Am 6.
Juni jährte sich zum 60igsten mal der Tag der
Landung der Alliierten in der Normandie. Erstmalig
war zu diesem Anlass auch ein deutscher
Regierungschef geladen. Das Novum ging auf das
Betreiben des französischen Staatspräsidenten
zurück. Die inszenierte Versöhnung hatte eine
Vorgeschichte. Bereits 1984 reichten sich Kohl und
Mitterand über den Gräbern des ersten Weltkriegs die
Hand, 10 Jahre später nahmen deutsche Panzer an
einer Militärparade zum Nationalfeiertag in Paris
teil. Die besonders feste Beziehung beider Staaten,
die bisher mit ihrer Ablehnung des Irakkriegs am
offensichtlichsten geworden ist, beruht auf dem
gemeinsamen Ziel, eine europäische Gegenmacht zu
verwirklichen, die den USA ökonomisch,
geostrategisch und militärisch ebenbürtig ist.
Insofern hatte der Festakt am 6. Juni sowohl eine
deutliche symbolische Aussage als auch eine
politische Funktion. Er reihte sich in eine Kette
von Ereignissen ein, die der geschichtspolitischen
Untermauerung des EU-Machtprojekts dienen. Für
Kanzler Schröder bedeutet die „unglaubliche
historische Geste“ das endgültige Ende der
Nachkriegszeit. Ungewohnt weitsichtig vermutete die
„Taz“ im Vorfeld des 6.
Juni, dass am D-Day „Chirac und Schröder die
europäische Einigung als wichtigste Frucht der
Niederlage Nazideutschlands preisen und dabei darauf
hinweisen, dass sich Europa und die Uno als
Nachfolger der
Anti-Hitler-Koalition darstellen werden.“
Damit
wurde ein zentrales Antriebsmoment der deutschen
euronationalistischen Diskurse benannt: die
neorevisionistische Umdeutung der deutschen
Verbrechensgeschichte in einen moralischen Mehrwert
der Europäer zur Legitimation weltweiter
Interessenspolitik.
Es
war kein selbstloser „Sieg für Deutschland“
(Schröder), der am Jubiläum des D-Day errungen
wurde. Die Forderungen nach Kriegsbeute hatte der
Kanzler in der Normandie im Marschgepäck:
„Schröders Deklaration zum Ende der Nachkriegszeit
dient realpolitischen Zielen. Der Kanzler reklamiert
für Deutschland den Platz in der Weltpolitik, den es
sechs Jahrzehnte nach der Niederlage verdiene –
seiner wirtschaftlichen Bedeutung wegen, kraft
seines politischen und militärischen Engagements in
den Krisenregionen, vor allem aber seiner
moralischen `Reife´ halber; von `Überlegenheit´
spricht Rot-Grün nur aus Höflichkeit nicht. Wenn die
Nachkriegszeit vorbei sein soll, dann ist auch ihre
Ordnung obsolet geworden; dann gibt es keinen Grund,
Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen zu verwehren.“ Im Kommentar von
Bernhard Kohler in der „FAZ“, welcher zwischen
Anerkennung des außenpolitischen Erfolgs und der
Furcht vor dem Auseinanderbrechen des
transatlantischen Verhältnisses schwankt, wird die
Verbindung von machtpolitischem Kalkül und
moralisch-ideologischem Überlegenheitswahn, wie sie
für deutsch-europäische Großmachtpolitik derzeit
typisch ist, auf den Punkt gebracht.
Warum
diese Einleitung? Eine vernehmbare linke Kritik am
europäischen Weltmachtstreben kommt gegenwärtig
nicht vor. Auch der Versuch zu diesem Thema eine
bundesweite Demonstration zum Jubiläum des D-Day zu
veranstalten, ist gescheitert. Zwar versuchen eine
Reihe von linken Gruppen, von antimilitaristischen
Initiativen bis hin zu antideutschen Zirkeln, seit
einiger Zeit eine Kritik an Europa zu formulieren.
Von einer gemeinsamen Analyse ist man jedoch weit
entfernt. Und dies nicht nur, weil eine
unterschiedliche Schwerpunktsetzung existiert.
Vielmehr wird von einer gegensätzlichen Betrachtung
des Charakters der EU-Macht ausgegangen.
Antimilitaristen, so zum Bespiel die
Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus
Tübingen, kritisieren insbesondere die
Militarisierung der Europäischen Union. Gleichzeitig
werben sie in persona ihres Kandidaten für das
Europaparlament, Tobias Pflüger, für ein soziales
und friedliches Europa. Damit bieten sie im
Gleichklang mit vielen linksliberalen
Intellektuellen und mit der deutschen
Regierungskoalition, welche mit der Parole
„Friedensmacht Europa“ in den jüngsten Wahlkampf zog
(und verlor), ein gängiges Identifikationsmoment der
EU an. Für Pflüger, aber auch viele andere Linke,
die sich in der globalisierungskritischen Bewegung
engagieren, ist diese Übereinstimmung auf eine Lüge,
auf einen propagandistischen Trick zurückzuführen.
Dass die EU sowohl aus dem Kalkül heraus, die
Defizite im Bereich des militärischen und
geostrategischen Machtpotentials ausgleichen zu
müssen, aber auch aufgrund der Tradition und
Herausbildung europäischer Ideologien, von der
„sozialen Demokratie“ bis hin zur Vorstellung vom
„Selbstbestimmungsrecht der Völker“ eine
ernstgemeinte alternative Weltordnungsvorstellung
vertritt, die neben militärischer besonders auf
zivile und multilaterale Interessenpolitik setzt,
wird nicht erkannt. Parallel zur Kritik einer
Militärmacht Europa gilt linken Gruppen, wie der KP
aus Berlin, den „Jungen Linken“ oder dem
„Gegenstandpunkt“ die EU als ganz „normales“
Großmachtprojekt, welches eben im Zuge
innerimperialistischer Konkurrenz auf allen Gebieten
nachrüstet. Anders die Position
einiger Antideutscher. Für „liberté
toujours“ aus Berlin
sind die Europäer so „sozial, antinational und zivil
(...) wie sie es sagen“ (CeeIeh,
Nr. 111, S. 46). Der Anspruch, den besonders
linksliberale, alternative und friedensbewegte
Europabefürworter an die EU formulieren, wird von
ihnen als einzig wahrer Charakter Europas
interpretiert. Im Bestreben, als politische Praxis
eine proamerikanische Positionierung und eine Abkehr
von der Linken plausibel zu machen, werden
wesentliche Bestandteile der europäischen Realität
geleugnet. Im Versuch, sich mit europakritischen
Positionen, wie sie in „Phase 2“ oder vom
BGR/Leipzig vertreten werden, auseinander zu setzen,
wird eine treffende Kritik der EU von dieser
antideutschen Haltung um Meilen verfehlt.
Manipulation
der Linken durch die Elite?
Weil
die Leipziger Redaktion der „Phase 2“ in der
Einleitung zum Schwerpunkt der letzten Ausgabe
mit Bezug auf die pro-europäischen Argumentationen
des linken Bewegungsspektrums von „ideologischen
Durchsetzungsagenturen“ spricht und bei der Analyse
des europäischen Selbstbildes zwischen realen
Verwirklichungen und Widersprüchen noch zu
unterscheiden weiß, wird ihr der Vorwurf einer
verschwörungstheoretischen Weltsicht gestrickt.
Statt den antinationalen, zivilen,
antimilitaristischen und antiimperialistischen
Anspruch der EU ernst zu nehmen, würde eine Linke
geschützt, die man durch die Politik der Eliten nur
korrumpiert, ansonsten aber aufklärungsfähig sieht (CeeIeh,
S. 46).
Man
möchte meinen, es ist geschenkt, wenn sich „liberté
toujours“ dem
Verständnis der Rede von „ideologischen
Durchsetzungsagenturen“ verweigert. Doch dahinter
steckt mehr als absichtliches Dummstellen. So die
Angst vor einem Begriff, der nicht dem gängigen
Theoriekanon entlehnt ist und darüber die Autorität
eines Arguments verspricht. Vor allem aber eine
Auseinandersetzung mit der Linken, nach der diese
undifferenziert zum Hauptfeind erklärt wird und an
einer inhaltlichen Auseinandersetzung kein
wirkliches Interesse besteht. Mit der Intention und
Plausibilität des „Phase 2“-Arguments beschäftigt
sich die Berliner Gruppe nicht. Obwohl es wichtig
wäre:
Europa ist ein Projekt in Schüben; verschiedenen
Integrationsstufen auf ökonomischer und politischer
Ebene folgt gegenwärtig eine Zunahme
identitätspolitsicher Diskurse. Gerade nach der
bisher weitgehendsten Differenz im transatlantischen
Verhältnis wurde von intellektuellen und politischen
Eliten die Debatten über eine gemeinsame Geschichte
und ein europäisches Bewusstsein in vorher nicht
beobachtbarer Weise forciert. Die Ziele dieses
Handelns sind offensichtlich. Es geht darum, Konsens
und Loyalität für das europäische Projekt
herzustellen. Die Transformation von
nationalstaatlichen Souveränitäten, also die
Überformung traditioneller Identitätsvorstellungen
vom nationalen Zusammenhalt, die bisher alleinig auf
der Vorstellung vom gemeinsamen Blut und Boden oder
einer gemeinsamen Sprache und Kultur gründeten,
sowie erwartbare soziale Einschnitte, bzw. andere
Opfer, welche die verschärfte ökonomische Konkurrenz
und das alternative Weltmachtstreben mit sich
bringen, müssen legitimiert werden. Die Bevölkerung
ist insofern offen für diesen Prozess als bestimmte
Einstellungen wie Antiamerikanismus, ein autoritäres
Staatsverständnis, somit Bestandteile einer
europäischen Ideologie, bereits existieren und nur
angesprochen zu werden brauchen. Allerdings
resultieren aus der langen Durchsetzungsgeschichte
herkömmlicher nationaler Identifikation im
Zusammenhang mit der heutigen Internationalisierung
der Produktionsbeziehungen auch Widerstände, zum
Beispiel nationalstaatlich argumentierende
Gewerkschaften oder Interessen eher national
orientierter Kapitalfraktionen. Im Rahmen der
Bildung eines staatlichen Gesamtinteresses an der
Europäischen Integration müssen solche Standpunkte
„überzeugt“ bzw. letztendlich marginalisiert werden.
Bei der Herstellung und Durchsetzung einer
konsistenten pro-europäischen Argumentation spielen
Elitendiskurse in der Öffentlichkeit, intellektuelle
Debatten und politische Bewegungen zweifelsohne eine
herausragende Rolle. Ein europäisches Bewusstsein
kann nicht einfach vorausgesetzt werden und gerade
in Momenten, wo dies offensichtlich wird, nehmen die
Überzeugungsbemühungen bestimmter Interessengruppen
und staatlicher Akteure zu. Erst jüngst wurde dies
durch beispiellos häufige Aufforderungen in allen
Medien, sich im Juni an der Europawahl zu
beteiligen, belegt. In diesem Prozess der
Herausbildung eine europäischen Bewusstseins,
spielen viele linke Gruppen innerhalb der
Globalisierungskritik eine maßgebliche Rolle. Sie
beteiligen sich an Diskursen, in denen darüber
verhandelt wird, was eine europäische Identität
ausmachen soll. Statt grundsätzlicher Kritik legen
sie mit einer sozialeren und antimilitaristischen
Argumentation das Projekt Europa nahe. Ihre Kritik
bezieht sich nur auf Aspekte der Militarisierung und
der neoliberalen Sozialpolitik. Das gleichwohl
vorhandene Selbstverständnis Europas als soziale
Alternative zum US-Kapitalismus sowie der hohe
Stellenwert ziviler Sicherheitspolitik wird
missachtete oder als positiver Anknüpfungspunkt
interpretiert. Dabei ist die linke Rhetorik an
teilweise regierungsgleich. Mit ihrem Engagement für
ein soziales und zivilgesellschaftliches Europa,
welches durchaus etwas anderes als die
Zielvorstellungen der rot-grünen Regierung meinen
kann, integriert sich ein Protestpotential, welches
radikale linken Gruppen wie zum Beispiel die
Antifaschistische Linke Berlin (ALB) oder die linke
Redaktion der mittlerweile eingestellten „Jungle
World“-Beilage
„Subtropen“ mit einschließt. Statt deutlicher
Polarisierung gegen europäische Identitätsprojekte
werden u.a. durch die Beteiligung an den
Europäischen Sozialforen inhaltliche Anknüpfungen in
einem bestimmten gesellschaftlichem Segment stark
gemacht. Dabei werden besagte Strömungen nicht gegen
ihren Willen von oben ferngesteuert, allerdings ist
es auch nicht in jedem Fall ihre Intention, eine
alternative europäische Weltmacht zu legitimieren.
Die Grenzen sind jedoch fließend. Während Gruppen
wie die ALB Europa eher als vergrößertes Aktionsfeld
für die radikale Linke begreifen, sehen Mitarbeiter
der „Subtropen“ in Europa die Chance für eine
friedlichere Weltpolitik. Die Rede von
„ideologischen Durchsetzungsagenturen“ meint also
genau jene Vermittlungsleistung eines
euronationalistischen Bewusstseins unter linken
Vorzeichen.
Europa
ist gefährlich – Europa gibt es nicht?
Wenn
in der „FAZ“ im Zusammenhang mit dem D-Day die
Interpretation gewagt wird, „die nationalen
Vergangenheiten in Europa sind weitgehend davon
befreit die eiserne Ration kollektiver Identität
darzustellen“, dann spricht dies nicht für das Ende
sondern für eine Wandlung des Nationalismus in
Europa. Das Stichwort „Identität“ zeigt an, dass
hier ein neuer Bedarf im Rahmen der europäischen
Einigung ausgefüllt werden will. „Europa im Wissen
und Denken der Menschen zu verankern, damit diese
bereit sind für die gemeinsame Zukunft Mühen und
Kosten auf sich zu nehmen“, so formulierte der
Verband der Altphilologen das ideologische Projekt
der Stunde. Nun wird diese Wissenschaftsspezies im „Incipito“
wahrscheinlich weniger geschätzt als in der Zeitung
für Deutschland, das ist aber kein Grund, die
Relevanz der Aussage minder zu werten. Viel mehr
lautet der richtige Gedanke: wenn selbst diese qua
Berufsstand verstaubte gesellschaftliche Schicht die
Bedeutung der europäischen Identitätsdiskurse
gefressen hat, dann muss etwas daran sein. Man
könnte es aber auch mit den Worten eines
Strategiepapiers aus der SPD-Fraktion nach dem
Irakkrieg verdeutlichen: „Wer jetzt nicht kapiert
hat, dass alles auf Europa zuläuft, der wird es nie
begreifen“. Es vergeht heute praktisch kein Tag, an
dem nicht ein Kongress, ein Artikel im Feuilleton,
ein intellektueller Kommentar oder ein
richtungsweisendes politisches Statement den Stand
und die Perspektiven des europäischen Bewusstseins
affirmativ zu ihrem Gegenstand machen. Dies spricht
für die Einschätzung des BGR/Leipzig
das Europa gerade auf dem Weg der
Identitätsbildung vorangetrieben wird. Insofern ist
es auch richtig, dass das BGR und die Redaktion der
„Phase 2“ bisher nicht alle Aspekte des entstehenden
europäischen Machtprojektes kritisch analysiert
haben. Die an den gesellschaftlichen Realitäten
orientierte politische Praxis des BGR ist für „liberté
toujours“ und dem „Bahamas“-Redakteur
Sören Pünjer gleich ein
Beleg für unmaterialistisches Verhalten. Statt
historischen Materialismus betreibe man in Leipzig
postmoderne Diskurstheorie, so lautet der Vorwurf.
Und richtig, dem „Historischen Materialismus“
hat sich weder das BGR noch die „Phase 2“ explizit
und ausschließlich verschrieben. Dies könnte daran
liegen, dass sich auch im Falle der hier behandelten
BGR-Kritik ein Teil der Antideutschen als
Theorie-Schaumschläger nicht aber als überzeugende
Analytiker präsentieren. Der bloßen Meinung, dass
der antinationale Charakter der EU schon feststehe
und ein Vergleich der europäischen Identitätsbildung
mit der Entstehung nationalem Bewusstseins vor allem
im 19. Jahrhundert nicht statthaft wäre, folgt nur
die lauthals vorgebrachte Ankündigung einer
materialistischen Analyse nicht aber diese selbst.
Der Nationalstaat sei als Ergebnis eines
historischen Prozesses darzustellen, „innerhalb
dessen die durch Produktion und Kapitalzirkulation,
Waren- und Rechtsform konstituierte und
zusammengehaltene Gesellschaft ihren Mitgliedern bei
Strafe des Untergangs nichts anderes übrig lässt,
als diesen Prozess mit- und nachzuvollziehen“ (CeeIeh,
S. 47). Schon auf den ersten Blick stellt sich die
Frage, wie nach diesem Analyseraster die Zunahme
identitätspolitischer Diskurse in Europa mit der
Entwicklung der Produktion und Kapitalzirkulation
innerhalb der globalisierten ökonomischen
Verhältnisse erklärbar wird. Es riecht zwar etwas
nach ökonomistischer
Herleitung, gleichwohl bleibt es eine wirklich
spannende Auseinandersetzung, ob sich so etwas wie
ein Euro-Kapitalismus entwickelt, dem der
gegenwärtige Euronationalismus entspricht.
Was die Antideutschen damit sagen wollen, ist
allerdings völlig unklar. Neben einem Hinweis auf
die europäische Tradition des
Etatismus, wird an keine Stelle deutlich
gemacht, wie denn die „materiellen Verhältnisse“ mit
einer Realität euronationalistischer Diskurse zu
vermitteln sind und was das spezifische Verhältnis
von Staat(en) und Kapital in Europa gegenwärtig
ausmacht. Von einer Analyse der europäischen
Produktions- und Handelsbeziehungen ganz zu
schweigen.
Während BGR und „Phase 2“ dort, wo sie keine Ahnung
haben, das Maul halten, plappern besagte
antideutsche Großmäuler sinnlos drauflos. So bleibt
das Gerede von „objektiven Gedankenformen“, die aus
der „spezifischen Konstellation der materiellen
Verhältnisse resultieren“ oder die Aufforderung, das
Kapital „im Sinne der Kritik der politischen
Ökonomie“ zu erfassen, eine leere Phraseologie (Ceeieh,
S. 50/52). Man ist gespannt, wie
diese Lücke antideutscher Erklärungsversuche
demnächst ausgefüllt wird. Die ökonomische
Integration ist zweifelsohne weit vorangeschritten.
Ein gemeinsamer Binnenmarkt, der Euro und gemeinsame
Rechtsformen existieren seit einigen Jahren. Zu
einem kontinuierlichem europäischen Gesamtinteresse
hat dies bisher nicht geführt. Bei
regierungsamtlichen Auseinandersetzungen um die
Übernahme von Konzernen durch „ausländische“
europäische Kapitalverbände wird dies immer wieder
deutlich. Ebenso wenig scheinen die ökonomischen
Beziehungen bisher eine imperialistische
Konkurrenzmacht Europa noch einen kontinuierlichen
europäisch-amerikanischen Interesseverbund zu
determinieren. So zieht die internationalisierte
Produktion, die Arbeitsteilung über Nationengrenzen
hinaus, eine Reihe von gegenseitigen Abhängigkeiten
nach sich. Auch die internationale
Kapitaldurchdringung schafft Interdependenzen, die
für eine Interessenidentität von Europa und USA
sprechen. Was diese betrifft, lässt sich zwar
richtigerweise darauf hinweisen, dass zwischen
europäischen Staaten die Kapitalverflechtungen und
Warenströme um einiges intensiver sind als zwischen
Europa und den USA. Die einflussreichen Positionen
der global orientierten Kapitalfraktionen in
Deutschland während des Irakkrieges haben aber
gezeigt, dass dies nicht für einen Bruch zwischen
den Vereinigten Staaten und Europa spricht.
Fazit: Die Homogenität und Intensität einer
euronationalistischen Identifikation, die sich von
den USA abgrenzt, findet im Bereich ökonomischer
Verhältnisse keine konsistente Entsprechung. Auch
wenn – andererseits – hin und wieder Fälle von
ökonomisch intendierter Machtkonkurrenz zu
beobachten sind. Zur Zeit ringen die USA und die
Europäer jeweils um privilegierte Handels- und
Wirtschaftsbeziehungen mit dem südamerikanischen
Kontinent.
Bislang bleibt aber nicht nur offen, in welche
Richtung sich das Verhältnis von Konflikt und
Kooperation zwischen einem weitgehend
internationalisierten europäischen und einem ebenso
orientierten amerikanischen Kapitalismus entwickelt
sondern auch, welche Bewusstseinsprozesse von dieser
Entwicklung unterstützt werden. Der
Euronationalismus ist genauso wie eine alternative
und destruktive europäische Weltmachtpolitik auch
ohne die widerspruchsfreie Analyse einer
ökonomischen „Basis“ eine materielle Realität.
Insofern ist ein kritische Auseinandersetzung damit
überaus legitim.
Antinationale Gleichmacherei oder Antiamerikanismus?
Häufig wird Europa in der Linken als „normale“
kapitalistische Großmacht kritisiert. In einem
Aufruf der Berliner Gruppe „Kritik und Praxis“
wendet man sich gegen die EU als Bestandteil des
„großen Falschen“, welches dann als neoliberaler
Kapitalismus vorgestellt wird. Die EU dient im
Inneren als Agent der Globalisierung der Anpassung
an den Stand der neoliberalen Kapitalverwertung.
Nach Außen tritt sie als Wirtschaftsblock mit den
anderen Triadenmächten in die verschärfte
Konkurrenz.
Weder der europäischen Rolle in den
transatlantischen Konflikten um ein alternatives
Weltordnungsmodell noch dem Euronationalismus wird
eine besondere Qualität zugebilligt, die über den
Status eines bloßen instrumentellen Mittels zur
Austragung der Konkurrenz hinausreicht. Im „CeeIeh“-Text
von Sören Pünjer wird
dies zu recht bemängelt (S. 50).
Der Vorwurf, hier würde antinationale Gleichmacherei
betrieben, müsse nach der Meinung des „Bahamas“-Redakteurs
darüber hinaus gleichermaßen dem BGR/Leipzig und der
„Phase 2“ gelten. Auch für diese Gruppen sei Europa
angeblich nur eine Art „global agierende
Militärmacht“, ein entstehender normaler
Nationalstaat und insofern eine Antwort auf das
amerikanische nation
building. Weil aber
antinationale Linke immer darauf bestehen würden,
dass man für keine Nation Partei ergreifen dürfe,
offenbare sich die antinationale Kritik nur als
verkappter Antiamerikanismus. Dass die EU nur
deshalb abgelehnt würde, weil in ihr die
„Vereinigten Staaten von Europa“ gesehen werden,
meint auch „liberté
toujours“ und befindet
weiter, dass europakritische Linke eigentlich nur
die Amerikanisierung europäischer Verhältnisse
bedrohlich fänden (CeeIeh,
S. 47).
Es
ist eine hohle Unterstellung, so bleibt die
Beweiskette auch hier äußerst dünn. Zudem offenbart
sie, dass es der apologetische Blickwinkel ist, der
eine Parteinahme für die USA nahe legen möchte und
sich deshalb die Einsicht verwehrt, dass Europa und
die USA oft aufgrund einer Interessenidentität
handeln und sich durchaus ähnlicher Mittel bei der
Verfolgung ihrer Interessenpolitik bedienen können.
Wer die europäischen und US-amerikanischen
Sicherheitsstrategien vergleicht, wird neben dem
wichtigen Unterschied der stärkeren Betonung
multilateralen Handels seitens der EU ein hohes Maß
an Übereinstimmungen in der Bedrohungsanalyse und
den daraus folgenden Interventionskonzepten ablesen
können. Nicht ohne Grund können sich Berlin und
Washington, Paris und London an vielen Stellen im
„Kampf gegen den Terror“ einigen. Besonders in
Afghanistan ziehen Amerikaner und Deutsche im Rahmen
der NATO und darüber hinaus an einem Strang. Ähnlich
gleichgerichtet funktioniert der Alltag
internationaler Institutionen wie IWF, GATT, G8 oder
Weltbank. Für besagte Antideutsche gibt es aber nur
einen absoluten Gegensatz zwischen den USA und
Europa. In dieses
kontrafaktische Schema versucht man die
Wirklichkeit zu pressen. Mit
denunziatorischem Eifer werden Analysen des
besonderen Destruktionspotentials einer europäischen
Machtbildung ignoriert
und die Beschreibung von Gemeinsamkeiten zum Wesen
der Argumentation zu recht gebogen.
Weil
die „Phase 2“-Autorin Barbara Hauck im deutschen
Sozialstaat der Nachkriegsepoche auch den allgemein
kapitalismusimmanenten Zwang zur Systemreproduktion
verwirklicht sieht, wird sie bezichtigt, den
„verheerenden Zusammenhang von deutschem
Staatsfetischismus und `sozialer Frage´ negieren zu
wollen.
Und
aus der BGR-Argumentation, dass auch in den USA eine
sozialstaatliche Tradition existiere, sowie
diesseits und jenseits des Atlantiks gegenwärtig
Sozialabbau betrieben wird, sieht der
Bahamas-Redakteur den Beweis dafür, dass
„Unterschiede hinsichtlich der sozialen
Vergesellschaftung“ (CeeIeh,
S. 51) zwischen den USA und Deutschland eingeebnet
würden.
Das
BGR würde solche Unterschiede nicht leugnen. Es war
aber nicht das Thema, über das etwas gesagt werden
sollte. Vielmehr ging es uns um eine Kritik an der
Mythologisierung eines angeblichen wesenhaften
Unterschieds zwischen einem ausschließlich
liberalkapitalistischen Modell der Vereinigten
Staaten und einem ausschließlich sozialstaatlichem
Europa. Neben unterschiedlichen historischen
Ausprägungen im Verhältnis von Staat und Individuum
gibt es doch ebenso parallele und
aufeinanderzuweisende Entwicklungen staatlicher
Sozialpolitik, auf die sich besonders dann
hinzuweisen lohnt, wenn Apologeten mit
proamerikanischer oder
proeuropäischer Haltung Parteinahme fordern.
Im
Analysekrampf besagter Antideutscher ist für eine
differenzierende Herangehensweise kein Platz und
jeglichem Hinweis darauf wird mit autoritärem Gestus
begegnet. Was nicht ins Raster passt, also die
Beschreibung von Phänomenen, die einer
totalisierenden,
wesenhaften und historisch ungenauen Unterscheidung
zwischen amerikanischen und europäischen
Kapitalismus widersprechen, wird pejorativ als
Faktenanhäufung oder „mechanisch gepaukte
Politikwissenschaft“ (Ceeieh,
S. 51) apostrophiert. Nur wird
nicht klar, warum dies schon eine Schmähung sein
solle. Vor allem dann nicht, wenn der sattelfeste
Gesellschaftskritiker der „Bahamas“ im selben
Atemzug mit Parteiwerbung der
SPD-Grundwertekommission seine Tiefenanalyse des
vermeintlich alles umfassenden Unterschieds zwischen
kapitalistischer Vergesellschaftung in den USA und
Europa deutlich machen möchte.
Die EU – ein antimilitaristisches, antinationales
und antiimperialistisches Projekt?
Es
wird noch irrer. Im Wahn, die Propaganda vom
sozialen, zivilen und friedlichen Europa zum
einzigen Kennzeichen der EU-Macht zu erklären, kommt
der Redakteur zu kuriosen Einschätzungen. Rot/Grün
betreibe eine populistische, volkstümliche Politik (CeeIeh,
S. 48). Man soll dies wohl als Ausdruck des
immergleichen europäischen Hasses auf jede Form
individueller Freiheit und privatem Wohlstandes
verstehen. Agenda 2010 – Faktenanhäufung? Eine immer
weiter auseinanderklaffende Wohlstandsschere oder
das Verschwinden postmaterieller Wertorientierungen
im Zuge einer zunehmenden Akzeptanz der
Leistungsgesellschaft unter Jugendlichen –
mechanisch gepaukte Politikwissenschaft? Weil es so
absolut weltfremd, deswegen aber schon wieder lustig
ist, noch ein Beispiel von der Wahninsel: Junge
Menschen würden in D-Land pazifistisch und
antinational erzogen, ja links und antinational
bildeten praktisch das „neue deutsche
Selbstbewusstsein“ (CeeIeh,
S. 49). Die Interpretation von Schröders „deutschem
Weg“, die immer lauter werdende Forderung nach einem
ständigem Sitz für Deutschland im
Weltsicherheitsrat, die gesellschaftliche
Akzeptanzsteigerung der Bundeswehr, die sich nicht
nur in der allgemeinen Beliebtheit des schneidigen
Verteidigungsministers sondern auch in der
Normalität einer Karriereplanung im Rahmen des
Militärs ausdrückt; all das geht mit einer
Einschätzung, Deutschland sei antinational und
pazifistisch, nicht zusammen.
Trotzdem oder gerade deshalb wird die Spinnerei auf
die europäische Ebene ausgeweitet. So wie es keine
Anzeichen für eine Militarisierung deutscher
Außenpolitik gäbe – die schrittweise Ausweitung von
Bundeswehreinsätzen im Ausland, die Umschreibung
verteidigungspolitsicher Richtlinien in Richtung
Interventionslegitimation sowie der entsprechende
Umbau der Bundeswehr hebt den Materialisten nicht an
– könne auch in Bezug auf Europa nicht von einer
Militärmacht gesprochen werden. Nun ist es richtig,
die Kritik an Europa nicht allein auf seine
Bestrebungen auf militärischem Gebiet mit den USA
gleichzuziehen, zu beschränken. Wer allerdings
derart ignorant übersieht, dass die EU sich eine
Verfassung geben wird, die eine explizite
Aufrüstungsverpflichtung enthält, dazu die
Riesenschritte leugnet, mit der die Europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den letzten
Jahren vorangekommen ist und mittlerweile selbst ein
eigenes Weltraumwaffenprogramm verwirklichen wird,
der gibt sich nur noch der Lächerlichkeit preis.
Der
militärische Abstand zwischen den Europäern und den
USA ist riesig und ebenso richtig ist, dass bei der
Abschätzung außenpolitischer Optionen der Europäer
ein multilaterales und ziviles Vorgehen einen hohen
Eigenwert besitzt. Stoßen die Europäer aber bei den
Bemühungen ziviler Interessenpolitik an Grenzen, so
wie es in Ex-Jugoslawien, in Afghanistan und im
Kongo alltäglich der Fall ist, wird der Ruf nach
Militär laut und die Zivilmacht offenbart sich als
militärischer Akteur. Dies ist nicht gleichzusetzen
mit der Behauptung einer Rückkehr imperialistischer
Politik, die auf militärische Expansion setzt. Wenn
Pünjer dies in seinem
Text der „Phase 2“ und dem BGR unterstellt, dann mit
dem Hintergrund, seine eigene Einschätzung einer
antimperialistischen EU
plausibel erscheinen zu lassen. Würde man
demgegenüber an einem weniger historisch geprägtem,
dafür auch nichtsagenderem Imperialismusbegriff
festhalten wollen – weder das BGR noch die „Phase 2“
zeigen sich diesbezüglich besonders engagiert – und
Imperialismus bedeutete demnach die staatliche
Durchsetzung kapitalistischer Interessen mittels
ökonomischer, politischer und militärischer
Instrumente, dann wäre auch die EU als
imperialistisches Projekt zu kennzeichnen. Die
Durchsetzung ihrer Interessen in Süd- und
Südosteuropa, im Kongo und Afghanistan sprächen
dafür. Dies wäre zumindest um einiges einleuchtender
als eine gegenteilige Behauptung, die sich als Beleg
nur auf die Antikriegshaltung der Kern-Europäer
während des Irakkonflikts und auf den in der
europäischen Außenpolitik stark verankerten Wert des
„Völkerrechts“ zu beziehen weiß. Weil aber diese
bemühte Argumentation überaus widersprüchlich ist,
steigert sie der Autor der „Bahamas“ zur
grenzenlosen Denunziation. Als es ihm darum geht,
den „antiimperialistischen Konsens“ in Deutschland
zu belegen, verfällt er auf einen genialen
rhetorischen Einfall: ein geheimnisvolles Zitat (CeeIeh,
S. 55). Fand es sich in „Phase 2“, sprach es Fischer
oder jemand von der CDU? Unmöglich wäre eine vom
Inhalt ausgehende Zuordnung der Zeilen, die – man
ahnte es bereits – von einem Nazi stammen.
Pünjer bemüht den
DVU-Chef Gerhard Frei als Kronzeugen für seine krude
Gesellschaftsverklärung. Jener stellt sich im Zitat
die „Kardinalsfrage, warum sich ausgerechnet
Deutschland in eine Gegnerschaft zu seinen vielen
Freunden auf der ganzen Welt zwingen lassen sollte“
und bedauert, dass „wir“ Deutschen „in unserer
derzeitigen Schwäche, niemanden hindern, andere zu
überfallen.“ Mag sein, dass ein Fischer und eine
Merkel ähnlich wie ein Frei über das Wohl und Wehe
dieses Landes im Kollektivsubjet denken und als
solches zu sprechen belieben. Die programmatische
Wir-Identität eines deutschen Antisemiten aber
„Phase 2“ unterzujubeln, ist so selbstentlarvend,
dass, wüsste man nicht, von wem der vordergründige
Versuch einer Beweisführung stammt, von Anfang an
auf einen Pünjer aus der
Bahamas-Redaktion schließen müsste.
Udo Schneider (Der Autor ist
Mitglied des bgr/leipzig)