Aufruf zu Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch am 1.Mai in Leipzig
Die Generalprobe in Passau ist den Nazis gelungen. Ca. 5.000 Faschisten übten fleißig im Sitzen, was sie am 1. Mai auch wieder auf der Straße demonstrieren wollen - einen Naziaufmarsch. Nicht irgendeinen, wie wir ihn in der letzten Zeit schon zu oft erleben mußten, sondern den größten seit Bestehen der Bundesrepublik. Zwischen 10.000 und 15.000 Teilnehmer werden von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und ihrer Jugendorganisation den Jungen Nationaldemokraten (JN) in Leipzig erwartet. Nachdem am 1. März vorigen Jahres 5.000 von der NPD/JN mobilisierte Nazis in München gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" des Hamburger Institutes für Sozialforschung demonstrieren konnten, mußten sie am 1. Mai in Leipzig einen herben Rückschlag einstecken. Der großmäulig angekündigte Aufmarsch von 10.000 Nazis, die sich "Stück für Stück die Straße zurückerkämpfen" wollten (Holger Apfel, JN-Bundesvorsitzender), fiel ins Wasser. Dies änderte jedoch nichts an dem Führungsanspruch der "rechtsextremen" Partei innerhalb der faschistischen Szene. Mittlerweile ist die Niederlage vom Vorjahr längst vergessen und spätestens mit der erneuten Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung, diesmal in Dresden, hat sie ihre Führungsrolle manifestiert. Ca. 1.200, vor allem aus Sachsen kommende Nazis, demonstrierten am 24.01.1998 in der Elbestadt für die Ehre der Wehrmacht und der Waffen-SS. Nur zwei Wochen später folgte der "Bundeswahlkongreß" in Passau. Hier liefen erstmals nach 1970 (der Demonstration der von der NPD unterstützten "Aktion Widerstand", welche "Willy Brandt - an die Wand" forderte) und nach der Demonstration in München wieder 5.000 Faschos auf. Diesmal war der Schauplatz zwar eine Halle, aber die Nazis waren deswegen nicht weniger präsent und gefährlich. Der nun für den 1. Mai geplante Aufmarsch der NPD/JN unter dem Motto: "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" soll aber all dies in den Schatten stellen. Der Aufzug ist seit fast einem Jahr angemeldet und die Mobilisierung läuft schon seit Monaten, hauptsächlich über das Internet, inzwischen aber auch per Flugblatt, Plakat, Aufkleber und nicht zuletzt wurde in Passau ein Großteil der Nazis auf diesen Tag eingeschworen.
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Deutsche Ordnung - NPD-Kundgebung am 1.Mai 1998 in Leipzig - |
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Die gesellschaftliche Situation
Es besteht wahrlich kein großer Unterschied zwischen dem, was die NPD am 1. Mai an Parolen auf die Straßen tragen will, was in Verlautbarungen der sich demokratisch nennenden PolitikerInnen zu hören ist und was die Bevölkerung denkt. Die NPD-Forderung "Arbeit zuerst für Deutsche" klingt lächerlich harmlos im Vergleich zu dem, was in Deutschland Gesetzesrang hat, nämlich das de facto-Arbeitsverbot für fast alle MigrantInnen, und dem, was auf Gewerkschaftsdemonstrationen zu diesem Thema gesagt wird. Demnach werden rassistischen Übergriffe nicht nur von faschistischen Mörderbanden verübt, sondern auch vom Staat: z.B. den PolizistInnen bei der "Drogenrazzia", die schon mal Scheinhinrichtungen vornehmen, den BGS-Beamten bei Abschiebungen, die vor Schlägen und Giftspritzen nicht zurückschrecken, und allen anderen MitarbeiterInnen der Abschiebemaschinerie. Die Nazis agieren innerhalb eines gesellschaftlichen Zustandes, dessen Unterstützung sie sich gewiß sein können. Sie können sich als elitäre Vorreiter der rassistischen Bevölkerung begreifen. Dementsprechend werden sie dann auch von der Bevölkerung belohnt und geschützt. Hier sei nur auf die "akzeptierende Sozialarbeit" mit rassistischen und antisemitischen Jugendlichen hingewiesen, die den Tätern vor und nach ihren Angriffen einen sicheren Zufluchtsort in Form von Jugendclubs bietet und sie als eigentliche Opfer darstellt. Dies als pures Unwissen über die Gefährlichkeit der Nazis gelten zu lassen, wäre fatal, denn die Bevölkerung findet im Auftreten der Nazis auch ihre eigenen Sekundärtugenden und Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung wieder. Schließlich wollen alle ein Deutschland, das sauber, fleißig und ordentlich ist und alle, die dieses Selbstbild anzugreifen scheinen, haben hier nichts zu suchen und "sollen, wenn es ihnen nicht gefällt, wieder dorthin zurückgehen, wo sie hergekommen sind." Der bekannt gewordene Ausspruch einer Magdeburger BürgerIn im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Wohnung des Bruders von Frank Böttcher: "Das müsste man den Glatzen sagen", kann als stellvertretend für die Pogromstimmung innerhalb der Bevölkerung angesehen werden. Denn aufgrund der eigenen gesellschaftlichen Position, die ein militantes Handeln ausschließt, ist man über das aktive Handeln der Nazis froh. Der Bevölkerung bleibt dabei immer noch die Möglichkeit, sich formal von den Nazis abzugrenzen. Gleichzeitig sind aber die von den BürgerInnen konstruierten Probleme - MigrantInnen, Obdachlose, Homosexuelle etc.- vor der eigenen Haustür auf kurz oder lang gelöst. Der reflexhafte Abgrenzungsmechanismus der offiziellen Politik und des Großteils der Bevölkerung gegenüber den Nazis muß, solange er noch existent ist, auf jeden Fall aufrecht erhalten werden. Denn ein Verschmelzen des stumpfen Rassismus der Bevölkerung mit den bürokratischen Vernichtungsfähigkeiten der Verwaltung und der Schlagkraft der Faschos wäre der neue völkische Aufbruch. Am 1. Mai muß zuerst gegen die Faschos vorgegangen werden, denn schließlich sind und bleiben sie die Hefe im völkischen Teig.
Antwort auf die deutsche Ordnung - Antifa-Aktionen am 1.Mai 1998 in Leipzig -
Die NPD und JN gelten ja schon seit längerem als Auffangbecken für sowohl militante als auch nicht-militante Faschisten. Aber spätestens seit dem Naziaufmarsch in München ist sie auch wieder die aktivste und erfolgreichste Organisation im Nazispektrum geworden. Und nirgendwo wird dies deutlicher als in dem braunen Landstrich im Osten des Landes. Das Konzept der "befreiten Zonen" ist hier großteils umgesetzt. Dies bedeutet: Akzeptanz der Naziaktivitäten in der Bevölkerung dank des rechten Konsens; nicht-akzeptierte Menschen, vor allem MigrantInnen, vertrieben; jede Woche eine Party oder ein Konzert mit zum Teil über 1.000 Teilnehmern und zu guter Letzt aller Vierteljahre ein Naziaufmarsch allein in Sachsen (1. Mai 97 in Grimma - 200 Nazis, 5. Juli 97 in Zittau - 500 Nazis, 29. November 97 in Görlitz - 300 Nazis, 24. Januar 98 in Dresden - 1.200 Nazis). Schon seit der Wende 1989 legen die Nazis besonders große Bemühungen auf den Freistaat Sachsen und die sogenannte "Heldenstadt" der "friedlichen Revolution" - Leipzig. Der Wille, nach der Niederlage im Vorjahr erneut in Leipzig demonstrieren zu wollen, verdeutlicht nochmals nachhaltig das besondere Interesse des NPD-Bundesvorstandes an der organisierten und noch zu organisierenden Naziszene in Sachsen. Schließlich verfügt die NPD hier mit ihren 19 Kreisverbänden über ein nahezu flächendeckendes Netz und auch über das Mitgliederpotential: 1.000 der bundesweit ca. 5.000 Mitglieder. Allein in Leipzig, wo auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD, Jürgen Schön, wohnt, hat die NPD über 200 Mitglieder und damit den größten Kreisverband überhaupt. Im Dresden befindet sich seit dem Zuzug von Oliver Händel (JN-Bundesvorstand) und Katharina Handschuh (Bundesmädelbeauftragte der JN) seit Oktober 1997 die Bundesgeschäftsstelle der Jungen Nationaldemokraten. Daß mit Oliver Händel einer der Organisatoren des Münchener Aufmarsches nach Sachsen gezogen ist, dürfte dabei kein Zufall sein. Laut Verfassungsschutz will die NPD ab jetzt ihre ganze Kraft darauf konzentrieren, bei den sächsischen Landtagswahlen 1999 einen "Prestigeerfolg" zu erzielen. Bis zu den Kommunalwahlen will die NPD deshalb versuchen, in allen Kreisen Verbände zu gründen, die ihre Kandidaten aufstellen. Selbst die berüchtigte Wurzener Kameradschaft will sich nach Eigenaussage am Wahlkampf der NPD beteiligen. Aber auch bei bundesweiten und internationalen Parteiaktionen spielen die "Kameraden" aus Sachsen eine wichtige Rolle. So fuhren nach München und Passau jeweils mehrere Reisebusse aus Leipzig, Wurzen, Dresden und Weißwasser ab. In Passau war der sächsische LV mit 600 Abgeordneten der stärkste und die Leipziger Kameraden durften sogar den Saalschutz übernehmen. Zu den Franco-Gedenktagen nach Spanien fuhr der Bus mit den 60 deutschen Delegierten der NPD ebenfalls aus Sachsen ab. Neben dieser strukturellen Organisation und der Parteiarbeit spielt für die NPD/JN in Sachsen aber auch die Integration von militanten Neonazis eine große Rolle. Mehrere "autonome Kameradschaften" finden den Weg in die parteilichen Strukturen, ohne dabei ihre Eigenständigkeit aufgeben zu müssen. So verwundert es auch nicht, daß der bekannte Wurzener Kameradschaftsführer Marcus Müller seit über einem Jahr den KV Muldentalkreis führt. Eben jener Markus Müller, der auch bei dem Nazi-Überfall auf den Zug nach Dresden am 24.01.98 beteiligt war - neben anderen bundesweiten Kadern, wie Sascha Wagner oder Ulli Diehl. Als weiteres Beispiel ist die Aufnahme der "Nationalen" zu nennen, welche in Sachsen nach ihrer Selbstauflösung teilweise komplett in die NPD eintraten.
Guten Morgen, Antifa
"Antifa heißt Ausschlafen" haben wir vor einem Jahr ironisch konstatiert. Aber angesichts der Entwicklung der Naziaktivitäten und den Reaktionen der Antifa, die in letzter Zeit diesen Spruch wohl etwas zu wörtlich genommen hat, heißt es am 1. Mai, den Naziaufmarsch unbedingt und mit allen Mitteln zu verhindern. Nach Stavenhagen, Dresden und Passau, wo die Aktivitäten der Nazis nicht verhindert werden konnten, gilt es ihnen jetzt in Leipzig, oder wo immer am 1. Mai die Faschos auch aufmarschieren wollen, eine herbe Niederlage zu bereiten. Mit einem Verbot des Aufmarsches ist dieses Jahr nicht zu rechnen, da die NPD ihn als Wahlkampfveranstaltung deklariert hat. Außerdem umgeht sie mit ihrer frühzeitigen Anmeldung - knapp ein Jahr im Voraus - einer Verbotsverfügung, die mit dem Polizeinotstand begründet wird. Wir gehen davon aus, daß die Faschos dieses Jahr auf alle Fälle unter dem Schutz der Staatsgewalt marschieren dürfen. Auch die Zahlen von 10.000 - 15.000 Nazis halten wir für realistisch, da die Mobilisierung schon seit fast einem Jahr läuft und die Nazis in der Zone schon längst das Zahlenverhältnis zu ihren Gunsten gekippt haben. Auch der Aufmarsch in München und der "Kongreß" in Passau haben gezeigt, daß der überwiegende Teil der Nazis aus dem Osten kommt. Und genau für diese Ossis muß nun die NPD ein symbolisches Zeichen - in Form eines Aufmarsches im Osten - setzen, um sie weiterhin an sich binden zu können. Anfang 1998 hat sich vor Ort ein Bündnis linker und liberaler Gruppen zusammengefunden, um den Naziaufmarsch am 1. Mai zu verhindern. Das Bündnis könnte in der Lage sein, durch entsprechende Arbeit im Vorfeld eine Öffentlichkeit gegen den Aufmarsch zu schaffen; das und die dadurch mobilisierten Menschen werden den Aufmarsch aber nicht allein verhindern können. Fakt ist, daß es im Osten keine linksliberale Öffentlichkeit gibt, die sich - wie in München am 1.3.97 - massenhaft den Faschos entgegenstellt. Um so wichtiger ist es, daß sich alle autonomen AntifaschistInnen an dem Tag selbst Ernst nehmen und sich nicht auf einer traditionellen 1.Mai-Demo anhören, wie "schlecht" es um die soziale Lage im Lande bestellt ist. Statt dessen sollte mit aller Kraft versucht werden, den vermutlich größten Faschoaufmarsch der letzten Jahrzehnte zu verhindern. Wer beim 1. Mai an die Revolution denkt, muß sich zuerst den völkischen Revolutionären entgegenzustellen. Denn angesichts der gesellschaftlichen Situation müssen wir konstatieren, daß es kaum noch möglich ist, das Thema der sozialen Frage mit Erfolg von links zu thematisieren. Gegen die Normalisierung faschistischer Aufmärsche ist mit allen Mitteln vorzugehen! Wir rufen alle AntifaschistInnen auf, den Naziaufmarsch am 1. Mai zu verhindern!
Bündnis gegen Rechts Leipzig
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