4. August 1999
Jungle World
Cameraden beim 'Zillo'
Auf dem Zillo-Festival in Hildesheim
soll die rechtsextreme Band Kirlian Camera spielen
Beim Zillo ist alles easy.
Deswegen spielen nicht nur Bands wie Deine Lakaien und Paradise Lost am
14. und 15. August auf dem Hildesheimer Festival, das von dem Independent-Magazin
Zillo organisiert wird.
Neben dem national gewendeten
NDW-Opa Joachim Witt ist die rechtsextreme Band Kirlian Camera angekündigt,
die auch beim diesjährigen Leipziger Wave & Gotik-Treffen mit
dabei war. Angelo Bergamini, Kopf der italienischen Elektro-Wave-Gruppe,
verabschiedete sich letztes Jahr bei einem Konzert in Berlin mit der neonazistischen
Variante des Hitlergrußes.
Was manche unter dem Label
"künstlerische Freiheit" als Provakation relativieren, ist für
andere zu Recht ein Protestgrund. Denn Bergamini verharmlost nicht nur
den Nationalsozialismus ("das wirkliche faschistische Verbrechen ist die
Dummheit") und bezeichnet Amerika als "Seuche". Er verehrt überdies
den 1938 ermordeten rumänischen Faschisten und Antisemiten Corneliu
Zelea Codreanu.
Codreanu, Gründer der
Legion Erzengel Michael (1927) und der Eisernen Garde (1930), hat Kultstatus
im rechtsextremen Musik-Underground. Auf der CD "Todesengel. The Fall of
Life" auf dem Track "U-Bahn V. 2 'Heiligenstadt'" sampelte Kirlian Camera
eine Rede Codreanus. "Ich nahm den Song im Februar 1989 mit einem Teil
von Codreanus Rede auf. Zu dieser Zeit suchte ich solches Material, um
seine Legion zu ehren", erzählt Bergamini im rechten Darkwave-Fanzine
Sigill (Heft 12). Auch in Büchern über die Eiserne Garde fand
er "einige interessante Sachen, aber es ist schwierig, all den Judenhaß
zu akzeptieren".
Selbst der der Totalitarismustheoretiker
und Revisionist Ernst Nolte schätzte bereits 1966 Codreanus Eiserne
Garde "nicht nur als faschistisch" ein: "Sie ist vielleicht sogar die interessanteste
und vielseitigste aller faschistischen Bewegungen, weil sie (...) ebensowohl
vorfaschistische wie radikalfaschistische Kennzeichen in sich vereint."
Die Legion hatte nach Nolte "nur eine Hauptintention, den Kampf gegen das
Judentum und alles, was ihr als 'jüdisch' galt". Antisemitismus war
nicht nur ideologische Grundlage, sondern Motivation für den "individuelle(n)
Terror" der Legion.
Bergaminis Versuch, Codreanu
ohne Antisemitismus zu rezipieren, ist allenfalls propagandistischer Schrott.
"Es gibt schon einen Bezug zwischen ihm und der musikalischen Atmosphäre",
heißt es im Sigill-Interview. Dies paßt gut in die Strategievorstellungen
neurechter Kulturkämpfer, über eine scheinbar neutrale, "unpolitische"
Ästhetik ihre Weltsicht unter die Leute bringen zu wollen.
Für den kulturkampferprobten
rechtsextremen Verlag VAWS produzierte Bergamini den Track "Stalingrad",
der 1998 auf dem Sampler zu Ehren des Nazi-Bildhauers Josef Thorak (Jungle
World, Nr. 42/98) erschien. Auch in der aktuellen Ausgabe des Zillo (Juli/August
1999) kommt der Codreanu-Freak mit Verharmlosungen zu Wort: "Die Ästhetik
des Dritten Reiches ist zweifellos faszinierend. (...) Nun, ich mag die
Nazi-Ästhetik, das kann ich nicht leugnen", äußert er unwidersprochen
in einem Interview mit Dirk Hoffmann.
Und wie viele andere Kameraden,
die eine "Querfront" (Jungle World, Nr. 11/99) propagieren, verweist Bergamini
auf frühere Bandmitglieder, "Schwarze, Weiße, Juden, Faschisten,
Kommunisten, Christen, Schwule, Anarchisten", um den Neofaschismus-Vorwurf
zu entkräften.
Ebenso kritiklos hatte Hoffmann
bereits 1994 und 1996 über Kirlian Camera im Zillo berichtet. Kein
Wunder, war damals noch Rainer 'Easy' Ettler Herausgeber der Zeitschrift:
Die Junge Freiheit (JF) konnte mit einem Bild von Forthcoming Fire um Josef
Klumb eine Anzeige schalten. Zuvor hatte es schon regelmäßige
Mitteilungen über Veröffentlichungen des VAWS gegeben. Mit Peter
Boßdorf war zeitweise sogar ein JF-Stammautor ständiger Mitarbeiter
beim Zillo.
Ettler distanzierte sich
zwar nach Protesten aus der Szene, zugleich verharmloste er das Problem
durch totalitarismustheoretische Gleichsetzungen von Rechts und Links.
Erst nach Ettlers Tod hat sich das Zillo gegen rechte Vereinnahmungsversuche
gewehrt und Boßdorf vor die Tür gesetzt. Heute jedoch scheint
das Zillo wieder ganz auf der politischen Linie des früheren Herausgebers
zu liegen.
Beim Leipziger Wave &
Gotik-Treffen über Pfingsten hatte das Magazin eine Podiumsdiskussion
zum Thema "Eine braune Flut - gibt es rechte Tendenzen in der Schwarzen
Szene?" geplant. Neben Vertretern der Bremer DJ-Initiative Grufties gegen
Rechts und dem Sozialwissenschaftler Alfred Schobert waren Campino, Joachim
Witt, Rammstein und Gabi Delgado (DAF) geladen.
Da von den Musikern nur Witt
zusagte, sollte der Ex-Weissglut- und Forthcoming Fire-Sänger Klumb
die Lücke füllen. Angesichts früherer Gewalttätigkeiten
und Klumbs Verstrikkung in den Rechtsextremismus, sagten Schobert und die
Bremer Initiative ab. Klumb sollte keine Gelegenheit geboten werden, über
eine öffentliche Diskussion wieder aufgewertet zu werden.
Das Zillo sieht das anders
und begibt sich auf argumentativen Kuschelkurs mit den Rechten. Mitarbeiter
Ecki Stieg klagt über die "faschistoide(n) Methoden" von Klumbs Kritikern
und findet es "falsch", diesen als "'rechtsradikalen Funktionär' zu
stigmatisieren". Joachim Witt bläst ins gleiche Horn und halluziniert
von einem "weiten Feld faschistoider Repressalien". "Pathos ist eben nicht
gleich Nationalsozialismus", meint der "überzeugte Humanist" und PDS-Wähler
Witt.
Beim Zillo steht man nun
in (alt)bekannter Manier über den "Kategorien rechts/links" und hält
durch einen falsch verstandenen Pluralismus eine Flanke nach Rechtsaußen
offen. Daß man so den Boden für erneute Infiltrationsversuche
der modernisierten Braunen in die Schwarze Szene vorbereitet, zeigt sich
in der Jungen Freiheit, die bei solchen Tönen die "Immunität
der Szene gegen totalitäre Meinungswächter" (Nr. 23/99) bejubelt.
In Hildesheim wird bereits
gegen den geplanten Auftritt von Kirlian Camera mobilisiert. Festivalplakate
wurden mit Boykott-Aufrufen überklebt, und weitere Aktivitäten
sind zu erwarten.
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