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Ja zum Nein und Nein zur
Hexenjagd
In der Interim 430 klagt
eine Frau einen Mann eines Verbrechens an. Er habe sie vergewaltigt, und
zwar, indem er - der zum Zeitpunkt des Geschehens ihr Liebhaber war - sie
nachts dadurch aus dem Schlaf weckte, daß er seinen erigierten Schwanz
an ihrem Bein rieb und ihr ins Ohr flüsterte, daß er nun mit
ihr Liebe machen wolle
("Jetzt wird nicht mehr
geschlafen!"). Als sie daraufhin "hör auf" sagte, hat er mit seinen
Annäherungsversuchen aufgehört. Sie schildert auf diese Weise
den Tathergang sehr genau. Dann berichtet sie über ihre eigenen Schwierigkeiten,
diese Tat als Verbrechen zu erkennen ("... bin ich zuerst durch meine Erziehung
den
patriarchalen Strukturen
unterlegen gewesen und habe die Schuld bei mir gesucht."). Sie berichtet,
daß sie nach dem Vorfall aus der gemeinsam bewohnten Wohngemeinschaft
ausgezogen ist. Dann eröffnet sie, daß es ihr mit
Hilfe von Genossinnen schließlich
gelungen ist, den Verbrechenscharakter des Vorfalls zu entziffern, klagt
den Mann an, und zitiert auszugsweise einen Brief, den er in Reaktion auf
die offenbar ebenfalls brieflich erfolgte Anklage der Vergewaltigung verfasst
hat. Aus den Zitaten geht hervor, daß der angeklagte Mann seine
Handlungsweise in jener
Nacht nicht als Vergewaltigung ansieht, da es in seiner Absicht stand,
mit ihr auf der Grundlage von Freiwilligkeit zu schlafen, und nicht, sie
im schlafenden Zustand zu mißbrauchen. Er behauptet, ihre Verletztheit
ernst zu nehmen, sucht aber die Urheberschaft für diese Verletztheit
nicht bei sich, sondern in
ihrer Wahrnehmung der fraglichen
Situation. Er schiebt das 'Problem' auf ihre Psyche und übernimmt
keine Verantwortung dafür. Nach dem Briefzitat fordert die Anklägerin
abschließend den Ausschluß des Mannes aus den Zusammenhängen
der Tierrechtsszene, solange er nicht bereit ist, seine Täterrolle
anzunehmen und
(therapeutisch?) zu bearbeiten,
um sie schließlich abzulegen.
Vergewaltigung oder Wahrnehmungsverzerrunq?
Oder etwa keins von beidem?
In dieser Geschichte haben
wir drei Elemente: 1. gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Erziehung, patriarchale
Strukturen, die Tierrechtsszene, Drogen [die im Brief des Mannes vorkommen],
und nicht zuletzt einen diskursiven Rahmen, der aus ihrer Perspektive der
des Strafprozesses ist, und aus seiner Perspektive der der therapeutischen
Bearbeitung) 2. Haben wir eine Irritation zwischen zwei Menschen, die etwas
miteinander gewollt zu haben scheinen und einander nun feindlich gegenüberstehen:
nach ihrer Version als anklagendes Opfer und Verbrecher, nach seiner als
Agressorin mit verzerrter Wahrnehmung und als unschuldiges, durchweg wohlmeinendes
Agressionsobjekt. 3. Haben wir als kantsches 'Ding an sich' den 'Vorfall'
bzw. die 'Tat'. Beide 'Parteien' sind sich über die Bewegungsabläufe,
die zum fraglichen Zeitpunkt stattgefunden haben, und über die gesprochenen
Worte offenbar einig; was ihren Sinn und die daraus zu ziehenden Konsequenzen
betrifft, besteht allerdings die größtmögliche Uneinigkeit.
Zunächst stand ich der
Position von I.N.A. abwehrend gegenüber. Niemand hatte sie verletzt,
niemand ihr Hände hinter dem Rücken gefesselt und niemand hatte
sich brutal an ihr vergangen. Und sie stellt sich, unterstützt ('aufgehetzt')
von anderen, auf den Standpunkt der Anklägerin und denunziert ihren
eigenen (nun ehemaligen) Freund als Vergewaltiger! Dabei hatte der bloß
einen tapsigen Annäherungsversuch gemacht und sofort zurückgezogen,
nachdem I.N.A. "Nein" gesagt hatte. Liegt es da nicht wirklich nahe, zu
psychologisieren, und I.N.A. bedauerliche Lustfeindlichkeit, ja Selbstablehnung
zu unterstellen, wie es die junge, leidenschaftliche killing wolf an the
rusty bridge in der Interim 431 tut? In diesem Fall mit Sicherheit nicht!
Sexismus in Kopf und Gliedern
Denn ein im Schlaf erfahrener
sexueller Übergriff ist tatsächlich etwas Unangenehmes. Dazu
fällt mir sofort die Marquise von O und andere 'erotische' Geschichten
ein, die aus dem Gedanken der völligen Objekthaftigkeit von Frauen
einen Kitzel schlagen; einen Kitzel für den Masochismus von Frauen
und die agressive Bemächtigungssexualität von Männern. Eine
sexuelle Attacke auf eine Schlafende kann auch mit 'Erweckungsphantasien'
zusammengedacht werden, in denen Sinnlichkeit und Begehren von Frauen völlig
von der männlichen Aneignung abhängig, und somit als autonomes,
aktives undenkbar gemacht wird. Es läßt sich -
zunächst diesseits
von Fragen nach der hier verhandelten Geschichte als 'Kriminalfall' - festhalten,
daß es sicher nicht unbedingt angenehm ist, auf diese Weise geweckt
zu werden. Im Schlaf ist man hilflos, man ist kein/e Gegenüber, der/die
Ja und Nein sagen kann. Das ist man allenfalls nach dem geweckt-Werden,
dann, wenn
man - wahrscheinlich hochgeschreckt
- den Schlaf abgeschüttelt hat. Wenn eine/r schläft, sollte die/der
andere, ihren/seinen Schlaf respektieren. Außer er/sie ist darum
gebeten worden, die schlafende Person zu einem bestimmten Zeitpunkt zu
wecken. Und schließlich: Ich möchte nicht wissen, wie viele
Frauen in dieser Gesellschaft in einer entsprechenden Situation dem Drängen
des sie weckenden
Liebhabers/Ehemanns/Freundes
schon nachgegeben haben und immer wieder nachgeben, und zwar nicht etwa
weil sie von sinnlichen Träumen erfüllt nur darauf gewartet haben,
daß der Geliebte sie weckt und mit ihnen Liebe macht. Viele - möchte
ich vermuten - gehen auf solch eine im Schlaf erfahrene Anmache ein, weil
sie sich dazu verpflichtet fühlen. Und warum fühlen sie sich
dazu verpflichtet? Weil sie glauben, als 'Freundin', 'Ehefrau', 'Geliebte'
dazu da zu sein die sexuellen Wünsche ihres 'Partners' zu befriedigen.
Sie arbeiten mit an ihrer eigenen Funktionalisierung. Genannt wird das
dann oft: "erfüllte sexuelle Beziehung".
Sagt leichten Herzens
NEIN!
Es ist völlig in Ordnung,
sogar wünschenswert, daß Frauen, wenn sie in eine solche Situation
kommen, sich beschweren und laut "Nein" sagen. Von einem 'guten' Mann/Freund/Geliebten
ist daraufhin zu erwarten, daß er sich vielmals für sein Verhalten
entschuldigt, und daß er - sollte ihm vorher nicht bewußt gewesen
sein, daß er sich damit seiner eigenen Freundin genähert hat
wie einem bloßen1 Lustobjekt -, daraus etwas lernt. Schade ist es
allerdings, daß viele Frauen, so auch I.N.A., das mit dem klaren
"Nein" noch nicht richtig können. Sie schreibt, daß sie sich
- nach ihrem begrüßenswert spontanen "Nein" in der Situation
selbst - zunächst "ständig
dafür entschuldigte,
ihn so verletzt zu haben". Das ist blöd, schlimm, unangenehm und falsch.
Aber es ist, und I.N.A. weiß das auch, völlig verständlich,
denn sie war durch ihre "Erziehung den patriarchalen Strukturen unterlegen".
Und das bedeutet: Sie hat zunächst genauso reagiert wie Millionen
anderer Frauen im Patriarchat, indem sie sich so verhielt, als sei sie
dazu da, Annäherungsversuchen wie dem von ihr zurückgewiesenen
zu willfahren. Zuerst der spontane und außerordentliche Impuls, "Nein"
zu sagen, dann die Schuldgefühle, als habe sie mit dem "Nein" einen
Fehler gemacht. Nun ist es ja auch ganz toll, daß Genossinnen der
verständlicherweise
verstörten I.N.A. den
Rücken gestärkt haben, und daß sie sie ermuntert haben,
ihre spontane Reaktion selbstbewußt zu vertreten.
Definitionsmacht, Opfer und
lauter graue Täter-Katzen Aber, und nun kommt die Kritik: Den unschönen
und wohl auch sexistisch zu nennenden Übergriff ihres (Ex)-Freundes
"Vergewaltigung" zu nennen, ihn also mit einem StraRatbestand zu identifizieren
und damit den (Ex)-Freund von I.N.A. zum Verbrecher zu stilisieren, halte
ich für ganz falsch. Warum? Weil: wenn alle Männer in dieser
Gesellschaft, die (so wie I.N.A. selbst) durch ihre Erziehung patriarchale
Strukturen in der Birne haben, bei Handlungen, bei denen ihr alltäglicher
Sexismus sichtbar wird, gleich zu "Vergewaltigem" und damit zu Verbrechern
werden, dann zwischen solchen
Männern, die sich (so
wie I.N.A. selbst) ändern wollen, und solchen, die Frauen gegenüber
wirklich brachiale Gewalt anwenden, nicht mehr unterschieden werden kann.
Dann sind alle Katzen grau, alle Männer Vergewaltiger und Verbrecher
und alle Frauen Opfer. I.N.A.'s (Ex)-Freund, der sich übrigens ändern
sollte, wurde in dieser Geschichte offenbar zur Projektionsfläche
für I.N.A.'s Scham, das richtige "Nein" sofort durch ein falsches
"Entschuldige!" zurückgenommen zu haben. Die Wut über die eigene
Unklarheit, über den Sexismus bzw. die patriarchalen Strukturen im
eigenen Kopf wurde - wohl unterstützt durch Menschen, die lieber ein
klares Feindbild haben als die Verhältnisse zu verändern - zur
Wut auf den nun wohl innerhalb seiner Szene
gejagten Verbrecher. Während
ich finde, daß killing wolfs Deutung des Übergriffs ("Das ist
Liebe!!! Das ist Leidenschaft!!!) an der Problematik vorbeigeht, läuft
mir bei den Äußerungen von "einer frau", vom feministischen
Solidaritätskommitee, von "einer zukünftigen INTERIM-Boykottiererin"
und von den "vier Männern aus der Tierrechtsszene" in der INTERIM
434 ein kalter Schauer den Rücken runter. Sie alle bedienen eine Täter-Opfer-Krieg-Folie
und reproduzieren sie. Leider bin ich nicht mehr naiv genug, zu fragen:
"woher der Haß?" Er ist nämlich nur zu erklärlich. Aber
ich appelliere an Euch: die stellvertretende Jagd, Anprangerung, Ausschließung
einzelner zu "Tätern" hochstilisierter Männer ändert am
alltäglichen Sexismus nichts. Wenn Ihr
was ändern wallt, dann
achtet die Möglichkeit, Unterscheidungen zu machen zwischen Sexismus
und Vergewaltigung, Handelnden und den Widersprüchen, in denen sie
handeln. Und vor allem: Gebt nicht die Anstrengung auf, eine allgemeine
Debatte über die Worte zu führen, mit denen Ihr kämpft.
Wenn Worte wie
"Vergewaltigung" so subjektiviert
werden, wie "eine frau" oder das "feministische Solidaritätskomittee"
es fordern ("Die Definitionsmacht von Vergewaltigung liegt bei der betroffenen
Frau."), dann können wir uns nicht mehr verständigen, dann haben
wir eine Logik, wie sie in den Hexenprozessen der frühen Neuzeit gegolten
hat,
wo die Definitionsmacht
für Hexerei gleichfalls bei den 'Opfern' lag.
DiFuErKoHi (Die mit dem Fuß
auf der Erde und mit dem Kopf im Himmel)
1 Denn daß wir uns
gegenseitig auch als Lustobjekte behandeln, wenn wir miteinander Liebe
machen, ist völlig in Ordnung. |