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Statt eines Vorworts - Aufruf zum Innehalten

Das Ex macht dicht - und keine/r geht hin. Um eine Szene-Prügelei zu vermeiden, und weil nicht alle Teile des Ex-Plenums einer weiteren Eskalation zustimmen wollten (siehe Erklärung des EX), fiel die EX-Abschlußparty aus. In der vorvorigen Woche hat die sogenannte Vergewaltigungsdebatte damit erneut eine Steigerung der Auseinandersetzung erfahren, die wir nicht für möglich gehalten haben. Für uns ist ein Punkt erreicht, an dem wir so nicht weitermachen wollen. Wir als (eine) Interim-Redaktion sind nicht länger bereit, diese Form von Auseinandersetzung mitzutragen. Diese Form heißt: Daß Linke mit Fäusten (und, wie zur EX-Party angekündigt, Knüppeln) aufeinander losgehen. Daß Frauen als „Votzen" beschimpft werden (wahlweise wie jeweils ge­fallen als Bahamas-, AAB-, oder autonome „Votzen"). Daß Antifas in bester konservativ-diffamierender Manier als „Meute" und „schwachsinnig" bezeichnet werden und Flugblätter gefälscht werden. Daß Leute auf Diskussions­veranstaltungen mit Mundschutz und Schläger­handschuhen kommen. Daß linke Kneipen überfallen werden. Daß die Bullen Leute aus der Antifa-Szene aufsuchen, um sie zu „dem Vergewaltigungsfall" zu befragen. Oder daß Gruppen, die nicht aus Berlin stammen, aus Organisationen, die nicht aus Berlin stammen, ausgeschlossen werden, weil unterschiedliche Standpunkte zu dem Konflikt existieren.

Wir haben schon vor vielen Monaten das Bedürfnis ge­habt, uns klarer zu dem Konflikt zu äußern, dann aber darauf verzichtet, weil wir nicht die „Autorität" einer Szene-Institution gebrauchen wollten. Da aber ein wichtiger Teil dieses Konflikts über die Interim ausgetragen wird, indem zweiwöchentlich neue Papiere veröffentlicht werden, können wir nicht einfach ignorieren, daß der Umgang mit Texten dazu zu einem zentralen Thema für uns geworden ist, der die Redaktionsarbeit der Interim entscheidend prägt. Wir (das Gesamtprojekt) sind mehrfach heftig von unterschiedlichster Seite angegangen worden, wie wir mit Papieren zu dem Konflikt umgehen. All das hat uns dazu bewogen, uns doch als einzelne Redaktion zu äußern.

Wir sind einfach nicht mehr bereit, jeden destruktiven Beitrag zu veröffentlichen und wir wollen, daß Ihr (mit uns) darüber nachdenkt, wie aus einem Kiezkrieg wieder Politik werden kann.

Der folgende Text wird nur von einer Redaktion verant­wortet. Wie Ihr vielleicht mitbekommen habt, existie­ren auch in der Interim sehr unterschiedliche Positio­nen zu dem Konflikt: Von der Aufforderung, an die Frauen und Lesben, ihre Aktion genauer zu begründen und Zweifeln an dem richtigen Zeitpunkt des Angriffs (Nr. 482) über eine Kritik an dem Kneipenüberfall (Nr. 483), über eine Monate dauernde Zensur des Debattenbeitrags „Let's take a walk on the wild side" (Sommer 2000) so­wie der Nichtveröffentlichung eines aktuellen Textes einiger Autonomer (Nr. 518), den andere Gruppen aber unbedingt veröffentlicht sehen wollten. Schließlich ist eine Person auch deshalb aus dem Projekt ausgetreten, weil sie das Niveau der Sexismus-Debatte so jämmerlich fand. Die seit fast zwei Jahren währende Auseinandersetzung hat unserer Einschätzung nach sehr wenig an emanzipatorischen Elementen befördert. Im Gegenteil:

Sie besticht durch ihre Destruktivität und (gegenseitige) Ausgrenzung. Diese Beobachtung kann für uns nur eine Konsequenz haben: Innehalten. Kopf einschalten. Nach anderen Wegen suchen.

Schmerzlich fällt uns an diesem Punkt eine alte Eigen­schaft negativ auf die Füße, die seit der Gründung Stärke und Schwäche des Blattes zugleich ist: In der Interim kann jede/r anonym veröffentlichen, ohne zu seiner/ih­rer Position politisch stehen zu müssen. Während Gruppen, die unter einem festen Namen Politik betreiben, ihre Positionen auch verantworten müssen (wie etwa diverse Antifa-Gruppen, die sich gegen die AAB gestellt haben, wie die AAB selbst oder auch die Bahamas), sind in der Debatte diverse Beiträge veröffentlicht worden, die von Diffamierungen zu so strotzen, von denen aber kei­ne/r weiß, von wem/welcher sie stammen. Das trifft uns besonders dann, wenn ein nach unserem Wissen ge­fälschtes Flugblatt angeblicher AAB-Aussteiger/innen von uns gedruckt wird (im März 2000), das von Denunziationen und Lügen nur so wimmelt. Diese Form, aus der Anonymität heraus innerhalb der Szene zu agieren, wird in solchen Fällen kontraproduktiv. Wir wollen uns deshalb an dieser Stelle kurz vorstellen, damit ihr wißt, mit wem ihr es zu tun habt: Wir sind eine Gruppe, die in der Mehrzahl aus Frauen besteht. Wir haben bereits an mehreren Auseinandersetzungen um sexuellen Mißbrauch innerhalb der linken Szene teil­genommen und uns intensiv und zum Teil über Jahre aus Opferperspektive damit auseinandergesetzt. Einige von uns haben sexistische Gewalt sehr persönlich erfah­ren. Auch deshalb stößt uns einiges an dieser Debatte auf.

Ein Blick zurueck

Einmal angenommen, ihr säßet in Flauen oder Lemgo in einer Kneipe mit einer kritischen Gewerkschafterin und solltet erklären, womit sich die linksradikale Szene Berlins gerade so beschäftigt. Und angenommen, ihr solltet erklären, warum das Bündnis gegen Rechts aus Leipzig deshalb aus dem Bundesweiten Antifatreffen ausgeschlossen wurde, und warum ein Berliner Kollek­tiv, das es 20 Jahre lang gegeben hat, nicht mehr Abschied feiern kann - wäre die Antwort dann, weil im Dezember 1998 in einem Berliner Bezirk ein Mann eine Frau vergewaltigt hat? Und hättet ihr auf die Frage, wie und warum die Fronten so verlaufen, eine befriedigen­de Antwort? „Die Schwierigkeit damit umzugehen be­ginnt allerdings schon bei dem Versuch, anderen mitzu­teilen, wer hier und heute eigentlich mit wenn über was genau streitet", schreibt Sven Glückspilz in der letzten Interim. Eine präzise Zusammenfassung.

Die Debatte begann in grauer Vorzeit mit einem Vergewaltigungsvorwurf gegen einen Mann aus der AAB: Im Dezember 1998 habe Florian J. eine Frau aus Friedrichshain vergewaltigt. Im März 1999 wurde ein bis dahin in Friedrichshain kursierendes Flugblatt schließlich in der Interim veröffentlicht. Zuerst weitete sich der Vorwurf gegen Florian J. auf seine Gruppe, die AAB, aus. Schließlich rückte die AA/BO in die Diskussi­on, dann Gruppen, die mit der AAB und der AA/BO zu­sammenarbeiten. In einem Seitenstrang wurden dann massive Vorwürfe gegen Franz und Mandy Meiser und deren Papier „Let's take a walk on the wild side" erho­ben, das in der Sexismus-Debatte neben schwarzen und weißen Farben auch für das Anerkennen von Grau­schattierungen plädiert. (Beide Meisers stammen aus der klassischen autonomen Szene Kreuzbergs und sind vie­len Leuten gut bekannt und der AAB-Nähe unverdäch­tig.) Schließlich spielten noch Vorwürfe sexistischen Ver­haltens zweier Männer in der Köpi in Berlin und in der Antifa-Szene in Dresden eine Rolle, wenngleich dies nur ein Nebenaspekt war.

In dieser Debatte haben viele aufrichtig nach einem emanzipatorischen Umgang mit dem Vergewaltigungsvorwurf, mit der mangelnden Auseinandersetzung etwa durch die AAB, mit der Definitionsmacht der Frau und mit antisexistischen Strukturen gesucht, uns eingeschlossen. Heute - da wir uns den Verlauf der Debatte noch einmal angesehen haben, siehe Chronologie - müssen wir feststellen, daß wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, daß es einigen Gruppen um mehr als und das Thema Antisexismus gegangen ist: Um eine gezielt Eskalation.

Die Mehrzahl der an dem Konflikt beteiligten Gruppe gewinnt ihre eigene Identität durch Ab- und Ausgrenzung des jeweils anderen. Wer in die eigene Weltsicht nicht hineinpaßt, wird niedergemacht. Um ein kleines Beispiel zu geben: als sich eine Interim-Redaktion nach dem Frauen-Überfall deutlich distanzierte (Interim 485), hieß in einer Antwort: „bleibt noch die frage (und nicht nur für den Staatsschutz) wie sich die redaktionen der interim bilden, kann da jede/r mitmachen oder kommen die Redaktionen (speziell 485) wirklich aus (unseren zusammenhängen?" (Interim 486). Ist jetzt auch die Interim von wem/welchen auch immer unterwandert? Das Leben wäre auf jeden Fall leichter, wenn die Welt eine Scheibe wäre.

Die Fraktionen:
Die Friedrichshainer Frauen..

... werden von uns der Einfachheit halber so genannt, weil sie im Szene-Tratsch so bezeichnet werden, obwohl wir wissen, daß der Zusammenhang nicht homogen und es auch für Frauen keine Verpflichtung gibt in Friedrichshain zu wohnen. Darunter ist etwa die „Schlagt-die-Sexisten-wo-Ihr-sie-trefft-GmbH" gefaßt sowie Teile derjenigen, die Weihnachten 2000 eine Frau aus dem Umfeld der AAB aus dem EX geschmissen haben. Den Friedrichshainer Frauen gebührt der Dank, die AAB mit dem Verhalten eines ihrer Mitglieder konfrontiert und die Vergewaltigung überhaupt erst zum Thema gemacht zu haben. Sie haben das Flugblatt der betroffenen Frau mit verbreitet und sie geschützt. Uns ist schon vor dem Erscheinen des allerersten Flugblatts mit einem Lächeln angekündigt worden, „daß da noch einiges kommen wird". Die Eskalation war nach unserem Wissensstand so gewollt und geplant. Die Frauen und Lesben haben, nachdem der Fall öffentlich bekannt war, - unterstützt von anderen - in drei Intervallen die Eskalation voran­getrieben: Im Spätsommer 1999, als die „Schlagt-die-Sexisten-wo-ihr-sie-trefft-GmbH" (im folgenden nur GmbH genannt) die linke Kneipe Schnarup Thumby überfiel, im Herbst 2000, als sie die Bahamas-Veranstal­tung angriff und Ende 2000/Anfang, als sie durchgesetzt haben, daß einige Personen aus dem Umfeld der AAB Hausverbot im EX erhalten.

Nachdem eine Interim-Redaktion die GmbH im Septem­ber 1999 bat, sich genauer zu äußern, legte die Gruppe eine zweiseitige Erklärung vor, die relativ genau den politischen Standpunkt erklärt. Darin grenzt sich die Grup­pe explizit von der gemischtgeschlechtlichen autonomen und antifaschistischen Szene ab, und erklärt diese im­plizit zum politischen Gegner: „Im Kampf gegen das Patriarchat stehen Männer auf der Seite der HERRschenden, und es wäre naiv, auf sie bauen zu wollen. " Die Erklärung endet mit den Sätzen: „ Für uns heißt emanzipatorische Politik in erster Linie, aus gelaufenen Diskussionen Konsequenzen zuziehen und Grenzen zu setzen und zu verteidigen. Unser Politikverständnis rich­tet sich deshalb eindeutig an FrauenLesben und nicht an eine gemischtgeschlechtliche linke Szene." Folgerich­tig wird die Auseinandersetzung noch bevor sie richtig begonnen hat, beendet: „Da wir jedoch keinen Bock auf eine Auseinandersetzung in einer gemischten Zeitung haben, wird dies unsere letzte Erklärung dazu sein." (Interim 484).

Das ausdrückliche Ablehnen eines Bezugs auf eine gemischtgeschlechtliche Szene sowie die Proklamation, Männer stünden auf der anderen Seite der Barrikade, hat zu einem bemerkenswerten Ergebnis gerührt: In der Debatte verteidigen einzelne Männer und gemischt­geschlechtliche Gruppen, die von der GmbH als Gegner betrachtet werden, in einer gemischten Zeitung die Positionen der Frauen und Lesben und machen sich damit zu Stellvertretern von deren Positionen, da sich die Frauen und Lesben als jenseits der Kritik definiert haben.

Was uns im Rückblick aufgefallen ist, ist, daß von nie­mandem ein Versuch unternommen worden ist, den Konflikt ohne Gewalt zu lösen. Das linke Kneipen­kollektiv hätte vorher schlicht (etwa per Flugblatt oder persönlich) darauf aufmerksam gemacht werden kön­nen, daß dort offensichtlich ein Vergewaltiger sein Bier getrunken hat (auch die GmbH weiß nur von einem ein­zigen Besuch in der Kneipe). Schließlich handelt es sich beim Schnarup Thumby um eine Szene-Kneipe, und das Kollektiv hat, als Florians Anwesenheit bekannt wurde, sich umgehend schuldig bekannt: (Interim 485) Die Schnarup-Leute kritisieren aber gleichzeitig,, der Überfall habe Kinder, Gäste und Unbeteiligte gefährdet und „angst über Unverständnis bis hin zu aggressionen und wut" hervorgerufen. Es ist sicher richtig, daß manchmal ein Signal gesetzt werden muß, damit Leute nachzuden­ken beginnen. Wir glauben aber, daß sich das Ziel, ei­nen Vergewaltiger aus linken Räumen auszuschließen und sich damit zu beschäftigen weniger martialisch hät­te erreichen lassen können. Die GmbH rechtfertigt dies mit dem Vergleich, eine Knei­pe, in der ein Vergewaltiger trinken dürfe, sei wie eine Fascho-Kneipe. Das halten wir für groben Unfug: Eine Nazi-Kneipe wird von Leuten (Nazis eben) gemacht und besucht, die einer prinzipiellen Ideologie von wertem und unwerten Leben anhängen und Menschen nach eth­nischen Kriterien selektieren. Weder das Schnarup-Kollektiv verfolgt eine Politik, Menschen nach wert und unwert zu selektieren, noch die AAB und auch Florian ). hat - ohne die Vergewaltigung in irgendeiner Form zu bagatellisieren - in seiner tagtäglichen Praxis über Jahre keine Ideologie und Praxis verfolgt, Menschen zu selek­tieren. Ein Vergleich einer linken Kneipe, in der ein Mal ein Vergewaltiger Bier trinkt, mit einer Fascho-Kneipe stimmt hinten und vorne nicht. Aber solche Punkte sind in der Debatte kaum diskutiert worden. Stattdessen be­kannte sich auch das Schnarup-Kollektiv auf Aufförde­rung schuldig: „Wir sind Täterschützerinnen gewesen". (Interim 485).

Die AAB...

...hat sich nur sehr ungeme und unter Druck mit der Vergewaltigung eines ihrer Mitglieder auseinandergesetzt und verfolgt noch immer die Strategie, den Konflikt aus­zusitzen. Im März 1999 erschien eine dürre Stellungnah­me, in der im wesentlichen die Gruppenmitgliedschaft von Florian J. dementiert wird. Eine inhaltliche Positionierung fand unter dem Titel „Neue Sachlichkeit" erst im Februar 2000, ein Jahr nach Erscheinen des Flugblatts statt.

Die AAB hat bis heute eine genaue Stellungnahme zu ihrem Verhältnis zu Florian J. verweigert und versteckt sich hinter dem Prinzip, zu Gruppenmitgliedschaften nichts zu sagen. Dann tun wir es hiermit: Florian J. war Mitglied der AAB, ist aber nach Bekanntwerden der Vergewaltigung (noch vor der Veröffentlichung des Flugblatts in der Interim) aus der AAB ausgetreten bzw. de facto ausgeschlos­sen worden, indem er auf dem Plenum mit der Vergewal­tigung konfrontiert wurde und Konsequenzen gefordert wurden. Seitdem hat die Gruppe keinen Kontakt mehr zu ihm. Insofern ist der Vorwurf an die AAB weniger ein praktischer - sie schützt Florian J. nicht mehr konkret als Gruppenmitglied - sondern eher ein politischer: Wie geht die AAB damit um, daß ein ehemaliges Mitglied der Grup­pe eine Frau vergewaltigt hat? Der Text „Neue Sachlichkeit", der nach über einem Jahr erschien (Interim 493), ist unserer Meinung nach nicht in allen Teilen eine Frechheit. Der von der AAB entwickelten Definition einer Vergewaltigung: „Vergewaltigung ist eine mit physischer oder psychischer Gewalt oder unter Androhung dieser herbeigeführte sexuelle Hand­lung" würden wir beispielsweise ohne Probleme zustim­men. Auch die Differenzierung, „nicht jede Form der sexuellen Grenzüberschreitung ist einevergewaltigung", halten wir für notwendig, um die graduellen Unterschie­de sexistischer Gewalt erfassen zu können. Auch über die Ablehnung der Koppelung von Definitionsrecht und Sanktionsrecht kann mensch, wenn auch sehr kontrovers, diskutieren.

Schlimmer macht den Text das, was nicht drin steht: Die AAB setzt sich in keiner Form mit dem konkreten Fall auseinander, reflektiert beispielsweise nicht kritisch, daß Florian im Schnarup Thumby bei ihrem Kneipenabend auflief - mitten in Friedrichshain, wo die Gefahr groß ist, daß seine Ex-Freundin ihm begegenet. Bei der AAB, die eine der wenigen Antifa-Gruppen ist, die sich zumin­dest theoretisch immer mal wieder mit dem Zusammen­hang von Antifa, Herrschaft und Patriarchat beschäftigt (etwa in der Kampagne zum 8. März Mitte der 90er oder in ihrer Grundsatz-Broschüre), klafft eine große Lücke zwischen Theorie und Praxis. Was die AAB allerdings bis heute nicht begriffen hat, ist die Verletzung der Frau. Die AAB arbeitet sich in einem technischen Duktus seitenlang an der Szene und ihren Regulationsmechanismen ab, ohne sich um die betrof­fene Frau groß Gedanken zu machen. Forderungen wie „Damit kann jedoch nicht die Verbannung aus allen lin­ken und sozialen Zusammenhängen begründet werden" oder dem, daß ein Frauenplenum der AAB von der sexuell mißbrauchten Frau einen Sachstandsbericht möchte, bekommen erst in diesem Gesamtkontext eine Dyna­mik, die mehrere Antifa-Gruppen dazu gebracht hat, die Zusammenarbeit mit der AAB einzustellen. Da der Text „Neue Sachlichkeit" wohl der am meisten zerrissenste der Debatte ist (nachzulesen in verschiedenen Interim-Ausgaben) ersparen wir uns detaillierte Wiedergaben. Es ist allerdings typisch für den (Nicht-) Diskurs, daß ein internes, wesentlich ausführlicheres und gruppeninterne Positionen besser vermittelndes Papier der AAB, das unauthorisiert im November 2000 veröffentlicht wird (Interim 513) bis heute praktisch nicht diskutiert wurde - weil dort die Schwarz-weiß-Sicht „AAB=Täter-Schützer=Böse" so einfach nicht mehr durchzuhalten wäre?

Die Charakterisierung des Verhaltens der AAB läßt sich jedoch nicht ausreichend und umfassend anhand der Gruppendiskussionen und Gruppenstellungnahmen fas­sen. Innerhalb und am Rand der AAB hat der Konflikt, der mit der Frauenfraktion und der Rest-Szene nicht erst seit der Vergewaltigungsdebatte, sondern längst vorher gerührt wurde, offensichtlich erstens zu einer Identität in der Ausgrenzung geführt, die konstruktive-kritische De­batten gar nicht mehr möglich gemacht hat. Zum ande­ren aber hat sich dort in der Ausgrenzung eine Art Kampfeslust entwickelt, die darin gipfelt, daß sich Teile offenbar auf tätliche Auseinandersetzungen nicht nur vor­bereiten, sondern diese offenbar auch gewünscht haben. Auf der Bahamas-Veranstaltung, auf der wahrlich nicht nur eine Seite zu körperlicher Gewalt gegriffen hat, eska­lierte die gegenseitige Ausgrenzung, die schon von Beginn an wenn auch nicht vorwiegend körperlich gewaltförmig war und zeigte sich als Zerstörungswut. Wer mit Mund­schutz-Vorbereitung zur innerlinken Saalschlacht kommt, hat wirklich nichts begriffen. Die vorwiegende Unfähigkeit (oder der Unwillen) der AAB, mit den Vorwürfen und der Debatte umzugehen, ebenso wie die Fixierung einiger auf eine gewaltförmige Auseinandersetzung spiegelt natürlich einiges dessen wieder, wofür die AAB lange schon kritisiert wird: die Wortgewaltigkeit, hinter der in Teilen kein ausreichen­des praktisches emanzipatorisches Bewußtsein steht und die damit vielfach zur Hülle wird. Eine Hülle, die ange­sichts der inhaltlichen Inkonsistenz zur notwendigen Identitätsbildung angelegt wird und vielen außerhalb zur martialischen Farce wird.

Die AAB bewegt sich seit ihren Gründung an dieser schwierigen Grenze: Zum Zwecke der politischer Wahr­nehmbarkeit eine wiedererkennbare Marke zu konstruieren und dabei Vielfältigkeit und Differenzen zu über­decken, also der Gefahr der Uniformierung und all de­ren Implikationen anheimzufallen. Dieser Grenzgang hat natürlich auch viel mit dem laufenden Konflikt zu tun.

Die Bahamas...

...ist nach unserem Gefühl eigentlich nicht wichtig genug, um sich mit ihr länger zu beschäftigen. Teile der Redaktion haben den Konflikt gezielt genutzt, um alte Rechnungen mit der autonomen Szene im allgemeinen und mit der Frauen- und Lesben-Szene im konkreten auszutragen. Die Texte sind überwiegend unerträglich, aber die Berührungspunkte gering. Wir schlagen vor, die Bahamas Bahamas sein zu lassen und sie auf Abstand zu halten.

Die restliche Szene...

...reagiert im wesentlichen so, wie es Sven Glückpilz in der letzten Interim beschrieben hat: „Laß mich mit dem Kindertheater in Ruhe" oder „Zum Glück habe ich mit beiden Fraktionen nichts zu schaffen". Ein Genösse fühlte sich an sein schwäbisches Dorf erinnert, wo die Familien­clans mit den gleichen Methoden der Ausgrenzung ge­arbeitet hätten.

Dennoch haben sich insbesondere zu Beginn der Aus­einandersetzung viele verschiedene Gruppen und Ein­zelpersonen an der Debatte beteiligt. Vielfach, weil man/ frau immer wieder mit solchen Situationen sowohl prak­tisch als auch theoretisch konfrontiert ist. Vielfach, um die praktische Solidarität auf Seiten der Frau zu zeigen und sich damit gegen die AAB zu stellen, die sich gerade nicht auf deren Seite gestellt hatte. Nach und nach beteiligen sich immer weniger an der Debatte, was sich auch an der Wiederholungsauffälligkeit der exakt gleichen Argumente zeigt. Viele derjenigen, die den ernsthaften Willen hatten, praktische Veränderung herbeizuführen und das Bewußtsein zu stärken, haben sich abgewandt, da ihnen das Konfrontationsniveau nicht eingeleuchtet hat oder sie sich nicht für ganz andere Kämpfe instrumentalisieren lassen wollten.

Allerdings kam auch in der autonomen Szene manchen Gruppen der Vergewaltigungsvorwurf gegen einen AABler nahezu recht, so paradox sich das anhören mag. Wer auf­grund der beschriebenen Kritik an der AAB noch eine in­dividuelle oder größer angelegte Rechnung mit jener Grup­pe offenhalte, trägt sie seitdem über die Vergewaltigungs­debatte aus. In einem Flugblatt, das an der Freien Universität Berlin von der „Feministischen FrauenLesben Liste" und anderen Gruppen verteilt wurde, ist zum Beispiel vom „Pöbel von der Antifaschistischen Aktion Berlin" die Rede. Der AAB wird Schwulenfeindlichkeit vorgeworfen, die Gruppe als „Mob" bezeichnet, der im wesentlichen Ge­walt gegen Andersdenkende im Sinn habe. Die Bahamas wird schließlich des „Schwachsinn" bezichtigt. Ist der Ruf des Gegners erst ruiniert, lassen auch revolutionäre Linke gerne mal die Sau raus.

All das hat mit nachvollziehbaren Kategorien von Poli­tik nur noch wenig zu tun. So rechtfertigten zwei Frauen den Rausschmiß einer Jugendlichen aus dem AAB-Umfeld bei der Weihnachstparty mit den Worten: „Weil sie Konflikte mit Gewalt lösen wollte" (auf der Bahamas-Veranstaltung). Nach dieser Argumentation müßten zwei Drittel aller Autonomen aus dem EX geschmissen wer­den, und selbst, wenn dies konkret auf die Vergewaltigungsdebatte bezogen sein sollte, müßten dann zuerst die Frauen der GmbH rausfliegen, die sich ausdrücklich zu einem gewaltsamen Überfall bekennen. Nach der verwunderten Nachfrage mehrerer Gäste sagte eine Frau an der Theke schlicht: „Tja, Schicksal, jetzt hat es halt XY getroffen."

Wie verschwommen die Kriterien sind, zeigt auch die Wiedergabe. Lange hielt sich die Mär, die Störerinnen hätten friedlich gepfiffen (okay, auch ein paar Kabel raus­gerissen), seien dann aber brutal angegriffen und geschla­gen worden. Mittlerweile haben einzelne Störerinnen wenigstens ehrlicherweise zugegeben, zuerst getreten und geschlagen zu haben, bevor sie getreten und geschla­gen wurden (daß AABTern in die Eier getreten wurde, bestätigen freundlicherweise selbst die „Feministische FrauenLesbenListe" in dem besagten FU-Flugblatt). Um nicht falsch verstanden zu werden: Man/frau kann eine Veranstaltung stören, aber wenn man/frau selbst Gewalt anwendet und dann direkt Gewalt zurückbekommt, ist das kein gutes Argument für einen Kneipenausschluß geschweige denn eine qualifizierte Debatte über die Fra­ge, wann Gewalt legitim und wann illegitim ist. Daß unter dem Deckmantel des Antisexismus frühere Rechnungen beglichen werden, zeigt auch die Störung der Bahamas-Veranstaltung, zu der sich ausgerechnet Frauen- und Lesbengruppen im Bündnis mit autonomen Kommunistinnen (die der AAB wegen dem l. Mai Opportunismus vorwerfen und selbst im Streit mit den „klassischen Autonomen" liegen) zusammenfanden.

Und bezeichnenderweise sind aus der AA/BO ausge­rechnet die beiden Gruppen in Solidarität zu den Frau­en ausgetreten, die sonst immer wegen ihres „patriarchlischen, stalinistischen Politikverständnisses" in der Szene kritisiert wurden (besonders von Frauen/ Lesbengruppen): Die Berliner RAI und das Antifa Plenum Braunschweig. Beide Gruppen waren die aktivsten Gegenspielerinnen der AAB in der BÖ und werfen der AAB seit langem Pop-Politik vor.

Kollaleralschaeden

Der Konflikt hat sich mittlerweile über einen lokalen Kiezkrieg hinaus zu einem Eklat mit bundesweiten Kon­sequenzen gerührt. Neben den schon erwähnten beiden Gruppen, die aus der AA/BO ausgetreten sind, weil sie dieses Verhalten nicht mittragen wollten (Antifa Plenum Braunschweig, Rote Antifaschistische Initiative Berlin) haben mehrere Gruppen der AAB die Zusammenarbeit aufgekündigt. Etwa die Antifa Saar aus dem Saarland oder die Berliner Gruppen Antifa Rote Dornen und Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg. Das Antifa Info­blatt, das in seiner Jubiläumsnummer 50 eine Debatte um Perspektiven der Antifa-Politik auch mit der AAB geplant hatte, brach die Debatte wegen der „Neuen Sachlichkeit" im Sommer 2000 ab. Mehrere Boykott-Aufrufe gegen die AA/BO erschienen. Allerdings machte der Konflikt auch vor dem Bundesweiten Antifa-Treffen BAT nicht halt. Zuerst wurde die Rote Antifaschistische Aktion Leipzig aus dem BAT aus­geschlossen, dann vor kurzem auch noch das Leipziger Bündnis gegen Rechts, das sich differenziert zur AAB ge­äußert hatte. Damit hat ein Vergewaltigungsfall in Friedrichshain dazu gerührt, daß Gruppen aus Leipzig, Hamburg oder Köln nicht mehr zusammen in einem Bündnis sitzen und über Strategien gegen Nazis diskutieren.

Die Konsequenzen

Wir fordern diejenigen auf, die wie wir ein Interesse ha­ben, das Zerstörungspotential aufzuhalten, die Debatte in dieser Form zu beenden. Worum es unserer Meinung nach jetzt gehen muß, ist, die Frontstellung zurückzu­nehmen und einen neuen Ansatzpunkt für eine Kultur der Auseinandersetzung zu finden. Es wird unstrittig sein, daß die AAB weder das Patriarchat erfunden hat noch eine Brutstätte für Vergewaltiger ist, erfunden hat sie na­türlich ebensowenig den glaubhaften Bruch mit patriarchalen Strukturen. Es wird ebenso unstrittig sein, daß es richtig und wichtig ist, über patriachale Strukturen, Sexualtität und Sexismus sowie den Umgang mit Vergewaltigem zu diskutieren. Die Debatte bisher hat die allermeisten Punkte bestenfalls angerissen. Spannende, wenn auch kontroverse Papiere wie „Let's take a walk on the wild side" sind nur angekratzt oder beschimpft wor­den. Der Versuch, des Antifa Infoblatts, vor einiger Zeit über Mackerverhalten im Kampf gegen Nazis zu debattieren, ist z.B. kläglich im Nichts versandet - mangels Resonanz, auch von denen, die jetzt den großen Feld­zug gegen die AAB rühren. Schließlich liegt seit Oktober in Nachfolge von Diskussionen auf dem Grenzcamp 2000 ein Papier von zwei bekannten Frauen aus der Berliner Autonomen-Szene vor, das sehr provokative The­sen beinhaltet, aber durchaus diskutierenswert ist.

„Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses"

Im allgemeinen werden beim Thema Sexismus von der Hegemonial-Meinung abweichende Äußerungen wütend attackiert und ausgegrenzt. Wir sind gespannt, ob dies diesmal anders sein wird. Wie ernstzunehmen noch kommende Stellungnahmen in der Debatte sind, wird sich auch an der Wortwahl messen lassen müssen: Be­schimpfungen und Diffamierungen gab es schon zuviel. Die autonome und antifaschistische Szene ist unserer Meinung nach kein Selbstverwirklichungs-Workshop zum Austoben unverarbeiteter Aggression (oder sollte es zumindest nicht sein). Wir würden gerne an einer Politik mitarbeiten, die eine gesellschaftliche Ausstrahlung entwickelt und emanzipatorische Impulse geben kann. Was wir mit Sicherheit nicht mehr machen wer­den, ist das weitere Verbreiten von Dreckwäsche.

In dieser Nummer findet ihr alle Texte, die jetzt im Zusammenhang mit dem partylosen Ex-Abschied heraus­gekommen sind.

In dem Sinn der diesmaligen Rückseite: No means no -alles andere ist zu diskutieren.

Eure Redaktion

Interim 519 v. 8.2.2001   ocr-scan by red. trend http://www.trendpartisan.net/