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Antifakalender: Wir fragten Antifas aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Leipzig zu ihren Erlebnissen und Sichtweisen der vergangenen zehn Jahre.

Stellt Euch doch erst mal vor, vielleicht mit einer kurzen Beschreibung, was bei Euch so los ist.


Ich bin Stefan aus einer sächsischen Kleinstadt. Bei uns ist es so, daß sich die Jugendlichen entweder als unpolitisch bezeichnen und damit meinen, daß sie sich für nichts interessieren, oder sie jammern rum. Die ältere Bevölkerung (aber die unpolitische Jugend eigentlich auch) ist vor allem mit Vorurteilen behaftet gegen die polnischen Leute, die bei uns arbeiten oder die alltäglich über die Grenze kommen und bei uns einkaufen. Die ganze Situation ist sehr mit rassistischen Vorurteilen belastet, von a bis z ist alles da und wird auch öffentlich erzählt, wenn sich die Gelegenheit bietet...

BgR: Ich bin Klaus aus Leipzig und für uns stellt sich die Situation so dar, daß sich gerade eine rechtsextreme Kultur entwickelt, eine Dominanzkultur in den Städten und auf dem Land, also eine nationalsozialistische Jugendkultur. Und daß diese im Osten auch noch die einzig relevante Subkultur darstellt, im Vergleich dazu sind linke Subkulturen eigentlich gar nicht mehr vorzufinden. Antifapolitik wird nur noch von wenigen gemacht und es gibt kaum noch Zuspruch unter Jugendlichen. Die Gründe liegen einerseits darin, daß sich im Osten eine ziemlich breite Basis auf eine Ostidentität beruft, die stark nationalistisch gefärbt ist und damit einher gehen rassistische Vorurteile oder Denkweisen. Ein anderer Grund dafür ist, daß im Osten die ziemlich ganze Bevölkerung durch die DDR-Erziehung geprägt wurde, durch eine autoritäre Erziehung, in der sich ein bestimmtes Gemeinschaftsideal herausgebildet hat, daß ganz eindeutig "Fremde" ausschließen will. Das Problem im Osten ist, daß die Nazis sich mit ihren Meinungsbild auf eine Tendenz in der Bevölkerung berufen können, sie zwar sicherlich Positionen noch zuspitzen, aber auch schon so eine starke Rückendeckung erhalten.

Ich bin Sven aus Mecklenburg; In Mecklenburg tritt die rechte Subkultur in den östlichen Grenzgebieten sehr militant auf und wird innerhalb der Bevölkerung sehr akzeptiert. Es hat sich kaum ein politischer Gegenpol dazu entwickelt. Es beschränkt sich lediglich auf ganz kleine Grüppchen, die fast vergeblich versuchen, Fuß zu fassen.


Antifakalender: Aus all den Aussagen geht hervor, daß es offensichtlich keine relevanten Jugendkulturen gibt, die explizit nicht rassistisch sind. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie sich so eine Kultur entwickeln kann. Wenn man das vom Westen aus betrachtet, gab es Anfang der 90er Jahre auch Versuche von westdeutschen Kulturlinken, im Osten aufzutreten und mit Leuten vor Ort zusammen was zu entwickeln. Also konkret meine ich jetzt die "Etwas besseres als die Nation-Tour", die ja durch Rostock, Leipzig und Dresden ging. Die Leute sind genau mit dem Ansatz da hingefahren zu sagen: "Wir wollen eine antifaschistische Subkultur unterstützen und ihr den Rücken stärken". Die Bewertung dieser Leute, die das damals getragen haben, ist durchweg negativ ausgefallen. Viele Teile der westdeutschen Linken schrieben den Osten total ab. Inwieweit seht ihr, daß die Entwicklung einer Gegenbewegung aus dem Osten selbst entstehen kann?

BgR: Klaus: Ich denke, daß die Einschätzung richtig ist, daß es keine eindeutig linke Subkultur, in der klar ist, daß das Publikum sich mit antifaschistischen Inhalten identifiziert, mehr gibt und somit ein subkultureller Ansatz gescheitert ist. Der Punkt ist jetzt, daß sich im Osten eine rechte Subkultur entwickelt hat. Die Frage, was wir dem entgegenstellen können, ist nicht spezifisch ostdeutsch zu beantworten. Es ist wichtig, daß sich die Antifabewegung bundesweit gezielt Gedanken um eine antifaschistische Jugendarbeit macht. Das heißt, man muß sich Gedanken darüber machen, was auf alle Fälle anziehend auf Jugendliche wirken kann und was über einen kulturellen Rahmen hinaus geht. Weil es momentan keine anzuführende wahnsinnig große linke Gegenkultur gibt.

Hier ist der Hans aus Mecklenburg: Ich bin der Meinung, daß die Linke im gesamten letzten Jahrzehnt die soziale Frage kaum noch beachtet hat, geschweige denn sich irgendwie da engagiert hat. Es geht nicht nur darum, eine linke Subkultur aufzubauen als Gegenstrom gegen diesen rechten Vormarsch, sondern auch darum, daß wir speziell soziale Fragen ansprechen müssen - was die Rechte ja momentan auch gerade im Osten tut, auch wenn sie keine Lösungen bietet. Aber sie vermittelt das Gefühl, es wird sich darum gekümmert.


Antifakalender: Und wie meinst du, soll die Linke das tun, also was für Lösungen schweben Dir vor?

Hans: Es sollte nicht darauf beschränkt sein, daß wir einfach stumpf nach Arbeit brüllen, sondern wir sollten natürlich bei diesen Problemen, wie Arbeitslosigkeit, gucken, woher das kommt. Nicht so billig argumentieren wie die Nazis, sondern versuchen, kurz und schlüssig die Ursachen zu erklären.

Sven: Wenn gemeint wird, daß es wichtig, ist, gegen diese Stiefelfaschisten und Neonazis vorzugehen, sollte man auch daran denken, daß diese Leute bloß Symptome sind, deren Ursache dieses System ist. Solange wir bloß die Symptome bekämpfen und nicht an die Ursache rangehen - also an den eigentlichen Kern - wird es das immer wieder geben. Das ist eine Spirale: Wir werden einige Nazis vielleicht verjagen oder ein wenig ruhiger stellen können, aber es werden immer wieder neue nachkommen. Also sollten wir gesellschaftspolitischer arbeiten, zur ganzen sozialen Lage hier im Land, zur Politik allgemein...

Stefan: Aber die soziale Frage, so wie sie momentan verstanden wird, stellt sich bloß innerhalb dieses Systems. Und da müssen wir das System in Frage stellen, das sehe ich nicht gegeben, wenn wir die Arbeitslosigkeit thematisieren. Da müssen wir vielmehr sagen, warum es in diesem System immer nach hinten losgehen muß. Wenn wir dann ganz konkret das System angreifen und in Frage stellen, dann stellen wir eine soziale Frage. Dann stellen wir in meinen Augen die einzig richtige soziale Frage. Da zeigen wir nämlich, daß in diesem System, im Kapitalismus, ein soziales, menschliches Miteinanderleben gar nicht möglich ist. Damit kannst du dieses System ja auch schlagen, wenn du da Lösungen anbietest. Die Lösung ist in meinen Augen das Ende des Systems.

Sven: Und wie willst du das erreichen?

Stefan: Das will ich jetzt hier nicht sagen.


Antifakalender: Ist es nicht so, daß die Situation in Ost-Deutschland dadurch gekennzeichnet ist, daß die Systemfrage ganz massiv gestellt wird? Gerade im Osten hast du einen ziemlich breiten gesellschaftlichen Rückgriff auf Versatzstücke des vorherigen Systems. Und dabei sind sich dann plötzlich ganz viele Leute gefährlich einig - also DDR-Nostalgiker, genau wie auch diese jungen Nazis, die im Prinzip den sozialistischen Entwurf in einen nationalsozialistischen Entwurf umdefinieren. Das ist doch eine ganz andere Situation als im Westen.

Stefan: Das stimmt - nur für mich ist nicht die Frage, ob ich mich innerhalb des gerade herrschenden Systems befinde, das akzeptiere und als gut empfinde - oder ob ich ein System, was vorher existierte, als gut empfinde. Daß das DDR-System letztendlich auch bloß ein Teil des großen kapitalistischen Systems gewesen ist, ist für mich schon Fakt ... Nach außen sehe ich schon einen Unterschied zwischen den beiden Systemen (DDR/BRD) - daß wir heute reisen dürfen oder Bananen kaufen können oder wie auch immer. Aber das Elementare ist gleich geblieben - die Unterdrückung ist nämlich immer noch da. die hat sich nur verlagert oder verändert. Also ich darf heute genausowenig das denken, was ich denke - wie früher.

Antifakalender: Es gab mit der Wiedervereinigung im Westen auch innerhalb der Antifa Diskussionen über die Bedeutung des gesellschaftlichen Umbruchs im Osten. Die ganz offensichtlich zunehmende Stärke einer rassistischen Massenbewegung, die sich nicht mehr so stark an Organisationen orientiert hat, ist bis vor wenigen Jahren mit einem großen Tabu belegt gewesen. Das Tabu lag darin, daß nicht gesagt werden durfte, daß die Gründe für diese Entwicklung oftmals aus der DDR-Geschichte entstanden und teilweise ein spezifisch ostdeutsches Problem sind und sehr viel mit der Struktur der DDR-Gesellschaft zu tun haben. Es hat keinen wirklichen Bruch mit bestimmten Traditionslinien gegeben, die im Osten 40 Jahre lang konserviert worden sind. Es würde mich interessieren, auf welche der Faktoren ihr die Gewichtung legen würdet, wenn ihr diese Situation beschreibt.

BgR: Klaus: Bestimmte Entwicklungen, wie die schon angesprochene Erziehungsproblematik, sind die Basis für die Entwicklung eines Gemeinschaftssinn nationaler Identität, mit der es auf alle Fälle keinen Bruch gab. Im Osten wird jetzt diese Debatte um Ostidentität auch durch die PDS vorangetrieben. Nämlich in der Hinsicht, daß die Diskussion an Traditionslinien der DDR anknüpft, an ein bestimmtes Geschichtsbild, daß sich nicht besonders kritisch zum nationalsozialistischen Deutschland verhalten hat. Man hat sich eben tatsächlich als den antifaschistischen Teil Deutschlands gesehen und somit gar nicht die Frage gestellt, in wie weit die eigene Bevölkerung daran beteiligt war. Die Bevölkerung kann sich ohne weiteres als Opfer einer Geschichtsverklitterung sehen. Und das Nächste ist, daß auch in der DDR mit ganz entscheidenden deutschen Traditionslinien, wie sie schon vor dem Nationalsozialismus geherrscht haben, auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht gebrochen worden ist: Sekundärtugenden (wie Ordnung, Fleiß, Pünktlichkeit, ...).

Stefan: Die DDR hat sich immer auch als weltoffenes Land präsentiert und begriffen - auch mit diesem Argument: "Wir haben ja auch ausländische Bürger, die bei uns arbeiten und so weiter". Aber faktisch war die DDR, wo prozentual gesehen noch viel weniger Ausländer waren als heute, ein ausländerfreies Land. Das war auch Ziel der DDR. Sie sollte sozialistisch deutsch und "DDR-bürgerisch" sein. Die Ausländer sollten eigentlich überhaupt nicht da sein. Die, die da waren, kamen nur, um den "sozialistischen Bruderstaaten" Unterstützung zu liefern - immer mit der Prämisse, daß sie nach drei Jahren Ausbildung wieder gehen. Das ist halt der übergestülpte Zeitgeist: Auf der einen Seite wird behauptet, daß wir ein freundliches, weltoffenes Land sind, wo alle ganz tolerant sind, da wir ja alle sozialistische Brüder und Schwestern sind. Auf der anderen Seite wollen wir die aber gar nicht, weil die ja Fremdkörper sind und jeder Fremdkörper stört ein autarkes System. Deshalb ist es heute natürlich für die Leute noch schwerer, wenn sie heute plötzlich - das ist überhaupt keine Entschuldigung, selbst wenn das so klingt - ausländische BürgerInnen als Normalität empfinden sollen, wo 40 Jahre lang als Normalität erzählt wurde, das nur ganz wenige da sind. Plötzlich sind eigentlich auch nicht viel mehr da, aber jetzt ist klar, daß sie hier bleiben. Warum auch nicht? Aber die Bürger kommen damit nicht klar. Das waren früher auch Fremde, die nie akzeptiert wurden als Leute aus anderen Ländern. Das waren einfach Fremde und der Fremde geht und heute bleibt der Fremde. Das kannst du zum Beispiel bei uns in der Stadt sehen: dort leben 1,4 % Ausländer und in Umfragen sind die Leute der Meinung, das sind mindestens 30 - 60 %. Da wird das Bewußtsein der Leute deutlich. Das wird auch durch die Medien und die Innenpolitik ganz massiv vorangetrieben: "Wir brauchen ja die Polizei, wir brauchen die innere Sicherheit bis unter die Halsdecke"...


Antifakalender: Da kann man das ja auch teilweise als Ursache für das Erstarken der Naziszene sehen...

BgR: Klaus: Ein ganz wichtiger Punkt ist, daß in der DDR eben nicht kritisch mit Rassismus umgegangen wurde. Das rassistische Potential in der Bevölkerung ist gar nicht thematisiert worden. Da ist es irgendwie logisch, daß sich das jetzt weiterentwickelt hat. Zu dem "übergestülpt" kann man auf alle Fälle noch sagen, daß es in der DDR zwar immer die Versuche gab, im Unterricht oder in der Erziehung antifaschistische Positionen zu vermitteln. Aber dadurch, daß es keine kritische Auseinandersetzung mit einem Faschismusbegriff und auch mit einem eigenem Verständnis von Antifaschismus gab - weil man sich eben ganz bewußt als DDR, als kommunistisches Deutschland, als das antifaschistische Deutschland gesehen hat, ohne die Vergangenheit zu reflektieren, ist es natürlich klar, daß dieser Antifaschismusbegriff bloß eine Worthülse sein konnte. Das kann keine Basis für ein antifaschistisches Bewußtsein sein.

Antifakalender: Es hat auf jeden Fall was damit zu tun, wie in der DDR mit dem deutschen Faschismus umgegangen wurde. Gleichzeitig kann ich sagen, daß im Westen die Art der Geschichtsvermittlung zwar teilweise kritisch oder moralisch antifaschistisch war, aber nie einen Bezug zu den Tendenzen, die es in dem Moment gab, hatte. Stattdessen hat sie sich immer nur vom historischen Nazideutschland abgegrenzt.

Stefan: Aber innerhalb der DDR gab es ja überhaupt gar keinen Rassismus, keinen Faschismus, nichts... Die DDR war ja offiziell antifaschistisch, und der Faschismus - wie alles Böse - war halt im Westen zu suchen. Was typisch deutsch ist, daß der Sündenbock immer woanders ist. Wenn in der DDR irgendwas nicht lief, dann war doch immer irgendwie der Westen schuld.

Antifakalender: Seid ihr der Meinung, daß es zwischen Ost-Antifagruppen und West-Antifagruppen immer noch ein spezifisches Verhältnis gibt? Ein spezifisch schwieriges Verhältnis beispielsweise.

BgR: Klaus: Am Anfang war es sicherlich schwer vorzustellen, was im Osten abging, gerade dadurch, daß im Westen in vielen Städten nicht mehr so ein eklatantes Naziproblem mit so einem dominanten Auftreten vorherrschte. Ich denke eigentlich, daß die Zusammenarbeit zwischen Ost- und West-Antifagruppen momentan ziemlich gut funktioniert. Im Osten gibt es noch das spezifische Problem der Antifagruppen, daß sie halt nur sehr marginal sind. Da bedarf es auf alle Fälle unbedingt - ja nicht Hilfe, aber Unterstützung. Das ist schon noch ein Problem, während es im Westen schon jahrelang konstante Antifagruppen gibt.

Stefan: Die Westdeutschen können versuchen, sich das vorzustellen, wie es bei uns abgeht, aber ich glaube, manchmal wäre es notwendig, daß die eine Weile bei uns wohnen und antifaschistische Arbeit mitmachen. Das klingt jetzt zynisch, aber es ist schon was anderes, innerlich zu erleben, was für ein Gefühl dahinter steht, wenn man doch oft gegen eine Wand rennt. Im Westen ist dies Gegen-die-Wand-rennen gegen die Nazis sicherlich genauso. Jedoch ist dort in meinen Augen doch noch ein gesellschaftliches Bewußtsein vorhanden, das noch ein bißchen mehr den humanistischen Idealen verhaftet ist - da gibt es ein linksliberales, na gut liberales, sagen wir mal, statt links. Im Osten existiert diese Bürgerlichkeit fast überhaupt nicht. Im Westen trifft man doch eher noch auf Verständnis für die Antifas. Eher als im Osten, wo es diese ganze Öffentlichkeit, die sich in irgendwelchen Projekten manifestiert, viel weniger gibt. Jemand, der im Westen groß geworden ist und Antifaarbeit macht, kann sich nicht so richtig vorstellen, wie es wirklich im Osten ist. Das ist nicht so, weil er im Kopf beschränkt ist, sondern weil ihm einfach das Erleben fehlt.

BgR: Klaus: Mit der Antifa-Demo in Wurzen 1996 wurde versucht zu thematisieren, was sich im Osten vollzieht. Daß sich da in Wurzen zum ersten Mal eine national befreite Zone entwickelt hat, was einherging mit dem Zusammenspiel zwischen Nazis, Bevölkerung, politischen Teilen des Lebens (Bürgermeister, Polizei,...). Wenn Westantifas nicht schnellstens versuchen, dazu Standpunkte zu entwickeln, dann kann es irgendwann sein, daß die Nazis versuchen, diese Entwicklung auch im Westen zu machen.

Sven: Die Erwartungshaltung an den Westen kann man nicht so hoch setzen, die Linke im Westen liegt ja auch ziemlich am Boden. Was besser klappen muß, sind sicherlich bundesweite Demos. Die einzelnen Probleme in den Gebieten müssen die Antifas vor Ort lösen, da bringt es wenig, von außen zu kommen. Das hat man ja auch bei den Demos in Wurzen gesehen, daß das zwar in dem Moment für die Stärkung der Leute ganz gut ist, aber keine Lösung ist. Es muß gerade im Osten hauptsächlich auf der kulturellen Schiene versucht werden, wieder Fuß zu fassen, um an die Jugend ran zu kommen.


Antifakalender: Ihr seid ganz stark auf eine Jugendbewegung ausgerichtet, meint ihr nicht, daß es darum geht, eine allgemeine politische Bewegung aufzubauen mit verschiedenen Alterstufen, Gruppierungen etc.?

BgR: Klaus: Also, ich denke tatsächlich, daß es schwierig ist, ein Bewußtsein für die Problematik in der Bevölkerung zu schaffen und es eher entscheidend ist, sich von ihr abzugrenzen. So denke ich, daß es bei den Jugendlichen eher eine Chance gibt, daß die sich für Antifapolitik interessieren. Auf eine Bürgerbewegung zu setzen ist schwierig, das sieht man ja auch, wenn alle Ostdeutschen zusammenhalten, um ihre Vergangenheit auf alle Fälle nicht kritisch hinterfragen zu lassen. Da schweißt sich eher eine ostspezifische Gemeinschaft zusammen, die der Kritik bedarf, anstatt des Versuches, dort Einfluß zu nehmen.

Sven: Die Jugendlichen sind immer noch am revolutionärsten von allen. Jeder hat doch mit 15 irgendwelche Sachen erkannt und meint, nun dies ändern zu wollen. Die Ideen kommen mit 15, wie utopisch die auch sein mögen. Von daher brauche ich bei einer so krassen rechten Jugendkultur jetzt nicht losgehen und versuchen, Erwachsene zu erreichen, die ja ziemlich wenig auf Jugendliche einwirken können.

Stefan: Wenn ich das realistisch betrachte, werden wir es nicht mehr erleben, daß sich ein Bewußtsein soweit verändert verändert hat, daß sich auch die Lebensumstände verändern. Wenn wir die Lage analysieren, können wir letztendlich nur pessimistisch auf den Punkt kommen, daß nichts mehr zu machen ist... nur langfristig...


Antifakalender: Also um zu einem anderen Fazit zu kommen, als Koffer zu packen, frage ich, wo ihr positive Ansatzpunkte seht, wie sich was entwickeln soll, wenn es fast nichts mehr gibt. Die Frage ist, ob es konkrete Möglichkeiten gibt, so was zu schaffen, nicht erst in 1000 Lichtjahren, sondern als perspektivisches Nahziel?

Stefan: Wir sind schon zufrieden, wenn die Leute alles tun, außer in die rechte Kultur abzudriften. Das bedeutet, daß wir alles unterstützen, was ansatzweise einen alternativen Touch trägt. Um den Leuten die Möglichkeit zu bieten, zwischen dem Nazikonzert oder eben einem alternativen Konzert oder Party, die halt nicht von Rechten dominiert werden, zu entscheiden. Das ist garantiert nichts links, sondern maximal alternativ oder "nicht-rechts", aber der Ansatzpunkt, um dann zu schauen, was sich noch entwickeln kann. Es ist zu weit gegriffen zu sagen, wir wollen eine linke Subkultur etablieren, weil wir das nicht schaffen werden. Wäre natürlich viel cooler, wenn man eine linke Band unterstützen könnte, aber wo es keine linken Bands gibt, muß man halt mit den Alternativen vorlieb nehmen.

BgR: Klaus: Ich denke, daß es noch Chancen gibt. Wenn sich in der Antifabewegung die Erkenntnis durchsetzt, daß Konzepte für antifaschistische Jugendarbeit nötig sind und sich da Konzepte entwickeln lassen, wie man selbst Jugendliche politisieren kann, wie man eine Gegenbewegung entwickeln kann, dann gibt es Chancen. Das heißt auch, daß man versuchen muß, bestehende Freiräume zu halten.

Sven: In der Großstadt kann ich viel besser und agressiver agieren, als in einem überschaubaren Ort, wo ich die Konsequenzen sofort tragen muß, was mir in der Großstadt ja oft erspart bleibt.

Stefan: Also unser Aktionsspielraum ist selbst in so einer Kleinstadt und für so wenige Leute hoch. Du mußt das, was möglich ist, versuchen, und dann zeigst du den Nazis ja ganz klar, daß selbst so eine kleine Gruppe, die sie niemals für handlungsfähig gehalten haben, eine ganze Menge machen kann. Dann zittern die plötzlich und stellen fest: das ist eine ganz kleine Gruppe, die machen aber viel. Der psychologische Effekt ist viel besser als beispielsweise in Leipzig, wo die Nazis eh wissen, daß es viele Antifas gibt.

Sven: Da sind die Nazis wahrscheinlich unterschiedlich von Stadt zu Stadt! Bei uns würde ich sagen, daß die Nazis ein ganz anderes Verhältnis zur Gewalt haben und ich glaube, wenn man versucht, auch militant was gegen Nazis zu machen, daß man dann doch härtere Konsequenzen tragen muß. Also die, die von den Nazis ausgehen, im Gegensatz zu dem, was man ihnen beifügt. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen, daß jeder Schritt, der gegen Nazis unternommen wurde, auch irgendwie beantwortet wurde.

Stefan: Das stimmt sicherlich, aber da kannst du dich ja auch drauf vorbereiten, dich selber schützen. Solange du weißt, daß immer eine Antwort zurückkommt, kannst du ja deine Aktionen soweit steuern, daß du die Reaktionen damit auch steuerst. Da ist die Voraussetzung, daß du zuerst die Lage kennst und dann was machst und nicht umgedreht.


Antifakalender: Hast du dafür vielleicht ein Beispiel?

Stefan: Nee, ich kenne das von uns halt weniger, daß sie zurückschlagen. Deshalb kann ich das Argument, daß wegen der Überschaubarkeit nichts möglich ist, nicht so stehen lassen. Natürlich können wir kein Nazikonzert verhindern und wir haben ziemlich viele Nazikonzerte bei uns. Wir müssen mehr auf den Schock- oder Überraschungseffekt setzen, können nicht ein- oder zweihundert Nazis das Konzert vermiesen, aber vielleicht fünfen. Die Antifa sagt immer: Nazikonzerte oder Aufmärsche verhindern - das trifft für uns nicht zu, das ist nicht machbar. Wir müssen punktuell ansetzen, bei den bekannten Leuten, die Konzerte organisieren, immer wieder nerven. Natürlich machen sie die nächsten Konzerte trotzdem. Aber sie kriegen immer wieder was zu schimpfen. Wir sind auch der festen Überzeugung, daß das schiefgehen kann, aber solange es nicht schiefgeht, warum soll man das dann anders machen?

Antifakalender: Und eure Leute gehen auch nicht weg, in größere Städte zum Beispiel, wenn sie die Schule fertigmachen?

Stefan: 1992, '93 waren wir noch fetter als die Nazis. Dann sind viele weggegangen und es gab einen großen Einbruch. Und seitdem... sind die Leute dabei, und haben auch nie vor, wegzugehen. Das ist aber ein kleiner Kern. Und es ist nicht mehr so wie früher. Da waren alle aufgrund der ganzen Sachen, die damals in der Ex-DDR liefen, aufgeputscht - "wir müssen was machen gegen die Nazis". Weniger mit dem Bewußtsein darüber, daß wir was bei uns machen müssen. Die Leute, die jetzt da sind, sind sich darüber schon bewußt, daß die eine Verantwortung übernommen haben. So blöde das klingt. Aber so isses halt.

BgR: Klaus: In Leipzig sieht es so aus, daß die Stadtgebiete aufgeteilt sind. Es ist ganz klar, daß es ein Viertel gibt, das von Nazis dominiert wird. Wenn dort von Antifas was läuft, dann ist es für die Nazis zwar nicht bestimmbar, von welchem Kreis das ausgeht, aber danach sind sie dann auf der Straße noch verstärkter präsent, und hauen alles um. Wenn die Antifas, die in dem Viertel wohnen, auf der Straße Probleme mit Faschos kriegen, ist das auch nicht immer zuordenbar. Dort gibt es eine so große Szene und Nazikultur, daß es dann nicht so einfach überschaubar ist. Die Antifas verlassen den Stadtteil meistens, wenn sie die Schule abgeschlossen haben oder alt genug sind. Die ziehen sich zurück, um woanders sicherer Antifaarbeit zu machen.


Antifakalender: Vielleicht können wir jetzt nochmal zu einem Schlußwort kommen, etwas allgemeines, was ihr vielleicht noch sagen wollt...

Stefan: Wenn ich anfange darüber nachzudenken, dann sind ja weniger die Nazis das Problem, sondern die Gesellschaft oder die Politik. Die sind ja noch viel schlimmer als die Nazis, die auf der Straße bloß die Speerspitze bilden und die Meinung vertreten. Das eigentliche Problem ist in meinen Augen das gesellschaftliche Bewußtsein. Da stoß ich an meine Grenzen, daß ich dieses Bewußtsein nicht verändern kann und dann greife ich eben die Nazis an. Die bieten sich als Speerspitze eben auch an, weil die offen auf der Straße zeigen, was sie wollen. Aber normalerweise müßten wir, wenn wir ehrlich sind, die ganzen Bürger, die zu Hause in der Stube sitzen, angreifen. Aber die sind nicht so greifbar. Die sind sie anonyme Masse. Und deshalb machen wir weiter. Wir haben bei uns ein Motto der Woche. "Talking is over, action is on" oder was aktuelles. Jede und jeder macht ihr und sein Motto der Woche. Das ist vielleicht ein positives Fazit...

Antifakalender: Und jede Woche gibt's ein neues?

Ja, so in etwa, wir bemühen uns drum. Um ein bißchen die Laune zu halten...

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