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Friedrichshainwww.infoladen-daneben.de | //start/archiv/fhain/1998-03 |
Feuerteufel in Friedrichshain - LKA mit leeren Händen Im Ostberliner Bezirk brennen Dächer ehemals besetzter Häuser In Friedrichshain ist der Feuerteufel los. Und der tobt im Ostberliner Bezirk mit der höchsten Bevölkerungsfluktuation der Hauptstadt zumeist in ehemals besetzten Häusern. Fünfmal hat es allein in den zurückliegenden sechs Monaten gezündelt. Freke Over, Mitglied der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und selbst ehemaliger Hausbesetzer in Friedrichshain, zählt innerhalb eines Jahres zehn Brandanschläge auf alternative Wohnprojekte. Und obwohl die Polizei jedesmal Brandstiftung als Ursache feststellte und sich das Feuer immer zugunsten der Hauseigentümer auswirkte, ist es zu keinem einzigen Strafbefehl, keiner einzigen Anklage geschweige denn Verurteilung eines Feuerlegers gekommen. Den ersten Brand einer richtigen Serie gab es in dem Eckhaus Rigaer Straße 84/Proskauer Straße 10 am 6. Juli 1997. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Streit zwischen den ehemaligen Besetzern und der Hausverwaltungsgesellschaft HVG gegeben. Die Mieter befürchteten, die Gesellschaft mit Sitz in Charlottenburg wolle den Altbau in eine Vielzahl kleiner Yuppie- Appartements verwandeln. Dagegen beklagte sich die HVG, der Widerstand der Bewohner gegen Sanierungsarbeiten hätte schon zwei potentielle Käufer abgeschreckt. Der von der Gesellschaft beauftragte Bauunternehmer Manfred Leubert mietete sich in der Ladenwohnung im Erdgeschoß des Hauses ein. Die brannte bald danach ab, wodurch der erste Stock lange Zeit unbewohnbar war. Einem Mieter der Wohngemeinschaft im vierten Stock drohte Leubert dann: »Paß auf, sonst leg' ich Feuer!« Am Morgen des 5. Juli erwischten die Bewohner Leubert auf dem Dachboden. Was er dort zu suchen hatte, konnte er nicht erklären. Genau 24 Stunden später brannte der Dachstuhl des Eckhauses gleichmäßig auf ganzer Länge. Die obdachlos gewordenen 40 Bewohner erstatteten Anzeige. Die Polizei stellte Brandstiftung als Ursache des Feuers fest. Das Landeskriminalamt schaltete sich ein und ermittelte gegen Manfred Leubert und einen HVG- Mitarbeiter. Die Untersuchungen wurden im Oktober vergangenen Jahres ergebnislos abgebrochen. Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärte, es habe nicht genug Hinweise gegeben, daß sich eine Anklage gegen den Bauunternehmer und die Hausverwaltung vertreten ließe. Sprengstoffmassen im Dachstuhl Auch die Scharnweberstraße 28 war ein besetztes Haus der ersten Stunde. Im Februar 1997 zerstörte ein Feuer den Großteil des Dachstuhls - nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Die Mieter, die das Dach in Eigenleistung reparierten, beteuerten, es habe schon zuvor drei Anschläge gegeben. Wieder ermittelte das LKA gegen Brandstifter. Schließlich hatten die Beamten eine verkohlte Matratze und eine benzingetränkte Kordel gefunden. Als die Ermittler dann noch Sprengstoff im Wert von 30 000 Mark aus dem Dachstuhl zogen, war klar: Hier waren Profis am Werk. Doch trotz eines Anfangsverdachtes, so ein Polizeisprecher, habe letztlich nichts nachgewiesen werden können. Am 29. Juli 1997 wurde das Haus polizeilich geräumt. Am 22. August lehnte das Bezirksamt Friedrichshain einen Abrißantrag des Hauseigentümers ab. Einen Tag später brach ein Großfeuer aus, bei dem der Dachstuhl und die zwei obersten Etagen abbrannten. Die Feuerwehr kam erst spät in das Haus, weil das Gebäude, um mögliche Neubesetzungen zu verhindern, mit Sicherheitsplatten verrammelt worden war. Es wurden Spuren von Brandbeschleunigern gefunden. Das LKA ermittelte auch hier erfolglos. Gleichzeitig mit der Scharnweberstraße 28 war auch die Rigaer Straße 80 Ende Juli geräumt worden. Hauseigentümer Sven Rosemann hatte schon im Mai das Wasser abgestellt. Drei Jahre zuvor war Rosemann nach einem Überfall auf das Haus wegen Nötigung zu 18 000 Mark Strafe verurteilt worden. Bei dem Versuch seiner »Privaträumung« durch 15 maskierte Wachschutzmänner mit Knüppeln und Schreckschußwaffen war ein Bewohner schwer verletzt worden. Kurz zuvor sei ein Feuer im Dachstuhl ausgebrochen, berichten die Besetzer. Sie hätten jedoch selbst löschen können. Der Rausschmiß durch eine Polizeihundertschaft vor einem halben Jahr brachte dem Eigentümer den erwünschten Erfolg und hatte auch vor dem Schöneberger Amtsgericht Bestand. Die Türen wurden mit Stahlplatten der Marke »Anti-Vandal Specialist« verbarrikadiert. Diese Platten hinderten die Feuerwehr eine halbe Stunde lang daran, in das Gebäude zu gelangen, als es dort einige Wochen später ebenfalls brannte. Der von einem Bautrupp des Eigentümers auf den Hof geworfene Hausrat der vertriebenen Bewohner hatte Feuer gefangen. Der Kiez blieb auch dieses Jahr nicht verschont. Innerhalb von 25 Minuten mußte die Feuerwehr am Abend des 12. Januar zwei Dachstuhlbrände in Berlin-Friedrichshain bekämpfen. Zuerst wurde ein Feuer in Hinterhaus und Seitenflügel der Weserstraße 36 entdeckt. Dort brannten etwa 150 Quadratmeter Dachstuhl ab. Wenig später stand der Dachstuhl in der Grünberger Straße 86 in Flammen. In beiden Fällen mußten Mieter evakuiert werden. Personen kamen aber nicht zu Schaden. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Die Ermittlungen dauern an, heißt es. Polizei spricht von »schalem Beigeschmack« Noch vor zwei Jahren konnte Werner Breitfeld, Leiter der 2. Brandkommission des Landeskriminalamtes (LKA), sogenannte »warme Sanierungen« als abwegig abtun. »Zur Zeit sind die Eigentumsverhältnisse in Berlin noch zu ungeklärt, da lohnt Brandstiftung nicht«, beruhigte er in der tageszeitung vom 12. Februar 1996. Doch inzwischen gesteht der Inspektionsleiter der drei für Branddelikte zuständigen Kommissariate, Jochen Sindberg, zu, daß die ungeklärten Dachstuhlbrände einen »schalen Beigeschmack« haben. Aber Sanierung durch Brandstiftung? »Das kann so sein, muß aber nicht«, erklärte Sindberg gegenüber junge Welt und verwahrt sich dagegen, angesichts häufiger »Einzelfälle« von einer Serie zu sprechen. Die allein in den vergangenen sechs Monaten ausgebrochenen fünf Wohnungsbrände in Friedrichshain haben keine Opfer gefordert. Anders bei einem Feuer vor genau zwei Jahren. Zwei Wohnungen in der Kinzigstraße 9 standen in Flammen. Sechs Hausbesetzer kamen mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus. Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichhain weigerte sich, die Schäden zu beheben und wurde damit zwanzig Bewohner aus der Punkszene los. Am 8. Oktober 1996 wurde das Haus »wegen baulicher Mängel« polizeilich geräumt. Das Feuer war möglicherweise selbstverschuldet - erwiesen ist das nicht. Bei dem Brand in der Scharnweberstraße 29 im Frühsommer vergangenen Jahres gibt es dagegen keinen Zweifel an der Ursache: Zwanzig Liter Benzin waren in einen Keller gegossen worden, indem sich die Heizkohlen der ehemaligen Hausbesetzer befanden. Passanten bemerkten das Feuer rechtzeitig. Alle erwähnten Brände fanden in der Gegend um das Rathaus Friedrichshain statt - die Häuser sind keine tausend Meter voneinander entfernt. Es steht fest, daß die Feuerleger Tote in Kauf nehmen. Auf der Hand liegen die handfesten Interessen von Hauseigentümern und Bauunternehmern. Doch Ermittlungsergebnisse? Fehlanzeige! »Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen«, resümierte die Berliner Obdachlosenzeitung »motz« schon in ihrer Dezemberausgabe, »sind aus diesen Fällen bis jetzt nicht gezogen worden, und es sind auch keine zu erwarten«. Leif Allendorf junge Welt
12.02.1998
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