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Gefährliche Orte CI: Der Szene-Bezirk Friedrichshain ist heute schon teilweise bewohn- und begehbar. Ein Plädoyer für eine rasche Umstrukturierung. von dirk hempel jungle world
Zehn Minuten bis zur Neuen Mitte

Dass der Osten schlimm ist, wusste man in Westberlin schon immer. Die Mauer um sie herum empfanden die Bewohner des Westteils der Stadt deshalb auch mehr als schützendes denn als einengendes Produkt sozialistischer Herrschaft. Seitdem die Mauer weg ist, finden sich die einstigen Inselberliner in ihrem Vorurteil erst recht bestätigt.

Es sei denn, sie meiden jene Bezirke, die noch vor zehn Jahren zur »Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik« gehörten. Und machen auch sonst alles wie früher: Benutzen den Osten bloß als Transitzone, um mit dem Westwagen nach Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen oder Bayern zu fahren. Wer ganz sicher sein will, überquert den Landstreifen ohnehin nur mit dem Flugzeug.

Das ist aber noch lange nicht alles. Die alteingesessenen Westberliner müssen nicht nur mit den Menschen aus dem Ostteil klarkommen, sondern auch noch mit jenen aus dem Rheinland. Schlimm für alle, die sich Westberlin als solchem verbunden fühlen. Schon lange, bevor die jammernden DDR-Nostalgiker das Schimpfwort »Wessis« benutzten, hatten es nämlich die Westberliner kreiert. Und jetzt kommen die Wessis alle her und bringen ein bisschen Strukturwandel mit: Alles wird anders, alles wird chic, alles wird teuer.

Na und? Schließlich gibt es Schlimmeres: Wenn einem am Ostersonntag die letzte Scheibe Toast verbrennt, wenn man zu Frühjahresbeginn eigentlich mal die Fenster putzen müsste oder im Treppenhaus das Licht kaputt ist. Sowas ist wirklich schlimm! Dagegen ist doch so ein bisschen Umstrukturierung gar nichts. Denn die hat ja durchaus ihre guten Seiten. Gerade im Osten.

Nehmen wir doch mal den Bezirk Friedrichshain. Schon kurz nach der Wende strömten Westberliner Hausbesetzer aus dem Nachbarbezirk Kreuzberg dort hin. Eine unschlagbare Mischung: Die grauen Wände halb verfallener Ost-Häuser wurden mit schwarz-roten Parolen übersprüht oder mit Plakaten im Chaos-Layout zugekleistert; die neuen Bewohner des Kiezes bewachten die alten Häuser genauso intensiv wie die alten Bewohner ihre neuen - auf Kredit gekauften - Westwagen; lederbejackte West-Punker und prollige Ostberliner soffen in ihren jeweiligen Kneipen um die Wette und beide Seiten fühlten sich in dem Bezirk total wohl - schimpften aber zugleich über den jeweiligen Gegenpart, wie man es aus Kreuzberg gewohnt war.

Es wurden Häuser besetzt und Häuser wieder geräumt, Wohnungen besetzt und dann von der bezirklichen Wohnungsbaugesellschaft gemietet. Alt- und Neueigentümer aus dem Westen kamen und gingen, begleitet von misstrauischen Blicken. Auf den Straßen entdeckte man jede Menge Hundescheiße, ab und zu ergänzt durch brennende Mülleimer. Übermütige Polizisten, empörte obrigkeitsstaatliche Ostler, aufgeregte und aggressive Polizisten und betrunkene Polizisten prägten den Bezirk, der zwischen dem yuppisierten Kreuzberg und dem yuppisierten Prenzlauer Berg, zwischen dem entstehenden Regierungsviertel in Mitte und der einstigen Neonazi-Hochburg Lichtenberg liegt.

Es bewahrheitete sich in Friedrichshain also: Der Osten ist schlimm. Und dreckig. Und spießig. Und abends ziemlich tot - mal abgesehen von der Bierkneipe an der Ecke und dem Punk-Konzert im düsteren und versifften Keller irgendeines besetzten oder ex-besetzten Hauses. Aber richtig amüsieren kann man sich da nicht. Wer sich in Friedrichshain amüsieren wollte, dem blieb lange Zeit nur eine Wahl: das »Conmux« - eine Kneipe im Kiez, die nicht auf siffige Klos, laute Schrammelmusik und betrunkene Punks oder Prolls Wert legte.

Manche, die bewusst ins runtergekommene Friedrichshain gezogen waren - wegen Subkultur und so - gingen sogar gerne ins »Conmux«, anderen war es zu yuppisiert. Sie sollten Recht behalten. Denn mit der einen hübschen Kneipe kamen Leute, die es hübsch mögen: Yuppies. Und mit den Yuppies kamen mehr Kneipen für Leute, die es hübsch mögen. Und dann noch mehr Leute, die es hübsch mögen. Und mehr Kneipen und mehr Leute. Und so weiter.

Die Ostler kennen das ja schon. Seit der Wende, so könnte man meinen, tun sie nichts anderes als sich über die Kolonialisierung ihres sozialistischen Heimatbodens durch Hausbesetzer, Punker und Yuppies aus dem Westen zu beklagen. Während sie an kahl geschorenen und nationalbewussten jungen Männern aus der einstigen Zone natürlich nichts Schlimmes finden. Aber die gesellschaftliche Fortentwicklung in ihrem Lauf hält weder der alteingesessene Friedrichshainer noch der nach 1990 zugezogene Hausbesetzer auf. Die Simon-Dach-Straße - wo es noch vor drei Jahren zum »Conmux« keine Alternative gab - ist längst zur stadtbekannten Kneipenmeile geworden. Friedrichshain ist ein neuer Geheimtipp - nur zehn Autominuten von der Neuen Mitte entfernt. Was einem aber nicht wirklich etwas nützt, weil es mit der Simon-Dach-Straße ist, wie es immer mit Geheimtipps ist: Alle haben schon davon gehört, entsprechend kriegt man nie einen Parkplatz.

Man könnte natürlich gleich nach Friedrichshain ziehen, dann hätte man das Park-Problem nicht mehr. Aber so weit ist die Yuppisierung des Bezirks noch nicht fortgeschritten, dass all jene Ostprolls, Kampfhunde-Besitzer und Kurzhaar-Hirnis, die den Bezirk so abschreckend machen, in irgendwelche Plattenbauten am Rande der Stadt gedrängt würden. Aber die Tendenz ist da: Die Stammbewohnerschaft des Bezirks beklagt die Eindringlinge, ihr Geld, ihren Stil und hätte am liebsten, dass alles so bliebe wie man es aus der sozialistischen Ordnung gewöhnt war: keine laute Musik, keine Parkplatzprobleme, keine Ausländer.

Das Westberliner Vorurteil war also ganz richtig: Der Osten ist schlimm. Und seine alteingesessenen Bewohner auch. Das stimmt bis heute. Da bleibt nur eine vage Hoffnung: Dass mit Umstrukturierung und Yuppisierung auch ein wenig Zivilisation Einzug halten möge. Erst in Friedrichshain, dann in anderen Ostbezirken und irgendwann vielleicht auch im braunen Brandenburg.