Als die NPD bei der sächsischen
Landtagswahl am 19. September diesen Jahres 9,2% der
WählerInnenstimmen erhielt, drang endgültig an die Oberfläche,
was sich die zurückliegenden Jahre munter entwickelt hatte. Die
Versuche, die NPD nun erneut als Protestpartei zu verharmlosen
gehen am Problem natürlich vorbei. Im Zuge des gescheiterten
NPD-Verbotsverfahrens und der öffentlichen Debatten während des
Landtagswahlkampfs war schließlich der gesamten deutschen
Öffentlichkeit der nationalsozialistische Charakter der Partei
dargelegt worden. Die Wahl hat schlagartig klar gemacht, dass
sich in Sachsen 9,2% der WählerInnen offen zum
Nationalsozialismus bekennen. Die Dunkelziffer der
SympathisantInnen dürfte um einiges höher liegen.
Der Wahlsieg steht im Zusammenhang mit
Konsolidierung der Naziszene im Osten. Nach dem skandalösen
Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens hat die Partei einen
erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Gleichzeitig
gelangten in den zurückliegenden Monaten die freien
Kameradschaften zu neuer Stärke und gingen erneut militant in
die Offensive. Vor drei Monaten wurden eine Antifa-Demonstration
in Chemnitz attackiert und vor einem Monat das Büro des
alternativen „Netzwerks für Demokratische Kultur“ in Wurzen mit
zwei Rohrbomben angegriffen. Körperliche Übergriffe durch Nazis
häufen sich in jüngster Zeit ebenso.
Doch es sind nicht allein die offen
wahrnehmbaren und sich selbst als solche bezeichnende Nazis, die
das primäre Problem darstellen. Die verschiedenen Versuche, eine
dauerhafte liberale Öffentlichkeit bzw. Zivilgesellschaft in der
ostdeutschen Provinz zu etablieren, sind beinahe vollständig
gescheitert. Vor Jahren wurde bereits die Einschätzung
getroffen, dass die Nazis aus der Mitte der Gesellschaft kommen.
Es hat sich daran heute nur insofern etwas geändert, als dass
die Nazis die gesellschaftliche Mitte stolz besetzen. Die früher
von ihnen vollzogenen Abgrenzungen werden nun immer mehr
fallengelassen. Gleichzeitig wird diese Entwicklung von der
Bevölkerung akzeptiert. Völkische, nazistische und
nationalsozialistische Ideen werden in bestimmten Gebieten immer
mehr mehrheitsfähig.
Die deutsche Öffentlichkeit kann mit dieser
Entwicklung hingegen nicht umgehen. Auf den Triumph der NPD
folgte keine inhaltliche Auseinandersetzung sondern die
altbekannte Strategie, zu warten, bis sich das Problem von
selbst erledige. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt
wiederum machte explizit was gemeinhin schon längst im Gange
war. Er kündigte an, dass die CDU nun noch weiter nach rechts
rücken müsse, um die angeblich verirrten WählerInnen für die CDU
zurück zu gewinnen. Damit steht Milbradt in der bundesdeutschen
Diskussion jedoch nicht allein da. Die Mobilisierung
rassistischer Ressentiments kann man ebenso in den Debatten um
den EU-Beitritt der Türkei, um die multikulturelle Gesellschaft
und die deutsche Leitkultur sowie diejenige um einen neuen
Nationalstolz.
Die derzeitigen gesellschaftlichen
Verhältnisse sind jedoch kaum als neue Qualität zu bezeichnen.
Bereits Mitte der neunziger Jahre wurden diese von der Antifa
als rechter Konsens beschrieben. Dieser Begriff sollte die
ideologische Gemeinsamkeit der normalen Bevölkerung und der von
ihr unterschiedenen Nazis bezeichnen. Die Analyse des rechten
Konsens hatte entscheidende Konsequenzen für die Antifapolitik.
Der Kampf gegen die Nazis war gleichzeitig Symbol für den Kampf
gegen die ideologischen Hintergründe der Nazis und dem Rest der
Gesellschaft.
Ende der neunziger Jahre zeigten sich
jedoch entscheidende Schwächen der Antifa, die mit dem Ausbruch
des so genannten Antifa-Sommers zu einem vorläufigen Ende der
Antifa-Bewegung führten. Dem Vordringen von Nazis in der
ostdeutschen Provinz konnte praktisch nichts entgegen gesetzt
werden. Eine Zivilgesellschaft war nur selten vorhanden und die
örtlichen AntifaschistInnen zogen es nach einiger Zeit vor, in
die großen Städte zu ziehen. Von diesen Städten aus war jedoch
eine effektive antifaschistische Arbeit in der Provinz noch viel
weniger zu leisten. Hinzu kam ein generelles Unbehagen an der
Beschränktheit antifaschistischer Politik und der Verfall linker
Organisationszusammenhänge. Nach über zehn Jahren klassischer
Antifapolitik musste Ende der neunziger Jahre ein Bruch
vollzogen werden.
Auch wenn die heutige Entwicklung das linke
Engagement in der ostdeutschen Provinz als unabdingbare
Notwendigkeit erscheinen lässt, kann es dennoch kein Zurück in
die neunziger Jahre geben. Schließlich sind die äußeren und
inneren Bedingungen für eine radikale Linke nicht besser,
sondern eher schlechter geworden. Es hat sich zunächst nichts
daran geändert, dass sich in den meisten kleineren Städten und
Gemeinden über längere Zeit kein antifaschistischer und noch
nicht einmal ein zivilgesellschaftlicher Gegenpol entwickeln
lässt. Und es hat sich auch nichts daran geändert, dass nicht
allein die offenen Nazis das Problem sind, sondern vor allem die
gesellschaftliche Mitte. Will man gegen Nazi-Strukturen in der
ostdeutschen Provinz vorgehen, muss man also nicht nur den Laden
angreifen, der Nazi-Devotionalien verkauft, sondern sich auch
gegen die Bäcker, Fleischer, Fahrschulen, etc. wenden.
Dies heißt nicht, dass wir
antifaschistisches Engagement, das sich gegen offene
Nazi-Strukturen wendet ablehnen, belächeln oder ähnliches. Wir
finden es richtig und wichtig, dass sich besonders junge
Menschen gegen Nazis und deren gesellschaftlichen Background
wenden und organisieren. Dies ist die unmittelbare Voraussetzung
dafür, dass Diskussionen über die Ziele, Strategien und
Wirksamkeit antifaschistischer bzw. linker Politik überhaupt
geführt werden können. Dabei darf es aber nicht stehen bleiben.
Vielmehr wollen wir ausdrücklich davor warnen, die klassische
Antifapolitik der neunziger Jahre wieder aufzunehmen, ohne die
Gründe ihres Scheiterns zu reflektieren.
BGR Leipzig, 21. November 2004
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