Berichte im Vorfeld

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"Es darf kein zweites Seattle geben" 

Trotz dem Debakel am letzten WTO-Treffen hat der britische Regierungschef Tony Blair in Davos für eine neue Freihandelsrunde noch in diesem Jahr plädiert. 

Von Roland Schlumpf, Davos 

Für Englands Ministerpräsident stellt das letzte, gescheiterte Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle zwar einen Rückschlag für das Anliegen eines globalen Freihandels dar. Dennoch will er am eingeschlagenen Kurs festhalten: "Das Schlimmste, was wir für die Entwicklungsländer tun könnten, wäre, die Freihandelsbemühungen zu schubladisieren und wieder Handelsbarrieren zu errichten", sagte Blair am Freitag den Forumsteilnehmern in Davos. Ein weiteres Seattle kann sich die Welt gemäss Blair nicht leisten, aber ebenso wenig, "die massiven Gewinne zu verzögern, die wir durch eine erfolgreiche neue Handelsrunde erzielen würden". 

Der britische Regierungschef erachtet den freien Handel und offene Märkte als beste Garantie für das wirtschaftliche Gedeihen der Dritten Welt. Blair sieht im Freihandel auch keinen Widerspruch zu höheren Anforderungen im Umweltschutz. Er zeigte dennoch Verständnis für die Kritiker der Globalisierung: "Wir müssen uns mit den Bedenken jener auseinander setzen, die davon noch nicht überzeugt sind." 

Aussprache mit Kritikern 

Zu den Letzteren gehört eine Reihe von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO). Sie kamen in Davos mit Vertretern des Weltwirtschaftsforums zu einer Aussprache zusammen. Dabei gab es erwartungsgemäss keine Einigung über eine breite NGO-Teilnahme am nächsten Davoser Forum. Die NGO und andere Gruppierungen wollen heute Samstag eine Protestaktion durchführen, die allerdings von der Polizei nicht bewilligt wurde. 

Überraschend hat am Freitag der israelische Ministerpräsident Ehud Barak seine Teilnahme am Forum abgesagt. Barak will stattdessen am Sonntag mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zusammentreffen. Als Grund für die Änderung der Reisepläne werden "die für kommende Woche zu erwartenden intensiven Aktivitäten im Friedensprozess" angegeben. Der palästinensische Präsident Yassir Arafat hatte ursprünglich für Davos einen Dreiergipfel mit Barak und Bill Clinton angeregt. Der amerikanische Präsident kommt heute Samstag nach Davos. 

tagesanzeiger 29.1.00
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"Was genau haben Sie denn in Davos vor?" 

Die Zufahrtsstrassen nach Davos werden akribisch überwacht, um unliebsame Besucher aus dem Verkehr zu ziehen. 

Von Ursula Eichenberger, Davos 

"Polizei Sperrzone" steht auf den rot-weissen Plastikbändern, welche die Zufahrtsachse von Prättigau nach Davos säumen. Auf dem so genannten Grüenbödeli, das zwischen Davos und Klosters liegt, stehen Beamte der Graubündner Kantonspolizei schwer bewaffnet auf etwas erhöhten Podesten. Mit scheinbar sicherem Kennerblick winken sie gewisse Fahrzeuge, welche in Richtung Davos fahren, an den Strassenrand. Andere lassen sie mit einer freundlichen Handbewegung weiterfahren. Sie müssen nicht einmal ihre automatisch funktionierenden, meist dunkel getönten Scheiben herunterfahren. Ihre Karosserie liegt schwer auf der Strasse, ist meist schwarz oder anthrazitfarben, die Autonummer tief und nicht selten am Rand mit den Buchstaben CD (Corps diplomatique) versehen. 

Unter die Wolldecke schauen 

Polizeifeldweibel Hanspeter Christen ist einer der Kontrollierenden. Seit den frühen Morgenstunden steht er hier. "Um sechs Uhr haben wir minus 20 Grad gemessen", erzählt er und wirft einen dankbaren Blick auf die kleine Holzbaracke am Strassenrand. "Da drin steht Gott sei Dank eine Kaffeemaschine." Seit Donnerstagmorgen wechseln sich hier und an der zweiten Zufahrtsstrasse von Thusis her rund um die Uhr etwa 20 Beamte ab. "Bei so vielen hochkarätigen Besuchern müssen wir unser Davos schon schützen", sagt Christen. Durchgeführt werden diese Kontrollen seit sieben Jahren, einerseits um die jährlich wachsende und immer erlauchtere Gästeschar des Weltwirtschaftsforums zu schützen, andererseits um unliebsame Demonstrationsteilnehmer aus dem Verkehr zu ziehen. 

Trotz eingefrorenen Mundwinkeln setzen die Beamten viel Charme ein, um die anfahrenden Gäste nicht zu sehr zu verärgern. Für Stirnrunzeln hinter der Windschutzscheibe sorgt nämlich bereits die Tatsache, dass der Polizeistopp just an einer etwas ansteigenden, mit Eisplatten bestückten Stelle ist, was beim Wiederanfahren einige ins Schleudern bringt. Jeder, der zum Halt gezwungen wird, wird mit einem netten "guten Tag" in Empfang genommen. Und mit der anschliessenden Frage: "Was genau haben Sie in Davos vor?" Macht die Antwort Sinn, steht der Weiterfahrt nichts im Wege. 

Ein geübtes Polizeiauge 

Beim jungen Paar aus dem Tessin verwirrt Christen aber die hellblaue Wolldecke, welche offenbar irgendwelche Gegenstände auf dem Hintersitz abdecken soll. "Darf ich kurz?", fragt er und hebt einen Zipfel der Decke hoch. Darunter befinden sich Pizzen und Desserts für ein Fest, zu welchem die Tessiner in Davos eingeladen wurden. Wie die meisten Kontrollierten lassen sich die beiden durch den kurzen Reisestopp nicht aus der Ruhe bringen: "Wir sind doch froh, wenn es in Davos über das Weekend nicht zum Chaos kommt." 

Nach welchen Kriterien er die Leute herauslotst, kann Christen nicht genau sagen. "Wir haben eben ein Auge dafür, wenn es heiss werden könnte, da kommt der polizeiliche Instinkt zum Tragen." Die Anzuhaltenden könnten aus allen Schichten sein, "wir haben es nicht auf spezielle Gruppen abgesehen". Manchmal nimmt einer der Beamten eine Identitätskarte mit und verschwindet im Kaffeehäuschen. "Dort machen wir Hintergrundsabklärungen", sagt Christen, ohne auf diese genau eingehen zu wollen. Immerhin so viel: "Fichen machen wir keine." 

Die Polizei kann niemandem verwehren, nach Davos einzureisen. Dazu fehlt die rechtliche Grundlage. Doch "Leute, die offensichtlich zu Gewalt bereit sind und beispielsweise mit Wurfgeschossen oder Kugellagerschleudern kommen, halten wir natürlich zurück", sagt Christen. Seit Donnerstagmorgen sei "nichts Ausserordentliches" passiert. 

tages anzeiger 29.1.00
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Warum sie aufbegehren 

Die Veranstalter der Demonstration gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos erklärten am Mittwoch, warum und wogegen sie kämpfen. 

Von Mathias Ninck, Bern 

"Widerstand gegen das Management der internationalen Ausbeutung." Unter dieser klassenkämpferischen Parole, die auf ein grosses Tuch gemalt war, fand am Mittwochmorgen in der Reithalle in Bern eine Pressekonferenz statt. Vertreter der Anti-WTO-Koordination Schweiz, der GSoA, der Gewerkschaft Comedia und einer Bauernorganisation aus Frankreich, sieben Leute insgesamt, legten dar, warum sie die mehrfach angekündigte Grossdemonstration vom kommenden Samstagnachmittag gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos organisiert haben. 

Gegründet 1997 im Vorfeld der WTO- Ministerkonferenz in Genf, sei die "Koordination" ein Bündnis, das der autonomen Linken entstamme, erklärte David Böhner von der Anti-WTO-Koordination. Ihr Credo sei die grundsätzliche Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem. "Und weil das Davoser Weltwirtschaftsforum d a s Symbol dieses Wirtschaftssystems ist, richten wir uns gegen diese Veranstaltung." Das World Economic Forum sei nicht einfach ein harmloses Debattierclübli, sondern ein Ort, wo die Globalisierung massgeblich vorangetrieben werde, sagte er. Sie hätten im Übrigen ein langfristiges und ein kurzfristiges Ziel: "Davos soll nicht länger das ruhige Hinterland sein, wo sich die Manager der Grosskonzerne friedlich treffen können. Und langfristig wollen wir das Forum ganz verhindern, in Davos und überall auf der Welt." 

500 Leute erwartet 

Zudem kritisierten die Organisatoren der Demonstration die Gemeinde Davos. Sie hätten erst am 11. Januar den Bescheid erhalten (die Demonstration wurde erlaubt, aber nicht wie gewünscht für den 29. Januar, sondern den 30.). "Wir konnten nicht mehr verschieben." Deshalb soll die Demonstration nun wie vorgesehen am Samstag, um 15 Uhr, am Bahnhof Davos-Dorf stattfinden. Man erwarte etwa 500 Leute, die, wie in den Jahren zuvor, als Touristen verkleidet, an den Sicherheitskontrollen vorbeizukommen versuchten. 

In Davos weist die Behörde die Kritik der Organisatoren klar zurück. "Wir haben nichts verzögert. Am 9. Dezember kam das Gesuch für die Demo", sagte Maria von Ballmoos, die Stellvertreterin des Landammanns (Gemeindepräsident),auf Anfrage. "Aber erst am 21. Dezember wurde präzisiert, wann man demonstrieren will." Ausserdem wisse jeder seit einem Jahr, dass das Forum am letzten Januarwochenende durchgeführt werde, "da hätte man ein Gesuch auch schon vor dem 9. Dezember einreichen können". Die Statthalterin zweifelt nicht daran, dass die Demonstration wie angekündigt stattfinden wird. Sie gibt sich gelassen: "Ich gehe davon aus, dass die Leute friedlich sind. Und wenn sie friedlich sind, ist die Demonstration handhabbar." 
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Drinnen oder draussen 

Nicht-Regierungs-Organisationen und Vertreter des Davoser Forums fanden bei einem Streitgespräch keinen gemeinsamen Nenner. 

Den Auftakt zum einstündigen Streitgespräch machte ein Demonstrant, der unter lautem Protest den Saal verliess. Er finde es "jenseits", dass sich die kritischen NGOs mit Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums, an einen gemeinsamen Tisch setzten. Seinen lauten Abgang beendete er mit dem Ausruf, er hoffe, möglichst viele der Anwesenden heute Samstag an der unbewilligten Demonstration wiederzusehen. 

Dann begann die Veranstaltung, bei der alle zu allen sehr nett waren, es aber bei Lippenbekenntnissen bleiben liessen. Die NGOs kritisierten insbesondere, dass sich beim WEF die 2000 reichsten und einflussreichsten Vertreter aus Wirtschaft und Politik hinter verschlossenen Türen versammeln und debattieren, kritische Stimmen aber weitgehend ausgeschlossen sind. "Jene, welche den Preis für die Globalisierung bezahlen, sind erst recht nicht vertreten", kritisierte Peter Bosshard von der Erklärung von Bern. Das sei angesichts des Einflusses des Forums auf die Globalisierung "sehr beunruhigend". 

Diametral unterschiedliche Vorstellungen bestanden über das selbst erklärte Ziel des WEF, nämlich den Zustand der Welt zu verbessern. Vidana Shira, Vertreterin des Netzwerk Dritte Welt, warf dem WEF vor, bei seiner Konzentration auf Vertreter aus Wirtschaft und Politik etwas zu vergessen: "Die gewöhnlichen Menschen mit ihren gewöhnlichen Problemen." Für sie habe es in den Köpfen der WEF-Teilnehmer keinen Platz, "die sind nämlich vor allem mit Dollars gefüllt". Klaus Schwab liess seine "Gegner" wissen, er sei nicht "contre-cœur" mit ihnen zusammengetroffen. "In dieser komplexen Welt braucht es Dialoge, sagte Schwab, "und dieses Zusammentreffen hier ist so eine Gelegenheit." Er verstehe die geäusserten Bedenken, doch habe er ans WEF immer auch Leute eingeladen, "welche sich an die Menschen auf der Strasse erinnern". 

Den NGO-Vertretern ging es aber um mehr als ums Erinnern. 97 Prozent der Weltbevölkerung verfügten beispielsweise über keinen Internetzugang, erläuterte ein Vertreter aus Ecuador. Und genau um diese Menschen und ihre konkreten Probleme ginge es doch. Würden ihre Anliegen nicht bald im Globalisierungsprozess wahrgenommen, prophezeite er einen "Backlash", eine Rückschlag. 

Göran Lindahl, CEO bei ABB, konnte diesem Einwand nicht folgen. Ihn mache immer wieder "betroffen", welch negativen Beigeschmack das Wort Globalisierung bei vielen provoziere. Man müsse sich doch in Geduld üben: "Die grossen Vorteile werden sich vielleicht erst in 20 oder auch 50 Jahren zeigen." Er zumindest habe kein schlechtes Gewissen, dass ABB in 140 Ländern tätig sei. Es sei doch "super", wenn ein Indonesier in Schweden arbeiten könne und umgekehrt. (ue.) 

27.01.00 
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17.01.00 

Knallrakete gegen Forum in Davos 

Unbekannte haben mit einem Anschlag gegen das bevorstehende Weltwirtschaftsforum demonstriert. 

Davos. - Bei einem Anschlag auf das Kongresszentrum Davos mit Knallraketen ist am Samstagabend Sachschaden von rund 15 000 Franken entstanden. Der Anschlag richtete sich gegen das bevorstehende World Economic Forum (WEF). Die unbekannten Täter beschädigten mit pyrotechnischen Knallraketen zwei Panzerglasfenster an der Südseite des Kongresszentrums, teilte das Bundesamt für Polizeiwesen am Sonntagnachmittag mit. Solche Raketen würden sonst bei Feuerwerken abgefeuert und seien in der Schweiz ausser für Jugendliche frei erhältlich. 

Erste Abklärungen der Bündner Kantonspolizei waren von Sprengstoff ausgegangen. Die Sachbeschädigung festgestellt hatte der Kontrolldienst der Securitas. Die Bundespolizei vermutet die Täterschaft im Umfeld der WTO-Gegner. Nach Mitternacht gingen bei verschiedenen Medien Bekennerschreiben, unterzeichnet mit "Für eine revolutionäre Perspektive", ein. Darin heisst es, der Raketenangriff verstehe sich als symbolischer Beitrag zur Störung des WEF. (SDA) 
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12.01.00 

Nach Seattle jetzt Davos im Visier 

Das Scheitern der WTO-Konferenz von Seattle ermuntert die Globalisierungsgegner, nun auch in Davos aktiv zu werden. Sie fordern eine Öffnung des Weltwirtschafts-Forums. 

Von Iwan Städler, Bern 

"Davos ist zu einer Hauptstadt der Globalisierung geworden", glaubt die Erklärung von Bern (EvB). Die Drittweltorganisation wirft dem Weltwirtschafts-Forum vor, unter Ausschluss der Öffentlichkeit Politik zu machen. 

Zeugungsort der WTO? 

Wäre das Treffen nach wie vor ein "European Management Forum", als das es Klaus Schwab 1971 ins Leben rief, so hätte die EvB nichts daran auszusetzen. Im Verlauf der Jahre habe sich das Forum aber auf die internationale Politik ausgedehnt und sei zu einem "kräftigen Motor des Globalisierungsprozesses" geworden, kritisiert Jolanda Piniel von der EvB. 

1982 seien in Davos die ersten Pflöcke für die Uruguay-Runde eingeschlagen worden, aus der später die Welthandelsorganisation WTO hervorgegangen ist. Und 1990 sei der mexikanische Präsident Salinas de Gortari in Davos auf die Idee gekommen, mit den USA und Kanada das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta zu schaffen. 

Neue Spielregeln gefordert 

Die Betroffenen dieser Politik hätten in Davos jedoch keine Stimme, kritisiert Piniel. Die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) sei verschwindend klein. Und die Medien seien nur begrenzt zugelassen. "Durch die Intransparenz wird eine Politik begünstigt, die den Graben zwischen Arm und Reich vertieft, den demokratischen Spielraum schmälert und die Umwelt zerstört", moniert Piniel. 

Die EvB startet nun zusammen mit Pro Natura und einigen ausländischen Organisationen ein Projekt namens "Public Eye on Davos". Es ist langfristig konzipiert und fordert neue Spielregeln für das Forum. Entweder müsse es sich wieder auf Managementfragen beschränken oder zu einem offenen Forum werden, in welchem auch Themen wie der Schuldenerlass für Drittweltländer und die soziale und ökologische Verträglichkeit des Welthandels diskutiert würden. 

Die EvB und Pro Natura fühlen sich durch das Scheitern der WTO-Konferenz von Seattle und des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) gestärkt. Dies zeige, dass der "elitäre Ansatz" des Weltwirtschafts-Forums nicht mehr akzeptiert werde. 

Mit Plakaten gegen die Elitären

Die beiden Organisationen planen während des Forums vom 27. Januar bis am 1. Februar diverse Aktivitäten - etwa ein öffentliches Podium zwischen NGO-Delegierten und Vertretern des Weltwirtschafts-Forums in Davos, eine weitere Diskussion im Volkshaus Zürich und eine Plakataktion. 

Das Forum, das über die Aktivitäten informiert worden ist, sieht kein Defizit an Öffentlichkeit. Die Journalistenzahl sei aus Platzgründen auf 500 beschränkt, erklärt eine Pressesprecherin. Im Übrigen hätten die EvB und Pro Natura zwanzig Personen vorgeschlagen, wovon nun fünf zum Forum zugelassen worden seien. Die beiden Organisationen werten dies bereits als ersten Erfolg ihrer Aktion. 
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FACTS, 27.1.00

«Stören, nicht diskutieren»

Die Schweizer Autonomen wollen sich von den Mächtigen in Davos nicht vorführen lassen. Sie werden für Zoff sorgen.

Von Michael Hug

Sie werden mit allen Tricks versuchen, Soldaten und Polizisten zu überlisten, um am Samstag, 15 Uhr in Davos zu sein. Denn sie wollen, dass «die Machthaber der herrschenden Weltordnung die Köpfe nicht ungestört zusammenstecken können», wie es in einem Demo-Aufruf via Internet heisst.
 

«Die Autonomen» sind gering an der Zahl, aber gross in der Wirkung. Die Davoser Geschäftsinhaber sorgen sich seit Wochen um ihre Schaufenster, und die Bündner Regierung sah sich veranlasst, die Armee um Hilfe zu bitten. Die Stimmung ist angeheizt durch den vorzeitigen Beschuss von zwei Fensterscheiben am Kongresszentrum. Und die Frage lautet: Werden sie es trotz Verbot schaffen, sich am Tag des Besuchs von Bill Clinton zu einer Demonstration zusammenzurotten?

Gegen Kapitalismus

«Ein Game», sagt Dario Häberli, Sprecher der Anti-WTO-Koordination. Häberli, 32, beruflich «tätig in einem selbst verwalteten Betrieb», bewegt sich seit zehn Jahren im ultralinken Kuchen der Berner Reitschule. Die Anti-WTO-Koordination, sagt er, bestehe hier zu Lande aus einem Kern von je rund fünf bis zehn Aktiven in den Städten Bern, Zürich, Basel und Genf. Für das World Economic Forum (WEF) in Davos lautet die Devise: «Stören, nicht diskutieren.» Häberli hält es für sinnlos, sich auf der Hauptbühne vorführen zu lassen, damit die Herrschaften im rückwärtigen Bereich ihre «Hinterzimmer-Deals» abschliessen könnten: «Es geht um die grundsätzliche Ablehnung des kapitalistischen Systems.»

Kultfigur angemeldet

Seit dem tumultösen Abbruch der WTO-Konferenz in Seattle sind die Autonomen im Aufwind. Rund 200 Personen seien im letzten Jahr für die Demo in Davos mobilisiert worden. In diesem Jahr erwartet die Anti-WTO-Koordination einen grösseren Aufmarsch. Oder zumindest den Versuch dazu.

Das ist kaum übertrieben, weil sich mit dem charismatischen französischen Bauernführer José Bové eine eigentliche Kultfigur der Fundamental-Opposition angemeldet hat. Bové wird gemeinsam mit drei- bis vierhundert Mitstreitern seiner Confédération paysanne versuchen, Davos in einem Bus-Konvoi zu erreichen. Auch Bové wäre vom WEF zum «Dialog» eingeladen. Dass er erklärte, sein Platz sei auf der Strasse, rechnet ihm die autonome Szene hoch an. 

Aufregung in Davos

Bleibt die Frage, was sich auf der Strasse abspielen wird. Bové kündigt pazifistischen Widerstand an, und Häberli hält Ausschreitungen schon deshalb für unwahrscheinlich, weil es in Davos kein Entrinnen vor der allgegenwärtigen Ordnungsmacht geben wird. Aber gleichzeitig sorgen seine Mitstreiter mit martialischer Rhetorik für Aufregung: «Die Flammen loderten, die Bonzen brannten, die Bullen löschten und der Umzug jubelte», ist in der Reitschul-Zeitung «megafon» zu lesen.
 
 

Dass es auch die Autonomen mit dem Gesetz genau nehmen können, haben sie 1999 nach Davos bewiesen. Mit einer Beschwerde erreichten sie, dass ihnen Davos wegen Beschneidung der Versammlungsfreiheit eine Entschädigung von 2000 Franken leisten musste.
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