Ein Erfolg auf allen Ebenen?
Die ersten Nachbetrachtungen zur antifaschistischen Demonstration in Wurzen bewegen sich zwischen Euphorie und zukunftsorientierter Nachdenklichkeit.
Demo rum und keine "besonderen Vorkommnisse" - es ist klar, daß alle an der Vorbereitung Beteiligten abends am 16.11. den Tag zunächst als vollen Erfolg werteten; die Anspannung der letzten Monate fiel von uns ab wie der Deckel aufs Klo. Immerhin: 6000 überwiegend der autonomen Antifa zuzurechnende und zurechnungsfähige TeilnehmerInnen, und das organisationstechnische Konzept war im Großen und Ganzen aufgegangen. Und darüber hinaus hatte dieser Tag durchaus gezeigt, daß wir es geschafft haben, einen wirklichen Motivationsschub zu leisten - zumindest was antifaschistische Mobilisierungen betrifft.
Das Mobilisierungsmodell - die Demo!
Das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR), welches vor der Planung der Demo vorallem mit der Veröffentlichung von Fakten über die faschistische Szene im Muldentalkreis beschäftigt war, legte bei den mehr als dreißig Informationsveranstaltungen zum "Ende der faschistischen Zentren, wie wir sie kennen" sehr viel Wert, auf eine inhaltliche Thematisierung der Muldentaler Fascho-Szene als neuartige Qualität des Neonazi-Organisationsmodells für Deutschland. Mittlerweile haben sich in allen Gegenden der Bundesrepublik mehr oder weniger neonazistische Strukturen etabliert und würden unter diesem Gesichtspunkt eine breitere Mobilisierung antifaschistischer Gegenwehr rechtfertigen. Aber gerade das Modell der Schaffung "befreiter Zonen" durch die Nazis erweist sich als exemplarisch für ganze Landstriche in den neuen Bundesländern (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Ostsachsen usw.) und auch jüngste Berichte über faschistische Aktivitäten in provinzielleren Gegenden der alten BRD (z.B. Breverstedt bei Bremerhafen) ließen Parallelen in der Organisationsstruktur zur Muldentaler Fascho-Szene erkennen. Deshalb schien es gerechtfertigt bundesweit zu dieser Demonstration aufzurufen - nicht nur um den politisch Verantwortlichen, der Bevölkerung und den Neonazis vor Ort ein beachtliches Zeichen des antifaschistischen Widerstands vor Augen zu führen, sondern auch um in Antifa-Kreisen einen Diskussionsprozeß anzuregen, wie solchen faschistischen Zentren zu begegnen sei. Während der mit enormem Aufwand betriebenen Mobilisierung dann wurde deutlich, daß sie sich zu dem Selbstläufer entwickelte, den wir durchaus gewollt hatten, auch wenn dabei immer die Gefahr bestand, daß vom exemplarischen Charakter - sowohl der anzugreifenden Strukturen, als auch der Demo selbst - abgesehen wird. Als die junge Welt zwei Tage vor dem 16. November auf der Antifa-Seite "Die Demo!" ankündigte, traf sie die Sache ziemlich auf dem Punkt. Das heißt aber auch, daß das BgR die Forcierung inhaltlicher Überlegungen, wie im Muldentalkreis nach der bundesweiten Aktion antifaschistische Ansätze etabliert werden können, darüber etwas vernachlässigte. Letztendlich braucht es, soviel hat diese Demonstration gezeigt, will man einen ähnlich starken Effekt erzielen beides. Ohne dies Herausstellung inhaltlicher Prämissen und einen lange im Voraus angelaufenen Diskussionsprozeß, lassen sich auch die straightesten Antifas in Anbetracht der momentanen Kräfteverhältnisse nicht mehr aus ihrem regionalen Problembereich locken. Kommt dazu noch die voraussehbare Bedeutung eines Ereignisses an sich - und so ehrlich sollten wir sein, daß die autonome Antifa ein gewisses Maß an Selbstdarstellung braucht um sich ihres immer noch vorhandenen Interventionspotentials bewußt zu werden, kann eine bundesweiten Mobilisierung auch heute noch erfolgreich laufen.
Erfolgreiche Bündnispolitik.
Noch gibt es keine umfassende Nachbereitung mit allen BündnispartnerInnen der Demonstration. Aber wir wollen uns um eine gemeinsame Diskussion bemühen. Überhaupt war das Bündnis recht schmal; die Anzahl von ca. 70 aufrufenden Gruppen sollte nicht darüber hinweg täuschen. Von uns im Vorfeld angesprochene Gewerkschaften, Kirchengremien, Parteigliederungen und bestimmte Einzelpersonen konnten nicht einbezogen werden bzw. wollten sich nicht einbeziehen lassen. Letzteres trifft vorallem auf Sozialdemokraten und Bündnisgrüne zu. Nicht aber nur auf diese: Auch mit der PDS ergaben sich enorme Bündnisschwierigkeiten, die sich einerseits um das Problem mit dem militanten Grundverständnis der autonomen Antifa seitens vieler GenossInnen, andererseits darum drehten, daß einige Vertreter des Bündnis gegen Rechts den real vorhandenen Pluralismus in der PDS unterschätzt bzw. gar nicht gesehen hatten. Doch eins scheint schon absehbar, einige Kreise innerhalb der beteiligten PDS-Verbände konnten ihre Ängste betreffs "militanten Grundverständnisses" autonomer Antifa Gruppen abbauen und nicht wenige GenossInnen verstehen jetzt, daß es mehrere Möglichkeiten gibt wie Provokationen von Polizei und Neonazis entgegengetreten werden kann. Es wurde klar, daß verschiedene Ansätze antifaschistischer Politik durchaus nebeneinander bestehen und sich auf einer Demonstration repräsentieren können, ohne das ein Bündnis daran zerbricht - zumal ein Bündnis, das erst kurze Zeit besteht und weniger als ein halbes Jahr zusammen eine Demonstration plant. Und alle DemoteilnehmerInnen hielten sich an das Konzept, die Kleinstadt nicht in Schutt und Asche zu legen, aber mit Nachdruck zu zeigen, warum in dieser Stadt demonstriert wird und damit auch den marginalen Bevölkerungsteil anzusprechen, der mit kritischem Blick die heimische Fascho-Szene betrachtet. Das BgR hätte sich dabei durchaus noch mehr MitgliederInnen der PDS bei der Veranstaltung gewünscht. Aber vielleicht war es ja ein erster Anfang. Die folgenden Diskussionen werden zeigen, wie sich die Partei in Sachsen, ihre verschiedenen Entscheidungsinstanzen und innerparteilichen Gruppen zu autonomen Antifa-Ansätzen auch öffentlich positionieren. Nur noch soviel, die Beobachtung vom 16. November, wie der PDS-Block gemeinsam mit Autonomen die kurdischen DemonstrationsteilnehmerInnen in die Mitte nahm, um sie vor einem eingriffsbereitem Polizeispalier zu schützen, nötigte vielen Antifas mit eher skeptischem Verhältnis zu der Partei des Demokratischen Sozialismus einigen Respekt ab.
Die Perspektiven im Muldentalkreis.
Die ersten Reaktionen der Medien auf die antifaschistische Demonstration waren die schlechtesten nicht. In Wurzen selber spiegelte sich in erster Linie Erleichterung wieder, daß die Infrastruktur und Wohnbausubstanz der Stadt auch nach der Demo völlig intakt schien. Aber der Kommentar eines Redakteurs der "Muldentalzeitung", der schrieb: "Wer das Eintreten gegen rechte Gewalt - und die gibt es in Wurzen - nur den Linken" überläßt muß sich über solche Veranstaltungen nicht wundern"', deutet daraufhin, daß es nicht mehr einfach gelingt antifaschistische Gegenwehr von vornherein zu diskreditieren. Natürlich sollten solche Aussagen und die Tatsache, daß doch einige WurznerInnen sich der Demonstration anschlossen bzw. mit "Verständnis" darauf reagierten, nicht überbewertet werden. Aber diese Personen und die ansässige Struktur der PDS als einziger größerer Bündnispartner vor Ort sind von einiger Bedeutung, für das was jetzt im Muldentalkreis folgen muß. Die Demonstration war schon immer als Teil eines Prozesses geplant an dessen "Ende" die Neonazis sicher nicht vom Erdboden verschluckt, zumindestens aber viel isolierter und wirkungsloser sein sollen und nicht mehr den hegemonialen politischen und jugendkulturellen Faktor darstellen. Für das BgR könnten sich hier eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auftun: Geht es jetzt doch darum, auf anderen Ebenen Antifa-Arbeit zu leisten. Es wird sich nicht umgehen lassen, jugendkuturelle und sozialarbeiterische Aspekte zu thematisieren, ja sogar versuchen diese im Muldentalkreis praktisch umzusetzen. Und dies muß so schnell wie möglich passieren, denn der Druck, den die Demonstration auf die politischen VerantwortungsträgerInnen im Muldentalkreis und innerhalb der sächsischen Staatsregierung ausgeübt hat, ist noch überall zu spüren, nur werden besagte Stellen alles daran setzen, sich von diesem loszureißen.
Zum Schluß gebührt selbstredend unser Dank für die engagierte Teilnahme allen Beteiligten und, wie das ja immer ist, ganz besonders den Anmeldern und Anmelderinnen der Demo. Wir meinen, daß durch diese Demo ein Diskussionsprozeß innerhalb der bundesweiten Antifa, egal welchem Strang zugehörig, notwendig geworden ist und über ein weiteres gemeinsames Vorgeben in solchen neuartigen Nazi-Zentren, wie der Muldental eines ist. Keine Frage, daß dies der erste würdige Ort dazu ist, Euer aller Meinung zu unserer Analyse, Demo und Perspektive einzufordern!
Bündnis gegen Rechts Leipzig
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