Antifa AG, 20.01.2007
In der Arranca! wurden in einem Artikel der FelS-AG Antirassismus/Antifaschismus die identitätspolitische Ausrichtung und die Aktionsformen großer Teile der antifaschistischen Bewegung scharf kritisiert. In Weiterentwicklung unserer dort formulierten Kritik haben wir für dieses Heft – das sich explizit dem Thema politische Praxis widmet – mit einem Antifaschisten aus Sachsen-Anhalt gesprochen.
In der Arranca! wurden in einem Artikel der FelS-AG Antirassismus/Antifaschismus die identitätspolitische Ausrichtung und die Aktionsformen großer Teile der antifaschistischen Bewegung scharf kritisiert. In Weiterentwicklung unserer dort formulierten Kritik haben wir für dieses Heft – das sich explizit dem Thema politische Praxis widmet – mit einem Antifaschisten aus Sachsen-Anhalt gesprochen.
Matthias Schrader ist 35 Jahre alt, lebt in Magdeburg und arbeitet als Bibliothekar. Er ist bereits seit Ende der 80er Jahre in antifaschistischen Gruppen aktiv.
Du hast, anders als die meisten der heute Aktiven, die verschiedenen Phasen der antifaschistischen Bewegung in der Bundesrepublik miterlebt. Nach der Hochphase in den 90er Jahren steckt die Antifa jetzt mitten in der Rezession. Auffällig hierbei ist, dass die Antifa gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR besonders stark davon betroffen ist.
Das Wort Rezession trifft zu. Denn schwach ist die Antifa ja nicht nur hier, auch im Westen findet man außerhalb der größeren Städte kaum noch funktionierende bzw. kontinuierlich arbeitende Strukturen. Richtig ist jedoch, dass die Situation in vielen Oststädten noch schlimmer ist – und schon immer war. Das liegt unter anderem daran, dass die linke DDR-Opposition vor 1989 nicht in der Lage war, eine eigene alltagskulturell akzeptable politische Praxis zu entwickeln. So landete sie nach der „Wende“ schnell in der subkulturellen Sackgasse der Westlinken. Es gab es zwar Kritik daran – die Zeitschrift „Telegraf“ nannte diese Entwicklung sogar „kulturelle Okkupation“ - aber Alternativen konnten auch die Kritiker nicht aufzeigen. Die Durchlässigkeit der oppositionellen Milieus in der spätem DDR, ihre Offenheit gegenüber der Gesellschaft endete mit ihrem Eintritt in die Nischengesellschaft der Bundesrepublik. Und die damit verbundenen Probleme hat FelS ja damals klar benannt. Die „Kritik an den Autonomen“ begleitete in der Antifa-Bewegung allerdings nur einen Generationswechsel: Weg vom Schmuddel-Autonomen, hin zum aktuellen Antifa-Style. Das hatte FelS wahrscheinlich nicht gemeint. Die notwendige politische Weiterentwicklung blieb bei diesem Generationswechsel weitgehend aus – stattdessen löste eine neue Subkultur eine alte ab.
Das entspricht auch unserer Einschätzung. Dennoch hat die jugend- bzw. subkulturelle Orientierung der Bewegung auch positive Aspekte. Beschreibe aber noch kurz die Situation der Antifa-Bewegung in Sachsen-Anhalt?
Die Lage ist miserabel. Selbst in Magdeburg, Dessau und Halle sind nur noch ein paar Aktive übrig; in kleineren Orten ist die Situation oft noch schlimmer. Das heißt nicht, dass es keine linken oder alternativen Jugendlichen mehr gäbe, aber die Bereitschaft zu politischer Arbeit ist gering. Bei Nazi-Aufmärschen oder für eine Kampagne finden sich Leute zusammen – und anschließend zerfällt die gerade geschaffene Struktur wieder.
Ist nicht gerade in so einer Situation die Identität als „Antifa“ eine wichtige Klammer? Jugendliche sind doch eher mit subkulturellen Codes anzusprechen und einzubinden als durch politisches Bewusstsein.
Das ist ja das Dilemma: Ohne Subkultur gäbe es vielleicht keine Antifa mehr, gleichzeitig stehen die albernen Codes aber auch jeder Weiterentwicklung im Wege. Der Impuls für eine Änderung der Identitätspolitik muss aber aus den Metropolen kommen. Statt die alten Codes zu bedienen, ist auf eine Öffnung gegenüber der Gesellschaft bzw. gegenüber den letzten Bündnispartnern zu drängen. Und statt revolutionäre Ansprüche mit Gesten der Rebellion zu verwechseln, muss man sich fragen, ob nicht mancherorts das Zurückdrängen der Nazis die Bedingung für jede weitere politische Betätigung wäre.
Hierfür – und allgemein - ist es aber nicht notwendig, die linksorientierten Jugend- bzw. Subkulturen in Bausch und Bogen zu verurteilen. Sie können nur nicht Ersatz für politische Konzepte sein. Und Offenheit heißt ja nicht Beliebigkeit.
Eben. Denn die eventuellen Folgen der geforderten Öffnung sind auch zu bedenken. Angesichts der theoretischen Schwächen der Bewegung, steht die Antifa plötzlicher Akzeptanz oft völlig hilflos gegenüber. Der sogenannte „Antifa-Sommer“ vor einigen Jahren hat das gut illustriert. Dazu kommt, dass sich aus dem Repertoire der Antifa-Codes Organisationen wie die „Falken“, die DGB-Jugend, „solid“ und andere bedient haben. Damit kann eine auf die Einhaltung solcher Codes basierende Bewegung schlecht umgehen - und hier auf das Copyright hinzuweisen, wirkt natürlich lächerlich. Voraussetzung für eine Öffnung gegenüber der Gesellschaft ist also die Beschäftigung mit der Frage, was unseren linken Antifaschismus jenseits der Parolen, der Reformismusangst und der habituellen Eigenarten von der Anti-Nazi-Arbeit anderer gesellschaftlicher Kräfte unterscheidet.
Das heißt doch auch, das man als politische Bewegung die Gesetze der Bewegungssoziologie reflektieren muss.
Natürlich, Reflektieren ist immer gut. Das hilft aber nicht dabei – so pessimistisch es klingt – die Bewegungsgesetze außer Kraft zu setzen. Die Operaisten in Italien zum Beispiel haben sich schon früh mit diesen Fragen befasst – den Niedergang ihrer Bewegung hat das nicht verhindert.
Eigentlich kann nur eine politische Organisation solche Entwicklungen wirklich reflektieren. Die Vermittlung von Erfahrungen, die Steuerung von kollektiven Lern- und Politisierungsprozessen, das Integrieren widersprüchlicher Positionen immunisiert zwar nicht gegen die Bewegungsgesetze, hilft aber dabei, Rezessionsphasen zu überstehen. Die bürgerlichen Parteien oder Gewerkschaften können das zum Beispiel. Im Unterschied zu einer idealen linken Organisierung werden in deren Apparaten aber vor allem Posten statt Inhalte und Erfahrungen weitergegeben.
Was heißt das nun für die antifaschistische Bewegung? Der Organisierungsversuch AA/BO ist ebenso gescheitert wie das strukturlose Bundesweite Antifa-Treffen BAT.
Die radikale Linke sucht schon seit Jahrzehnten nach Lösungen ohne eine befriedigende Antwort zu finden. Sie leidet nach wie vor unter dem Abreißen ihrer personellen und politischen Traditionen durch den Faschismus, den Stalinismus und zu einem gewissen Teil auch durch die poststalinistische Ära. Im Westen haben die Integrationskraft der Sozialdemokratie und die politische Repression der 50er Jahre für das Absterben der letzten Reste dieser Traditionslinien gesorgt. Seitdem ist Linkssein und politische Arbeit nur noch eine Lebensphase der Unter-30-Jährigen. Es gibt nur wenig Anbindung an die Lebenswelt der übrigen Menschen und die sozialen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft sind unverändert hoch: freie Zeit, Bildung und finanzielle Absicherung. Geboten wird dafür Rebellion – und bloße Rebellion war schon immer reaktionär. Insofern gehorcht die Antifa-Bewegung den gleichen Mechanismen wie die APO, die Spontis und die Haubesetzerbewegung.
Leider beschäftigt sich damit kaum jemand. Verstellte das Bewegungshoch in den 90er Jahren den Blick auf die Probleme? Wodurch wird in einer Bewegung der Niedergang eingeleitet?
Die Ignoranz gegenüber dem Ablauf von Bewegungsprozessen ist beinahe grundsätzlich Merkmal von Bewegungen. Der Niedergang ist eng an das Problem der sogenannten „politischen Generationen“ gekoppelt. Wenn individuelle Lebenszyklen enden – und das ist bei Bewegungen ein Zeitpunkt, der eine große Zahl von Aktiven betrifft – verändern sich Bewegungen und ihr Abstieg beginnt. Meist ist dieser Prozess von Spaltungen und Konflikten begleitet, die eine Weiterführung der politischen Arbeit verhindern. Neue und tragfähige soziale Praxen werden in diesem Stadium nicht mehr entwickelt.
Dieser Ablauf ist in der antifaschistischen Bewegung gut nach zu verfolgen. Auch der Generationswechsel Mitte der 90er Jahre unter genereller Beibehaltung des Themas steht dem nicht entgegen. Diese Generation ist jetzt an ihrem Endpunkt angelangt - und eine neue mit eigenen Codes und neuem Schwung ist nicht in Sicht. Zu einer adäquaten Antwort auf Ereignisse wie in Pömmelte oder Pretzien ist die Antifa nicht in der Lage. Stattdessen werden neue, nicht weniger identitäre Positionen kreiert, die sich den Mühen der Ebene gleich ganz verweigern: Dörfer wie die genannten werden nicht mehr wie früher von Antifa-Demos heimgesucht, jetzt schimpft man aus sicherer Entfernung unterschiedslos auf den „volksgemeinschaftlichen Mob“.
Welche Aufgaben hat denn die Antifa angesichts des Bewegungshochs, in dem sich die Nazis gerade befinden? Abwarten, das auch deren Stern einst sinken wird, kann ja keine politische Praxis ersetzen.
Vor allem ist zu befürchten, das sie sich – genauso wie die alternative Subkultur - in einer Nische dauerhaft etablieren können, ganz unabhängig davon, wie groß ihre momentane Mobilisierungsfähigkeit gerade ist. Als Hauptaufgabe der antifaschistischen Bewegung würde ich derzeit Schadensbegrenzung ansehen. Schadensbegrenzung meint, mit den wenigen zivilgesellschaftlichen Akteuren, die es noch gibt, strategische Bündnisse zu schließen, um das Vordringen der Nazis zu stoppen. Wir dürfen nicht auf identitärer Politik beharren, sondern müssen den Mut haben, eigene Inhalte zu vertreten ohne sektiererisch zu sein. Der Affekt der moralischen Überhebung ist unbedingt zu vermeiden, auch wenn man die Positionen der Bündnispartner manchmal für zu wenig radikal hält. So hätten beispielsweise die Antifas in Dresden statt auf einer eigenen kleinen Demo englische und amerikanische Fahnen zu schwenken, auch an der Kundgebung der jüdischen Gemeinde teilnehmen können.
Unabdingbare Voraussetzung für eine Weiterentwicklung, wenn nicht gar für die Existenz der Antifa ist eine Diskussion über ihre politische Praxis. Unser Eindruck allerdings ist, dass das Interesse an Reflektion zumindest in Berlin gering ist. Die verhältnismäßig gute Situation der Bewegung in der Metropole scheint der Diskussion über die Notwendigkeit von Veränderungen eher im Weg zu stehen. Zudem wird „Street-Credibility“, also das Funktionieren im engen Korsett der szeneintern akzeptierten Antifa-Praxis, zur Bedingung für Kritik erklärt.
Dieser Vorwurf ist ein alter Hut, aber nicht unbeliebt. Und natürlich Unsinn. Aber auch anderswo ist es schwierig, die notwendigen Diskussionen zu führen, einfach weil keine es kaum noch funktionierende Antifa-Strukturen gibt. Das ist also keine Frage privaten Wollens, sondern Folge der Auflösung der Bewegung. Bedenklich ist, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Fraktionen der Linken und eben auch der Antifa so zusammengeschmolzen sind, dass scheinbar nicht einmal die gemeinsame Grundlage für eine Diskussion ohne weiteres zu bestimmen wäre.
Wir beteiligen uns seit 2005 an der Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“, die nach Wunsiedel und inzwischen auch nach Halbe und Dresden mobilisiert und Aktionstage, Demos, Veranstaltungen etc. organisiert. Neu ist an dieser Kampagne, dass sie das politische Handeln stärker als bisher üblich reflektiert und die gemeinsame Praxis politisch bestimmt wird. Ein Hoffnungsschimmer?
Da würde ich sagen: Die alten Kader haben aus den Katastrophen der 90er Jahre gelernt. Mehr ist das erst mal nicht. Aber auch nicht weniger. Die gesellschaftliche Entwicklung – darüber haben wir noch gar nicht gesprochen – sorgt ganz unabhängig von Bewegungssoziologie und möglichen Antifa-Diskussionen dafür, dass die Bedingungen für politische Arbeit schwieriger werden. Nicht nur, weil der ökonomische Druck steigt, die Prekarisierung Angst vor der nahen oder fernen Zukunft macht und man immer weniger Zeit hat, sondern weil Politik immer weniger Menschen als Antwort auf ihre konkreten Probleme erscheint und weil sie vor lauter Realpolitik keine Utopien mehr bietet.
Widerspricht das nicht den Feststellungen von vorhin? Antifaschistische Realpolitik im Bündnis und Utopie scheinen weit voneinander entfernt.
Nein. Denn Utopien sind keine genau einzuhaltenden Bastelanleitungen für die Revolution und schließen die sogenannte Realpolitik nicht aus. Ich fordere ja auch nicht Realpolitik im Sinne der PDS oder des DGB, aber ein grundsätzliches Bekenntnis zur Offenheit und die Bereitschaft, sich gemeinsam mit anderen Menschen zu engagieren.
Fußnote:
Pömmelte und Pretzien sind Dörfer im Landkreis Schönebeck in Sachsen-Anhalt. In Pömmelte quälten Anfang 2006 mehrere Nazis einen dunkelhäutigen Jungen, in Pretzien wurde bei einem Dorffest zur Sonnenwende (!) von rechten Jugendlichen ein Exemplar des „Tagebuch der Anne Frank“ öffentlich verbrannt. Die Reaktion der meisten BewohnerInnen der Dörfer war Wut auf die „Westpresse“ und Rechtfertigung der rechten Jugendlichen.