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Grimmas bunte Welt

Wie sich die Einwohner eines kleinen sächsischen Ortes aufmachen, antifaschistischen Widerstand zu leisten - und wie auch die PDS Farbe bekennt. von ivo bozic und christoph wittwer

Im sächsischen Muldentalkreis ist man sich offenbar einig: Man will keine NPD-Demo am 1. Mai in Grimma. Diese für Kenner des Muldentals überraschende Nachricht wird allerdings durch eine gar nicht so überraschende weitere Nachricht relativiert. Denn die Muldentaler sind sich auch darin einig, dass sie keine Antifa-Demo wollen. Sie wollen überhaupt keine Demo, keinen Ärger, keinen Krawall, kein Aufsehen (Jungle World, 17/00).

Schließlich ist man froh, dass es jetzt wenigstens um Wurzen etwas ruhiger geworden ist. Dort sitzt seit den letzten Kommunalwahlen der NPD-Funktionär Markus Müller im Stadtrat, und im Jugendclub Schweitzergarten trifft sich nach wie vor die rechte Szene. Die Clubleiterin bestreitet das zwar, der Club sei offen für alle. Allerdings: Wenn »mal ein Linker kommt«, werde der aufgefordert, sich zu waschen. »Die riechen doch immer so.« Also Ruhe in Wurzen. Alles ganz normal und geruchsneutral in dem sächsischen Städtchen.

Ebenso ruhig wünscht man es sich im benachbarten Grimma. Doch drohen ein Nazi-Aufmarsch am 1. Mai und Gegenaktionen der Antifa die gewünschte Totenstille zu stören. Ob und, wenn ja, wie viele Nazis nach Grimma, der »Perle des Muldentals«, reisen werden, ist völlig offen. Die NPD hat für diesen Tag bundesweit zahlreiche Demonstrationen angemeldet, darunter auch eine im nicht fernen Dresden.

Doch wie dem auch sei, Grimmas Bürgerinnen und Bürger wollen sich dem braunen Treiben nicht beugen. So luden vor ein paar Wochen der Evangelische Kirchenkreis und Grimmas Bürgermeister Osmar Brück zu einer Bürgerversammlung ins Rathaus. Dort erklärte ein Vertreter des Landratsamtes, dass ein Verbot nicht durchsetzbar erscheine - weswegen man es auch gar nicht erst versuchen brauche. Dasselbe Amt hatte noch vor einem Jahr alles nur Denkbare unternommen, um eine von der PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt angemeldete Antifa-Demo in Wurzen zu verbieten.

Also kein Verbot. Stattdessen Protest. Die Fraktionen des Kreistages - von CDU bis PDS - verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung. Darin wird beklagt, dass durch den NPD-Aufmarsch »der Ruf der Mitbürgerinnen und Mitbürger des Muldentalkreises als weltoffen und tolerant nachhaltig geschädigt« werde. Und weiter: »Schützen wir uns und unsere Region vor Leuten, die Unzufriedenheit und Gewalt säen!« Es gelte, allen freiheitsverachtenden Kräften entgegenzutreten. Das klingt kämpferisch und führte bei der Bürgerversammlung in Grimma zu dem mutigen Plan, den Nazis am 1. Mai mit »zivilem Widerstand« zu begegnen.

Und das sieht so aus: Alle Grimmaer - besonders jene, die entlang der Wegstrecke des Nazi-Umzuges wohnen - werden aufgefordert, ihre Häuser mit »bunten Tüchern zu schmücken«. Damit soll jedoch nicht - wie man leicht annehmen könnte - der Nazi-Umzug dekoriert werden, sondern es geht um »stumme, bunte Gegenwehr«, wie es ein Vertreter des Stadtjugendrings formulierte. Gleichzeitig werden Plakate aufgehängt mit der Losung »Die Welt ist bunt, nicht schwarz-weiß. Grimmas Bürger bekennen Farbe gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2000 in ihrer Stadt«. Am 1. Mai dann, so der geniale Plan des Grimmaer Stadtvolks, hat man damit Protest zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig Konfrontationen mit den Rechten auf der Straße verhindert. Die Ruhe als oberstes Gebot scheint gerettet.

Doch es gibt immer ein paar Querulanten, die keine Ruhe wollen, sondern denen es darum geht, Naziaufmärsche zu verhindern. Das Leipziger Bündnis gegen Rechts und weitere linke Gruppen aus Sachsen unterstützen eine Antifa-Demo in Grimma, die der Wurzener Stadtrat Jens Kretschmar angemeldet hat. Und auch aus der PDS gibt es Stimmen, die neben dem stillen Tücher-Protest dazu aufrufen, den Nazis nicht die Straße zu überlassen.

In der Landtagsfraktion von Sachsen unterstützen jedoch nur einzelne Abgeordnete die Antifa-Demo. Der Landesvorstand um Parteichef Peter Porsch will mit der Demo gar nichts zu tun haben, ebensowenig wie der einflussreiche Stadtverband Leipzig. Porsch und der Vorstand hatten sich schon im letzten Jahr gegen Antifa-Aktionen in Wurzen gewandt.

Ebenfalls verweigert wird eine Unterstützung durch die PDS Dresden. Die überzeugte in den letzten Wochen ohnedies nicht gerade durch antifaschistisches Engagement. Dabei hätte es in der sächsischen Landeshauptstadt reichlich Gelegenheit dazu gegeben: Doch zu den Nazi-Aufmärschen am 13. Februar und 25. März schwieg der Ortsverband ebenso wie zu der von Rechten gestörten Veranstaltung einer jüdischen Begegnungsstätte und zu der öffentlichen NPD-Veranstaltung mit Manfred Röder am 18. April. Auch zu dem geplanten Nazi-Aufmarsch am 1. Mai in Dresden war von der PDS bisher noch nichts zu vernehmen.

Während aus Sachsens PDS also fast jede Unterstützung für die Grimmaer Antifa-Demo ausbleibt, meldeten sich vorletzte Woche in einem Offenen Brief aus Berlin sechs Bundestagsabgeordnete zu Wort, die für die Unterstützung der Demo warben: neben Angela Marquardt, Heidi Lippmann und Carsten Hübner auch die sächsischen PDS-Politiker Barbara Höll, Ilja Seifert und Täve Schur. Aus Magdeburg sagte der Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner seine Unterstützung zu.

Enttäuscht über die sächsische PDS meldete sich nun Demo-Anmelder Kretschmar, der - als Parteiloser - für die PDS im Wurzener Stadtrat sitzt, in einer Erklärung zu Wort: »Von euch als linker Partei erwarte ich eine Unterstützung der Gegendemonstration!« Dem Landesvorstand wirft Kretschmar vor, aus Angst, Wähler zu verprellen, keinen Antifaschismus mehr praktizieren zu wollen. »Statt sich weiter unter dem Namen PDS um jede erdenkliche Stimme zu bemühen (...), könntet ihr doch geschlossen in die SPD wechseln«, schlägt er den Genossen vor. Die PDS könne doch nicht einfach den Nazis den Versuch durchgehen lassen, den 1. Mai zu einem Tag der nationalen Arbeit umzuwidmen.

Doch die PDS in Dresden bleibt hart. Und die im Muldentalkreis sowieso. Kreisvorsitzende Kerstin Köditz, die sich im letzten Jahr mit Händen und Füßen gegen eine Antifa-Demo in Wurzen gewehrt hatte (»Demo-Tourismus!«), will das einmalige Bündnis von CDU bis PDS nicht gefährden. Antifa-Chaos also bei der PDS: Während es die einen als »neue Qualität« sehen, dass so viele Grimmaer Bürger sich - wenn auch nur stumm - gegen den Nazi-Aufmarsch positionieren wollen, empfinden das andere als Entsolidarisierung mit denjenigen, die sich den Nazis tatsächlich entgegenstellen wollen.

Kerstin Köditz jedenfalls ist sich treu geblieben. Sie gehörte bereits 1998 zu den Autorinnen eines - später verworfenen - PDS-Antifa-Konzeptes, das sich von autonomen Antifas scharf distanzierte. »Der ständige Druck auf rechte Kleingruppen« habe diese »nicht zerschlagen, sondern zusammengeführt und gefestigt«, lautete die überraschende Analyse von Köditz und Co. Da ist es nur logisch, dass man jetzt nicht zu viel Druck auf die NPD ausüben will und lieber mit der CDU ein Bündnis zum Schutz des guten Rufes des Muldentals eingeht.
 

Die Antifa-Demo beginnt am 1. Mai um 10 Uhr am Hauptbahnhof Grimma. Antifa-Infotelefon Leipzig: 0341 - 940 54 07. Weitere Infos:www.free.de/infotelefon