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AUSNAHMEZUSTAND IN ECUADOR
 
 

Mit der Festnahme von Antonio Vargas, Präsident der CONAIE (Vereinigung der Indigenen Nationalitäten Ecuadors) und Luis Villacís, Vorsitzender der Frente Popular, am 30. Januar nimmt die Spannung im Ecuador zu. Seit Wochen gibt eszunehmende Proteste im ganzen Land gegen die im Dezember eingeführten ökonimischen Massnahmen, die v.a. die ärmsten Schichten der Gesellschaft betreffen,von welchen 70% mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssen.

Schon Anfang Dezember wurde angekündigt, dass die Regierung von Gustavo Noboa Mitte Januar ein "Paquetazo" - ein "grosses Sparpaket" - von wirtschaftlichen Massnahmen verabschieden würde, um die Preise von Gas, Kraftstoffen, Elekrizität, Telekommunikation, Wasser sowie des öffentlichen Transportes zu erhöhen. Um eine schnelle Reaktion seitens der Bevölkerung zu vermeiden, wurden die Massnahmen kurz vor Weihnnachten in Kraft gesetzt.

Übernacht stiegen die Transportkosten um etwa 70%, die Preise fuer die Basisversorgung wie z.B. ein Zyinder Gas um 100%; kritisch für eine Bevölkerung von der die Mehrheit mit einem Monatsverdienst von 40 bis 80 Dollar überleben muß.

Das diese Massnahmen einer sozialen Explosion gleichkommen würden, war der Regierung bekannt. Gustavo Noboa begann seine Regierungsperiode vor einem Jahr, nachdem am 21.Januar 2000 tausende von Indigenen zusammen mit verschiedenen Sektoren der Gesellschaft wie z.B. Studierende, GerwerkschafterInnen und BäurInnen nach wochenlangen Protesten Parlament, Präsidentenpalast und Verfassungsgericht besetzten. Die ausgerufene "Junta zur nationalen Rettung" war jedoch nur von kurzer Dauer; Nachdem die an der Junta beteiligte Militärführung das
Triumvirat - "die Junta zur nationalen Rettung" - verraten hatte, um die Macht dem damaligen Vizepräsidenten Gustavo Noboa  zu übergeben.

Direkt nach seiner Machtsübernahme kündigte dieser an, den wirtschaftlichen Kurs seines Vorgängers Jamil Mahuad fortzusetzen.  Die Dollarisierung der Wirtschaft und andere von IWF und Weltbank geforderten üblichen Strukturanpassungsmassnahmen wie Privatisierung u.ä. setzten sich fort.

Mit der Zeit hat sich die wirtschaftliche Lage dramatisiert. Allein im Jahr 2000 gab es eine Inflationrate von 91% - die höchste Lateinamerikas. In Ecuador verfügen 10% der Bevölkerung über 42% des Reichstums wohingegen die ärmsten 10% der EcuarorianerInnen lediglich auf 0,6% besitzen. Laut Angaben der Vereinten Nationen (UN) ist Ecuador in seiner ökonomischen Struktur von 1999 auf 2000 um 100 Jahre zurückversetzt worden. Im selben Zeitraum sind täglich 1000 Kinder in Armut verfallen. Im letzten Jahr sind 38.000 Kinder in Ecuador an heilbaren Krankheiten gestorben. Mehr als die Hälfte der Kinder in Ecuador leiden an Fehl-/ Unterernährung. In Gesundheit werden weniger als 5 % der Staatsausgaben investiert, fuer die Bedienung des Schuldendienstes mehr als die Hälfte. Die Fluchtbewegung von EcuatorianerInnen ins Ausland hat sich vergrößert. Trotzdem die massive Armut und Obdachlosigkeit gestiegen. Dies ist Ausdruck der Neoliberalisierung der ecuadorianischen Ökonomie.

Auslöser der diesjährigen Proteste anfang Januar waren die bereits erwähnten Preiserhöhungen. Die ersten drei Wochen waren von Strassenschlachten zwischen StudentInnen, SchülerInnen auf der einen Seite und Polizei auf der anderen Seite in den  verschiedenen  Provinzen des Landes geprägt.  Anlässlich des ersten Jahrestages des Aufstandes vom 21. Januar 2000 gab die CONAIE bekannt, ab 25. Januar massiv mit indigenen Mobilisierungen zu beginnen, bis die Regierung die Preiserhörungen zurücknimmt. Weiterhin wurde von Indigenen und sozialen Bewegungen ein Generalstreik für den 7. Februar angekündigt.

Die Regierung reagierte darauf mit einem Frontalangriff in der Presse gegen die "suberversive Minderheit", die die "demokratische Ordnung" stören wolle und nicht bereit sei, in Dialog zu treten.
Von Seiten der Regierung besteht keine Bereitschaft, die ökonomischen Massnahmen zurückzunehmen. Die Einreise von Indigenas in die Hauptstadt Quito wird mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Die Militärs ihrerseits drohten im Vorfeld an, "die öffentliche Sicherheit mit allen Mitteln zu verteidigen" und nicht die Verantwortung für eine mögliche Eskalation desKonfliktes zu tragen .

Am 25. Januar fingen die Indigenen in den Provinzen, hauptsätzlich im Hochland, langsam an, die Überlandstrassen zu sperren, um den Verkehr und Warentransport landesweit lahmzulegen. Die Reaktionen von Seiten der Polizei und des Militärs waren unerwartet heftig. In verschiedenen Provinzen wurde mit Gewehren auf DemonstratInnen geschossen. Die indigenen Proteste haben sich seitdem radikalisiert und der Marsch auf Quito begann sich zu organisieren. 

Schon am 26. Januar erreichten Tausende von Indigenen zu Fuß die Hauptstadt Quito; trotz der massiven Militärkontrollen auf allen Zufahrtsstrasse nach Quito, um Leute, die wie "Indianer" aussehen, nicht passieren zu lassen.

Durch starke Militär- und Polizeipräsenz wurde es den Indigenas verwehrt, im Park "El Arbolito", dem traditionellen Sammelpunkt für Widerstandsbewegungen, ihr Camp aufzuschlagen. Die explosive Situation beruhigte sicherst, als der Präsident der Universität Salesiana den Indigenas erlaubte, auf dem Unigelände ihr Camp aufzubauen. Auf Vorwürfe der nationalen Presse, dass seine Tat "politisch" sei, antworte er, dass "die Türen zu schliessen ebenfalls eine politische Tat sei und er die erstere bevorzuge".

Während die Proteste im Land sich weiterhin radikalisierten und die Lebensmittelknappheit zu spürbaren Preiserhöhungen führte, hat sich in Quito eine engmaschige Polizeikette um das Unigelände gebildet, um die Indigenas praktisch einzukesseln. Jeder Versuch der inzwischen 8 bis 10 tausend Indigenas und ihrer UnterstützerInnen, als Demozug herauszukommen, wurde brutal mit
unkontrolliertem Einsatz von Tränengas zerschlagen. Es kam sogar zum Abwurf von Tränengasgranaten auf das Universitätsgelände, wo die Indigenen, darunter 500 Kinder, campen.

Am Morgen des 30. Januar nimmt die Spannung zu, als zwei Vertreter der Organisation der indigenen Nationalitäten CONAIE und die Frente Popular, Antonio Vargas und Luis Villacís, beim Verlassen des Radiogebäudes, nach einem Interview für die Sendung Radio Democracia von einer Eliteinheit der Polizei festgenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht wurden. Der Befehl kam direkt von der Regierung, die ihnen vorwarf, "die demokratische Ordnung zu stören und zur Subversion aufgerufen zu haben". 

Am selben Tag rief die Regierung die Presse dazu auf, "faire" Berichte über die Geschehnisse zu schreiben und der Widerstandbewegung nicht zuviel Raum in der Berichterstattung einzuräumen, was einer Zensur nahekommt.

Am 31. Januar wird vom Sicherheitskommittee der Indigenen auf dem Universitätsgelände ein Polizeispitzel erwischt, der sich als Journalist ausgegeben hatte. Auf die Forderung der CONAIE, Vargas und Villacís im Austausch mit dem Spitzel freizulassen, wurde mit einem Grosseinsatz der 
schwerbewaffneten Eliteeinheit der Polizei, GIR (Gruppe der Intervention und Geiselbefreiung) reagierte, die die Univerisität hermetisch abriegelten. Ein Blutbad konnte nur knapp verhindert werden, nachdem der Erzbischof  von Quito, Mario Ruiz Navas, nach Verhandlungen mit der CONAIE die Freilassung des Polizeispitzels bewirkt hatte, woraufhin die Einsatztruppe kurz danach abgezogen wurde.

Die Resultate dieser grossen Mobilisierung und der massiven staatlichen Repression sind spürbar. Wasserversorgung, Elektrizität und Telefonleitungen der Universität Salesiana sind seit Ankunft der Indigenas unterbrochen worden; die gleiche Behandlung wiederfuhr denjenigen Menschenrechtsorganisationen, die die Proteste unterstützen. Zur Zeit gibt es in ganz Ecuador nach 
Angaben der nationalen Presse über 300 Festgenommene in den letzten Tagen. Mehrere BürgerInnen wurden beim Versuch, Lebensmittel, Medikamente und Wasser für die Indigenas in die Universität zu bringen, festgenommen."Die Bevölkerung wird nicht nur durch institutionalisierte Gewalt, durch Massnahmen, die die Wirtschaftssektoren und das Kapital unterstützen, ermordet, sondern jetzt wollen sie uns mit Kugeln und Gefängnis töten", veröffenlichte die CONAIE zur aktuellen Situation.

Am Vormittag des 31.1. kam es durch Frauen der NGO Acción Ecológica sowie des nationalen Frauenrates, zur Besetzung des Gebäudes des CONAM (Nationaler Rat für Modernisierung), unterstützt von einem Demonstrationszug von etwa 100 StudentInnen sowie der ecuadorianischen Menschenrechtsorganisation APDH(Permanente Versammlung für Menschenrechte). Im Gebaeude des CONAM, dessen Präsident der Bruder des derzeitigen Präsidenten, Riccardo Noboa ist, tagte eine IWF-Delegation, die von den AktivistInnen als Urheber der Kraftstoffpreiserhöhung der angekündigten Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte, sowie die Privatisierung von Telekommunikationsindustrie und Wasserversorgung angesehen werden. Die Polizei löste den friedlichen Demonstrationszug unter Einsatz von Tränengas auf.

Der am 1. Februar begonnene von Anfang an fragwürdige Dialog zwischen Regierung und den Aufständischen, wurde schon am 2. Februar seitens der Indígenas unterbrochen. Den drei Hauptforderungen der Indígenas: Zurücknahme der ökonomischen Maßnahmen, direkter Dialog mit dem Präsidenten Noboa sowie Demonstrationsrecht, wird von Regierungseite in keinster Weise entsprochen. Noboa zeigt keine Bereitschaft, die ökonomischen Maßnahmen in Frage zu stellen, will das Demonstrationsrecht erst nach erfolgreich beendetem Dialog genehmigen und sandte als Verhandlungsführer für die Regierung einen Staatssekretär der Verwaltung und sah sich bestenfalls bereit, den Vizepräsidenten in die Verhandlung zu schicken. Daraufhin unterbrach Vargas, entsprechend dem Mandat der Basen, den Dialog.

Seit Freitag, dem 2.Februar hat die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen, was Einschränkungen von Grundrechten wie z.B. Versammlungsrecht, freie Meinungsäußerung, Bewegungsfreiheit, sowie Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluß, willkürliche Personalienfeststellungen und mögliche Ausgangssperren nach sich zieht. Die Repression von seiten der Regierung geht nicht zurück, und der Widerstand, vor allem in den Provinzen, weitet sich aus. Seit Freitag hat das Militär mit finanzieller Unterstützung von Großgrundbesitzern und Großhändlern begonnen, die Strassenblockaden gewaltsam aufzulösen, da aufgrund der Strassensperren täglich US$ 20 Millionen wirtschaftliche Einbussen zu verzeichnen sind.

Es ist fraglich, wie lange die rebellierenden Indígenas noch der Aushungerungs- und Erschöpfungsstrategie der Regierung widerstehen können und ob sie es doch noch schaffen trotz des Ausnahmezustandes ihre Wut auf die Strasse zu tragen und ihre Forderungen durchzusetzen.

Alexis Ponce, APDH:"Dies ist ein S.O.S., ein Aufruf an die Menschlichkeit .dies ist ein Apell an die internationale Gemeinschaft, dass sie sich mit der Bevölkerung, die unter der derzeitigen Krise und Repression zu erleiden hat. Diese Bevölkerung ist Beispiel für ganz Lateinamerika. Es ist Zeit zum Aufwachen."