PROZESS-INFO BERLIN                    Nr.2. / 24.7.99.
Solidaritätskomitee für die kurdischen politischen Gefangenen in Berlin
Yorckstraße 59, 10965 Berlin
Tel. 030 / 788999-01, Fax -02

od. Informationsstelle Kurdistan e.V.: Tel./Fax 030 / 61305622


 
 
 

Anmerkungen zur Reise des deutschen Außenministers
am 21./22. Juli in die Türkei

Deutsche Waffen, deutsches Geld  morden mit in Kurdistan und der Türkei!
Zeitgleich werden kurdische Asylberechtigte in die türkischen Folterkeller abgeschoben.

Fischer präsentierte vor Reiseantritt bereits in den Medien seinen Slogan:

„Allerdings drängen wir nachhaltig auf eine politische und demokratische Lösung.“  (FR, 10.7.99)

In der Türkei und Nordwestkurdistan wird seit vielen Jahren ein unerklärter grausamer Krieg gegen die KurdInnen geführt. Der NATO-Militärputsch und die Aufnahme des bewaffneten Widerstandskampfes der PKK bildeten jeweils Grundlagen für weitere Eskalation. Zwei Drittel der türkischen Armee sind dauerhaft in Nordwestkurdistan im Einsatz.
Mindestens fünf Millionen KurdInnen sind auf der Flucht, 6000 Dörfer bombardiert und zerstört, Menschen „verschwinden“, im staatlichen Auftrag wird auf JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen geschossen, werden SchriftstellerInnen inhaftiert, gefoltert oder ermordet, weil sie über die Existenz von Kurdistan sprechen und von der blutigen Realität des Krieges gegen KurdInnen berichten.
Gewählte kurdische ParlamentarierInnen werden kriminalisiert und inhaftiert, demokratische Parteien verboten. Nach dem Verbot von HEP und DEP läuft zum wiederholten Male ein Verbotsverfahren gegen die HADEP.
Der Vorwurf der Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei dient als „Legitimation“ der massiven Repression gegen Millionen KurdInnen. Über 10 000 Kriegs- und politische Gefangene befinden sich in türkischen Knästen.

Für den Krieg in Kurdistan ist man als Grüne nicht verantwortlich; die Waffenlieferungen Deutschlands an die Türkei sind Sache der Wirtschaft und daher keine Menschenrechtsverletzung.“  (Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion)

Schon seit 1966 liefert die BRD im Rahmen der NATO-Arbeitsteilung jährlich ausgemusterte Waffensysteme an die Türkei. Zusätzlich erhält die Türkei modernste Kriegswaffen von Fregatten über Radpanzer bis zu Kampfhubschraubern der deutschen Firmen MBB, MAN, Siemens, HDW, Krupp, Heckler & Koch, u.v.a. – jeweils finanziert und abgesichert durch die Hermes-Kreditanstalt und die KfW.

Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen eingesetzt wurden.“ (Fischers Antwort als Außenminister auf eine kleine Anfrage der PDS vom Januar ´99, die er selbst 1986 als Oppositionsabgeordneter ähnlich an die damalige Bundesregierung gestellt hatte)

Die NATO-Partnerschaft BRD-Türkei sieht nicht nur die Weitergabe von Daten kurdischer AsylbewerberInnen durch die Ausländerbehörden oder politischer AktivistInnen, sondern auch die polizeiliche und militärische Ausbildung unter anderem der özeltims (Spezialeinheiten) durch die GSG 9 vor.

Allerdings drängen wir nachhaltig auf eine politische und demokratische Lösung.

Öcalan in Rom mit dem Ziel, eine politische und demokratische Lösung der kurdischen Frage in Europa zu veranlassen – u.a. auf Intervention der BRD verläßt Öcalan Italien und wird in eine parallel vorbereitete Kidnapping-Aktion getrieben. In einer koordinierten Geheimdienst-Aktion von CIA, MOSSAD, griechischem und türkischem Geheimdienst wird er aus Kenia in die militärische Gefängnisanlage Imrali verschleppt.
Kein Wort mehr von der „europäischen politischen Initiative“, die Schröder mit D’Alema im Dezember ´98 noch proklamiert hatte.

Allerdings drängen wir nachhaltig auf eine politische und demokratische Lösung.“

November 1993: bundesweites Verbot der PKK und 39 anderer kurdischer und türkischer Vereine.
Nach jahrelangen Razzien und Medienhetze wird der kurdische Jugendliche Halim Dener beim Plakatieren in Hannover von zivilen Spezialeinheiten erschossen.

Wir können keine fremden Konflikte auf deutschen Straßen dulden.“  (Innenminister Schily)

Jegliche vereinsmäßige Organisierung von KurdInnen in der BRD wird kriminalisiert und polizeilich zerschlagen.
Auf Drängen der BRD folgt Großbritannien nach der Verschleppung Abdullah Öcalans dem Willen der Türkei und schaltet den einzigen kurdischen Sender MedTV ab.

Allerdings drängen wir nachhaltig auf eine politische und demokratische Lösung.“

Kurdische Frauen werden systematisch in der Polizeihaft sexuell gefoltert.
85% der AsylbewerberInnen aus Kurdistan/Türkei werden abgelehnt mit der zynischen Begründung, ihre Berichte seien „unglaubwürdig“.

Wenn die Leute nicht gewaltsam abgeschoben werden, besteht keine Gefahr für sie.“  (Volker Beck, gerade eine Woche nach dem gewaltsamen Tod des sudanesischen Flüchtlings Aamir Mohamed Aqeeb, der am 28. Mai bei seiner Abschiebung von BGS-Beamten umgebracht wurde)

Allein aus den letzten Wochen sind ein Mord, zwei „Verschwundene“ und eine Inhaftierung bekannt – alle vier KurdInnen waren vor kurzem in die Türkei abgeschoben worden: Asylantrag „offensichtlich unbegründet“ ?!?

Allerdings drängen wir nachhaltig auf eine politische und demokratische Lösung.“

17.2.99, Berlin: Vier KurdInnen werden bei den Protestaktionen gegen die Verschleppung Abdullah Öcalans hinterhältig von Sicherheitskräften des israelischen Geheimdienstes ermordet, zahlreiche andere durch Schüsse schwer verletzt.
229 Festnahmen, 14 KurdInnen in Haft, tagelange Demonstrationsverbote, Verzögerung der Trauerfeier, menschenverachtende Medienhetze, Eröffnung zahlreicher Gerichtsprozesse - zur Legitimierung von Massenabschiebungen, zur Entpolitisierung des kurdischen Befreiungskampfes.
Bundesweit 2100 Festnahmen nach der Verschleppung Abdullah Öcalans und den legitimen Protesten der KurdInnen.
 

WIR DRÄNGEN ALLERDINGS NACHHALTIG AUF EINE DEMOKRATISCHE UND POLITISCHE LÖSUNG DER KURDISCHEN FRAGE.

Als Solidaritätskomitee für die kurdischen politischen Gefangenen in Berlin fordern wir die Freilassung aller inhaftierten KurdInnen, die Einstellung aller Verfahren gegen sie – in Hamburg, Berlin, Leipzig, Bonn, Stuttgart... – und ihre Entkriminalisierung. Weg mit dem PKK-Verbot!

Ebenso fordern wir:
 

  • Keine Abschiebungen in den Folterstaat Türkei
  • Ende der polizeilichen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit der Türkei
  • sofortige Beendigung des schmutzigen Krieges
  • Freilassung Abdullah Öcalans und Anerkennung als Verhandlungspartner bei einzuleitenden Friedensgesprächen zwischen den Kriegsparteien
  • Anerkennung der kurdischen Identität mit allen damit verbundenen politischen und kulturellen Rechten
  • Abschaffung der Todesstrafe
  • Freiheit für alle politischen Gefangenen

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    Özgür Politika 7.7.99
    "M. Selim Türk ist am 24. Juni nach Istanbul abgeschoben worden. Er lebte seit ´94 in Deutschland. 1998 war sein Asylantrag abgelehnt worden. Er lebte ein Jahr illegal und wurde, als er seinen Anwalt aufsuchen wollte, festgenommen. Er saß vier Wochen in Abschiebehaft in Offenbach. Seine Familie - seine Frau Nazli Türk sagt, das sie bis heute keine Nachricht von ihm erhalten habe. Auch sein Bruder Seyfeddin Türk, der in Nusaybin lebt, sagt, dass er zwar am Flughafen die Nachricht bekommen habe, dass er angekommen sei, aber keiner weiß, wo er abgeblieben ist."
    Özgür Politika, 17.7.99
    "Ercan Kiraz hat 1997 in Deutschland Asyl beantragt, um nicht zum Militär gehen zu müssen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. In der Türkei wurde er dann zum Militär eingezogen. Nach seiner Grundausbildung wurde er nach Silopi/Sirnak zum Kommandobataillon geschickt. Da er oft zu Operationen geschickt worden war, floh er nach zwei Monaten vom Militär. Im November 1998 stellte er in Deutschland nochmal einen Asylantrag. 10 Tage später wurde er festgenommen und im Gefängnis in Weiterstadt inhaftiert. Nach siebenmonatiger Inhaftierung akzeptierte er die Ausreise aus Deutschland. Er versuchte, in die Schweiz zu gelangen, wurde aber auf dem Weg dorthin wieder von der deutschen Polizei festgenommen und zur Abschiebung in die Türkei in das Gefängnis Friedberg gebracht.

    Außerdem wurde bekannt, daß Ahmet Ercan, der am 1.7.99 in die Türkei abgeschoben worden ist, nach fünf Tagen schwerer Folter im Gefängnis Metris in Istanbul inhaftiert ist. Die deutschen Verantwortlichen hatten ihm vorher gesagt, daß er durchaus in der Türkei leben könne."