Aus CONTRASTE Nr. 177 Schwerpunktthema Teil 2

DEBATTE

Die protestantischen Ursprünge des Arbeitswahn

von Gaston Valdivia, Hamburg

(1) Auf die zentrale Rolle der Arbeit im protestantischen Weltbild haben schon Karl Marx und Max Weber hingewiesen. Für beide spielt der Protestantismus und seine Einstellung zur Arbeit eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Während der eine im Protestantismus die dem Kapitalismus adäquate Religion sah und diese in Verbindung brachte mit der Durchsetzung frühbürgerlicher Warenverhältnisse, machte der andere den protestantischen Geist ursächlich für die Entstehung kapitalistischer Verhältnisse verantwortlich. Für Marx wie für Weber bricht sich im Protestantismus die durch den Warentausch bedingte moderne Individuation der Menschen Bahn, und diese Individuation ist von vornherein an die Deifizierung der "Arbeit" gekoppelt. Die "Freiheit eines Christenmenschen", der unmittelbar als Einzelner allein seinem Gewissen und Gott verantwortlich sein soll, richtet sich nicht nur gegen den römischen Universalismus, sie setzt gleichzeitig dem schmarotzenden Klerus und Adel ein gottgefälliges arbeitsreiches Leben entgegen.

Am deutlichsten tritt diese Koppelung in der calvinistischen Prädestinationsvorstellung hervor. Die radikale Variante protestantischen Denkens verwirft konsequent jede kirchlich-sakral vermittelte Heilshoffnung: "Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinen Beschluß einige Menschen... bestimmt (predestinated) zu ewigem Leben und andere verordnet (foreordained) zu ewigem Tode". (Westminster Confession von 1647) (2). Die Menschen haben aber keinerlei Zugang zu den Ratschlüssen des Herrn, und keine Kirche kann ihn verschaffen. Die Nichterkennbarkeit des Gnadenaktes wirft die einzelnen Gläubigen aber nicht nur vollkommen auf sich selbst zurück, die totale Ungewißheit über die eigene Bestimmung stürzt den Calvinisten darüber hinaus in eine schier unerträgliche psychische Situation. Er konnte diesen Druck nur ertragen, wenn er sich an irdische Zeichen seiner Auserwähltheit hielt. Das Problem ließ sich praktisch dadurch wenden, dass jeder übertriebene Zweifel (an ihr) schon als Anfechtung des Teufels denunziert wurde. Es wurde "zur Pflicht, im täglichen Kampf sich die subjektive Gewißheit der eigenen Erwähltheit und Rechtfertigung zu erringen." "Und andererseits wurde, um jene Selbstgewissheit zu erlangen, als hervorragendstes Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft. Sie und sie allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes."(3)

Parallel zu dieser Aufwertung der Arbeit zum transzendenten Heilsmittel fordert und fördert der Protestantismus allgemeine Knausrigkeit. Jede direkte menschliche Zuwendung wird ebenso wie jeder Genuß als "Kreaturvergöttlichung" verdammt, da das Dasein ausschließlich der in der Arbeit materialisierten Verehrung des Herrn zu dienen hat. Das von Gott geforderte soziale Engagement, "sofern es seinen Ruhm mehrt und nicht etwa dem Nächsten gilt" (4), wird bereits mit der "Erfüllung der durch die lex naturae gegebenen Berufsaufgaben" befolgt und "nimmt damit einen eigentümlich sachlich-unpersönlichen Charakter an. Es wird zum Dienst an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos durch die Arbeit." (5)

Diesem affektmodellierten Wesen (Elias) "erkalten" einerseits die unmittelbaren zwischenmenschlichen Beziehungen, andererseits eignet es sich zur Revolutionierung verkrusteter Ständestrukturen und birgt die ideologische Konditionierung für einen Übergang zum Kapitalismus in sich. "Die Berufung des Puritaners - sein "calling" - ist der Befehl Gottes, zu wirken. Sofern dieses Wirken ein Werken ist, legitimiert es sich am Erfolg, dass heißt am Gewinn." Mit der wachsenden Bedeutung des Geldes im späten Mittelalter und im Verlauf des Übergangs zu einer kapitalistischen Verwertung der Arbeit setzt sich das Resultat des Werkens nicht nur des Kapitalisten, sondern auch des Handwerkers, Bauern oder Arbeiters in klingende Münze um. Das Geld wird zum allgemeinen Gradmesser der im Sinne Gottes erbrachten Leistung, was auch den Umkehrschluß zuläßt, das der Besitz von viel Geld auf besondere Gottesnähe oder göttliche Bevorzugung hindeutet. Diese Auffassung prägt bekanntlich bis heute maßgeblich die US-amerikanische Gesellschaft. Wie die Arbeit, so ist auch ihr Resultat, das Geld, als Frucht individueller Leistung aufzufassen, auf die niemand als der Einzelne selbst Anspruch hat. Wer vom Zugang zum Arbeitsreichtum ausgeschlossen bleibt, befindet sich eben nicht im Gnadenstande, und es besteht auch kein Anlaß, ihm zu helfen. Jeder ist seines Glückes Schmied, so lautet die moderne, inzwischen allgemein anerkannte, allen religiösen Brimboriums entkleidete bürgerlich-protestantische Logik.

Die gegen Verschwendung und unbeschwerten Genuß gerichtete Rationalisierung der Gefühlswelt erzeugt einerseits eine Geiz- und Sparermentalität, die der Anhäufung von Gütern und Akkumulation von Geld zu Kapital entgegenkommt, der göttliche Werkauftrag wiederum bereitet dem internalisierten Zwang zur unablässigen, rastlosen Arbeit den Weg. Beides zusammengenommen macht den Protestanten zum idealen Protagonisten des Siegeszuges einer Wirtschaftsweise, die ihren Inhalt in der Arbeit als "tautologischem Bezug auf sich selbst" >5<(R.Kurz) findet.

Protestantismus und Kapitalismus gingen solange eine Symbiose ein, bis es nicht mehr der (immer dünner werdenden) religiösen Hülle bedurfte, um die Arbeit um der Arbeit willen in die Köpfe der Individuen zu hämmern.

Anmerkungen:

1)Hier handelt es sich um einen Auszug eines Aufsatzes aus dem Buch "Rosmaries Babies - Die Demokratie und ihre Rechtsradikalen", Unkel/Rh-Horlemann, 1993

2)Weber, Max, Protestantische Ethik I (S119), zit. In Pflueger, Jörg: "Von Sinnen" "Berufung im Neuen Zeitalter", Managerdämmerung, Frankfurt a.M.,1990, S.47

3)vgl. ebenda, (PE S.128ff)

4)ebenda, S 48

5)ebenda, (PE, S.126) Damit leitet der Protestantismus auf breiter Front die Rationalisierung der Gefühlswelt ein und verlegt, wie Marx es einmal bemerkte, den Priester in das Individuum. Jeder ist sich selbst sein Priester und entscheidende moralische Instanz. Ständige Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle und Zuverlässigkeit werden zum obersten Gebot. Ein Menschentypus entsteht, der sich nicht nur von tradierten Herrschaftsformen und Bräuchen abzulösen beginnt, sondern zugleich seiner Umwelt im Rahmen "innerweltlichen Askese" sachlich und mit einer unerbittlichen Neigung zur Effizienz entgegentritt.

6)internalisieren - Gruppennormen als für die eigene Person gültig übernehmen