Die neue Bettlektüre "Glut und Asche" ist ausnahmsweise interessant zum lesen (nicht nur zum einschlafen). Ein heimattümmelnder Autor , Geronimo genannt, rechnet mit 4-jährigen Verspätung mit den selbstorganisierten MigrantInnenzusammenhängen ab, konkret mit der Antifaschist-Genclik-Gruppe, mit der wegen der Kaindl-Aktion Verhafteten, mit den Antifaschist-Genclik-Kommitees sowie mit Cafè Morgenland.
Wobei der einzige Hintergrund der ganzen Empörung und der Beschimpfungen sich als ein rein betriebswirtschaftliches Problem erweist: Die Soli-Bewegung - und der Autor persönlich, haben im Fall Kaindl investiert und nichts kam dabei raus: "Im Zusammenhang der Antifa-Geschichte habe ich in Berlin an mehreren Soli-demos für die Verhafteten teilgenommen, von denen mir einige zuvor bekannt waren, habe ein paar öffentliche Solidaritätsveranstaltungen besucht, bin für die Beschuldigten zweimal sprühen gegangen und habe ansonsten zur Unterstützung der Soli-Arbeit Geld gespendet".(S. 19)
In einer Art autonomer TÜV, werden unsere Defekte, "Unverschämtheiten", "Unsinn" , "maßlos makaber" usw. als Normverletzung beanstandet und Noten verteilt: Die Gefangene haben sich nicht an die Normen gehalten, Cafè Morgenland ist gefährlich und die Szene traut sich nicht aus falsch verstandener Rücksicht, diese Gruppe fertig zu machen usw. Die Zulassungsplakette wird definitiv verweigert.
Femigra (Feministische Migrantinnen-Gruppe, Frankfurt) kommt gerade mit einem blauen Auge glimpflich davon (obwohl sie sich getraut hat sich als Migrantinnen-Gruppe zu bezeichnen!). Und immer wieder der erhobene Finger mit der stereotypen Mahnung: "Ihr dürft nie wieder ein "China-Restaurant" besuchen! Nie wieder!"
Instinktgetriebene Machtphantasien werden offen als Projektion auf Cafè Morgenland ausgebreitet (wenn Deutsche bekanntlich über andere reden, muß man/frau genau zuhören; denn sie reden meistens über sich):
"Die Leute des Cafè Morgenland waren in diesem Interview so freimütig einzuräumen, was ihr Interesse an derartig absurden Zuschreibungen in der von ihnen in diesem Zusammenhang verfolgten Politik ist. Der in der Tat komplizierte (sic!) Kampf gegen den Rassismus ist für diese Gruppe im Grunde genommen nur eine unvermeidliche Nebensache in einer viel zentraleren Auseinandersetzung: Und in der geht es darum, sich ganz schlicht ein Machtticket zunächst über alle diejenigen Personen und Gruppen zu besorgen, die versuchen, sich gegen den Rassismus zu assoziieren... Bevor sich irgend etwas überhaupt in irgend eine Bewegung gesetzt hat, ist bereits in der Argumentation der Gruppe Cafè Morgenland die Machtfrage gestellt. Nur zu. So braucht die Realisierung einer derartig handlungsmächtigen, schmittianischen Freund-Feind-Strategie vor allem eines: Die gedankenlose Beihilfe einer großen Menge nützlicher Idioten, die nichts anderes wollen, als sich einer Politik unterordnen, die sie ohnehin nicht zu bestimmen haben.". (S. 126)
Spätestens nach diesen Plaudereien ist ersichtlich welches Verhältnis Teile der Autonomen gegenüber "nichtnormierten" MigrantInnen aufgebaut haben und wie sie uns sehen: als Material für "Politik" und als manipulierter Masse ("nützliche Idioten"). Zu Erinnerung: Früher wurde die AG als brauchbar wegen ihres "Muts" angesehen ("Wir brauchen Euren Mut und Ihr unsere Schlauheit").
Verschwörungstheorien und ein imaginärer Feind werden aufgebaut, um ihn anschließend zu bekämpfen: Cafè Morgenland will sich "ein Machtticket über alle Personen und Gruppen besorgen...", mit ihrer Argumentation "stellen sie die Machtfrage", "sie entfalten geschickt ein fein gesponnenes Netz von heimtückischen Andeutungen und negativen Zuschreibungen auf der Rassismus-Folie" (S. 125).
Und die Szene? Sie merkt es nicht mal. Obwohl diese VerschwörerInnen-Gruppe überall und gar kommentarlos ihre Gift verbreitet: " Innerhalb des linksradikalen Milieus besitzt dieser Zusammenhang, der als "Migrantengruppe" firmiert, eine relativ großen Bekanntheitsgrad. Seit Beginn der 90er Jahre wurden Stellungnahmen dieser Gruppe zumeist kommentarlos in den Zeitschriften von Autonomen nachgedruckt" (S. 236).
Eine marginalisierte Gruppe, von chaotisch und destruktiv agierenden MigrantInnen, wird künstlich zu einer mächtigen Organisation mit geschlossener Theorie, Strategie und Taktik aufgebauscht und präsentiert; es wird ihr eine übertriebene Bedeutung und Wichtigkeit zugeschrieben und sie wird zur ständigen Bedrohung. Somit steht der Autor mit seinen Rettungs-Attacken als Siegfried gegen das Ungeheuer und nicht als Don Quichote gegen Windmühlen da. Er appelliert an die von seine Vorfahren überlieferten und bei vielen seine LeserInnen vorhandenen Weltverschwörungsphantasien . Eine Mischung aus Scientologie und antisemitischen Verschwörungsklischees schwebt wie eine Keule über der Szene. Sie wird gewarnt. Sie soll sich wehren! Keine falschverstandene Solidarität! Sonst bekommt sie Psycho-Probleme: "Kein Wunder, daß das (die Zurückhaltung an Kritik gegenüber CM, d. Redaktion) bei manchen MitstreiterInnen im Kampf gegen den Rassismus dazu führen kann, daß diese in ihren Argumentationen maßlos und in negativer Weise verrückt werden" (S. 236).
Wenn der Autor von Auseinandersetzungen redet, redet er mit Andeutungen über mögliche Konsequenzen. Er setzt den Satz "öffentlich zu Rede stellen" in Anführungszeichen. Ihm geht es nicht um Diskussionen. Er will, daß die Szene sich für mehr als für ein paar Kommentare und Diskussionen entscheidet.
Er legt auch das dafür notwendige Potential offen: "Politisch betrachtet nämlich besitzen Autonome - so sie nämlich politisch handeln - nicht den allergeringsten strukturellen Anteil am Rassismus. Das findet seinen Ausdruck z.B. in der schlichten Tatsache, daß Autonome bislang noch immer versuchen, Pogrome politisch und praktisch zu bekämpfen, anstatt dabei mitzumachen, was ihnen ja nicht von vornherein unmöglich wäre" (Hervorhebung d. Redaktion).
Wir könnten auch anderes, sagt der Autor, wohl wissend, daß es tatsächlich immer wieder auch anders läuft: So wurde die MigrantInnen-Gruppe "KöXüZ" durch die Szene aus ihren Räumen (A6) rausgeschmissen; so wurden Angriffe gegen ausländische Kneipen organisiert (am 8.11.97 fand ein Angriff von deutsche Skinheads gegen ein ausländisches Restaurant in Berlin statt, der Kneipenbesitzer wurde zusammengeschlagen. Eine Woche später fand ein Angriff von deutsche Autonomen gegen ein griechisches Restaurant - wegen "Edel-Kneipen" versteht sich - ebenfalls in Berlin statt); so wurde während der Castor-"Kämpfe" eine Nichtdeutsche letztes Jahr vergewaltigt und in den Tod getrieben usw., usw.
Ja, wir stimmen mit dem Autor überein. Sie können auch anderes.
Seine Oldenburger Autonome waren offener: "Diese Leute (CM) haben kein Existenzrecht. Man müßte sie alle erschießen" (aus Alhambra, 1996).
So ein Mist! Sorry, daß diese Anstrengungen umsonst waren! Alles in allem eine schlechte Investition, nicht mal die Kosten kamen dabei raus.
Angesichts der substanziell rassistischen und identitätsfixierten Positionen des Autors werden wir zu einem späteren Zeitpunkt (je nach Lust und Laune) ausführlicher darauf eingehen. Aber auch aus einem anderen Grund, der nicht mehr lustig ist: In dem Buch werden Leute angegriffen und fertig gemacht (insbesonders aus dem Kreis der ehemaligen Gefangenen), die sich nicht wehren können und keine Gefahr für seine Attacken darstellen. Wie sagte Pohrt? "Die Deutsche können niemanden am Boden liegen sehen ohne nach ihm treten zu müssen". Soviel bzw. so wenig vorerst.
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