Aus CONTRASTE Nr. 190/191: Schwerpunktthema Teil 5
WENDLAND-KOOPERATIVE
Mitgliederläden - kundenorientierte Gestaltung der EVG-Idee
Die Wendland-Kooperative in Hannover ist eine im Jahre 1989 gegründet ErzeugerInnenVerbraucherInnen-Genossenschaft für ökologische Produkte. Sie betreibt seit 1993 Mitgliederläden, in denen nur Mitglieder einkaufen können, die neben dem Genossenschaftsanteil monatlich noch einen Beitrag zur Grundfinanzierung der fixen Kosten zahlen. Dafür erhalten sie die Produkte zu Preisen, die etwa 30% unter dem üblichen liegen. 1999 betrug der Umsatz der Genossenschaft 1,2 Mio. DM bei 600 Mitgliedern.
Kornelia Stock und Jörg Lindemann, Red. Genossenschaft - "Laßt uns 'rauf und 'runter freun ..." Das Zitat entstammt einer Szene, die sich Anfang 1996, also in der Nachweihnachtszeit, im ersten Genossenschaftsladen der Wendland-Kooperative im hannoverschen Stadtteil Linden abgespielt hat. Fünf 3-4jährige Kinder aus einem Kinderladen saßen mit dem Rücken an einem Heizkörper und sangen obigen Text zur Melodie von "Laßt uns froh und munter sein ...".
Von dieser Szene wurde wiederholt berichtet, weil es eine tolle Situation im Laden war. Für die mit der Kooperative enger Verbundenen ist sie gut nachvollziehbar, weil es oft nette Situationen mit Kindern gibt und das Ganze auch das Klima in den Läden beschreibt. Natürlich kommt es manchmal auch zu Streß. Da sich aber viele Menschen kennen, ist z.B. eine längere Schlange an der Kasse in den meisten Fällen kein Problem, weil mensch mit den anderen KundInnen reden kann oder sich eben an den Faxen der zahlreichen Kinder erfreut.
Hohe Verbraucherbindung
Die Wendland-Kooperative ist eine 1989 gegründete ErzeugerInnen-VerbraucherInnen-Genossenschaft für ökologische Produkte. Ursprünglicher Schwerpunkt der Arbeit war die Unterstützung der bäürlichen Betriebe im Wendland, die durch die Anti-AKW-Bewegung angeregt, auf ökologische Produktion umgestellt hatten und wegen der Grenze zur DDR von den städtischen Märkten weit entfernt waren. Die Genossenschaft beteiligte sich zunächst an einem "normalen" Bioladen. Die Unterstützung der Ökobauern im Wendland erfolgte aber hauptsächlich auf privater Basis durch von Einzelnen organisierte "Einkaufstouren". Die Vermarktung von Produkten aus dem Wendland über den Laden funktionierte nur in der Anfangsphase.
Anfang 1993 entstand in Hannover eine Initiative, die als GbR einen Öko-Mitglieder-Laden betreiben wollte. Die konzeptionellen Vorüberlegungen: Nur Mitglieder können im Laden einkaufen. Durch Beitragszahlung erhält der Laden umsatzunabhängige sichere Einnahmen beispielsweise auch in der Sommerflaute. Über den Beitrag gibt es eine Bindung an den Laden. Ein fester Kundenkreis ermöglicht eine genauere Kalkulation. Die Kosten sind wegen eingeschränkter Öffnungszeiten und der Möglichkeit, preiswerte Läden z.B. in einem Hinterhof anzumieten, vergleichsweise gering. Das sollte ermöglichen, die Waren etwa 30% unter dem üblichen Preis zu verkaufen.
Günstige Kostenstruktur
Ziel war es von Anfang an, keine große Food-Koop aufzubauen, in der JedeR mitarbeiten muß. Vielmehr gab es einen Stamm von etwa 10 bis 15 Menschen, die die Arbeit im Laden erledigen wollten. Bei der Umsetzung der Idee fanden die Genossenschaft und der Mitgliederladen zusammen: Im November 1993 beschloß die Genossenschaft, die Mitgliederladen-Initiative zu unterstützen und das skizzierte Konzept "Mitgliederladen" umzusetzen. Antje Brink, Gründungsmitglied und langjährige Aufsichtsrätin der KOOP, betonte beim Jahrestreffen der Erzeuger/Verbraucher Gemeinschaften am 6.5.2000: "Ohne diese Initiative würde die Wendland Kooperative e.G. heute wahrscheinlich nicht mehr existieren."
Am 10.01.1994 eröffneten der erste Genossenschaftsladen nach dem neuen Konzept. Eine Garage wurde in einen funktionalen Laden für Bio-Produkte umgebaut. Das vorgehaltene Angebot gleicht weit gehend dem eines normalen Bio-Ladens. Bewußt wurde darauf verzichtet, das Geschäft mit einer kostspieligen Ladenarchitektur zu versehen. Die Reduktion auf die zwingenden Verkaufsfunktionen - Regale, Tresen, Kühlung etc. - läßt ein besonderes Ambiente entstehen, das zudem noch kostengünstig ist.
Neue Käuferschichten
Schon vor der Eröffnung gab es bei den Bioläden der Umgebung Befürchtungen wegen der daraus entstehenden Konkurrenzsituation. Von Seiten der Genossenschaft bestand allerdings immer der Eindruck, daß mit dem besonderen Konzept neue KäuferInnen-Schichten für Ökoprodukte gewonnen wurden. Diese weisen eine breite soziale Schichtung auf: SozialhilfeempfängerInnen, StudentInnen, Kinderläden, junge Familien mit kleinen Kindern, LehrerInnen etc. LadennutzerInnen müssen mindestens einem Anteil in Höhe von DM 100 pro Haushalt zeichnen und einen Beitrag von DM 20 je Erwachsenen und DM 5 je Kind im Monat bezahlen. Nennenswerte Probleme mit der Beitragszahlung kamen bisher nicht vor, da die LadennutzerInnen dafür ein günstiges Warenangebot vorfinden. Die regelmäßigen Beiträge sichern - saisonunabhängig - hauptsächlich die Löhne.
Einige Mitglieder nutzen den Laden nicht. Sie stärken mit ihrem Anteil bzw. ihren Anteilen die Kapitaldecke der Genossenschaft. Etwa 600 Mitglieder haben insgesamt 960 Geschäftsanteilen in Höhe von DM 100 gezeichnet. Rund 620 Erwachsene und 300 Kinder kaufen in den Läden ein. Alle Mitglieder können beide Läden nutzen. Damit von Seiten der Genossenschaft besser kalkuliert werden kann, sollen sie sich allerdings für einen "Hauptladen" entscheiden. 1999 betrug der Umsatz 1,2 Mio. DM, in Form der regelmäßigen Beiträge kamen dabei 145.000 DM zu Stande. Im Moment sind in den beiden Läden zusammen zwölf Menschen beschäftigt.
Solidarische Genossenschaft
Im Oktober 1997 wurde ein zweiter Laden in der Oststadt eröffnet, einem Stadtteil mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur wie in Linden. Aus dem Bereich Oststadt gab es zuvor etwa 50 Kündigungen, weil der Weg nach Linden zu weit war. Nur zwei Mitglieder konnten für die neue Filiale reaktiviert werden. Insgesamt entwickelte sich die Nachfrage anfangs nicht so, wie von Seiten der Genossenschaft erwartet.
Durch die geringere Nachfrage für den neuen Laden geriet die Genossenschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Hier erwies sich der genossenschaftliche Ansatz plus Mitgliederladen als ausgesprochen hilfreich. Nachdem der Großhändler mit einem Lieferantenkredit den Anfang machte, zeichneten auch die Mitglieder zusätzliche Genossenschaftsanteile, gaben Darlehen und unterstützten Werbemaßnahmen. Außerdem wurden die Preise um zwei Prozentpunkte erhöht. Diese Preiserhöhung wird zurückgenommen, sobald sich die wirtschaftliche Basis der Koop verbessert. Die MitarbeiterInnen aus der alten Filiale unterstützen den neuen Laden, indem mehr Mitglieder aufgenommen wurden, als der Laden und die Beschäftigte eigentlich verkraften können. Nach drei Jahren Verlust wird die Genossenschaft in diesem Jahr wieder ein positives Ergebnis erzielen.
Bequemer Einkauf
Trotz aller Höhen und Tiefen funktioniert ein Mitgliederladen in einer Großstadt, weil die Mitglieder nicht so viel Engagement und abgefragtes Bewußtsein mitbringen müssen, wie z.B. bei Food-Koops. Durch die Mitgliedschaft wird das Recht erworben, in einem Bioladen einzukaufen. Das normale Sortiment steht immer zur Verfügung, bei speziellen Wünschen - größere Mengen, bestimmte Produkte, größeres Gebinde - wird das Benötigte zusätzlich bestellt. Die MitarbeiterInnen garantieren Beratung, Bestellung, Öffnungszeiten und Service.
Langjährige Mitglieder erleben den Laden als Entlastung. Sie bekommen in der Regel alles, was sie brauchen, nerven sich nicht mit dem Suchen nach "Schnäppchen" und zweifelhaften neuen Produkten und die Einkaufszeit liegt - mit Schwätzerei - bei ca. 1 Std. pro Woche. Im Gegensatz zum "normalen" Öko-Einzelhandel versorgen sich die Menschen umfassend mit Produkten aus kontrolliertem Anbau und nicht nur mit wenigem, wie Brot, Milch und Müsli.
Schwierige Direktvermarktung
Der Anteil der direkt vermarkteten Waren der Genossenschaft liegt momentan bei etwa 20 bis 25%, insbesondere Backwaren, Gemüse, Eier, Ziegenkäse, Geflügel, Fleisch etc. Dies widerspricht in dieser Ausprägung der Idee der ursprünglichen Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft. Dennoch: Der Anteil der Produkte aus dem Wendland geht weiter zurück, da seit 1996 nur noch einmal pro Woche geliefert wird. Vorher belief sich der Direktvermarktungsanteil auf etwa 30 bis 35%. Zu bedenken ist allerdings, daß der Hauptlieferant als Großhändler zum größten Teil mit Produkten aus dem norddeutschen Raum handelt.
Bedingt durch die Probleme mit der neuen Filiale war die Wendland-Kooperative bisher hauptsächlich am Funktionieren der Läden orientiert. Davon profitierten hauptsächlich die VerbraucherInnen. Inzwischen wird wieder stärker nach Möglichkeiten gesucht, auch die ErzeugerInnen zu fördern und weitere ErzeugerInnen als Mitglieder und Lieferanten zu gewinnen. Gerade im Hinblick auf die drohende Annäherung der Bioland Prüfkriterien an die EU-Richtlinien wird es zunehmend wichtiger sein, zu wissen, wo und wie Lebensmittel aus kontrolliert biologischen Anbau produziert werden.