[zurück]
  
 

“Es wird den EinwohnerInnen von Aoiz bekannt gegeben, dass die Lektüre des Gutachtens von Professor Rebollo den Schluß zulässt, dass der Staudamm brechen könnte. In diesem Fall stehen jeder EinwohnerIn zwischen 20 Sekunden und einer Minute zur Verfügung, um sich auf den nächstgelegenen Berg zu begeben.”

ITOIZ: Wenn der Damm bricht...
 

Am 16. November 2000 stellt die BI “Coordinadora de Itoiz” der Öffentlichkeit das Sicherheitsgutachten zum Stauseeprojekt von Itoiz vor. Autor des Gutachtens ist Arturo Rebollo Alonso, Straßen- und Kanalbauingenieur, studierter Geologe, Architekt, Kunsthistoriker, Kulturanthropologe und Philosoph, Mitarbeiter des Forschungsinstitutes Civiltec. In den vergangenen Jahrzehnten entwarf und leitete er den Bau von Stauseeprojekten, Wasserkraftwerken, Kanälen, Landstraßen, Brücken, Bewässerungssystemen und anderen Bauten wie Tiefgaragen etc. Er gilt in Fachkreisen als Experte erster Güte und ist in seinen Berufsständen mit Auszeichnungen dekoriert worden.
Im Jahr zuvor hatte der Professor für Geologie an der Universität von Zaragoza Dr. Antonio Casas schon ein Gutachten veröffentlicht, dass von katastrophalen Folgen eines Staudamm-Störfalls und von der hohen Wahrscheinlichkeit dieser Störfälle gesprochen hatte. Dieses Gutachten galt in der veröffentlichten Meinung vor allem als “Gegengutachten” zu den regierungsoffiziellen Studien eines “widerstandsfreundlichen” Autors und hatte keine solche Wirkung wie die Stellungnahme des “unabhängigen” (weil jahrzehntelang für die Bauherren riesiger Infrastrukturprojekte tätigen) Professor Rebollo. 
Dieses neue Gutachten stößt in Bevölkerung und Medien auf breite Resonanz. Mensch ist nun sehr besorgt um seine Sicherheit flussabwärts der Talsperre. Diese Stimmung wird unterstützt durch die Informationsveranstaltungen von SOLIDARIAS CON ITOIZ mit Deligierten der Anwohnergruppen des 1963 gebrochenen Staudamms von Longarone, Vaiont (Italien). Bei dieser Katastrophe, die von Geologen vorhergesagt worden war, kamen damals 2.000 Menschen ums Leben.
Für das Gutachten, welches die Sicherheitrisiken des Itoiz-Stauseeprojektes untersuchen soll, studierte Rebollo eingehend die geologischen Besonderheiten der sog. Flyschformationen an den Berghängen, auf denen die zwei in Itoiz bereits realisierten Staumauern fußen. Er besuchte viele Male die Baustelle und untersuchte die Baupläne und existenten Studien, wie die Gutachten des Büros Intecsa, das im Auftrag der Regierung die geologischen Risiken erforscht hatte, und die anderer Behörden.
Arturo Rebollo selbst faßt seine Schlussfolgerungen wie folgt zusammen:
1.Wie ich in meinem Gutachten ausführlich dargelegt habe, stelle ich zunächst fest: Von Anfang an war die geologische Untersuchung der von diesem Stauseeprojekt betroffenen Gebiete lücken- und fehlerhaft. Das bezieht sich auf die Berghänge, die das zu flutende Tal umgrenzen wie auf den Platz, der für den Bau der Staumauern gewählt wurde. Insbesondere wurden gewisse geologische Formationen (span. Flysch turbidítico) unvollständig und fehlerhaft erkannt sowie vorhandene Erosionserscheinungen unberücksichtigt gelassen. In der Folge sind bisher deshalb die geotechnischen Voraussetzungen für den Staudammbau und die Flutung des Gebiets falsch eingeschätzt worden.
2.Das Risiko einer Katastrophe, die Szenarien zu denkbaren Störfällen, die mit dem Stauseeprojekt zusammenhängen, wurden in den Bauplänen und begleitenden Gutachten niemals erwähnt oder auch nur ansatzweise untersucht.
3.Die geologischen Hintergründe für die in Itoiz vorliegende Problematik sind für Laien schwer verständlich. Obwohl wissenschaftlich gesehen unerlässlich, wurden die Flyschformationen nicht als mögliche Gefahrenquelle untersucht.
4.Der Stausee von Itoiz darf nie gefüllt und in Betrieb genommen werden. Es bestehen schwerwiegende Probleme und Sicherheitsrisiken katastrophalen Ausmaßes.
5.Die Sicherheitsgarantie für den Betrieb des Stausees von Itoiz ist auf der derzeitigen Grundlage gleich Null. Die zuständigen Behörden dürfen eine Lösung für dieses Problem vor dem Hintergrund der möglichen katastrophalen Folgen nicht verschleppen.
6.Vor dem Hintergrund der großen Sicherheitsrisiken und ihrer jeweiligen Ursachen habe ich die ingenieurtechnischen Möglichkeiten geprüft, das Projekt nachzubessern. Ich komme zu der Schlussfolgerung, dass keine technischen Lösungen existieren, die die von mir genannten Sicherheitsrisiken umgingen. Die geplante Infrastruktur ist absolut nicht sicher.
7.Jedes Aufstauen des Irati muß verhindert werden, um katastrophale Folgen ausschließen zu können. In Itoiz sind die Staumauern und verschiedene andere Maßnahmen aber schon jetzt realisiert. Die einzige zukunftsfähige und sichere Lösung für den Betrieb der bereits vorhandenen Anlagen: Ohne längeres Zuwarten auf 500 m Höhe durch eine zu schaffende Öffnung in der Hauptstaumauer dem Irati-Fluß freien Ablauf gewähren. Diese Öffnung muß so beschaffen sein, dass der Fluß auch Baumstämme und anderes Material wegtragen kann, welches er bei Hochwasser wegtragen wird. Dafür benötigt der Fluß einen Ablauf von mindestens fünfzehn mal fünf Metern.
8.Die Höhe von 500 Metern darf nicht überschritten werden. Die zweite Staumauer, die kurz vor ihrer Fertigstellung steht, wird hiermit völlig sinnlos.
 Große Staudämme und Stauseeprojekte müssen auf eine lange Haltbarkeit hin entworfen werden. Ihre ingenieurtechnische Qualität dürfte deshalb von größter Wichtigkeit sein. Projekte wie hier, von denen ein derart hohes Gefahrenpotential für die Bevölkerung ausgeht, sollten sogar “total sicher” sein.

KATASTROPHENSZENARIEN
In seinem Gutachten spricht Rebollo von “sieben Risiken” für eine Katastrophe, Risiken des Stauseeprojekts von Itoiz. Haupt-Risikofaktor sind die Flyschformationen an den Berghängen rund um das Staubecken. Außerdem weist Rebollo auf ein Gebiet von 3 km² an der westseite der Staumauern hin, auf welchem “sich in der Vergangenheit jeder Quadratmeter bewegt hat”. Dies sei ein sehr “instabiles” Stück Berg. 16 größere Gerölllawinen sind aus der Vergangenheit bekannt; diese Erdrutsche fanden “im Trockenen” statt, mit gefülltem Stausee ist die Wirkung einer Lawine laut Rebollo weitaus größer und folgenreicher.
1.Risiko: Hervorgerufen durch einen Erdrutsch von gewissen Berghängen in den Stausee hinein schwappen riesige Wellen über die Staumauer und über das Seeufer flussaufwärts. Ein einziger Erdrutsch unweit der Staumauern wird einen Kubikhektometer Wasser verdrängen. Über die Staumauern stürzen zwischen 200.000 und 300.000 m³ und zwischen 40.000 und 50.000 m³ Wasser verwüsten die Gegend weiter flussaufwärts - dort befinden sich die Ortschaften Oroz-Betelu und Nagore.

2. Risiko: Das Geröll aus einem Erdrutsch verstopft den Abfluß des Stausees und ruft so die Überschwemmung des Stauseeufers hervor. Es reicht aus, dass von bestimmten Punkten zwischen 0,5 und 2,0 Kubikhektometer in den See rutschen, damit dieser Effekt eintritt und das Material eine ungewollte weitere Staumauer bewirkt. Das Ausufern des Stausees wird von seinem jeweiligen Zufluß durch den Irati und den Urrobi bestimmt. In der Schlucht von Iñarbe kann ein Erdrutsch eine Staustufe schaffen, die den oberen Teil des Stausees auf 30 bis 40 m höher staut als die eigentlichen Staumauern. Es würden hierdurch bis zu 100 zusätzlichen Kubikhektometern aufgestaut - nach den Plänen soll Itoiz 418 Kubikhektometer fassen.
3. Risiko: Die unter Punkt 2 beschriebenen ungewollten zusätzlichen Staustufen brechen und lassen das Wasser über die Staumauern treten. Nach diesem Szenario laufen die 100 Kubikhektometer in 15-20 Minuten als Strom von 35.000 m³ pro Sekunde, später anderthalb Stunden lang als schwächerer Strom, über die Staumauern hinweg ab. Nach diesem Störfall ist der in flussrichtung gesehen linke Staubeckenrand total erodiert und nackt. Die Sockelung der Hauptstaumauer wird unter Umständen so stark angegriffen, dass der gesamte Stausee sich leert. Auch in Szenarien von Erdrutschen an anderen Stellen (der rechte Sockelberghang der Hauptstaumauer und der Felsen, auf dem die zweite Staumauer steht) sind die Staumauern selbst gefährdet.
4. Risiko: Der instabile linke Sockelberghang der Hauptstaumauer gibt nach. Der Wasserdruck greift zwischen dem Berghang und dem Beton an und bricht sich Bahn. Der Stausee entleert sich komplett. Erdrutsche an diesem Berghang sind nach Rebollo nicht nur wahrscheinlich, sondern “unumgänglich”. Diese Erdrutsche werden zumindest zur Folge haben, dass die Abflussöffnungen in der Staumauer verstopfen, wodurch das Aufstauen unkontrollierbar weitergehen würde. Im Szenario für den Fall der unkontrollierten Stauung ist von einer Ereigniskette die Rede, die das vollständige Entleeren des Stausees als Endpunkt hat. 

5. Risiko: Der instabile Berghang unter der flussabwärts gesehen rechten Seite der Hauptstaumauer lässt es zu, dass Wasser durch ihn hindurchdringt und so die Hauptstaumauer nach und nach unterspült. Das Wasser bricht sich in einem immer stärkeren Strom unter der Mauer hindurch Bahn. Hierbei kommt es zu Strömen von 30.000 bis 40.000 m³ pro Sekunde. 

6. Risiko: Der Grat, auf dem die zweite, kleinere Staumauer steht birgt ähnliche Risiken. Der Stausee kann sich bis auf das Niveau des Sockels dieser Mauer um 28 Meter leeren, es treten hierbei Ströme von 20.000 bis 40.000 m³ pro Sekunde auf.

7. Risiko: Der instabile Untergrund weicht sich auf, so dass die zweite Staumauer als ganze in den See hineinrutscht. Hier hätten wir Ströme von 80.000 bis 100.000 m³ pro Sekunde in Richtung flussabwärts.
Ohne Stausee hat der Irati einen Strom von 15-20 m³ pro Sekunde und bei starken Regenfällen oder Schmelzwasser 400 m³ pro Sekunde. Im Katastrophenfall schwillt der Irati also auf das 50 bis 750-fache seiner größten Winterstärke an.
Das Flussbett der Flüsse Irati, weiter unten des Aragón und des Ebro, würden hinweggefegt. Direkt an diesen Flüssen liegen die Städte Aoiz, Lumbier, Tudela, Zaragoza und Tortosa. Hinter Zaragoza flussabwärts liegt der dreifache Atommeiler Ascó, der in der Vergangenheit schon wegen der Mängel an seinem Fundament in direkter Flussnähe und diverser anderer Störfälle in die Schlagzeilen geraten ist. Das AKW würde bei einem Bruch des Dammes in Itoiz ebenfalls zerstört.
 

Quelle (auch Abbildungen): EL TUTO, Revista de Información y Cultura, Aoiz (Navarra), 12/2000