Berlin: Die Prozeßwelle rollt
Folteropfer mit niederen Beweggründen?
Nach zwei Verfahren vor dem Jugendschöffengericht und dem wegen
diverser Justizpannen geplatzten Prozeß im Juni wurde weitgehend
unbeachtet von der Öffentlichkeit, dafür mit um so größerem
Medieninteresse am 2. Juli vor dem Landgericht in Moabit der inzwischen
vierte Prozeß gegen einen Teilnehmer an den Berliner Protestaktionen
nach der Entführung Abdullah Öcalans im Februar geführt.
Nach nur eineinhalb Stunden wurde der 31jährige Angeklagte B. wegen
schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Widerstands gegen
die Staatsgewalt zu zwei Jahren Haft verurteilt, die u.a. aufgrund seines
Geständnisses und verminder-ter Schuldfähigkeit zur Tatzeit zur
Bewährung ausgesetzt wurden.
B. ist vor einiger Zeit aus der Türkei ge-flohen, wo er schwerer
Folter und ständigem Terror ausgesetzt war und wo sein Vater von türkischen
Spezialeinheiten in seinem Dorf ermordet worden war.
Obwohl er hier im Gefängnis zwei Selbstmordversuche gemacht hat
und ein psycholo-gisches Gutachten aus-führlich seine schwere Traumatisierung
darlegte - angesichts der vielen Polizisten vor dem israelischen Konsulat
habe er das Gefühl gehabt, türkischen Sicherheitskräften
gegenüberzustehen; wegen der anschließenden Verhaftung und der
viereinhalbmonatigen Untersuchungshaft bedeutete dies für ihn eine
Retraumatisierung - wurde er nicht einmal bis zum Prozeß von der
Haft verschont - geschweige denn für haftunfähig erklärt
(stattdessen wurde er im Haftkrankenhaus Moabit mit Psychopharmaka vollgepumpt).
Auch in diesem Fall folgte die Justiz mal wieder der politischen anti-kurdischen
Linie.
Bemerkenswert an der Urteilsbegründung ist, daß der Richter das politische Motiv der Tat als "niederen Beweggrund" wertete und es außerdem offensichtlich für nötig hielt, darauf hinzuweisen, daß das im Grundgesetz verankerte Demonstrations- und Versammlungsrecht eigentlich nur für Deutsche gelte und erst später durch verschiedene Gerichtsurteile auch auf Menschen anderer Herkunft ausgeweitet wurde. Den Tod der vier kurdischen FreundInnen erwähnte der Richter nicht einmal.
Ein weiterer Prozeß gegen vier am israelischen Generalkonsulat ver-letzte Kurden war für den 13. Juli angesetzt; wegen diverser Urlaubspläne wurde er auf den 10. August verschoben (die Angeklagten bleiben natürlich in Haft).
Wieviel Sicherheit für Folteropfer?
Ein zusätzliches Kapitel in der Reihe der Merkwürdigkeiten
während der aktuellen Prozeßserie ist am 15. Juli aufgeschlagen
worden. Der erste Prozeß im Hochsicherheitsbereich des Landgerichtes
in Moabit (mit rigorosen Durchsuchungs- und Konfiszierungsmaßnahmen)
wurde gegen E.C. eröffnet, dem schwerer Landfriedensbruch, Widerstand
und versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen werden,
und zwar am 16.2. am griechischischen Konsulat und am 17.2. am Rathenauplatz.
U.a. schließt die Sicherheitsverfügung des vorsitzenden
Richters vom 21. Juni Jugendliche unter 16 Jahren vom Prozeßbesuch
aus, weil es wohl auch jugendliche "Straftäter" geben soll. (Dürfen
Erwachsene demnächst alle anderen Prozesse nicht mehr besuchen?) Der
Antrag der Verteidigung auf Aufhebung der Sicherheits-verfügungen
wurde abgelehnt, da die Maßnahmen "gemessen am Tatvorwurf nicht unangemessen"
seien.
Angemessen war es aber anscheinend, den An-geklagten, dem das Behandlungszentrum für Folteropfer nach früheren Untersuchungen den Status eines traumatisierten Folteropfers beschei-nigte, fünf Monate in U-Haft zu lassen. Eine während des Prozesses anwesende Sachverständige hat auch nur dessen Verhandlungs-"fähigkeit" aufgrund eines 10minütigen Gesprächs während einer Verhandlungspause zu bestätigen. So war die Erlaubnis des Richters, daß E.C. sich aus dem Glaskasten heraus neben seine Verteidiger setzen dürfe, das einzige Zugeständnis an diesem Tag. Trotzdem fiel es E.C. dadurch augenscheinlich nicht leichter, der Verhandlung zu folgen. Aussagen machen will er jedenfalls nicht.
An diesem ersten von fünf angesetzten Verhandlungstagen wurden zwei Polizeizeugen vernommen. Beide konnten allerdings trotz Polizeivideo und Fotos zu den Vorwürfen gegen E.C. nichts beitragen, dafür hatten sie mehr mit dem Angeklagten des am folgenden Tag statt-findenden Prozesses zu tun. Die weiteren Termine gegen E.C. sind für die kommenden Donnerstage unter den gleichen Sicherheits-auflagen angesetzt.
Am folgenden 16. Juli begann unter gänzlicher Mißachtung der Medien ein auch auf mehrere Verhandlungstage angesetzter Prozeß vor dem Amtsgericht gegen den Kurden C., dem schwerer Landfriedensbruch, Widerstand und schwere Körperverletzung bei den Auseinandersetzungen auf dem Rathenauplatz vorgeworfen werden. Ganz anders seine Haltung im Prozeß als die der bisherigen Angeklagten: selbstbewußtes Auf-treten, kurdische Farben an der Jacke, er hielt eine Prozeßerklärung, macht aber ansonsten keine Aussagen. Diese konnten dann endlich die beiden Polizeizeugen des Vortages machen, denn sie meinten, C. sei ihr Mann, den sie erkannt hätten. Der nächste Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht ist am nächsten Freitag.
Kommt zu den Prozessen! Laßt die Angeklagten nicht mit dieser Justiz allein!
Die nächsten uns bekanntenTermine, immer im Gerichtsgebäude
Moabit, Turmstr. 91: