antifaag, 20.01.2007
Eine gewöhnliche Kampagne endete mit einer gewöhnlichen Demonstration. Unter dem Motto „NPD-Zentrale abreißen. Abschiebeknäste abschaffen.“ liefen am 6. Juni 2004 knapp 2.500 Menschen stundenlang durch das menschenleere Köpenick; die Resonanz in den Medien bestand aus wenigen, zum Teil winzigen Artikeln und kurzen Berichten im Lokal-Fernsehen. Nicht einmal die üblichen Rangeleien mit der Polizei konnten daran etwas ändern. Die Demonstration schien zum Selbstzweck geworden zu sein - zur Vermittlung politischer Positionen diente sie jedenfalls kaum.
Zum Scheitern der Köpenick-Kampagne und der notwendigen Neuorientierung der antifaschistischen Bewegung
Eine gewöhnliche Kampagne endete mit einer gewöhnlichen Demonstration. Unter dem Motto „NPD-Zentrale abreißen. Abschiebeknäste abschaffen.“ liefen am 6. Juni 2004 knapp 2.500 Menschen stundenlang durch das menschenleere Köpenick; die Resonanz in den Medien bestand aus wenigen, zum Teil winzigen Artikeln und kurzen Berichten im Lokal-Fernsehen. Nicht einmal die üblichen Rangeleien mit der Polizei konnten daran etwas ändern. Die Demonstration schien zum Selbstzweck geworden zu sein - zur Vermittlung politischer Positionen diente sie jedenfalls kaum.
Kampagne: Im Vorbereitungskreis der von felS mitgetragenen Kampagne standen sich zwei Konzepte gegenüber: Ein Teil der Gruppen wünschte eine große, langfristig vorbereitete Demonstration als Abschluss und Höhepunkt einer Kampagne, die aus einer Kette von mobilisierenden Veranstaltungen und Aktionen besteht. Nach felS-Vorstellungen sollte die Kampagne stattdessen einem politischen Konzept folgen (also nicht nur Demo-Vorbereitung sein), breite gesellschaftliche Kreise ansprechen können und eine lokale Verankerung antifaschistischer/antirassistischer Positionen zum Ziel haben. Diese Ansprüche erhebt zwar auch die klassische Antifa-Politik; die Praxis freilich sieht anders aus. FelS drängte deshalb auf eine Bestimmung der Strategie und Taktik, die über Jugend-Antifa-Rituale hinausgeht.
Der Vorbereitungskreis beschloss eine Synthese der beiden Konzepte; die Durch- und Umsetzung der eingeforderten neuen Formen und Inhalte gelang felS allerdings nicht.
Auswertung: Dies ist an sich keine Katastrophe, die Schwächen und Fehler müssen aber wenigstens nach Abschluss der Kampagne im Bündnis gemeinsam und konstruktiv ausgewertet werden. Das nicht einmal dies erfolgte, ist schlimm. Statt sich zu den gerade einmal 2.500 TeilnehmerInnen auf einer bundesweiten (!) Demonstration zu gratulieren und die Kampagne dann schnell zu begraben, wären Reflexion und Kritik notwendig gewesen. Doch eine auf Schaffung von „Events“ orientierte Praxis lässt nur Manöverkritik zu („Hätten wir am Knast offensiver sein sollen?“ etc.). Die bei dem kurzen Nachbereitungstreffen benannten Mängel (Scheitern bei der Einbeziehung migrantischer Gruppen und antirassistischer Initiativen, kaum Zusammenarbeit mit Parteien, Initiativen, Jugendprojekten etc. aus Köpenick, keine Vermittlung unserer Positionen an BürgerInnen, unzureichende Medienarbeit usw.) hätten eine Überprüfung des Konzepts verlangt, doch daran bestand kein Interesse. Die Planung neuer Kampagnen, neuer Aktionen, neuer Demos ließ keine Zeit zur Rückschau.
In diesem Artikel soll es aber nicht um die detaillierte Auswertung der Köpenick-Kampagne oder um Schuldzuweisungen gehen. Die (politische) Erfolglosigkeit der Kampagne verweist auf allgemeine Probleme der antifaschistischen Bewegung.
Mehr Politik!
Noch immer verhält sich die antifaschistische Bewegung eher wie eine Jugendbewegung als wie eine politische. In Antifa-Gruppen sind in der Regel Menschen zwischen 17 und 27 Jahren aktiv. Sie greifen zu Aktionsformen, die ihr politisches Selbstverständnis widerspiegeln und vor allem Gleichaltrige ansprechen. Die Aktionsformen werden (wie Dresscodes und politische Auffassungen) von den bestehenden Gruppen übernommen und kaum hinterfragt. Die Praxis richtet sich kaum nach den politischen Bedingungen und Notwendigkeiten vor Ort, sondern ist formal und inhaltlich am Üblichen orientiert. Dies schützt - wie auch die Beachtung bestimmter Grundsätze („die Medien berichten schlecht“, „die Bürgies kapieren eh nichts“, „Bündnisarbeit weicht linke Politik auf“ usw.) – hervorragend vor kritischer Reflexion.
Triebfedern der politischen Aktivität sind vor allem Empörung und Identitätsbestätigung, selten politische Einsicht. Folgen der emotionsgeleiteten Praxis sind unter anderem, dass Menschen, die jahrelang aktiv waren, sich ab einem bestimmten Alter, bei Nachlassen der persönlichen Betroffenheit und der mobilisierenden Dauer-Empörung aus den Jugend-Gruppen zurückziehen. Sie fühlen sich auf den Demos fremd und können oft den gewohnten Politikstil nicht mehr mittragen. Ihr Ausscheiden wird bedauert, aber nicht als Problem der Bewegung wahrgenommen.
Politische Aktivität, die auf Empörung beruht, bleibt beim Protest stehen. Widerstand ist dagegen die Einsicht in die Notwendigkeit politischer Arbeit, in die bewusste Bestimmung und ständige Überprüfung der politischen Praxis. Das ist natürlich kein Plädoyer für eine kalte, nüchtern abwägende Politik ohne Spaß und Wut - aber Emotionen können nicht die alleinige Basis des Kampfes für den Umsturz der Gesellschaft sein.
Mehr Ziele!
Antifaschistische Arbeit hat drei gleichberechtigte Zielrichtungen:
> Nazis: direkter Kampf gegen Nazis, ihre Organisationen und ihre Treffpunkte sowie Be- und Verhinderung ihrer Aktivitäten
> Linke: kontinuierliche Arbeit in bzw. Aufbau antifaschistischer Gruppen, Kultur- und Bildungsarbeit innerhalb der Linken, Mobilisierung zu Veranstaltungen und Aktionen
> Gesellschaft: Bündnis- und Öffentlichkeitsarbeit zur Schaffung eines antifaschistischen/ antirassistischen Konsens in weiten Teilen der Gesellschaft, Kultur-, Medien- und Bildungsarbeit für BürgerInnen
Gerade der letzte Punkt gerät oft zum Anhängsel, denn Erfolge in diesem Bereich lassen sich nicht leicht messen. Die Zustimmung zu ernsthafter Öffentlichkeitsarbeit wird in der Linken oft an unerfüllbare Bedingungen geknüpft: Die Medien sollen so schreiben, wie man es sich wünscht, Bündnispartner sollen alles gut finden, „die Bürger“ sollen Nazi-Aufmärsche angreifen etc. Trotz der Überspitzung: Die Distanzierung von Bündnispartnern und einige schlechte Artikel in der Lokalpresse z.B. reichen „Antifas“ als Beweis für die Sinnlosigkeit von Bündnis- und Öffentlichkeitsarbeit meist aus. Politisch ist diese Art der Identitätspflege als militante Avantgarde nicht.
Der Kampf um kulturelle Hegemonie in der Gesellschaft und die Intervention in aktuelle Diskurse hat nicht nur Grundanliegen linksradikaler Politik zu sein, sondern auch Anspruch und Ausdruck antifaschistischen Engagements.
Mehr Reflexion!
Das Aufzählen-Können der drei Arbeitsfelder reicht nicht aus. Jede antifaschistische Gruppe muss sich bewusst mit der eigenen Schwerpunktsetzung beschäftigen und der Lage in der eigenen Stadt oder Region entsprechend ihre Funktion bestimmen. Und umgekehrt sind alle Aktivitäten auf ihre Tauglichkeit hinsichtlich der genannten Punkte zu überprüfen.
Diese kontinuierliche Selbstreflexion ist, auch wenn es vielleicht paradox klingt, kein ewiger Quell von Depressionen. Die kritische Einschätzung der eigenen Arbeit, die Bestimmung der längerfristigen Strategie und der aktuellen Taktik führt nicht in die Hoffnungslosigkeit, sondern zu einem neuen politischen Selbstverständnis - zu weniger Depression und auch zu weniger Arroganz bei Erfolgen.
Die im Text formulierten Ansprüche sind hoch und auch wir erfüllen sie nur unzureichend. Doch den beschriebenen Weg halten wir für prinzipiell richtig, weil er eine offene Methode umreißt, statt einen Masterplan anzubieten.