Zum Thema Repression
Im Juni vergangenen Jahres kam es hier in Wurzen am damaligen Nazitreffpunkt "BB-Baracke" zu Auseinandersetzungen zwischen Antifas und einigen Faschos, die geglaubt hatten, sie könnten die Plakatierung ihres Domizils verhindern. Die zwei anwesenden Polizeibeamten positionierten sich dabei mit gezogener Dienstwaffe eindeutig auf seiten der Nazis. Im Verlauf des Zusammentreffens gingen einige Scheiben des Naziclubs zu Bruch und etwas Tapetenleim geriet auf die Billiardtische. Abgesehen davon, daß Bürgermeister Anton Pausch noch am selben Tag in Begleitung eines Glasers den Tatort besichtigte und schnell dafür sorgte, daß der Treffpunkt seiner Zöglinge umgehend wieder nutzbar gemacht wurde, wäre zu dieser Geschichte weiter nichts zu sagen. Höchstens noch, daß während eines angekündigten Überfalls der Nazis auf ein von alternativen Jugendlichen bewohntes Haus in der Wurzener Berggasse keine Polizei mit gezogener Dienstwaffe schützend vor den Opfern stand. Und daß Bürgermeister Anton Pausch nach jenem Vorfall nicht alles unternahm, um das Haus wieder bewohnbar zu machen. Statt dessen verkündete er öffentlich das Ende jeglichen alternativen Wohnens in Wurzen, da von solchen Objekten - Zitat - "offensichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit" ausginge.
Wie gesagt - dazu wäre weiter nichts zu sagen. Hätten nicht kürzlich 14 junge Wurzner Bürgerlnnen eine Anklageschrift wegen Sachbeschädigung, gemeinschaftlich begangenem schweren Landfriedensbruch sowie schwerem Widerstand gegen Vollzugsbeamte wegen dieses Vorfalls an der BB-Baracke zugesandt bekommen. Augenscheinlich gingen die Verfolgungsbehörden hier nach dem bekannten Prinzip "Verhaften sie alle üblichen Verdächtigen" vor. Aus der Kartei der Wurzener Polizei wurden offensichtlich willkürlich Namen von stadtbekannten Punks und Linken herausgesucht, in der Hoffnung, wenn schon nicht alle verurteilen zu können, so die restlichen wenigstens einzuschüchtern. Es läge nahe, dieses Vorgehen trotz seiner Gefährlichkeit und Bösartigkeit als typische Provinzposse aus dem Muldental abzutun, wüßte man nicht, daß solche Spielchen kein Einzelfall sind und selbst in Städten und Regionen praktiziert werden, die rechtsstaatlich-demokratisch und nicht halbfeudal verfaßt sind wie der Herrschaftsbereich des Provinzfürsten Anton Pausch. Hier müssen städtische Angestellte um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn sie eine andere als die herrschende Meinung vertreten. Undenkbar für diese Menschen, beispielsweise an einer Demonstration wie dieser teilzunehmen. Auch in Leipzig gab es kürzlich ein ähnliches Verfahren. Angeklagt waren, nach der Einstellung mehrerer Ermittlungsverfahren, noch 11 Personen aus linken Zusammenhängen, denen "Gemeinschaftliche schwere Körperverletzung" und "schwerer Raub" vorgeworfen wurden. Diese Anklage bezog sich ebenfalls auf eine Auseinandersetzung mit Nazis vor einem Leipziger Kino, in dem der mehr als fragwürdige Film "Glaube, Liebe, Hoffnung" gezeigt wurde. In diesem Film werden Leipziger Nazis unkommentiert vorgeführt; einer von ihnen kann mal ganz locker "Juden und Zecken ins Gas, ins Gas" singen.
Die vermeintlichen Täter waren allesamt einer Kartei entnommen, die der Staatsschutz nach der sogenannten "Connewitzer Krawallnacht" '92 angelegt hatte. Viele der Tatverdächtigten waren zum Tatzeitpunkt nachweislich nicht mal in Leipzig gewesen, andere schon länger außerhalb von Szenezusammenhängen. Der Prozeß endete zum Teil mit Verfahrenseinstellungen, teils mit Freisprüchen. Wegen einer individuell begangenen Tat wurde konnte keiner verurteilt werden; es wurde jedoch eine Bewährungsstrafe gegen einen Menschen verhängt, dem das Gericht eine Anwesenheit am Tatort nachweisen zu können glaubte. Das Ziel der Verurteilung einer ganzen Reihe polizeilich bekannter Linker konnte zwar nicht erreicht werden, dafür aber das Ziel einer öffentlichen Diskreditierung von antifaschistischer Politik - denn der positive Prozeßausgang fand in der Presse weniger Erwähnung als die Anklageerhebung. Und überhaupt: Welche wüsten Diffamierungskampagnen die Presse nach einer Verurteilung der angeklagten Antifas gefahren hätte, kann man sich ja denken. Nicht selten bleiben Repressionsangriffe Tests, um auszuchecken, wie einzelne Personen auf stärksten Druck reagieren, bzw. wie sich die lokale Szene, die bei solchen Gelegenheiten immer als ganzes gemeint ist, generell auf Repression reagiert. Das nimmt mitunter auch recht bizarre Formen an.
Bei einem offenen Gespräch mit Wurzener Jugendlichen im Stadtrat hielt Stadthauptmann Anton Pausch es für angebracht, durch die Polizei die Personalien der Gäste kontrollieren zu lassen. Als ein stadtbekannter antifaschistischer Jugendlicher diese offensichtlich unbegründete und gesetzwidrige Maßnahme verweigerte, wurde ihm umgehend Hausverbot erteilt. Als dieser einige Tage später bei dem Versuch, das Stadthaus zu betreten, erwischt wurde, stellten die Hausdiener des Baron Pausch ihm umgehend einen Strafbefehl in Höhe von 1800 Mark zu. Auf eingelegten Widerspruch folgte schließlich die Einstellung des Verfahrens, der Strafbefehl wurde zurückgezogen. In keinem dieser drei angesprochenen Verfahren gab es von Seiten der Angeklagten und ihres Umfeldes eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Ist es doch gerade wichtig, solche Versuche der Strafverfolgungsbehörden transparent zu machen und durch gezielte Presse- und Soliarbeit gerade Prozesse mit positivem Ausgang für sich politisch nutzbar zu machen.
Der Umgang mit dem Prozeß gegen die Göttinger Autonome Antifa M, der in der BRD-Geschichte seinesgleichen sucht, hat deutlich gemacht, wie durch ein gezieltes offensives Vorgehen der Versuch einer Kriminalisierung von militanter Antifapolitik erfolgreich abgewehrt werden konnte. Nach fünfjährigen Ermittlungen, beinahe 14000 abgehörten und protokollierten Telefongesprächen, 30 Hausdurchsuchungen und 143 Personenüberprüfungen auf Mitgliedschaft in der Autonomen Antifa M konstruierte die Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen 17 Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach §129a. Wäre der Prozeß geführt worden, hätte das für die Angeklagten faktisch 1 Jahr Freiheitsentzug bedeutet, da 131 Verhandlungstage, immer drei pro Woche, im 250 km entfernten Lüneburg angesetzt waren. An Job oder Ausbildung wäre in dieser Zeit nicht zu denken gewesen, die Anwaltskosten hätten die Angeklagten finanziell vollständig ruiniert. Die notwendige Beschränkung auf Soli- und Prozeßarbeit in dieser Zeit hätte jegliche andere politische Arbeit unmöglich gemacht. Somit hätte die Staatsanwaltschaft schon vor einem rechtmäßigen Urteil eines ihrer Ziele erreicht. Trotz der Einstellung des Verfahrens unter Auflagen ist das Ausleuchten einer ganzen Szene bis ins Detail für die Anklage als Erfolg zu verbuchen. Das es hierfür keinerlei, wie auch immer geartete Wiedergutmachung gibt, ist klar.
Das Verfahren gegen die Autonome Antifa M muß als Pilotprojekt zur Kriminalisierung antifaschistischen Widerstandes und generell jedes außerparlamentarischen linken Organisierungsversuches gewertet werden. Auch oder gerade wenn die Repression Gruppen trifft, die sich explizit um Bündnisarbeit bemühen und ein Zusammengehen von bürgerlich-parlamentarischen und militanten Ansätzen anstreben. Dieser erste Versuch ist gescheitert, andere werden folgen. Dabei müssen wir ganz deutlich betonen, daß uns als Antifa der staatliche Repressionsapparat nicht so hart trifft wie andere linke Gruppen, und, daß wir als Deutsche noch ganz andere Möglichkeiten politischer Arbeit nutzen können als beispielsweise die kurdische Opposition hier in Deutschland. Nach dem Verbot nahezu aller politischer und kultureller Organisationen und Vereine der kurdischen Opposition seit mehr als zwei Jahren ist bereits jeder kurdische Mensch von Abschiebung durch deutsche Behörden bedroht, der an einer Demonstration teilnimmt oder sich anderer Formen des politischen Widerstandes bedient. Hier erst zeigt sich eigentlich die Entschlossenheit und Bösartigkeit staatlicher Repression in Deutschland. Es wäre absurd, heute noch von Einzelfällen beim erbarmungslosen Vorgehen des Staates gegen kurdische Menschen zu sprechen. Kanthers Kampf gegen die PKK und andere willkürlicherweise verbotene ausländische Organisationen hat System und zielt auf die Zerstörung und Verhinderung jeglichen kritischen Engagements von Migrantlnnen! Wenn wir - zu Recht - uns gegen jegliche Form der Kriminalisierung unserer antifaschistischen politischen Arbeit wehren, so haben diese Menschen nicht einmal mehr die Möglichkeit, überhaupt offensiv politische Arbeit zu betreiben, schon gar nicht organisiert. Mittelpunkt unserer Gegenwehr gegen die staatliche Verfolgung politischer, antifaschistischer und anderer unliebsamer Personen und ihrer Arbeit muß daher immer der Protest und der Kampf gegen die staatliche rassistische Repression gegen kurdische und andere ausländische Menschen sein!
Bündnis gegen Rechts Leipzig
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