben." ...  wir [werden] mit aller Nüchternheit prüfen, welche Vorkehrungen  notwendig und möglich sind, um dann auch Ausweisungsentscheidungen zu  treffen und diese zu vollziehen ..." (Bun-desinnenminister Otto Schily  im März 1999).

Doch nicht nur die drohenden Abschiebungen bestimmen das Klima der  sächsischen Kurdenprozesse. Es sind zudem mehrere Fälle bekannt  geworden, in denen Angeklagte ein politisches Betätigungsverbot für die  Zeit nach ihrer Haf-tentlassung noch vor Prozeßbeginn erhalten haben. So  versuchte die Ausländerbehörde Magdeburg einem Kurden "1. Die Teilnahme  an öffentlichen politischen Versammlungen und Aufzügen; 2. Verfassung,  Veröffentlichung und Ab-haltung politischer Reden, Pressekonferenzen und  Publikationen; 3. Übernahme und Ausübung von politischen Äm-tern" zu  verbieten. Nach Intervention des Rechtsbeistandes des Betroffenen mußte  die Behörde Teile ihrer Verfügung zurücknehmen.  Die Ausländerbehörde Leipzig verfährt nach Informationen der  Rechtsanwälte ähnlich. Sie stellte ihre politische Betätigungsverbote  allerdings gleich mit dem Zusatz "lebenslänglich" aus. Nach Widerspruch  der Betroffe-nen änderte sie die Dauer auf 5 Jahre.
 

Der nächste Prozeß diesem Verfahren findet am
28. Juni 1999  um  9.00 Uhr
vor dem Amtsgericht Leipzig statt.