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Broschüre der Grufties gegen Rechts / Music For A New Society
- For A New Society c/o St.Pauli-Str.10/12, 28203 Bremen geister.bremen@gmx.de

Die Geister die rief

Angesichts der Tatsache, daß sich auch in Teilen der Dark Wave / Gothic-Szene seit einiger Zeit rechtsextreme, nationalistische und neofaschistische Tendenzen breit machen (wie teilweise auch schon bei Ska, Punk, Heavy Metal und Techno) wollen wir - verschiedene Wave/Gothic/EBM und Industrial-DJ's - uns als Teil dieser Szene hiervon öffentlich distanzieren. Gerade weil wir wissen, daß es Quatsch ist, die ganze schwarze Szene als rechts abzustempeln, halten wir es für unabdingbar, sich klar von rechten Strömungen, Bands, Zeitungen und Labels abzugrenzen. Rechtsradikale Bestrebungen innerhalb unserer vielfältigen Sub-Kultur dürfen genauso wenig wie in Politik und Gesellschaft geduldet werden. Wir wollen das Schweigen brechen!

Anlässe gibt es genug:

Was wollen die Nazis eigentlich von uns?

Die wiederholten Versuche, vor allem von Seiten der neurechten Zeitungen "Junge Freiheit" (JF) und "Sigill",in der Dark Wave / Gothic - Szene mit ihren Ideologien Fuß zu fassen, werden erst verständlich, wenn man den ideologischen Hintergrund der "Neuen Rechten" kennt. Ihr strategischer Kopf fürs Bedienen von Jugend- und Musik-Szenen ist der langjährige "Junge Freiheit"-Redakteur und Stipendiat der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung Roland Bubik. In der JF machte Bubik zunächst durch seine "mit spätpubertären Ernst-Jünger-Phantasien7 aufgeladene Begeisterung für Techno von sich reden" (SPEX Mai 1996). Sein Traum von "Stahlgewittern als Freizeitspaß" veranlaßte denn auch "Die Woche", den Techno-DJ Westbam gegen ihn antreten zu lassen. Bubik vollzog bald eine Kehrtwendung, da die Techno-Szene wenig geneigt schien, ihn und seinesgleichen als "Führer" anzuerkennen. Daraufhin distanziert sich Bubik von Techno, bezeichnet ihn plötzlich als "seelische Vergewaltigung durch Beat-Computer und Masse." (SPEX Mai 1996). Ein alternatives Schlachtfeld für den Kulturkampf hatte Bubik dann in einem Beitrag zu dem Sammelband "Die selbstbewußte Nation" ausgemacht: die "Gothic Szene". "Da offenbart sich unversehens die Sehnsucht nach dem Mystischen..." Hieran gelte es anzuknüpfen, denn die Rechte stehe "vor einem großen Wagnis: Sie muß sich emotional erfahrbar als die 'Partei des echten Lebens' durch Medienmittel darstellen, die hochgradig artifiziell sind (aus "Die selbstbewußte Nation"). Anläßlich der Verleihung des "Zillo"-Preises an Tilo Wolff (Lacrimosa) veröffentlichte Bubik in der "Jungen Freiheit" eine Reportage, die die Vorhaben der "Neuen Rechten" mit uns klarer verdeutlicht: "Deutschland ist das Zentrum einer Musikkultur geworden, die ihre Wurzeln im antimodernistischen Gestus der 'Gothic-' (gemeinhin auch Gruft-) Szene besitzt. (...) Dieses Gemisch birgt eine Sprengkraft, vor der sich alteingesessene Sittenwächter des Musik-Mainstreams in Acht nehmen müssen. Wenn das Mystische und Irrationale, der Wunsch nach anti-aufklärerischer Innenschau und gelebter Transzendenz ihre Stimme in der Jugendkultur finden, ist der ästhetische Konsens des Westens durchbrochen. Wenn die Bezugspunkte Mittelalter und deutsche Geisteskultur darstellen statt 'Love and Peace', wenn die Seele gegen den Intellekt ins Feld geführt wird - dann schneidet sich ein Keil in das Establishment oberflächlicher Beliebigkeit. Daß derartige Tendenzen immer deutlicher vernehmbar werden, daran hat das 'Zillo' entscheidenden Anteil." ("Junge Freiheit" 4/96)

Filip Dewinter, Fraktionsvorsitzender des rechten Vlaams Blok (Belgien) drückte das in einem Interview mit dem bereits erwähnten Peter-Boßdorf so aus: Auf die Frage nach der kulturellen Strategie der Öffnung des Vlaams Blok "zur modernen Jugendkultur" antwortete er: "Die Jugendkultur als dekadent und verwerflich abzutun, erscheint mir völlig verkehrt. Natürlich gibt es Auswüchse, beispielsweise Drogen, Homo-Ehe und Permissivität (= Freizügigkeit, Anti-Autoritäres). Das bedeutet aber doch nicht, daß man das Kind mit dem Bade ausschütten soll. Wir müssen versuchen, Anschluß an die heutige Jugendkultur zu finden. Wenn es uns nicht gelingen sollte, uns von einem verkrampften Konservatismus loszusagen, der alles, was mit Jugendkultur zu tun hat, von Rock'n'Roll bis Jeans, als 'des duivels' (des Teufels) betrachtet, befürchte ich, daß wir jede Symphatie verlieren werden" ("Junge Freiheit" 35/95).

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, nennt als eine der Ursachen für den erheblichen Anstieg rechtsextremer Gewalttaten die "steigende Attraktivität der einschlägigen Musik" (nach Antifaschistisches Regionalinfo).
 
 

Fußnoten

1. Junge Freiheit: rechtsextreme Wochenzeitung der "Neuen Rechten". Sie versucht, die Grenzen zwischen organisierten Neonazis und Konservativen zu überwinden und damit mit ihren politischen Vorstellungen in die "Mitte der Gesellschaft" vorzudringen. Die "Junge Freiheit" wird selbst vom Verfassungsschutz als "rechtsextrem" eingestuft und ihre Lesekreise inklusive geheimdienstlicher Mittel beobachtet.

2. Peter Boßdorf: war bis 1989 stellvertretender Vorsitzender in der offiziellen Studentenvertretung der organisierten Vertriebenen "Ostpolitischer Deutscher Studentenverband" (ODS) (inzwischen GDS - Gesamtdeutscher Studentenverband), 1985 wird er als Mitglied des "Witikobundes" geführt, einer ultrarechten "Plattform" innerhalb der "Sudetendeutschen Landsmannschaft", 1992 wird er Mitglied des neurechten Thule-Seminars. Zeitweise engagiert er sich zudem in der Kommunalpolitik für die"Republikaner" und schreibt für die rechtsradikale Zeitung "Nation und Europa".. Unterhält Kontakte zum rassistischen "Vlaams Blok", einer nationalistisch-separatistischen Partei aus Belgien.

3. Leni Riefenstahl: Nazi-Filmemacherin und - Fotografin. Innerhalb der rechten Szene gilt sie als Avantgardistin der "artgerechten Kunst". Adolf Hitler beauftragte sie persönlich zur filmischen Darstellung seiner Person und der NSDAP-Parteitage. Riefenstahl ästhetisierte Hitler in "Triumph des Willens" über den NSDAP-Parteitag 1934. In den Olympia-Filmen "Fest der Schönheit" und "Fest der Völker" idealisiert sie erneut die "arische Rasse" und Volksgemeinschaft. Die heute 95jährige Riefenstahl hat sich nie klar von ihrer NS-Vergangenheit und ihrem persönlichen Kontakt zu Hitler distanziert.

4. Ernst Röhm: SA-Führer bis Juni 1934. Die SA war verantwortlich für die blutigen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern in der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Röhm wurde 1934 aus machtpolitischen Gründen von Hitler hingerichtet

5. Nachzulesen in einem Interview mit Patrick O'Kill im Booklet der CD "The Little Death" von Six Comm/Mother Destruction (1994)

6. "Die Protokolle der Weisen von Zion": Der Text geht zurück auf die antimonarchistische Satire "Dialog in der Hölle" des französischen Journalisten Maurice Joly von 1864. Die absolut nicht antisemitische Satire wurde 1896/97 vom russischen Geheimdienst zur folgenreichsten antisemitischen Verschwörungstheorie umgeschrieben. Die gefälschten "Protokolle" enthalten sämtliche bekannten antisemitischen Ressentiments: von einer angeblichen "jüdischen Weltverschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft" über "gekaufte Parlamente und Presse" bis zu "Plänen, die christliche Familie zu vernichten. Zar Nikolaus II. - selbst glühender Antisemit - war zunächst begeistert, ließ die Verbreitung des Textes dann aber verbieten, weil er annahm, daß eine so platte Fälschung für eine antisemitische Kampagne untauglich sei. Doch die Verbreitung der "Protokolle" war nicht mehr aufzuhalten. 1903 erschienen sie erstmals in der Zeitschrift "Snamja" der "Schwarzhundertschaften", einer Bande von erzreaktionären antirevolutionären Terroristen. 1905 wurden sie als "Dokument" in der 2. Auflage des Buches "Das Große im Kleinen" des russischen Mystikers Sergej Nilus abgedruckt. Der amerikanische Autohersteller Henry Ford kaufte eigens eine Zeitung samt Verlag, um die Hetzschrift im englischen Sprachraum bekanntzumachen. In Deutschland sponserte das Haus Hohenzollern Anfang der 20er Jahre die Verbreitung der "Protokolle". Adolf Hitler referierte darüber in "Mein Kampf". In Deutschland wird die Verbreitung der "Protokolle" heute strafrechtlich verfolgt. "Der Text vermeidet es weitgehend, irgendwelche Namen, Orte oder Jahreszahlen zu nennen - auch darum ist er bis heute das Manifest der Antisemiten geblieben, beliebig anwendbar, weil er so beliebig ist." (konkret 7/98). "Hundert Jahre nach ihrer Entstehung sind die "Protokolle" so populär wie nie zuvor" (konkret 8/98).

7. Ernst Jünger (1895 - 1998): Nahm 1914 als Kriegsfreiwilliger am I. Weltkrieg teil. Ab 1925 freier Schriftsteller. Mitarbeiter in Zeitschriften der nationalen Rechten. 1939 wurde er von den Nazis als Hauptmann reaktiviert. 1945-1949 unterlag er einem Publikationsverbot, weil er sich weigerte, den Entnazifizierungs-Fragebogen der Alliierten auszufüllen. Sein berühmtestes Buch ist "In Stahlgewittern - Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers" (1920). Ernst Jünger genießt auch heute noch großes Ansehen in konservativen Kreisen bis hin zu Bundeskanzler Helmut Kohl.

8. London After Midnight: US-amerikanische Tunten-Goth-Band. Ihr Song "Revenge", der mit einem Hitler-Sample beginnt, wurde von manchen fälschlicherweise als nazistisch interpretiert. Laut Auskunft eines Bandmitglieds haben sie sich Hitler herausgesucht, weil er als Sample für ein Song gegen Ignoranz und Vorurteile am geeignetesten erschien, "because he was the biggest asshole we could find". "You cannot judge / what you don't understand / take the blade / from the child's hand... you say a fall from grace would suit me well / well you can crawl straight back to hell! "Der Refrain lautet: "Repense - Remorse - Revenge" (Bereue - Reue - Rache!). LAM beziehen sich auf solche Größen wie die Dead Kennedys, Courtney Love und William S. Burroughs und sind - obwohl sie das - von neofaschistischen Organisationen häufig - benutzte "Keltenkreuz" als Symbol verwenden (wie auch Velvet Undergrounds Nico) - klar in ihrem antifaschistischen Standpunkt.
 
 

Quellen:
Antifaschistisches INFOblatt Nr. 35, Juli / August 1996: "Kippen die 'Grufties' nach rechts?"
Antifaschistisches Regionalinfo April 98 und zwei weitere Ausgaben
Black Book: verschiedene Ausgaben 1996
Glasnost Nr. 37 (Jan./Febr. 1993), zitiert in: Interim Nr. 421, S.22/23
tageszeitung "junge Welt" vom 9.12.96, Artikel über den VAWS-Vertrieb
Jungle World Nr. 35 (28.8.97), S. 11: "Riefenstahl neutral - Mit Riefenstahls Ästhetik kämpfen auch Neurechte gegen die Moderne und den 'sinnentleerten         Zeitgeist'"
Orkus (MusikMagazin) Nr. 5, Mai 1996: Interview mit Sean Brennan von London After Midnight
ÖkoLinX 27 Winter/Frühjahr 97/98: "Realo-Kneipe 'Batschkapp' verschafft rechtsextremer Dark-Wave-Band 'Death in June' Auftritt"
SPEX Mai 1996: "Aufstand gegen die Moderne"
Zillo 2/92: Death In June
verschiedene CD's von Death In June, u.a. "The Brown Book", "Sun Dogs", "Something Is Coming" und "The Guilty Have No Past"