Seit den letzten Monaten scheint es so, als wäre in Deutschland der Antifaschismus ausgebrochen. Nach dem Sprengstoffanschlag in Düsseldorf haben plötzlich eine Reihe PolitikerInnen entdeckt, das es in Deutschland von Nazis nur so wimmelt und übertreffen sich mit Vorschlägen, wie gegen jene vorzugehen sei. Klaut uns jetzt schon der Staat unsere "Themen"? Verlieren wir etwa unser Politikfeld. Keineswegs.
Es geht beim staatlichen Antifaschismus um das Ansehen Deutschlands und um das Durchsetzen des staatlichen Gewaltmonopols. Gründe dafür gibt es manche. Sei es, dass die von der Industrie geforderten Greencard-SpezialistInnen aufgrund des hierzulande herrschenden Naziterrors keine Lust verspüren, in Deutschland zu arbeiten, sei es, dass die Büttel des Staates auf offener Straße niedergeschossen werden, oder AsylbewerberInnen von Nazis durch die Straßen deutscher Städte gejagt werden, wo doch die Schikanierung und Ermordung von MigrantInnen allein staatlichen Institutionen vorbehalten bleiben soll. Tatsächlich ist es unsere Gesellschaft und mit ihr die staatliche Politik, die den Nährboden für die Nazis bildet. Eine Analyse der Situation ist daher nicht gewünscht. Vielmehr würde eine solche Analyse offenbar werden lassen, wie groß die Bedeutung von Ausgrenzungsmechanismen für eine kapitalistische-patriarchale Gesellschaft ist.
Die sommerliche Antinazi-Kampagne bietet dem Staat andererseits einen willkommenen Vorwand, Gesetze und Institutionen den sich schnell erweiternden Möglichkeiten anzupassen und den Repressionsapparat auf den neusten juristischen, strukturellen wie technischen Stand zu bringen. Dies betrifft z.B. die Verschärfung des Demonstrationsrechtes, den forcierten Ausbau der Videoüberwachung, die Etablierung der DNA-Analyse, Veränderung des Passgesetzes usw. usf. Dabei schränkt sich der Rahmen in dem wir bisher Widerstand geleistet haben immer weiter ein und es droht durch die Ausweitung der Überwachung der Verlust unserer politischen Handlungsfähigkeit.
Naziüberfälle sind dabei ein geeignetes Mittel, die staatliche Strategie im Diskurs um die innere Sicherheit zu stärken. So ist seit September beim Bundesgrenzschutz eine Hotline geschaltet, um, wie es heißt Hinweise zu rechtsextremistischen Ausfällen und Gewalttaten entgegenzunehmen. Währenddessen werden an den deutschen Grenzen weit mehr MigrantInnen beim Übertritt durch Denunziation gefasst, als durch die alleinige Tätigkeit des Bundesgrenzschutz.
Der Ausbau des Überwachungsstaates geschieht jedoch nicht losgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Kontext, sondern ist eingebettet in die Entwicklung der Überwachungsgesellschaft. Das heißt, hinter dieser Entwicklung stehen sowohl starke ökonomische Interessen, als auch die aktive Mitwirkung der Bevölkerung, die heutzutage ganz anderes zu verlieren hat als ihre Ketten. Sei es das Management der privatisierten Öffentlichkeit in Bahnhöfen, Einkaufszentren oder Innenstädten oder die Hachrüstung von Vorgärten und Wohnparks zu Sicherheitszonen. Überall herrscht die Tendenz das umzusetzen, wovon die Strategen staatlicher Repression nur träumen können. Auch im Bereich der Datengewinnung sind ökonomische Kräfte die treibenden. Ständig wachsende KundInnendatenbanken erlauben Persönlichkeits- und Bewegungsprofile von ungeahnter Tiefe.
Wer alltäglich gewohnt ist, von hunderten Kameras in der Öffentlichkeit beobachtet zu werden, Datenspuren als Voraussetzung für Service zu interpretieren und das Gebot der Eigentumssicherung als höchsten Wert zu akzeptieren, der erkennt bei staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre keine drastische Veränderung. Es gibt durchaus Stimmen, die bemerken, daß polizeiliche Logik schwer gegen einen rassistischen Konsens ankommen kann. Widerstand gegen die Ausbreitung des Sicherheitswahns im öffentlichen Leben regt sich dennoch kaum.
Wir wollen deshalb nicht die lange nicht ernst genug genommene Entwicklung verschlafen, aber ebensowenig wollen wir jetzt beginnen, an eine wundersame Veränderung durch öffentliche Aufklärung zu glauben. Wichtig ist es uns vielmehr nach den vielen fruchtlosen Versuchen breiter Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung den Widerstand gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn zu beginnen. Es wird sich zeigen, daß die Politik von Sicherheitshysterie und Überwachungswahn angreifbar ist.