Berichte zur Nazidemo in Berlin
Berlin:
Nazis haben demonstriert
Heute Samstag 29.1.00 haben in Berlin etwa
1000 Nazis gegen das
Holocaust-Mahnmal demonstriert. Unter
massivem Polizeischutz zogen sie um 14Uhr durch die Innenstadt auf der
Strasse unter den Linden zum Ort des Holocaust-Mahnmals, auf dem Rückweg
marschierten sie durch das Brandenburger Tor und stellten sich mit ihren
Reichskriegsflaggen, NPD- und JN-Fahnen zum Fototermin davor auf. Eine
palästinensische Fahne war auch dabei. "Menschenrechte auch für
Deutsche" forderten sie auf den Transparenten und schrien "Hier marschiert
der nationale Widerstand", "Bürger laßt das Glotzen ein, reiht
euch ein", "USA - internationale Völkermordzentrale", usw. Die
antifaschistische Gegendemo mit etwa 800 Menschen begann leider bereits
um 11 Uhr, aufgrund des strömenden Regens verliessen die meisten vor
dem Nazi-Aufmarsch die Demo. Die Polizei sperrte die Zufahrtsstrassen weiträumig
ab.
aus Nadir: aktuell
Ort der Information, Ort der Provokation
Mit einem einfachen
»Ja« oder »Nein« lässt sich die Frage nach
dem Berliner Holocaust-Mahnmal nicht beantworten. von andreas dietl
Als sich am 27.
Januar auf dem Sandfeld südlich des Brandenburger Tors einige der
Spitzen von Staat und Gesellschaft versammelten, um den symbolischen Baubeginn
des Holocaust-Mahnmals zu begehen, stand draußen vor dem Zaun eine
Handvoll Demonstranten. Sie trugen ein breites grünes Transparent
mit einem Zitat von Theodor W. Adorno: »Aufgearbeitet wäre die
Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.«
Wir wissen nicht,
ob dieselben Leute, die zur Initiative gegen den Schlussstrich gehörten,
am nächsten Tag schon wieder vor dem Mahnmal standen - diesmal, um
es vor den knapp 1 000 Neonazis zu schützen, die hinter den Fahnen
der NPD gegen das »Schandmal« marschierten. Möglich wäre
es immerhin.
Das Mahnmal-Projekt,
das zeigt dieses Beispiel, lässt eine Positionierung nach dem schlichten
dichotomischen Muster von Pro und Contra nicht zu. Dabei ist es noch die
leichteste Entscheidung, gegen die vereinigte Rechte von Eberhard Diepgen
bis zur NPD zu sein. Aber muss man deshalb für Michael Naumann sein?
Für Gerhard Schröder, der sich, wie die taz berichtet, erst dann
entschloss, zur Baubeginn-Zeremonie zu kommen, als feststand, dass Diepgen
nicht kommen würde?
Nein, denn hier
kommt es nicht nur darauf an, was man will - ein Mahnmal mit oder ohne
Dokumentationszentrum oder eben gar keines -, sondern vor allem darauf,
warum man es will. Und in seine Beweggründe gab Naumann, der seit
seiner Berufung zum Staatsminister eine erstaunliche Wandlung vom erklärten
Gegner des Mahnmals zu dessen quasi offiziellem Visionär durchgemacht
hat, letzte Woche auf der Internationalen Holocaust-Konferenz in Stockholm
einen tiefen Einblick. Dort führte der Staatsminister für Kultur
eine Idee weiter aus, die er schon im vergangenen Jahr immer wieder einmal
öffentlich vertreten hatte: Die Gründung einer »Völkermordfrühwarnstation«,
die dem Mahnmal neben einer Bibliothek und einer Ausstellungsfläche
angeschlossen werden soll.
Mindestens 100 »genozidale
Akte«, so Naumann in der schwedischen Hauptstadt vor den Delegierten
aus 46 Teilnehmerstaaten, habe es seit der deutschen Kapitulation im Mai
1945 gegeben. Beispiele? Die »Völkermorde« an den Chinesen
und Ost-Timoresen in Indonesien, an den Kurden, an »15 Naturvölkern
im amazonischen Regenwald Brasiliens«, an den Bosniern im »bereits
mehfach genozidal aktiv gewordenen Serbien / Jugoslawien«.
Naumann ist nicht
so dumm, als dass er den Unterschied nicht kennte, der eine Gleichsetzung
dieser Massenmorde mit dem Holocaust verbietet. An einer Stelle seiner
Rede verweist er auf den Ursprung des Wortes »Genozid»: 1943
sprach Raphael Lemkin, ein nach London geflohener Jurist polnisch-jüdischer
Herkunft, erstmals von »ludobojstwo«, im Jahr darauf fand das
Wort Eingang in die englische Sprache. Der Bezug auf das singuläre
Verbrechen des Holocaust ergibt sich also schon aus der Entstehungsgeschichte
des Wortes. Naumann vergisst auch nicht, die 1948 verabschiedete UN-Konvention
über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords zu erwähnen,
die sich implizit ebenfalls mehrfach auf die nationalsozialistischen Verbrechen
bezieht. Trotzdem, Naumann bleibt dabei: »mindestens 100 genozidale
Akte«.
Das Institut, das
dem Staatsminister vorschwebt, soll ständig beobachten, ob in verdächtigen
Staaten sechs von ihm aufgeführte Anzeichen vorliegen, die auf eine
Vorbereitung zum Völkermord hindeuten: die adressenmäßige
Erfassung von Opfergruppen etwa oder die Entlassung von Offizieren aus
der Armee, die nicht bereit sind, am »Genozid« mitzuwirken.
Damit soll die Gefahr schon frühzeitig erkannt werden, damit - ja,
damit was? Naumann nennt zwei Beispiele: Zum einen lobt er Gerhard Schröders
Diktum vom 24. März 1999: »An unserer Entschlossenheit, das
Morden im Kosovo zu beenden, besteht kein Zweifel.« Zum anderen kritisiert
er die Weigerung der UN-Führung im Frühjahr 1994, dem kanadischen
Kommandeur der UN-Truppen in Ruanda freie Hand für ein militärisches
Eingreifen gegen die Tutsis zu gewähren.
Die implizite Handlungsanweisung
ist klar: Die »Völkermordfrühwarnzentrale« (allerdings
wird sich dieses Wort nicht durchsetzen, weil es sich in keine andere Sprache
übertragen lässt) soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt
die Rechtfertigung für ein militärisches Eingreifen gegen die
Schurken dieser Welt liefern. Dadurch, dass die Institution, die solche
Empfehlungen ausspricht, den Begriff des »Holocaust« in Namen
und Adresse führt, soll deren Empfehlungen der Rang eines moralischen
Imperativs verliehen werden. An der Staatsräson, die ein Bombardement
Jugoslawiens für moralisch notwendig, Sanktionen gegen die Türkei
jedoch für kontraproduktiv hält, ändert sich dadurch selbstverständlich
nichts. Wie nannte Martin Walser das? »Die unaufhörliche Instrumentalisierung
unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken«. Dass die Instrumentalisierung
so aussehen würde, konnte sich Walser bei seiner Friedenspreisrede
wohl noch nicht vorstellen.
Jetzt ist also raus,
was Naumann eigentlich mit seinem »Ort der Information« will.
Dass bei ihm am Schluss etwas herauskommen würde, was das ursprüngliche
Konzept des archtitektonisch-künstlerischen Wettbewerbs verwässern
würde, war von Anfang an klar. Man erinnere sich: Zuerst wollte er
ein Museum statt eines Mahnmals, dann sollte das Stelenfeld auf etwa die
Hälfte verkleinert werden, dann begeisterte sich Naumann für
die Idee, Steven Spielbergs Shoah Foundation auf dem Gelände anzusiedeln.
Es gab eine Zeit, da verging kaum eine Woche, ohne dass der Minister nicht
mit irgendwelchen phantastischen neuen Ideen aufgewartet hätte, die
doch alle nur den einen Effekt hatten: Die Verwirrung in der Öffentlichkeit
zu verstärken und Zweifel zu säen, ob das Projekt überhaupt
je realisiert werden würde.
Also Stelenfeld
pur, ohne Naumann-Elemente? Das wäre sicherlich die bessere Lösung.
Doch leider werden sich die Naumann-Planungen nur in architektonischer
Hinsicht zurückdrängen lassen. Politisch wird das Denkmal, egal,
was nun gebaut wird, die Funktion haben, die Naumann skizziert hat: Als
Manifestation der vorgeblichen Reue in der Mitte der deutschen Hauptstadt
wird es der Berliner Republik zur unausgesprochenen Rechtfertigung dienen,
wann immer sich für irgendetwas kein anderes moralisches Argument
finden lässt: with Auschwitz on our side.
Fast schon ein Grund,
gegen das Mahnmal zu sein. Bis dann die nächste Nazi-Demo vorbeizieht,
bis das erste Hakenkreuz auf eine der Stelen gesprüht wird. Dann weiß
man: Als Provokation - und nur als solche - hat das Denkmal doch seine
Berechtigung.