Ein paar Skizzen autonomer Bewegung quer durch die letzten Jahre der West-Republik

Parallel, quer und nachfolgend zu den in jeder Hinsicht deprimierenden Erfahrungen mit der deutschen Friedensbewegung kam es auf der theoretischen Ebene zu verstärkten Diskussionen über neue Räume sozialrevolutionären Handelns. Der Rahmen dieser Diskussion wurde in dem bereits erwähnten Kritikpapier der Revolutionären Zellen an der Friedensbewegung aus dem Januar 1984 angerissen. Auf der Seite des eher banal-organisationspraktischen Handgemenges waren die Autonomen mehr als einmal mit der Grünen Reformpartei, den Antiimps und der Stadtguerilla sowie der Anti-AKW-Bewegung in teilweise auch tatkräftig ausgetragene Streitereien verstrickt. Von besonderer Bedeutung waren die politischen und sozialen Entwicklungen der Autonomen in den drei Zentren Hamburg, West-Berlin und Frankfurt sowie die gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gerichtete Kampagne. In dieser Entwicklung spiegelt sich eine untergründige Abwendung der Linksradikalen von den Provinzorten der neuen sozialen Bewegungen wieder zurück in die Städte. Nach den in den Betriebs- und den Häuserkämpfen erlebten Niederlagen und nach dem »Deutschen Herbst« hatten sich die hauptsächlichen und vor allem spektakulären linksradikalen Tätigkeiten ab Mitte der 70er Jahre auf Kämpfe gegen AKWs und die industrielle Umstrukturierung in den Regionen bezogen. Es war in dieser Zeit immer ein krasser Widerspruch gewesen, die subversiv-militante Praxis in den Anti-AKW-Kämpfen nicht mit einer vergleichbaren Politik in den Städten verbinden zu können Diese wäre zudem auch polizeilich etwas schwerer angreifbar gewesen. Spätestens mit der Hausbesetzungswelle in West-Berlin waren die Linksradikalen jedoch wieder als politische Kraft in das Terrain der Städte zurückgekehrt. Dabei zeichneten sich in den regionalen städtischen Schwerpunkten der Autonomen deutlicher als in anderen Teilen der BRD soziale Trennungsprozesse zu weiten Teilen der Alternativbewegung ab.
Die nachfolgenden Skizzen über die politischen und sozialen Entwicklungen, die von den Autonomen zum einen produziert wurden und denen sie zugleich auch immer wieder unterworfen waren, stellen nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Universum autonomer Bemühungen in diesem Jahrzehnt vor dem Zusamenfall der Berliner Mauer dar. Sie wären der Vollständigkeit halber um Kapitel über die regionalen Entwicklungen der Autonomen im Ruhrgebiet, in Süddeutschland und vor allem in Freiburg zu ergänzen. Und überhaupt: Mit welchem Recht ist es erlaubt, die von Autonomen organisierten Kampagnen zum Bleiberecht für alle Flüchtlinge, die Organisierung der antifaschistischen Arbeit, die in vielen Städten und Orten gelaufene Aktivitäten gegen Umstrukturierung und Yuppiesierung, die in autonomen Zusammenhängen erbittert geführten Vergewaltigungsdiskussionen, die von Frauen vollzogene Trennung von autonomen Männern und ihre eigenständigen Organisierungsprozesse in dieser Darstellung zu unterschlagen? Leider kann auf diese schmerzlichen Lücken an dieser Stelle nur eindringlich hingewiesen werden. Gerade eine kompromißlose Aufarbeitung dieser zum Teil vernünftigerweise gescheiterten Versuche und Ansätze wäre für eine Reformulierung einer neuen befreiend gelebten Politik einer autonomen Bewegung, die sich tatsächlich auf dem Weg ins 21. Jahrhundert machen will, so dringend notwendig.
Statt dessen muß sich die nachfolgende Darstellung mit dem Problem herumschlagen, daß sich die Beschreibungen an den während der 80er Jahre in der bürgerlichen Öffentlichkeit wahrgenommenen »Highlights« der Autonomen ausrichtet. Diese Blickrichtung wird zudem noch durch die entsprechenden staatlichen Repressionsmaßnahmen verstärkt. So stellt sich z.B. die Frage, was über die Entwicklung des autonomen Widerstandes an der Startbahn-West zu schreiben gewesen wäre ohne die verhängnisvollen und falschen Pistolenschüsse vom November des Jahres 1987? Die vom Autor gewählte Darstellungsweise unterschlägt die vielen alltäglichen und weniger spektakulären Diskussionen und Bemühungen vieler Genossinnen, die ohne entsprechendes Medienspektakel stattgefunden haben. Viele Autonome in Hamburg haben in den 80er Jahren auch ganz andere Probleme diskutiert als permanent die Frage der Durchsetzung des Hafens, und auch Kreuzberger Autonome hatten Besseres zu tun, als beständig auf den nächsten Kiezaufstand zu warten. Trotz dieser offenkundigen Mängel erschien die skizzenhafte Darstellung einiger politischer und sozialer Entwicklungslinien dieses Zeitraums deshalb gerechtfertigt zu sein, weil sie Autonomen in den 80er Jahren Identifikationspunkte für ein gemeinsames Selbstverständnis eröffneten. Insofern haben sie wesentlich dazu beigetragen, die Autonomen zu einer symbolischen Gegeninstitution in der BRD-Gesellschaft werden zu lassen. Die weitergehende Frage, ob das nun »gut« oder nicht viel eher »schlecht« war und ist, soll mit dem Hinweis an dieser Stelle jedoch nicht entschieden werden. Das bleibt seitens des Autors einer späteren Darstellung vorbehalten.

Wird Politik in Klassen- oder Massenbewegungen herumgerührt oder abmoderiert?
Die enttäuschenden Erfahrungen mit der Friedensbewegung im Herbst 1983 führten bei einigen Teilen der Autonomen zu einer scharfen Kritik an diesem Konzept von sozialer Bewegung. Gerade nach dem »Raketenherbst« stand deutlicher denn je ein Fragezeichen dahinter, inwieweit die von Autonomen bislang angestrebte Radikalisierung von sozialen Bewegungen noch eine Folie für eine Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse abgeben kann. Obwohl die Kritik nicht zu einer gemeinsamen Neuorientierung führte, fand jedoch eine Diskussion darüber statt, wie einerseits das erreichte Niveau an praktischer Radikalität und Massenmilitanz gehalten und andererseits eine Ausweitung der Bewegung über die kulturellen Grenzen der Szene hinweg erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund erfuhr kurzzeitig das existierende Konzept von Jobbergruppen eine größere Beachtung. Diese Gruppen waren zu Beginn der 80er Jahre als Reaktion auf die auch auf Szenestrukturen durchschlagende ökonomische Krise entstanden und konzentrierten sich auf die Frage der eigenen sozialen Existenz auf dem Arbeitsmarkt. In Folge der zweiten »Ölpreiskrise« im Winter 1979/80 kam es zu einem sprunghaften Ansteigen der Arbeitslosenzahlen, die von der herrschenden Klasse zunehmend dazu benutzt wurde, Kürzungen in den sozialen Bereichen durchzusetzen, in denen viele Autonome zuvor ihre materielle Existenz gesichert hatten (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, BAFöG usw.). Aus der noch in den 70er Jahren relativen Freiheit der flexiblen Jobauswahl wurde unter den Bedingungen einer verschärften Massenarbeitslosigkeit die immer weniger freiwillige Notwendigkeit, Jobs zu immer schlechteren und ungesicherteren Bedingungen annehmen zu müssen. Als Reaktion auf diese Entwicklung gründeten sich allerorten in der BRD und West-Berlin autonome Jobber-, Sozi- und Erwerbslosengruppen, die dabei zum Teil auf den »operaistischen« Ansatz aus Italien zurückgriffen.
Im Jahre 1982 konnten diese Gruppen beim ersten bundesweiten Erwerbslosenkongreß den Versuch des DGB, diese Bewegung unter seine Führung zu bringen, verhindern. Aus der Ablehnung einer DGB-Orientierung der Erwerbslosenbewegung unter dem Motto »Arbeit für alle« ­ egal zu welchen Bedingungen, und egal, was damit produziert wird (z.B. AKWs und Rüstungsteile) ­ ergab sich jedoch innerhalb der autonomen Jobberbewegung kein überregional verbindender politischer Ansatz.
»Die VertreterInnen der Klassenpolitik gingen von der Notwendigkeit und aktuellen Möglichkeit militanter ArbeiterInnenkämpfe aus. Notwendigkeit, weil an einer Zentralität der ArbeiterInnen, deren produktive Kooperation vom Kapital auch in Zukunft nicht durch Maschinen ersetzt werden könne (Kritik am Mythos Vollautomation), für eine revolutionäre Perspektive festgehalten wird, und weil sogenannte 'Freiräume' in Wirklichkeit vom System abhängig und auch tolerierbar seien, solange die Mehrwertproduktion läuft; Möglichkeit, weil erstens die Fabrik immer mehr auf die Gesellschaft ausgedehnt werde, immer mehr Bereiche unmittelbar dem kapitalistischen Kommando unterworfen würden, so daß Kämpfe in einzelnen Sektoren unmittelbar die Mehrwertproduktion treffen (z.B. Frauenkämpfe, Stadtteile, Knast, Ausbildungssektor etc.), zweitens unter der Oberfläche des 'sozialen Friedens' der Kampf der Klassen gegen die Arbeit nie zum Erliegen gekommen sei und nur aus seinen reformistischen Fesseln befreit werden müsse.
Daraus ergab sich eine mehr oder weniger radikale Absage an 'Szene-Politik' und eine Verankerung militanter Kerne in den verschiedenen Sektoren; dies aber nicht als Fortsetzung linker Kaderpolitik, um die Massen zum richtigen Bewußtsein zu missionieren, sondern als Aufhebung der 'Politik in erster Person', dort, wo jeder dazu beiträgt, das System zu reproduzieren, kollektiven Widerstand zu organisieren ...
Die Bewegungspolitikerinnen machten geltend, daß angesichts einer integrierten bestenfalls reformistischen und im Weltmaßstab privilegierten, metropolitanen Klasse von dieser jedenfalls nicht die entscheidende Initiative zu einer Revo (Revolution, d. Verf.) ausgehen könne. Auch sei der 'operaistische' Ansatz systemimmanent und nicht auf die außerhalb der Verwertung Stehenden anwendbar, also dort, wo (in der trikontinentalen Subsistenz, bei den metropolitanen Leistungsverweigerern) am ehesten noch eine zum Kapital antagonistische Gesellschaftlichkeit überleben bzw. sich entfalten könne« (Autonome Freiburger Studis/Bolschewiki).
Die Auseinandersetzungen von Autonomen mit dem Bereich der »Arbeit« waren im Prinzip von ähnlichen Schwierigkeiten gekennzeichnet, die eine der wesentlichen Erfahrungen im Verhältnis der »neuen Linken« zur ArbeiterInnenklasse seit '68 ausmachte. In der sozialen Zusammensetzung war der Bereich der Lohnarbeit in den 80er Jahren weitgehend von einer politisch integrierten, gewerkschaftlich hoch organisierten Facharbeiterklasse in sogenannten »Kernbelegschaften« dominiert. Sie waren auch weiterhin ein außerordentlich schlechter Resonanzboden für die im weitesten Sinne »autonome« Vorstellung eines »selbstbestimmten«, d.h. gegen das Kapitalkommando organisierten, Lebens. Zwar gab es in dieser Zeit eine Ausweitung von ungesicherten und flexibilisierten Leiharbeitsverhältnissen, ihr Umfang blieb jedoch gemessen an der Gesamtbeschäftigung gering. Zudem wurde die in diesem Bereich propagierte »autonome Jobberorganisierung« immer wieder von neuem von der »Mobilität der Entgarantierten« unterlaufen. Konkret bedeutete das, daß viele Leiharbeiter sich immer noch lieber aus einem beschissenen Jobverhältnis herauskündigen ließen, als sich der mühevollen und zudem noch ungewissen Kleinarbeit einer politischen Organisierung zu unterwerfen. Die Konzeption eines autonomen Jobberansatzes schleppte von Beginn an das ungelöste Problem mit sich herum, daß das Kapital die relative Freiheit der »Jobberautonomie« der mobilen Linksradikalen aus den 70er Jahren als Drohung eines neuen Spaltungsinstruments gegenüber den Kernbelegschaften instrumentalisieren konnte.
Der Jobberansatz blieb sowohl in den Betrieben als auch innerhalb der autonomen Szene in einem doppelten Sinne minoritär: An den in den 80er Jahren stattfindenden zentralen Lohnarbeit-Kapital-Konflikten (Werftbesetzungen in Norddeutschland, Tarifkonflikte um die Einführung der 35-Stunden Woche im Frühjahr '84 und '87, Mobilisierung gegen die Einschränkung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften Ende '86, Auseinandersetzungen um die Stillegung des Stahlwerkes in Rheinhausen '87/'88) wurde zwar von Autonomen eine genaue und fundierte Kritik vorgenommen (vgl. z.B. die »Karlsruher Stadtzeitung« Nr. 34/84). Als handelnde Subjekte waren sie in diesen Konflikten aber nicht präsent, und ihre in einigen Betrieben aufgebauten Strukturen blieben auf eine informelle Ebene beschränkt. Zwar konnten im Rahmen von DGB-Demonstrationen zum 1. Mai und anderen Anlässen immer wieder von neuem gegen die reformistische Politik der Gewerkschaftsführung gerichtete oppositionelle Arbeitslosen- und Jobberblöcke organisiert werden. Die dabei u.a. propagierte gewerkschaftsunabhängige Organisierung im Bereich der Lohnarbeit wurde von der autonomen Szene jedoch nicht weiter aufgegriffen. Zwar gab es die ganzen 80er Jahre hindurch eine bemerkenswerte Kontinuität kleinerer Aktionen und Initiativen autonomer Gruppen für einen offensiven Umgang mit der Arbeitslosigkeit, die versuchten, das Existenzrecht gegen den Zwang zur Lohnarbeit zu thematisieren. Trotzdem blieb das Konzept der Szene in dem Sinne aufgesetzt, als daß ihre Strukturen die Möglichkeit beinhalteten, sich dem konventionellen Erwerbsbereich relativ entziehen zu können. Konsequent zu Ende gedacht, hätte eine vollständig am Erwerbsbereich orientierte Organisierung bedeutet, daß die »Szene«-Strukturen hätten aufgegeben werden müssen.

Zwischen Haßkappe und Birkenstocksandalen:
Die Autonomen und die Grünen
Der Entstehungsprozeß der Partei der Grünen ist ganz präzise auf die politische Gemengelage in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, irgendwo im weiten außerparlamentarischen Gestrüpp zwischen der »neuen Linken«, der Anti-AKW-Bewegung und dem gleichzeitigen Zerfall der ML-Gruppierungen zu datieren. Die »neue Linke« wurde seit dem Niedergang der APO im Sommer 1968 von Zeit zu Zeit immer mal wieder von sogenannten »Organisationsdebatten« heimgesucht. Als auch die ebenfalls aus der APO entstandenen ML-Gruppierungen Mitte der 70er Jahre an politischer und sozialer Resonanz zu verlieren begannen, gab es ­ aus dem Umkreis von zumeist durch die 68er Revolte an die Universitäten gespülten Intellektuellen ­ die nächste Organisationsdebatte. In expliziter Abgrenzung zu »autonomistischen Positionen«, die damals u.a. von Johannes Agnoli vertreten wurde, wurden unmittelbar vor dem Entstehungsprozeß der GRÜNEN Konzepte einer linkssozialistischen Partei diskutiert. Auch wenn diese Diskussionen zunächst nicht den gewünschten Erfolg zeitigten, so tauchten doch nachfolgend eine Reihe von Namen aus jener Debatte später bei der Partei der Grünen wieder auf (Rudi Dutschke, Christian Ströbele, Thomas Schmid). Die noch verbliebenen Reste der zerfallenden ML-Bewegung benötigten ab Ende der 70er Jahre noch eine Reihe von »sozialistischen Konferenzen«, die von mehreren tausend Leuten besucht wurden, um schlußendlich im Hafen der Grünen Partei landen zu können.
In den ersten programmatischen Auseinandersetzungen während der Gründungsparteitage der in den Jahren 1979/80 auf bundesweiter Ebene entstehenden Partei der Grünen gelang es den parteierfahrenen ML-Resten im Bündnis mit anderen »fortschrittlichen Kräften«, die zu jenem Zeitpunkt starken rechten bis reaktionären Kräfte (Gruhl/Springmann) aus der Partei zu drängen und ein links-alternatives Programm durchzusetzen. Das drückt sich in den beschlossenen programmatischen Leitsätzen »Basisdemokratisch ­ Gewaltfrei ­ Sozial ­ Ökologisch« aus. Während dabei der Begriff der »Gewaltfreiheit« eine klare Konzession an die Normen des bürgerlichen Rechtsstaats ist, in dessen Mechanismen man beabsichtigt, an Wahlen teilzunehmen, signalisiert der Begriff der »Basisdemokratie« eine im Prinzip antistaatliche Orientierung. Imperative Mandatsstrukturen, wie z.B. die Rotation, sollten »Experten- und Berufspolitikertum« verhindern, per Satzung wurden in Partei und Parlamentsfraktionen Ämterhäufungen ausgeschlossen. Für Parlamentarier wurden auf Basis eines Facharbeiterlohns egalitäre Einkommen beschlossen. Große Teile der über Parlamentsposten eingenommenen Kohle sollten an einen Fonds abgeführt werden, mit dem Aktivitäten der außerparlamentarischen Bewegungen unterstützt werden sollten.
In den Jahren 1979­82 hatten die Grünen in einer Reihe von Landtags- und Kommunalwahlen enorme Erfolge. In bestimmten regionalen Protestregionen (Lüchow-Dannenberg, Rhein-Main) wurden sie mit teilweise zweistelligen Ergebnissen gewählt. In den Dienstleistungszentren West-Berlin, Frankfurt und Hamburg gelang ihnen der erfolgreiche Einzug in die Parlamente. Auf dieser Basis erfolgt schließlich auch der Einzug in das Bonner Parlament bei der Bundestagswahl im Frühjahr 1983. Der endgültige Durchbruch als parlamentarische Partei war in nur kurzer Zeit mit einem Boom an Abgeordnetenmandaten in den Kommunal-, Kreis- und Landesparlamenten sowie dem Bundestag verbunden. Bei keiner anderen parlamentarischen Partei in der BRD stellte sich das Verhältnis zwischen Mitgliederzahl und Mandatsverteilung so eng dar wie bei den Grünen. Mitte der 80er Jahre übten z.B. in Hessen rund 80% der Parteimitglieder zugleich auch ein Abgeordnetenmandat aus. Die durch die Wahlerfolge gewonnenen enormen staatlichen Geldmittel konnten dazu benutzt werden, zunächst die freiwillige Fraktion mit einer großen Anzahl von bezahlten Referenten und wissenschaftlichen Hilfskräften zu einem effektiv arbeitenden Apparat auszubauen. Diese Entwicklung war in der Folge mit einem Bedeutungsverlust der Partei gegenüber den Fraktionen verbunden, da diese sich nicht im gleichen Umfang einen bürokratischen Apparat zulegen konnte.
Der Verparlamentarisierungsprozeß der zunächst verbal als »Anti-Parteien-Partei« oder als »Protestpartei« angetretenen Grünen war mit einer normalen Korruption der meisten ihrer MandatsträgerInnen verbunden. Zunächst wurde vom Prinzip der Rotation abgewichen, dann wurde, gegenüber einer Basisanbindung in Form von Parteitagsbeschlüssen, von Abgeordneten das »individuelle Gewissen« geltend gemacht. Irgendwann waren dann auch die egalitären Einkommen auf Basis eines Facharbeiterlohns nicht mehr ausreichend, das schwere Los eines Parlamentsabgeordneten erträglich zu gestalten. Viele Bundestagsabgeordnete der Grünen fingen an, große Teile ihres Gehalts von weit über 10.000 DM monatlich auf ihr eigenes Sparkonto, anstatt es, wie noch in Parteibeschlüssen festgelegt war, an den »Ökofonds« abzuführen.
Auf der politischen Ebene durchzog in den Jahren 1983­89 der sogenannte »Fundi-Realo-Konflikt« die Debatten in der Partei. Der Begriff der Fundamentalisten ist dabei ein von den Realos im innerparteilichen Meinungsstreit geprägter Kampfbegriff, der Assoziationen an einen verbohrten, Argumenten unzugänglichen, eher unberechenbaren »islamischen Fundamentalismus« wecken soll. Konkret steht er für ein Gemisch aus ehemaligen Mitgliedern des KB, die sich selbst als »Ökosozialisten« verstehen, und sogenannten »Radikalökologen« vorwiegend aus Hessen. Diese Strömung verfolgte entweder die Option, jegliche Zusammenarbeit mit den »etablierten Volksparteien« abzulehnen (z.B. in Frankfurt), oder sie versuchte, die SPD (wie z.B. '82 und '86 in Hamburg) mit einem radikalisierten sozialdemokratischen Programm vorzuführen. Demgegenüber wurde von den sogenannten »Realos« ­ deren Selbstbezeichnung bereits für die fatalistische Anpassung an die Verhältnisse steht ­ die Linie eines Bündnisses mit der SPD um jeden Preis verfolgt. Ihre Programmatik weist dabei eine strukturelle Nähe zu den institutionellen Apparaten auf, was ein wesentlicher Grund für die starke Medienpräsenz dieser Strömung in den liberalen Meinungskonzernen war. Das »Realo-Konzept« besaß dabei stets den Vorteil, konsequenter politischer Ausdruck der sozialen Bewegung innerhalb des Grünen Parteiapparats zu sein, der aus Selbsterhaltungsinteresse an einer Machtbeteiligung in den parlamentarisch-bürgerlichen Strukturen interessiert sein muß. Demgegenüber war das aus pädagogisch-leninistischen Versatzstücken zusammengebastelte Konzept der »Ökosozialisten« dieser Sozialbewegung aufgesetzt und innerhalb der notwendigerweise konservativ zu setzenden Form einer parlarmentarischen Partei auch in sich unstimmig. Viele der an dem Gründungsprozeß der Grünen beteiligten ML-Linken verfolgten mit dieser Partei vermutlich die Illusion, damit eine starke oppositionelle Instanz zur Aufklärung über bürgerliche Herrschaftsverhältnisse aufbauen zu können. In diesem Sinne glaubten sie die innerhalb der Form einer grünen Partei ebenfalls vertretenen bürgerlichen und karrieristischen Kräfte für ihre »linke Politik« benutzen zu können. Diese ziemlich schlau sein wollenden Linken ahnten nicht, daß nicht sie die Grüne Partei benutzten, sondern daß es hinter ihrem Rücken genau umgekehrt war. Die noch zu Beginn der 80er Jahre eher ungefestigte Partei benötigte das Organisationswissen der alten ML-Linken zum Zwecke ihres Aufbaues. Als die parlamentarische Existenz der Grünen und damit die Alimentierung aus Staatsgeldern allerspätestens in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nicht mehr ernsthaft in Frage stand, war dann auch die Zeit für weiterhin radikal sein wollende alte ML-Linke in machtpolitischer Hinsicht endgültig abgelaufen. Der »Fundi-Realo« Konflikt entschied sich einfach zugunsten der Realos auf ganzer Linie und wurde damit Teil der Geschichte der untergegangenen West-BRD. Sofern die in der Entwicklung zu einer normalen Staatsbürgerpartei innerhalb der Grünen überflüssig gemachten Ökosozialisten und Radikalökologen mittlerweile nicht nur Bier und Schnaps trinken, probieren sie ihr Glück ­ wie noch in den 70er Jahren ­ wieder in ein paar randständigen Politiksekten. Auch wenn zwischenzeitlich innerhalb der Grünen Partei wieder so etwas wie ein Zusammenhang von »linken Grünen« existiert, so besteht doch dessen wesentliche Funktion in den 90er Jahren hauptsächlich darin, das weitgehend tote Parteileben der Grünen für den Rest an Öffentlichkeit nicht völlig einschlafen zu lassen. Die von Zeit zu Zeit innerhalb der Grünen Partei immer mal wieder geführten Diskussionen, das weitgehende Ende jeglicher autonomer Kommunikation und relevanter Auseinandersetzungen mit Hilfe von sogenannten »Strukturreformen« und einer »Professionalisierung von Politik« wiederzubeleben, sind allenfalls noch ein unbewußter Reflex auf diese Entwicklung. Die Existenz und Entwicklung der Grünen ist ohne Zweifel mitverantwortlich für die Mitte der 80er Jahre eintretende relative Krise der sozialen Bewegungen. Das hat jedoch gleichzeitig bei den Autonomen die Diskussionen über Organisierungsformen zu einer eigenständigen politischen Kraft verstärkt. In einem widersprüchlichen Verhältnis zwischen Konfrontation und Kooperation kam es in den 80er Jahren immer wieder zu einem wechselseitigen Bemühen, sich zu instrumentalisieren. Die Konflikte spitzten sich besonders im Herbst 1985 nach der Ermordung von Günter Sare durch einen Wasserwerfer der Frankfurter Bullen im Verlauf einer von Antifagruppen gegen eine NPD-Veranstaltung organisierten Kundgebung zu. In vielen Städten des Bundesgebietes kam es daraufhin zu militanten Auseinandersetzungen. Während es jedoch in Hamburg und West-Berlin, trotz aller inhaltlichen Differenzen, zu großen Bündnisdemonstrationen zwischen Grünen und Autonomen kam, polarisierten sich in Frankfurt die Fronten zwischen Autonomen/Antiimps und den dort führenden realpolitischen Exponenten der Grünen, Fischer und Cohn-Bendit. Für letztere ging es darum, nach der von der sozialdemokratischen Polizeiführung zu verantwortenden Ermordung Günter Sares, den durch die breiten Protestaktionen drohenden Legitimationsschwund für das verfolgte Projekt einer Regierungsbeteiligung in Hessen aufzuhalten. Im Verlauf eines »Teach-Ins« kam es zwischen diesen Fraktionen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, die den offenen Bruch beider Strömungen dokumentierten. Wenig später traten die Grünen in eine von der SPD geführte Regierungskoalition ein. Über die Leiche von Günter Sare hinweg wurde dem Ex-Sponti Joschka Fischer von dem hessischen Ministerpräsidenten Dachlatten-Börner, der verantwortlich für die Durchsetzung der Startbahn-West war, die Ernennungsurkunde zum ersten grünen Minister in der BRD ausgehändigt. Damit kam ein politischer Anpassungsprozeß der Grünen Partei zu einem ersten Endpunkt. Dieser hatte sich bereits nach der Niederschlagung und dem Zerfall der Anti-Startbahn-Bewegung um die Jahreswende 1981/82 abgezeichnet.
Diese Regierungsbeteiligung der Grünen markierte eine Zäsur im oppositionellen Spektrum der Linken in der BRD. Dabei stehen auf der Seite der Grünen alle diejenigen, die anfangen, sich gemäßigt alternativ in der bürgerlichen Gesellschaft einzurichten. Die Grünen repräsentieren bestimmte Gruppen aus der Alternativbewegung, vor allem die dort mittlerweile etablierten Selbständigen und Kleinunternehmer, aber auch diejenigen, die sich von einer institutionellen Politik, einem zweiten »Marsch durch die Institutionen« nochmals Karrieren und Posten erhoffen. Auf der anderen Seite repräsentieren die Autonomen als politische Richtung diejenigen, die über die ökonomischen Krisenmechanismen aus der sogenannten »Zwei-Drittel-Gesellschaft« ausgegrenzt worden sind und von bestehenden Verhältnissen wenig bis nichts zu erwarten haben.
Die politischen und sozialen Spaltungslinien zwischen den Grünen und den Autonomen tauchen in den folgenden Jahren immer wieder von neuem auf. Von Zeit zu Zeit werden von beiden Seiten die Trennungen forciert: So verfaßten beispielsweise nach den Wackersdorf- und Brokdorfauseinandersetzungen im Juni '86 prominente grüne Parlamentarier einen offenen Brief mit der Aufforderung an die Anti-AKW-Bewegung, die Autonomen und Militanten aus ihren Reihen auszugrenzen. Nach dem Kreuzberger Kiezaufstand am ersten Mai '87 begannen Autonome, für ihre Vorstellungen ohne Bündnis mit der AL zu mobilisieren.
Trotzdem existierte in dem Verhältnis zwischen Grünen und den Autonomen in den 80er Jahren nirgendwo eine für irgendwen verbindliche »klare politische Linie«. So gab es immer wieder politische Bündnisse, so z.B. im Hamburger Brokdorfkonvoi, der in Kleve von den Bullen zusammengeschlagen wurde, oder in dem Kampf um den Erhalt der Häuser in der Hafenstraße usw. Zeitweise benötigten die Grünen die Autonomen in gesellschaftlichen Konflikten als »militanten Arm«, um ihn als Droh- und Verhandlungspotential in eine parlamentarische Politik zu vermitteln. In diesem Sinne war auch ein vom damaligen CDU-Bundesfinanzminister Stoltenberg im Zusammenhang mit den Tschernobyl-Auseinandersetzungen gewählter Begriff, in dem er die Autonomen als einen »bewaffneten Arm der Grünen Partei« bezeichnete, in einem kalt funktionalistischen Sinne nicht völlig unzutreffend.
Auf der anderen Seite benötigten die Autonomen die Grünen zu ihrem eigenen Schutz vor der staatlichen Repression als Bündnispartner. Diese Wechselbeziehung löste sich jedoch seit 1987 mehr oder weniger auf. Nach den Schüssen an der Startbahn-West unterstützte die Grüne Bundestagsfraktion die gegen die Autonomen eingeleiteten staatlichen Fahndungs- und Repressionsmaßnahmen, während Autonome sich von vorneherein auf eine bündnisunabhängige Anti-IWF-Mobilisierung orientierten.
Resümierend bleibt zur Entwicklung der Grünen in den 80er Jahren festzuhalten, daß dem »demokratischen Rechtsstaat« durch den Anpassungsprozeß dieser Partei eine enorme Integrationsleistung gelungen ist. Die von Autonomen bereits Ende 1984 getroffene Feststellung: »Wenn es die Grünen nicht gäbe, hätte der Staat sie erfinden müssen!« hat sich in vollem Umfang bestätigt. Soziale Anpassungs- und Korruptionsprozesse haben zwischenzeitlich aus der Grünen Partei einen Apparat zur Transformation und Verschleierung von bürgerlicher Herrschaftsideologie in die Gesellschaft hinein werden lassen.


Die Bedeutung der Stadtguerillakonzeptionen für die Autonomen und ihr Verhältnis zu den Antiimps
Zweifelsohne stand den Autonomen aufgrund ihres Selbstverständnisses und der von ihnen teilweise geübten Praxis einer Kleingruppenmilitanz die Praxis einer sozialrevolutionären Basisguerilla näher als das Konzept einer antiimperialistischen Metropolenguerilla.
Dabei unterlagen die hauptsächlich von den Revolutionären Zellen repräsentierten Basisguerillakonzeptionen in geringerem Umfange schriftlich geführten Auseinandersetzungen als die Theorie und Praxis der RAF. In einer zu Beginn der 80er Jahre von einigen Autonomen geführten Diskussion über die von den RZ vertretenen Vorstellungen wurde ein als »bewegungsnäher« begriffenes Konzept einer »Guerilla diffusa« formuliert, das mit der Aufforderung an die RZ verbunden wurde, ihre »Art von Organisation« zugunsten eines erneuten Eintritts in die autonomen Bewegungen aufzugeben (siehe auch die in den Ausgaben der »Radikal« von Frühjahr1983 bis Anfang 1984 geführten Diskussionen).
Zu Beginn der 80er Jahre intervenierten Revolutionäre Zellen mit verschiedenen Aktionen und Diskussionsbeiträgen in die sozialen Bewegungen (Anti-AKW-, Startbahn- und Friedensbewegung). So führten sie über zwei Jahre eine intensive Kampagne gegen den Bau der Startbahn-West durch, bei der Baufirmen angegriffen wurden. Bei dem Versuch, mit Schüssen in die Beine eine »Bestrafungsaktion« gegen den damaligen Wirtschaftsminister Karry durchzuführen, wurde dieser getötet, was eine Revolutionäre Zelle zu einer Selbstkritik veranlaßte.
Ab Mitte der 80er Jahre verstärkte sich in den Zielen und den inhaltlichen Begründungen von RZ-Aktionen eine internationalistisch-antiimperialistische Grundtendenz: Im Zusammenhang mit Streiks von südkoreanischen Frauen gegen die billig entlohnte und sexistische Ausbeutung in Zweigwerken des bundesdeutschen Adler-Konzerns wurde von der Roten Zora auf Zweigstellen dieser Bekleidungsfirma eine Anschlagsserie durchgeführt. Auch Institutionen und Personen, die für eine menschenverachtende Flüchtlingspolitik verantwortlich waren, wurden Gegenstand von Aktionen der Revolutionären Zellen.
Seit der zusammengebrochenen »Offensive '77« griffen RAF-Kommandos in den Jahren '79 und '81 mit Anschlägen auf den damaligen NATO-Oberbefehlshaber Haig und auf den US-General Kroesen die antiimperialistische Orientierung aus der Gründungszeit dieser Gruppe wieder auf. Unübersehbar wurde der Versuch unternommen, sich wieder mehr auf in der BRD vorhandene Konflikte, z.B. die zu jener Zeit anwachsenden Friedensbewegung, zu beziehen.
Im Mai 1982 wurde erstmals wieder von der RAF, nach über einem halben Jahrzehnt eine längere programmatische Schrift unter dem Titel »Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front in Westeuropa« verfaßt. Der Inhalt des in einem grauenhaften Sprachduktus verfaßten Papiers proklamierte, im Sinne eines affirmativ auf die Politik und Rolle der Sowjetunion bezogenen »proletarischen Internationalismus«, eine gemeinsame »Front« mit Teilen der radikal in den Bewegungen kämpfenden Militanten, in der die in der Illegalität lebenden RAF-Kommandos, verstanden als »Guerilla«, die politische Führung ausüben sollten.
Dieses Front-Papier übte in den 80er Jahren einen starken Einfluß auf die Diskussionen der Antiimperialisten, kurz: Antiimps, aus. Unter Antiimps ist innerhalb der 80er-Jahre-Szene der Linksradikalen ein politische Formation zu verstehen, die sich in ihrer politischen Praxis wesentlich auf die von der RAF verfolgte Politik bezog. Die Antiimps begriffen sich, ähnlich wie viele Autonome, als Teil einer revolutionären Bewegung. Von den Antiimps wurde eine intensive Öffentlichkeits-, Unterstützungs- und Soliarbeit für die gefangenen RAF-GenossInnen organisiert. Darüber hinaus waren antiimperialistische Gruppierungen immer wieder bei Mobilisierungen von Autonomen präsent, so z.B. in den Vorbereitungen und Aktionen gegen den Reagan-Besuch in West-Berlin im Sommer '82, bei der Krefeld-Demo im Sommer '83 oder bei der Durchsetzung der Hafenstraße in der zweiten Hälfte der 80er Jahre.
Seit dem Front-Papier gab es bei den Antiimps auch verstärkte Bemühungen, mit autonomen Gruppen zu einer engeren Zusammenarbeit zu kommen. Auch wenn es bei der Unterstützung der Forderungen der RAF-Gefangenen in ihren Hungerstreiks um die Jahreswende 1984/85 zu gemeinsamen »Hungerstreikplena« kam, so waren doch die politischen Gegensätze zu dem Politikverständnis der Autonomen unüberbrückbar groß. Kurz nach der ergebnislosen Beendigung des Hungerstreiks, bei dem die RAF die Mobilisierung auch aufgrund der Erschießung zweier Rüstungsmanager in der BRD und Frankreich als einen »qualitativen Sprung der Guerilla in die westeuropäische Dimension« bewertet haben wollte, zerfielen dann auch die Plena.
Als ein RAF-Kommando im Sommer '85 zur Durchführung eines Sprengstoffanschlages auf die US-Air Base auf dem Frankfurter Flughafen einen beliebig herausgesuchten und untergeordneten GI-Soldaten hinrichtete, wurde diese Aktion von weiten Teilen der Autonomen heftig abgelehnt und als »konterrevolutionär« verurteilt. Antiimps aus Wiesbaden hingegen wußten diese Position von Autonomen mit der brillianten Entgegnung, daß es sich dabei um einen »bankrotten moralisch-bürgerlichen Humanismus« handele, den es zu überwinden gelte, zu denunzieren. Die Widersprüche der Autonomen zu der politischen Strategie und der Praxis der RAF sowie den Antiimps spitzten sich schließlich im Januar 1986 auf einem in Frankfurt mit 1.000 TeilnehmerInnen durchgeführten Kongreß unter dem Titel »Antiimperialistischer und Antikapitalistischer Widerstand in Westeuropa« in zum Teil handgreifliche Auseinandersetzungen zu.
Das gesamte Konzept der RAF wurde von der Frankfurter l.u.p.u.s.-Gruppe im Herbst 1986 einer gründlichen Kritik unterzogen. Sie verglich die Ziele und Intentionen der RAF zu Beginn der 70er Jahre mit der Theorie und Praxis der RAF in den 80er Jahren und kam zu dem Ergebnis, daß das Konzept »Stadtguerilla«, gemessen an den eigenen Ansprüchen aus der Gründungszeit, gescheitert sei:
»Es hat sich nicht bewahrheitet, 'daß die Guerilla sich ausbreiten wird, Fuß fassen wird' ... Fakt ist doch, daß mehr RAF-Mitglieder tot, im Knast oder ins Ausland geflüchtet sind als hier in der BRD kämpfen. Fakt ist doch, daß die heutige Politik der RAF eher von Niederlagen geprägt ist als von ihren Siegen. Fakt ist doch, daß die Sympathie, die die RAF noch vor 14 Jahren zumindestens in kleinen Teilen der Bevölkerung genoß, geschwunden ist, anstatt zu wachsen. Fakt ist doch, daß sich die RAF im Ausland sicherer fühlt als im eigenen Land, ein Eingeständnis dafür, daß der Untergrund hier viel zu flach ist, als daß er sie schützen könnte« (zitiert nach: »Schwarzer Faden«, Nr. 24/1986).
Die RAF blieb schon damals eine Entgegnung zu dieser von l.u.p.u.s. formulierten Kritik schuldig, um nicht nur sie schlußendlich in den 90er Jahren vollständig zu vergessen.
Von antiimperialistischen Zusammenhängen wurde irgendwann in der Mitte der 80er Jahre, angelehnt an das Mai-Papier, die Parole: »Front entsteht als kämpfende Bewegung ­ Einheit im Kampf um Zusammenlegung« entwickelt. Diese Parole versuchte, einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen einer antiimperialistischen Befreiungspolitik, den Widerstand in den Metropolen und der Situation der antiimperialistischen Gefangenen in den Knästen herzustellen. Bereits in der Zuspitzung von »Bewegung« auf die »Front« schimmerte immer auch ein militaristisch reduziertes Verständnis von Politik auf. In dem von den Antiimps gewählten statischen politischen Koordinatenkreuz, in der die Politik der Sowjetunion als Bündnispartner im Kampf gegen den Hauptfeind US-Imperialismus angesehen wurde, war dieses Verständnis auch mehr als folgerichtig. In diesem Kontext war es Antiimps gegenüber Autonomen mehr als einmal problemlos möglich, die mörderischen Haftbedingung von RAF-Gefangenen im Sinne des von ihnen vertretenen sowohl militaristischen als auch marxistisch-leninistischen Politikverständnisses zu instrumentalisieren.
Trotz aller politischen Differenzen zwischen Antiimps und Autonomen über das Grundverständnis, konkrete Strategien, Taktiken und Ziele »revolutionärer Politik« in den Metropolen kam es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre seitens der Autonomen zu einer größeren Unterstützung für die Forderung der Zusammenlegung aller politischen Gefangenen in große Gruppen. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, daß zunehmend auch Autonome mit einer staatlichen Repression konfrontiert wurden, die sie teilweise den gleichen mörderischen Haftbedingungen unterwarfen, gegen die die RAF-Gefangenen schon von Beginn an gekämpft hatten. Auf der anderen Seite geht diese Annäherung auch auf die in solidarischen Aktionszusammenhängen von Autonomen und Antiimps in der Hafenstraße ausgelösten Diskussionsprozesse zurück. Trotz allem blieb das Verhältnis der Autonomen zur RAF in den 80er Jahren in einer widersprüchlichen Art und Weise von einer stark moralisch geprägten Zustimmung zu der Zusammenlegungsforderung der RAF-Gefangenen bis hin zu einer entschiedenen Ablehnung des gesamten RAF-Guerilla-Konzeptes gekennzeichnet.

Die Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre
Die Kritik am Charakter der Friedensbewegung veränderte die Stellung der Autonomen in den nachfolgenden sozialen Bewegungen. Die daraus gezogene Konsequenz, sich von den Bewegungen weg, hin zu anderen Räumen für ein sozialrevolutionäres Handeln zu orientieren, machte zunächst deutlich, daß der »Bewegungsansatz« nicht mehr der einzige war, der verfolgt werden konnte. Trotzdem arbeiteten auch weiterhin Autonome innerhalb der neuen sozialen Bewegungen mit, wenn auch teilweise in dem Bewußtsein des hinsichtlich radikaler Zielsetzungen begrenzten Ansatzes dieses gesellschaftlichen Terrains. Daß sich nicht für alle Autonomen ein vollständiger Rückzug aus den NSB realisieren ließ, hängt damit zusammen, daß in der politischen Praxis kaum andere Ansätze mit einer massenhaften Orientierung greifbar waren. So sorgte auch ein gewisser Pragmatismus dafür, in den Bereichen die politische Arbeit weiter zu betreiben, in denen Herr und Frau Autonom sich gut auskannte und über funktionsfähige Strukturen verfügte.
Die Anti-AKW-Bewegung stand nach der großen Brokdorf-Demonstration '81 weitgehend im Schatten der sich entwickelnden Friedensbewegung. Mit der Durchsetzung des Weiterbaus von Brokdorf war dem Staat und der Atommafia das entscheidende Signal zur Durchbrechung des fast fünfjährigen Moratoriums im AKW-Bau gelungen. Kurz danach wurden in schneller Folge die Baugenehmigungen für vier weitere AKWs erteilt. Der Atomstromanteil an der öffentlichen Stromversorgung wurde in den 80er Jahren mehr als verdoppelt. Die Auseinandersetzungen nach Brokdorf verlagerten sich zurück in die einzelnen Regionen, insbesondere nach Gorleben. Erst im Herbst 1982 kam es wieder zu überregional getragenen Massenaktionen in Kalkar, Gorleben und Schacht Konrad bei Salzgitter. In den Vorbereitungen dazu waren stets auch VertreterInnen der Autonomen präsent. In den Diskussionen zu Kalkar versuchten sie die sozialen Dimensionen eines mit Milliarden DM staatlich gesponsorten Brüterbaus bei gleichzeitigen massiven Soziallohnkürzungen zu thematisieren. Demgegenüber richtete sich ihr Augenmerk in den Diskussionen zu Schacht Konrad eher auf die Umstrukturierung der ganzen Region nach Maßgabe der Atommafia. In den Vorbereitungen zum »Tanz auf dem Vulkan« in Gorleben zentrierten sich die Debatten vorwiegend auf die Frage, wie das von der BI Lüchow-Dannenberg vertretene Konzept einer »friedlichen Belagerung« des um das atomare Zwischenlager gezogenen Erdwalls ohne Zustimmung der Bullen realisiert werden kann. Es kam schließlich in allen drei Großaktionen zu mehr oder minder heftigen Auseinandersetzungen mit den Bullen, bei dem Versuch, die Befestigungen der Atomanlagen anzugreifen. Während jedoch diese Militanz im Rahmen der Demonstration von 30.000 Menschen in Kalkar eher isoliert und wenig ansteckend zu einem etwas harmlosen Geplänkel wurde, kam es im September '82 beim »Tanz auf dem Vulkan« in Gorleben zu massiveren Auseinandersetzungen. Dabei gelang es den Autonomen erstmals in der bis dato fünfjährigen Widerstandsgeschichte dieser Region, die dort von der BI vertretene und politisch immer dominierende Position einer ideologisierten Gewaltfreiheit in einer Großaktion zu durchbrechen. Auch wenn darum im Anschluß innerhalb der Bewegung heftige Auseinandersetzungen geführt wurden, so sorgte dieses Ereignis mit dafür, daß sich die in dieser Region tätigen autonomen Gruppen einen politischen Raum für ihre Tätigkeiten gegen die Atommafia verschaffen konnten. Und so entwickelte sich in dieser Region in der Zeit von 1982 bis '85 ein gemeinsamer, von vielen autonomen GenossInnen aus dem Wendland und einigen Städten (Hamburg, Hannover, Bremen und West-Berlin) getragener zäher Widerstand gegen die Inbetriebnahme des atomaren Zwischenlagers. Ziel von Aktionen wurden in größerem Maße die damit zusammenhängenden Infrastruktureinrichtungen. Es kam zu einer teilweise sehr wirksamen Kombination der verschiedensten legalen, illegalen, friedlichen, militanten, direkten und verdeckten Widerstandsaktionen gegen Betreiber, Zulieferfirmen und Versorgungswege der Atommafia. Insbesondere eine Vielzahl von Sabotageaktionen und Straßenbarrikaden brachten die Pläne zur Realisierung der Atommüllkippe in Gorleben in große Schwierigkeiten. Die »Wendlandblockade« im April 1984 zeigte nach dem demoralisierenden »Raketenherbst« erstmals wieder die Möglichkeit auf, entschlossen und teilweise auch militant im Zusammenhang einer solidarischen Bewegung handeln zu können.
Die Anti-AKW-Bewegung in der Zeit nach der Friedensbewegung entwickelte sich wieder zu einem Forum für die unterschiedlichsten radikalen und staatsfeindlichen Strömungen der außerparlamentarischen Opposition. Das zeigte sich auch am Ablauf der Bundeskonferenz im Herbst 1984 in Braunschweig. Mit großer Selbstverständlichkeit wurden Festlegungen des Widerstands auf legalistisch-friedliche Protestformen abgelehnt, den kriminalisierten AKW-GegnerInnen wurde die uneingeschränkte Solidarität der Bewegung versichert. Ohne größere Diskussionen konnte auch ein Aufruf verabschiedet werden, der zu Aktionen gegen den Weltwirtschaftsgipfel im Frühjahr 1985 in Bonn aufrief. Dort wurden in Zusammenarbeit von Anti-AKW-GenossInnen aus dem radikalen Spektrum und Autonomen ein Tribunal und schließlich eine Bündnisdemonstration vorbereitet, an der 30.000 Menschen, inklusive eines großen autonomen Blocks, gegen die Verantwortlichen für »Hunger, Ausbeutung und Imperialismus« demonstrierten.

Der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf
Nach der WAA-Standortentscheidung der Energieversorgungskonzerne im Februar '85 beteiligen sich von Beginn an auch autonome GenossInnen am Widerstand, so z.B. das »süddeutsche Autonomenplenum«. Es hatte sich im Zusammenhang mit den Aktivitäten gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Bonn gegründet. Danach setzte es seine Arbeit verstärkt mit ersten Diskussionen gegen den geplanten Bau der WAA in Wackersdorf fort. Die Autonomen entwickelten dabei als einen zentralen Strang ihrer Argumentation die These, daß es dem westdeutschen Imperialismus mit dem Bau der WAA vorrangig darum gehe, den zivil getarnten Griff zur Atombombe zu realisieren. In der Praxis zeichneten sie sich als wichtige TrägerInnen von direkten Widerstandsaktionen aus, was sich in Platzbesetzungen und Anschlägen auf am Bau der WAA beteiligte Baufirmen ausdrückte. Alle Versuche der Bullen und der zu jener Zeit konservativ-reaktionären Führung der BI Schwandorf, die Autonomen zu isolieren, schlugen fehl. Spätestens nach der ersten Bauplatzbesetzung während des Sommercamps 1985 erhielten die Autonomen nach einem brutalen Überfall und der Räumung durch SEK-Bullenkommandos die breite Solidarität der Oberpfälzer Bevölkerung.
Die Autonomen wirkten 1985 durch ihre Beteiligung an den Vorbereitungen zu Bauplatzbesetzungen ganz wesentlich daran mit, diese gegen legalistische und bürgerliche Protestvorstellungen durchzusetzen. Die erfolgreichen Aktionen um die Jahreswende 1985/86 führten zu einem enormen Aufschwung des WAA-Widerstandes in der Oberpfalz. Dieser weitete sich auf große Teile der Bevölkerung aus, die sonst alles lähmende »Gewaltfrage« wurde zu diesem Zeitpunkt bedeutungslos. Trotz erster Baufortschritte der WAA ebbte der Protest und Widerstand nicht ab. Ähnlich wie an der Startbahn-West wurden Sonntagsspaziergänge organisiert, aus denen heraus es immer wieder zu Aktionen gegen die WAA-Festung kam. Die Wackersdorf-Auseinandersetzungen spitzten sich schließlich ­ auch unter dem Eindruck des Reaktor-GAUs in Tschernobyl ­ Pfingsten '86 zu. Der Anti-WAA-Widerstand erreichte zu diesem Zeitpunkt seinen massenmilitanten Höhepunkt. Fast drei Tage lang versuchten Teile der Bevölkerung gemeinsam mit Autonomen aus dem ganzen Bundesgebiet, die Bauplatzfestung zu stürmen. Dabei gelang es, den als unzerstörbar geltenden massiven Stahlbetonzaun gleich an mehreren Stellen durch intensive Sägearbeiten zu zerstören. Die Bullen verloren zeitweise völlig die Kontrolle und griffen schließlich die gesamte Demonstration mit Gasgranaten an, die aus Hubschraubern abgeworfen wurden. Erstmals sprachen sich auch Teile der CSU für eine »Denkpause« beim weiteren Bau der WAA aus, und der Bullenchef aus der Oberpfalz wurde entlassen. Die bayerische Landesregierung unter Führung von Strauß hielt jedoch unbeeindruckt am Weiterbau fest und verhängte für die darauffolgenden Monate mit einem Netz staatlicher Repression quasi eine Art Ausnahmezustand über die gesamte Region.
Die gegen die WAA arbeitenden autonomen Gruppen versuchten, der starken staatlichen Einschüchterung praktisch und politisch mit der Thematisierung der für den Bau der WAA in der Region notwendigen Infrastruktur zu begegnen (Baufirmen, Sklavenhändler). Gemeinsam mit dem linken Flügel der einheimischen Bürgerinitiativen ging es darum, den praktischen Anti-WAA-Widerstand vom Bauzaun weg in die Region zu verlagern. Zudem sollte diese Umorientierung an eine Thematisierung des sozialen Alltags der in der Oberpfalz lebenden Menschen gekoppelt werden. Konkret war daran die Vorstellung gebunden, die sozialen Herrschaftsverhältnisse an der Frage polarisieren zu können, wer aus welchem Interesse die WAA baut und an ihr verdient. Diese Orientierung drückte sich schließlich in der Durchführung der Anti-WAA-Aktionstage im Oktober '86 aus. Diese wurden gemeinsam von Autonomen in »Städtepartnerschaften« mit Teilen der oberpfälzischen Bürgerinitiativen unter dem Motto »Das Land gehört uns!« vorbereitet. Ursprünglich sollten die Blockadetage zur Vorbereitung einer für das Frühjahr '87 ins Auge gefaßten Großblockade der WAA-Baustelle dienen. Statt dessen führte der Ablauf der Aktionstage zu einem Ende öffentlicher autonomer Aktivitäten in der Oberpfalz. Teilweise waren die autonomen Gruppen dem enormen Ausmaß der monatelangen andauernden staatlichen Repression, die sich immer gezielter gegen sie zu wenden begann, mit ihren begrenzten praktischen Möglichkeiten als »Reisewiderständler« nicht mehr gewachsen. Darüber hinaus konnte die von städtischen Gruppen gegenüber den örtlichen BIs eingeforderte Thematisierung der alltäglichen sozialen Herrschaftsverhältnisse in der Region nur mühsam oder gar nicht umgesetzt werden. Zwar war von Oberpfälzer AtomkraftgegnerInnen auf Kundgebungen immer wieder gegen den offenkundigen Zusammenhang zwischen der gezielten Vernichtung von Arbeitsplätzen beim Maxhüttenstahlwerk und der Errichtung der WAA demonstriert worden. Trotzdem stand für sie die Frage ihrer eigenen sozialen Existenz mit dem WAA-Widerstand unverbunden nebeneinander. Die von den Autonomen vertretenen politischen Ansätze stellten letztlich zu hohe Ansprüche an andere, die sie zudem selber als »Auswärtige« nicht praktizieren konnten. Der Ansatz verkam schließlich in den Debatten um eine Großdemonstration im Herbst '87, insbesondere mit dem KB und Teilen der Anti-AKW-Bewegung, immer mehr zu einer propagandistischen Geste, die nicht mehr in eine eigenständige politische Praxis in der Oberpfalz übersetzt werden konnte. Die Strukturen und Zusammenhänge der autonomen Gruppen rieben sich schließlich in diesen Auseinandersetzungen auf, was insgesamt zu einer starken Entpolitisierung sowie einem enormen Geländegewinn von bürgerlichen Protestvorstellungen der WAA-Bewegung in Süddeutschland führte.

Die Reaktion nach der Atomreaktorkatastrophe
in Tschernobyl
Nach den Ereignissen in Tschernobyl weitete sich die seit 1981 eher lokal orientierte Anti-AKW-Bewegung wieder bundesweit aus. Nach den Pfingsttagen in der Oberpfalz ging dabei auch ein Ruck durch die gesamte Bewegung der Autonomen. Etwas über einen Monat nach dem Reaktor-GAU wurden die dezentralen Anti-AKW-Aktivitäten in zwei Großdemonstrationen am 7.6. in Brokdorf und Wackersdorf zusammengefaßt. Die Entscheidung für eine Großdemonstration gegen das AKW Brokdorf in der Wilster Marsch fiel unter dem Eindruck der ­ trotz der Reaktorkatastrophe nach Tschernobyl ­ drohenden Inbetriebnahme dieses AKWs. Zugleich bündelten sich darin Momente aus der Geschichte des Anti-AKW-Widerstands der 70er Jahre. Brokdorf war in jener Zeit zum Symbol eines bundesweiten Widerstands gegen das Atomprogramm geworden, die dort geführten Auseinandersetzungen prägten eine ganze Generation außerparlamentarischer autonomer Linker. Tschernobyl hatte noch einmal die Richtigkeit der gegen den Betrieb von AKWs vorgebrachten Argumente und der entwickelten subversiv-militanten Praxis bestätigt. Allerdings war der Brokdorf-Widerstand der einheimischen Gruppen bereits kurz nach dem Baubeginn '81 mehr oder weniger zusammengebrochen, es konnte keine kontinuierliche politische Praxis gegen den Weiterbau organisiert werden. Zwar wurde im Frühjahr 1984 von einer »Autonomen Revolutionären Aktion«, zwei Wochen nach der Inbetriebnahme der Startbahn-West und einen Tag vor der geplanten »Wendlandblockade«, mit der Sprengung eines Strommastes direkt an der Trasse zum AKW ein allerorten freudig aufgenommenes Signal gegen die Resignation gesetzt. Darauf folgende Bemühungen seitens autonomer AKW-GegnerInnen, doch noch einmal in die fortschreitenden Bauarbeiten dieses AKWs massiv einzugreifen, blieben jedoch erfolglos.
Die Demonstration am 7.6.86 knüpfte in gewisser Weise an eine Widerstandsgeschichte an, die zumindestens im Fall von Brokdorf bereits lange zu Ende schien. Trotz allem war es in den Vorbereitungen zum 7.6. unausgesprochen klar, daß die Autonomen für den Verlauf dieser Demonstration die strategisch wichtigste Rolle spielen würden. Sie zeigten sich jedoch in den konkreten Planungen als keine einheitliche Kraft. Während noch gemeinsam das putschistische Vorgehen von Teilen des Hamburger KB und grünen Ökosozialisten abgewehrt werden konnte, die den Verlauf der Großdemo lediglich auf eine friedliche Massenkundgebung festlegen wollten, kam es zu tiefgreifenden Kontroversen zwischen den verschiedensten autonomen Gruppen. Den autonomen Gruppen in der Anti-AKW-Bewegung ging es dabei um die Umsetzung des bereits im Wendland praktizierten dezentralen Sabotagekonzepts, das anstatt einer aus ihrer Sicht perspektivlosen Bauzaunschlacht organisiert werden sollte. Demgegenüber hatten die besonders in Hamburg starken autonomen Gruppen kein Interesse an einer weitergehenden Mitarbeit innerhalb der Anti-AKW-Bewegung. Es blieb lediglich die gemeinsame Formel, in einer gesellschaftlich zugespitzten Situation die Kämpfe eskalieren zu lassen, ohne sich dabei zuvor auf eine gemeinsame Einschätzung über die gesellschaftliche Situation zu verständigen. Unwillkürlich wurde damit die autonome Position wieder auf die Frage der Militanz reduziert.
Der von Hamburg aus organisierte Konvoi fuhr mit einem ähnlichen Konzept am 7.6.86 nach Brokdorf los wie zur 81er Großdemo. Ziel war es, unkontrolliert so weit wie möglich in die Nähe des Baugeländes zu gelangen. Für den Fall von Bullenbehinderungen sollte, falls ein Durchbruch nicht möglich schien, wieder nach Hamburg umgekehrt werden, um dort »wirksame Aktionen« durchzuführen. Das Konzept schlug jedoch fehl, da die Bullen gegenüber '81 ebenfalls dazugelernt hatten. Bei dem Versuch von GenossInnen, aus der Konvoispitze heraus eine harmlos erscheinende Bullensperre zu durchbrechen, ließen diese alle Fahrzeuge weit vor Brokdorf in dem abgelegenen Dorf Kleve in eine Falle laufen. Geübte SEK-Kommandos rollten in einem Überraschungsangriff das erste Drittel der Fahrzeugkolonne vollständig auf und zerstörten dabei so gut wie alle vornefahrenden PKWs, mehrere ließen sie ausbrennen. Durch eine schlechte Koordination der Spitze zu dem übergroßen Rest des Konvois zu Beginn des Bullenangriffs waren rund 10.000 Menschen längere Zeit relativ ahnungslos einem Bullenkonzept ausgeliefert, in dem sie nicht Teil der Auseinandersetzungen sein konnten. Auch dadurch entstand hinterher in weiten Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck, daß der Hamburger Brokdorf-Konvoi völlig hilflos von einer wildgewordenen Bullenarmada niedergemacht worden sei, anstatt daß 10.000 Menschen versucht hätten ­ wie geplant ­ gemeinsam zur Demonstration nach Brokdorf durchzukommen. Dieses insgesamt demoralisierende Bild wurde auch noch durch die Ereignisse am Baugelände des AKWs Brokdorf verstärkt, wo die relativ geringe Anzahl von KundgebungsteilnehmerInnen von einer aggressiven Bullenübermacht mit CS-Gas-Salven und Großraumhubschraubern verjagt und auseinandergetrieben wurde, ohne daß es vorher zu nennenswerten Angriffen auf das Baugelände gekommen wäre. Die staatlichen Instanzen versuchten der Bewegung gleich am nächsten Tag einen weiteren Schlag zu versetzen. Mit dem »Hamburger Kessel« wurden inmitten der Großstadt für weit über 12 Stunden »chilenische Verhältnisse« für 800 DemonstrantInnen, die gegen den Bullenüberfall vom Vortag demonstrieren wollten, hergestellt. Die Maßnahme wurde vom SPD-Innensenator mit dem Verweis auf eine mögliche Beteiligung »von autonomen Gruppen« gerechtfertigt, die sich jedoch kaum in diesem Kessel befanden. Der rigorose Bullenübergriff mobilisierte in Hamburg daraufhin eine riesige Öffentlichkeit. Drei Tage nach dem Kessel demonstrierten 50.000 Menschen gegen das Atomprogramm und die staatliche Repression. Die Autonomen waren allerdings in diesen politischen Auseinandersetzungen nicht mehr initiativ, sondern sammelten auf dieser Demo massenhaft Kohle für ihre zertrümmerten Autos.

Nach den Ereignissen vom 7.6.86
Der Ablauf der Großdemonstrationen brach dem Schwung der bundesweiten Anti-AKW-Bewegung nach Tschernobyl das Genick. Auch wenn es danach zu einem ansehnlichen »Strommastensterben« in der ganzen Republik kam ­ 150 wurden abgesägt ­, war es den Herrschenden mit der Einrichtung eines Umweltministeriums in Bonn und dem Abklingen der unmittelbaren Reaktorfolgen gelungen, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Die weiten Mobilisierungsmöglichkeiten der Anti-AKW-Bewegung konnten in einen gesellschaftlich isolierten Bereich zurückgedrängt werden. Es kam zwar seitens der Anti-AKW-Bewegung bei der Demonstration gegen die Atombetriebe in Hanau noch einmal zu einem Mobilisierungshöhepunkt und auch einem starken autonomen Block; daraus ergab sich jedoch keine weitere Perspektive für eine Bewegung, die sich zwar durch Tschernobyl enorm verbreitert hatte, jedoch auch politisch diffuser geworden war. Die durch den Reaktor-GAU bewirkte »Katastrophen- und Angstpolitik« löste nur bedingt grundlegendere Politisierungsprozesse von Menschen aus. So genügte der SPD lediglich ein verbaler Schwenk in Richtung eines von ihr propagierten »Atomausstiegs«, um bei den kurz nach dem Reaktor-GAU stattfindenden niedersächsischen Landtagswahlen anstelle der Grünen massive Stimmengewinne einzufahren.
Die »Betroffenheit« durch Tschernobyl führte in der BRD teilweise zu einem Aufleben einer neuen »Kultur« von alternativen Strahlenwissenschaftlern und Meßtechnikern zur Verwaltung der Katastrophenfolgen. Trotz der Massenzusammenkünfte auf Veranstaltungen und Demonstrationen wurden die Tschernobylfolgen in einer insgesamt individualisierten Bewußtseinslage der Bewegung unter dem Motto: »Ich bin vergiftet!« verarbeitet. Statt aus der Erkenntnis, daß doch alle gleich vergiftet sind, zu folgern, daß dann alle auch gemeinsam handeln müßten, wurde das Hauptaugenmerk der eigenen Tätigkeit eher auf die Suche nach individuellen »Tricks« zur Stahlenminimierung verlegt. So kippte eine individualisierte »Betroffenheit«, die sich scheinbar für die Wahl so gut wie aller Mittel im Kampf gegen das mörderische Atomprogramm übersetzen ließ, in eine Art von »neuer Innerlichkeit« um. Mit Hunderttausenden von DM wurden Strahlenmeßstellen eingerichtet, mit denen das Beste aus einer insgesamt irreparabel beschissenen Situation gemacht werden sollte. Hierbei übersetzte sich ein ursprünglich in der Politik der Linken verankertes Prinzip der Selbstorganisation in lobbyistisch-privilegierte Politikformen der Nach-Tschernobyl-Bewegung. Schließlich hatte der Reaktor-GAU nicht nur eindringlich gezeigt, wie schlimm und gefährlich AKWs sind, sondern der nachfolgende Widerstand in der BRD schien zugleich auch die Aussichtslosigkeit zu bestätigen, sich grundsätzlich und entschlossen gegen das Atomprogramm zur Wehr zu setzen. Was realistisch zu bleiben schien, war z.B. nicht die Forderung nach der Abschaffung aller Strukturen, in denen AKWs gebaut und betrieben werden können (z.B. die Abschaffung des Staates), sondern die Forderung nach Meßgeräten, nach einer gemeinsamen kontrollierten Krisenbewältigung mit allen Betroffenen. Dieser Ansatz war jedoch den völlig überforderten Strukturen aus den Resten einer »alten« Anti-AKW-Bewegung mit ihren Vorstellungen von einer grundsätzlichen Herrschafts- und Kapitalismuskritik fremd. Das zeigte sich am Beispiel der KWU-Kampagne, die nach dem 7.6. von städtischen autonomen Anti-AKW-Gruppen überregional entwickelt worden war. Unter dem Motto: »Den Widerstand in die Städte tragen« versuchten sie aus der sichtbar werdenden Begrenzung der praktischen und politischen Militanz der Bewegung in den offenen Feldschlachten und der grün-sozialdemokratischen Integration mit einer Orientierung auf Atomproduktionsstätten der Siemens-Kraftwerkunion auszubrechen. Die Resonanz ihrer Bemühungen innerhalb der gerade in den städtischen Ballungsräumen durch Tschernobyl stark gewachsenen Anti-AKW-Bewegung blieb jedoch letztlich auf die linksradikale autonome Szene beschränkt. Diese Aktivitäten fanden schließlich mit einem bundesweiten Aktionstag im Mai 1987 zunächst ihr vorläufiges Ende, bevor West-Berliner Anti-AKW-Gruppen während der IWF-WB-Kampagne noch einmal im Stadtteil Siemensstadt ihr Glück gegen diesen nicht nur wegen Atomsachen üblen Konzern probierten.
So konnte denn auch die erfolgreich gegen die Verbotsdrohung der bayrischen Landesregierung in einem politischen Bündnis zwischen Autonomen, Antiimps, KB, Grünen und allen Teilen der Anti-AKW-Bewegung durchgesetzte Bundeskonferenz in Nürnberg Trennungsprozesse zwischen der Anti-AKW-Bewegung und Autonomen nicht aufhalten. Innerhalb der Städte wurden im Jahr 1987 andere Ereignisse und Entwicklungen wichtiger (Kreuzberg, Reagan, Hafen, Startbahn-West) als eine Anti-AKW-Bewegung, die sich wieder regional zersplitterte.
Zusammenfassend läßt sich zur Entwicklung der Anti-AKW-Bewegung in der Zeit von '82­'88 feststellen, daß sie, mit Ausnahme der Region Wendland, das gesamte AKW-Programm kaum nennenswert behindern konnte. Der politische Druck nach Tschernobyl war gerade einmal so stark, die Inbetriebnahme Brokdorfs ein halbes Jahr hinauszuzögern. Aber ihre Strukturen boten ganz im Unterschied zur Friedensbewegung einen weiten politischen Raum für die Aktivitäten von autonomen GenossInnen, insbesondere an den regionalen Schwerpunkten Gorleben und Wackersdorf. Nach den Tschernobyl-Auseinandersetzungen setzte jedoch von vielen Autonomen ein stiller Rückzug aus dieser Bewegung ein. Das ist auch darauf zurückzuführen, daß die von vielen Autonomen innerhalb dieser Bewegung angewandten militanten Widerstandsformen kein Mittel waren, das durch staatliche Integrations- und vor allem Repressionsmaßnahmen zunehmend für die Bewegung ungünstiger werdende gesellschaftliche Klima zu wenden.

In Hamburg gibt es eine schöne Hafenstraße
In Folge der West-Berliner Hausbesetzerbewegung 1980/81 kam es auch von Seiten Hamburger autonomer GenossInnen zu Überlegungen, inwieweit eine Hausbesetzerbewegung in der Stadt entwickelt werden könnte. Die Wohnungsnot war nicht minder groß als an anderen Orten in der Bundesrepublik. Mit dem Blick auf die Ereignisse in West-Berlin wurde vom damaligen Hamburger Senat die sogenannte 24­Stunden-Linie ausgegeben, die besagte, daß in Hamburg kein Haus länger als 24 Stunden besetzt sein sollte. Mit dieser Vorgabe wurden dann von den Hamburger Bullen alle Hausbesetzungsversuche auf brutalste Art und Weise niedergeschlagen.
Diese Erfahrungen führten unter den politischen Gruppen zu der Einschätzung, daß offene Hausbesetzungen in Hamburg unter den damaligen Bedingungen nicht durchsetzbar schienen. Das veranlaßte GenossInnen im Herbst '81 zu einer »stillen Besetzung« der Häuser an der Hafenstraße im Stadtteil St. Pauli, die erst im Laufe des Frühjahrs 1982 von den BesetzerInnen öffentlich gemacht wurde. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als sie sich kurz vor den Hamburger Bürgerschaftswahlen politisch stark genug fühlten, die Auseinandersetzung um Mietverträge gegen den Senat tragen zu können. Unter dem Druck einer möglichen innenpolitisch »unruhigen Situation« verzichtete der Hamburger Senat auf eine polizeiliche Räumung und legalisierte die teilweise besetzten Häuser mit befristeten Mietverträgen bis zum Ende des Jahres 1986.
In den Jahren 1983­86 wurden die Häuser an der Hafenstraße zu einem Zentrum von Hamburger autonomen/antiimperialistischen Gruppierungen und zu einem Kristallisationspunkt politischer Mobilisierungen, so z.B. im Herbst '83 zu den Aktionen der Friedensbewegung, zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen 1984/85 oder nach der Ermordung des Antifaschisten Günter Sare im September '85, die gerade in Hamburg zu heftigen Reaktionen der Linksradikalen führte. Um die Jahreswende 1985/86 fanden erstmalig die »Hafentage« statt, die in den folgenden Jahren zu einem überregionalen Treffpunkt von Autonomen aus allen Teilen der BRD und dem westeuropäischen Ausland wurden. Sie trugen ganz wesentlich mit dazu bei, daß der Konflikt um die Hafenstraße für die Bewegung der Autonomen zunehmend eine bundesweite, zum Teil sogar internationale Bedeutung erhielt. Für den »Hafen« war es immer selbstverständlich, sich auch an anderen politischen Aktivitäten, z.B. im Sommer '86 gegen Brokdorf, zu beteiligen. In anderen Städten des Bundesgebietes wurde zu einzelnen staatlichen Repressionen gegen den »Hafen« mit eigenen Mobilisierungen reagiert (so z.B. in Köln, West-Berlin).
In dieser Zeit verstärkten sich auch die staatlichen Angriffe auf das politische Projekt Hafenstraße, das von Beginn an vom rechten Flügel der SPD, dem gesamten Bullenapparat und der marktbeherrschenden Springerpresse massiv bekämpft wurde. In einem Interview des Hamburger Verfassungsschutzchefs Lochte im Oktober '85 mit der TAZ-Hamburg lancierte dieser in der Öffentlichkeit die Behauptung, die RAF sei in Gestalt von bestimmten, von ihm im Interview namentlich bekannten GenossInnen in den »Hafen« eingezogen. Gegen diese gemeinsam vom Staatsschutz und linken Liberalen betriebene Entsolidarisierungskampagne kam es seitens der »Betroffenen« zu heftigen Reaktionen. Unter anderem wurde die gesamte Einrichtung der TAZ-Hamburg zerstört. Die TAZ konnte den Vorgang zunächst dazu benutzen, sich in der bürgerlichen Öffentlichkeit als ein von »Chaoten« überfallenes Projekt darzustellen, um sich so die materielle Solidarität von vielen Linken zu erschleichen. Die von einigen ihrer Redakteure gemeinsam mit Lochte betriebene Denunziation und Entsolidarisierung der Hamburger Linken mit den BewohnerInnen der Hafenstraße scheiterte jedoch an den durch diese Aktion ausgelösten Debatten.
Der Ablauf des gesamten Jahres 1986 war für den »Hafen« durch eine Vielzahl von brutalen Bullenüberfällen gekennzeichnet, die die endgültige Räumung nach dem Auslaufen der Mietverträge zum Ende des Jahres politisch vorbereiten sollten. Die BewohnerInnen und Autonome aus der ganzen Stadt wehrten sich gegen diese Polizeistrategie zunächst mit vereinzelten militanten Aktionen und organisierten dann mit Hilfe des entstehenden »Initiativkreises Hafenstraße« eine breite politische Diskussion mit den BewohnerInnen des Stadtteils und der Hamburger Linken. Diese Bemühungen schlugen sich zunächst im erfolgreichen Verlauf einer gemeinsamen, im Dezember '86 durchgeführten Bündnis- und Massendemonstration, an der 10.000 Menschen teilnahmen, nieder. In den Vorbereitungen zu dieser Demo konnte unter allen teilnehmenden Gruppen der Konsens hergestellt werden, die Durchführung einer Demonstration als wandernder Polizeikessel, auch unter dem Eindruck des »Hamburger Kessels«, nicht mehr tatenlos hinzunehmen. Als die Bullen trotzdem versuchten, den mit Helmen und Knüppeln ausgerüsteten, 1.000 Menschen umfassenden »Revolutionären Block« im Spalier zu begleiten, konnten sie von den GenossInnen erfolgreich zurückgeschlagen werden. Die Bündnisdemo ließ sich durch diesen Bullenangriff weder praktisch noch politisch spalten, der staatliche Repressionsversuch wurde einmütig zurückgewiesen.
Diese Demonstration brachte die mehrjährigen und zuvor oft vereinzelten Aktionen zum Erhalt der Häuser in der Hafenstraße zu einem vorläufigen Abschluß. Sie eröffnete den politischen Raum für die vorläufige Verankerung der Hafenstraße auch nach Auslaufen der Mietverträge Ende '86. Erstmals nach vielen Jahren war es der Hamburger autonomen Linken mit der Demo am 20.12.86 wieder gelungen, in Hamburg politisch in die Offensive zu kommen. Ein Ausdruck für diese Situation war der im Frühjahr durchgeführte »TAG X«, an dem vielfältigste dezentrale Aktionen in der Stadt zur Durchsetzung des »Hafens« stattfanden. Im Sommer '87 kam es zu einer breit getragenen und öffentlich vorbereiteten Wiederbesetzung von im Jahr 1986 zwangsgeräumten Wohnungen im »Hafen«. Die BewohnerInnen erhöhten damit den Druck auf die Verantwortlichen, die »Räumungs- und Abrißlinie, den Terror des letzten Jahres aufzugeben« (aus einem Flugblatt zur Wiederbesetzung). Mit diesen Aktionen gelang es dem »Hafen« und der Hamburger autonomen Linken im Frühjahr/Sommer '87 weitgehend, das politische Feld mit eigenständigen Initiativen zu bestimmen. In dieser politischen Situation wuchs auch die Bereitschaft der BewohnerInnen, im Falle von weiteren Bullenangriffen ihre Häuser notfalls militant zu verteidigen. Aus diesem Grunde wurden diese im Laufe des Jahres auch massiv befestigt. Der in einem langen quälenden Diskussionsprozeß getroffene Entschluß, sich im Falle von Räumungen in den Häusern aktiv und organisiert zur Wehr zu setzen, wurde öffentlich vermittelt und war in die Entwicklung der Unterstützungsarbeit eingebunden. Der Mut und die Entschlossenheit der BewohnerInnen, weitere Bullenschikanen nicht mehr nur als »Opfer« zu erdulden, legten einen wichtigen Grundstein, um den »Hafen« in einer bundesweiten Mobilisierung im November '87 in den »Barrikadentagen« durchzusetzen.
Dieser Erfolg wurde jedoch durch den Abschluß eines unter massiver Polizeigewalt zustande gekommenen Mietvertrages getrübt. Dessen Inhalt spricht durch die Verknüpfungen von Bestimmungen des Strafrechtes mit dem Mietrecht allen sonst üblichen Mietrechtsklauseln Hohn: So kann die gesamte Hafenstraße z.B. für den Fall geräumt werden, daß eine ihrer BewohnerInnen beim Bierbüchsenklauen im Supermarkt erwischt werden sollte. Diese Bestimmungen stellten sich im nachhinein für die staatlichen Instanzen als beständig und flexibel einsetzbarer Räumknüppel gegen das Projekt dar.

Ein paar Interpretationen
»Geschehen ist aber sehr viel ... Sie (die Bewohner der Hafenstraßenhäuser) haben dem Eigentümer, dem Wohnungsbauunternehmen SAGA und den von diesem emsig bemühten Heerscharen behördlicher Büttel erfolgreich getrotzt. Im Verlauf eines oft qualvollen Lernprozesses haben sie ein fein abgestuftes System der Gegenwehr entwickelt, mit dem sie auf die allfälligen Schikanen ihrer administrativen Gegner geantwortet haben ... (Während der Barrikadentage im November) entstand für die Beteiligten in Keimform ein 'befreites Quartier', sogar mit einem eigenen Radiosender. Weitere Besetzungen schlossen sich an, es kam zu Blokkadeaktionen in den benachbarten Vierteln, so daß schließlich eine polizeiliche 'Bereinigung' der Situation nur noch mit Bundesmitteln möglich schien. Die Stärke der Besetzerbewegung lag darin, daß sie auch in der Zuspitzung die Machtverhältnisse realistisch einschätzte und die eigenen bescheidenen Gewaltmittel auch jetzt als flexiblen Bestandteil im politischen Machtkampf handhabte. Die Gegengewalt blieb kalkuliertes Mittel zum Zweck: Von der sich entwickelnden selbstbestimmten und kollektiven Lebenssphäre jegliche sozialarbeiterische Bevormundung oder Demütigung durch die hinter den Polizeieinheiten lauernde Armutverwaltung fern zu halten ...
Wurde mit dem Erfolg der Hafenstraße für 70.000 illegale Flüchtlinge, für 150.000 Erwerbslose und für die von der Massenarbeitslosigkeit bedrohten Hafenarbeiter, Seeleute und Werftarbeiter nicht auch ein Signal gesetzt? Enthalten nicht kollektive Solidarität und Gegenwehr Alternativen zu der resignativen Erfahrung der Marginalisierung, zur Überwältigung durch behördliche Ausgrenzung und individuelle Selbstzerstörung? Und wurde nicht zuletzt unter ein anderthalb Jahrzehnte fortwirkendes Trauma niedergeknüppelter Hausbesetzungen (Eckhoffstraße 1973) ein befreiender Schlußstrich gesetzt?« (»1999«, Zeitschrift für Sozialgeschichte Heft 1/88)
Die zitierten Passagen deuten ein paar Momente an, die in der Hafenstraßenmobilisierung auch ohne große verbale politische Gesten enthalten waren. Zudem blockierte der bislang erfolgreiche Erhalt der Häuser immer noch die ­ in Anlehnung an alte faschistische Konzepte aus den 30er Jahren verfolgten ­ Umstrukturierungspläne am Hafenrand. Sie sehen u.a. vor, mit Hilfe von Spekulationsgeldern dieses Viertel mit hochbezahlten Luxusappartments zu sanieren, um den Stadtteil zugunsten der Konsum- und Freizeitbedürfnisse von gehobenen Mittelschichtsangehörigen herzurichten.
Die große politische Bedeutung des Konfliktes wurde auch in einer Reihe von Aussagen auf einer Unternehmertagung in Hamburg Ende August 1988 deutlich. Auf Initiative der Deutschen Bank und des Springerkonzerns trafen sich 1.300 Manager und Funktionäre aus den führenden Zentralen der multinational operierenden Kapitalfraktionen, um über Konzepte einer zukünftig erneuerten kapitalistischen Strategie der Raum- und Regionalplanung in Norddeutschland zu beraten. Dabei wurde seitens der Kapitalisten immer wieder das »Problem Hafenstraße« als eine der wichtigsten »Investitionsbarrieren« für den norddeutschen Raum ausgemacht. (Sequenzen dieser Tagung finden sich in einem Beitrag in der:»1999« Heft 1/89.)
Selbstverständlich sind sowohl die BewohnerInnen der Hafenstraße als auch ihre UnterstützerInnen und die Autonomen noch außerordentlich weit davon entfernt, die skizzierte »Investitionsbarriere« tatsächlich darzustellen. Und doch muß es Gründe für die von den Großkapitalisten ungewöhnlich offen ausgesprochenen Drohungen gegen die Hafenstraße geben. In der Hafenstraßenmobilisierung wurden Momente eines selbstbewußten Umgangs mit staatlich geplanten Verarmungs- und Marginalisierungsstrategien deutlich, der sich kollektiv organisierte und punktuell erfolgreich revoltierte.

In West-Berlin gibt es ein tolles Kreuzberg
Durch eine gezielte Räumungs- und Legalisierungspolitik des konservativ-reaktionären CDU/F.D.P.-Senats wurde bis zum Sommer 1984 das »Problem« der Hausbesetzungen gelöst. Seitens der Bewegung wurde noch versucht, dieser Strategie dadurch zu begegnen, daß man im Stadtteil Kreuzberg versuchte, Strukturen zu entwickeln, die schnelle Reaktionen auf Häuserräumungen gewährleisten sollten. Die Bewegung zerfiel jedoch an ihren eigenen Widersprüchen und die staatlichen Integrations- und Repressionsstrategien begannen zu greifen. Dabei markierte das seit Dezember 1982 durchgeführte »Radikal«-Verfahren, mit mehreren Hausdurchsuchungen und zwei Verurteilungen nach Paragraph 129a, einen vorläufigen Höhepunkt.
Trotz des Zerfalls der Hausbesetzerbewegung konnten die West-Berliner Autonomen als politische Richtung überleben. Ein Teil von ihnen widmete sich wieder verstärkt Anti-AKW-Aktivitäten, zunächst in Gorleben, später kamen neue Gruppierungen hinzu, die den Kampf gegen die WAA in Wackersdorf zum Hauptschwerpunkt ihrer Arbeit machten. Einige Autonome führten ihre im Kontext mit der Friedensbewegung entwickelte antimilitaristische Arbeit gegen die in West-Berlin ansässigen Militäreinrichtungen der Alliierten fort. Andere Gruppierungen befaßten sich stärker mit Theoriefragen. Ein Teil der GenossInnen versuchte, eine praktische Internationalismusarbeit zu entwickeln. So wurde z.B. eine »Kaffeeklatsch-Kampagne« durchgeführt, die sich gegen die Filialen der multinationalen Kaffeekonzerne in West-Berlin richtete. Andere Autonome »arbeiteten« im Jobber- und Erwerbslosenbereich. Auch die Herstellung und der Vertrieb der Zeitschrift »Radikal« wurde von einigen ­ namentlich nur sehr ungern genannten GenossInnen ­ unter nunmehr illegalen Bedingungen weitergeführt.
Auch wenn zu jener Zeit kein alle verbindendes Kampfsymbol der West-Berliner Autonomen existierte, verloren sie durch ihre vielfältigen Aktivitäten nicht an Zahl und Stärke. So waren sie immer wieder von neuem bei bestimmten politischen Ereignissen, wie z.B. mit größeren eigenständigen Blöcken auf Demonstrationen, präsent (z.B. im September 1985 auf der Südafrikademo, Dezember '85, als Block auf der Demo gegen den Besuch des US-Außenministers Shultz, Mobilisierung gegen den US-Überfall auf Libyen im Frühjahr '86). Organisatorisch getragen wurden diese Aktivitäten in der Regel von kurzfristig einberufenen Vollversammlungen, auf denen hauptsächlich technische Dinge, wie z.B. Demorouten und Verhalten bei Bullenübergriffen, diskutiert wurden. Die im Rahmen dieser Demoblöcke gelaufenen Aktivitäten wurden hinterher kaum öffentlich ausgewertet. Zwei Versuche ­ im Sommer des Jahres 1986 und Anfang '87 ­ zu einer übergreifenderen, auch öffentlich mehr sichtbaren Organisierung der West-Berliner Autonomen mit Hilfe von Delegiertenräten zu gelangen, scheiterten. In den Diskussionen ließ sich das grundsätzliche Mißtrauen vieler GenossInnen gegen offene oder subtile Formen von Führungs- oder Stellvertreterpolitik in den eigenen Reihen nicht überwinden. Zum anderen blieb trotz der Idee, sich zur »750­Jahre-Berlin-Feier« der Herrschenden ein paar gemeinsame inhaltlich-organisatorische Arbeitsschwerpunkte zu suchen, die Vorstellung zu unklar, mit welchen Formen der Verbindlichkeit und Kontinuität diese hätten geleistet werden müssen.

Der Kreuzberger Kiezaufstand am 1. Mai 1987
In einer Situation der nur sehr schwach entwickelten Organisierung fiel in eine laue Frühlingsnacht der allseits als überraschend empfundene 1. Mai 1987 in Kreuzberg. An diesem Tag kam es zu einer gemeinsamen Revolte von Autonomen und den BesucherInnen eines Straßenfestes, in deren Verlauf sich weite Teile der Bevölkerung aus dem Kreuzberger Kiez anschlossen. Im Stadtteil Kreuzberg SO 36 explodierten im wahrsten Sinne des Wortes die seit Jahren angehäuften sozialen und politischen Widersprüche. Während des Kiezaufstandes, der in seinen Dimensionen die fast in den gleichen Straßen abgelaufene Hausbesetzerrandale vom 12.12.80 weit in den Schatten stellte, wurden die ebenfalls völlig überraschten Bullen gezwungen, sich für Stunden aus dem Stadtteil zurückzuziehen. Danach existierte dort, nach dem Begriff der Herrschenden, ein »rechtsfreier Raum«, in dem tatsächlich eine faszinierende und volksfestartige Stimmung entstand. Während Autonome im Verlauf der Randale mit einem umsichtigen Barrikadenbau dafür sorgten, die Bullen für längere Zeit aus dem Kiez auszusperren, konnte die Situation von der Bevölkerung dazu genutzt werden, unbefangen in einer Reihe von Supermärkten »proletarisch« einzukaufen. Nachdem ein Supermarkt bereits bis auf die letzte Fischbüchse leergeräumt worden war, wurde er schließlich unter großer Begeisterung aller Anwesenden niedergebrannt.
Der Verlauf des Kiezaufstandes zeigt mehrere Entwicklungen auf: Zwar war dem West-Berliner Senat bis Mitte der 80er Jahre eine zunächst erfolgreiche Bekämpfung der Hausbesetzerbewegung gelungen. Die durch diese Bewegung ausgedrückten politischen und sozialen Widersprüche in der Stadt wurden jedoch nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die Widersprüche explodierten an einem Ort, der bereits seit über einem Jahrzehnt mit einem großen Aufwand an staatlichen Geldern zum »Experimentierfeld« einer Vielzahl von integrativen und repressiven Strategien der administrativen Sozial-, Jugend-, und »Sicherheits«-Politik gemacht worden war. Die Kiezrandale zeigte in ihrer ganzen Wucht auf, daß kein Automatismus zwischen der Menge der in Kreuzberg staatlich bezahlten und subventionierten Stellen, »behutsamer Stadterneuerung« und anderen Projekten zur sozialen Befriedung und politischen Integration existierte. Im Gegenteil: Die staatliche Kohle wurde von vielen Autonomen bedenkenlos abgezogen, um im nächsten geeigneten Moment umso kräftiger zuzuschlagen. Die Autonomen gingen aus dieser Kiezrevolte, bei der sie als einzige politisch bewußte Kraft vertreten waren, innerhalb des Spektrums der politischen Linken in der Stadt gestärkt hervor. Während die linke Reformpartei AL zu Beginn der Hausbesetzerzeit zum Teil noch an den Basiskämpfen personell beteiligt war, war sie in der 87er Revolte nicht mehr als erfahrbare Kraft präsent. Selbst überrascht von der praktischen Beteiligung der Kreuzberger Bevölkerung an den Auseinandersetzungen, verbot sich für sie zunächst eine deutliche Distanzierung von den Ereignissen. (Sie wurde dann nach der Mairandale '89 umso kräftiger nachgeholt.) So griff sie in der Folge eher vermittelnd in die öffentlichen Diskussionen ein. Die Realität der Revolte hatte ohnehin nichts mehr mit der sozialen Realität der meisten ihrer Funktionsträger aus ihren Organisationsstrukturen zu tun.
In den Nachbereitungsdiskussionen über die Bewertung des 1. Mai kam es innerhalb der Autonomen zu keiner gemeinsamen Einschätzung. Den verschiedensten Ansätzen eines vermeintlich in der Randale sichtbar gewordenen Bezugs zur Kampfkraft einer »Klasse« stand eine Orientierung gegenüber, die eher auf eine an den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen angelehnte weitere Organisierung abzielten. In der stark kontrovers geführten Diskussion um die Frage des »Schutzes« von sogenannten »kleinen Läden« oder sonstigen »unbeteiligten Sachen« bei Randalen konnte kein Konsens erzielt werden. Auf der einen Seite standen die Autonomen, denen diese Fragen »nicht wichtig« waren, weil es sich dabei um immer wieder vorkommende und damit zu vernachlässigende Randerscheinungen handele, die lediglich die Diskussion darüber blockieren, wie es politisch weitergehen könne. Auf der anderen Seite standen andere GenossInnen, die ein starkes Interesse an einer Verankerung in einem auch sozial intakten Stadtteil hatten, in dem sie selber lebten. Die Widersprüche verschoben sich dann noch durch das Bedürfnis derjenigen, die auch einmal »ungezielt« und befreiend auf den Putz schlagen wollten. Hintergrund der Debatte war die brisante Frage, ob und wie die Autonomen im Rahmen ihrer Aktionen auf der Straße Einfluß auf das laufende Geschehen nehmen sollten. Ist es für Autonome sinnvoll, ihren eigenen Subjektstatus aufzugeben, um quasi als neue »politische Ordnungsmacht« alle ihnen destruktiv erscheinenden Momente im Wirkungsraum ihrer Aktionen zu unterbinden? Die Diskussion und mögliche Beantwortung dieser Frage rüttelte konsequent zu Ende gedacht an den Grundfesten ihres politischen Selbstverständnisses. Es ging dabei um das Prinzip der freien Selbstorganisation aller Individuen oder das Führungsprinzip der Organisierung einzelner durch andere. Nur so ist die Intensität der Auseinandersetzungen unter den Autonomen über die scheinbar banale Fragestellung »Schutz von kleinen Läden ­ Ja oder Nein?« verständlich. Allerdings war der erstmals in der Diskussion benutzte Begriff des »Reformautonomen« für diese notwendigen Debatten wenig brauchbar und eher eine hohle ideologische Formel, die einem Teil der Autonomen dazu diente, andere GenossInnen zu denunzieren und auszugrenzen.

Die Aktionen gegen den Reagan-Besuch
Nach der 1. Mai-Randale entstand innerhalb der autonomen Zusammenhänge ein spürbar vergrößertes Interesse, sich an der Vorbereitung der gegen den Besuch des US-Präsidenten Reagan geplanten Demonstration zu beteiligen. Zuvor existierten bei ihnen erhebliche Zweifel an dem Sinn größerer Massenaktivitäten gegen den Besuch des Kriegstreibers. In einem Einschätzungspapier heißt es diesbezüglich:
»(Es) tauchte massiv die Einschätzung auf, daß die autonome Linke demobilisiert, politisch standortlos, im besten Fall eine ritualisierte Reproduktion des 11.6.82 auf die Beine zu stellen vermöge, im schlechteren große Verluste zu verzeichnen hätte. Kurz, eine Demo, die Militanz, aber nicht Politik durch die Straßen schiebt« (Doku des Berliner EA).
Für die autonome Szene stand denn auch die Diskussion um die Frage, mit welchen politischen Inhalten gegen den geplanten Reagan-Besuch demonstriert werden sollte, bis zuletzt zum Teil diffus und kontrovers im Raum. An zwei Aufrufen aus dem autonomen Spektrum gegen den Reagan-Besuch wird dabei die ganze politische Spannbreite der Bewegung deutlich. Stark beeinflußt durch das Frankfurter l.u.p.u.s.-Papier, forderte ein Flügel, mit Hilfe einer Kommunikations- und »vielleicht gelebten Widerstandswoche ... eigene soziale Identität, Kultur- und Lebensräume und deren Zusammenhänge zurückzuerobern«. Sie faßten ihre Perspektive in den Begriff »Hönkel«, den sie in einem sehr schönen Aufruf so darstellten:
»High Mr. President! Die Hönkel laden alle Rebellinnen, Chaoten, Pyromanen, Jumperinnen und Jobber, Gelegenheitsdiebe und Plünderinnen, Outlaws, Girls and Boys, Lesben, Schwule und Heteros, die unverbesserlichen Erotischen zur Woche des Hönkel-Rausches in Dead Wall City ein. Hönkel sind Büchsenöffner im Supermarkt des Lebens. Nicht bereit zu warten, bis die Menschheit sich ändert, lebt der Hönkel, als sei der Tag gekommen. Sie erwarten den Präsidenten der Vereinigten Staaten, wir seine Gegner, die erklärten Feinde des Alltags, der Arbeit, der Ordnung des Löschpapiers ... (Wir) werden ... mit einem Trommelfeuer die Gemüter wecken, den Alltag erotisieren, der Stadt den Geschmack von Freiheit und Abenteuer auf die Straßen brennen. Hönkel ist die Weigerung, sich zum Opfer machen zu lassen. Her mit dem ganzen Leben ­ lassen wir uns unsere Kampfform und Lust, den Zeitpunkt und den Ort, die Dauer und den Anfang nicht von ihrem Rahmenplan bestimmen. Wir fangen eine Woche vorher an und hören überhaupt nicht mehr auf. Wir tauchen überall da auf, wo niemand mit uns gerechnet hat. Scheiß auf die Rumkugel ­ her mit der ganzen Bäckerei. Hönkel-Rausch« (EA-Doku).
Die in bester Sponti-Tradition verfaßte kulturrevolutionäre Orientierung des Aufrufes ist unverkennbar. Es geht darum, neue Ausdrucksformen für den Wunsch nach einem befreiten Leben jenseits altbekannter und eingefahrener Politikparolen zu entwickeln. Daran ist die Hoffnung geknüpft, gerade in Situationen politischer Sprachlosigkeit Ideen für einen begeisternden Widerstand voranzutreiben, zu denen das distanzierende »objektivistische« Politikverständnis nicht fähig ist. Demgegenüber stand schließlich der kurz vor der Demo am 11.6. veröffentlichte »Aufruf zu einem starken autonomen und antiimperialistischen Block« der Reagan-Demonstration ganz in der Tradition der Formulierung von »klaren politischen Inhalten«, als Signal an den Feind, es mit dem »Kampf« sehr ernst und entschlossen zu meinen. Dort heißt es auszugsweise:
»In den Tränen des Volkes sind die Herrschenden noch nie untergegangen ... Westberlin steht wie kaum eine andere Stadt für die ökonomische, technologische und politische Umstrukturierung in den kapitalistischen Ländern. Ausbau zum Wissenschaftszentrum, Testfeld für neue Produktions- und Rationalisierungstechnologien, ständig wachsender Repressionsapparat ­ das ist es, was die Realität dieser Stadt für die Herrschenden ausmacht. Und das ist es, was sie feiern. Ihre Realität, ihr System von Profit, Ausbeutung und Unterdrückung bedeutet für uns in den Metropolen aber immer mehr Not, Arbeitslosigkeit, Mieten, während sie in der sogenannten 3. Welt die tagtägliche Vernichtung tausender Menschen bedeutet ...
Wir begreifen uns als Teil des Kampfes, der weltweit gegen Imperialismus, Ausbeutung und Patriarchat geführt wird. Gegen das fette Fest der Herrschenden setzen wir unseren Hunger nach Befreiung, Selbstbestimmung und Kollektivität!«
Im nachhinein bleibt unklar, mit welchen politischen Orientierungen mehr Autonome aus dem ganzen Bundesgebiet und West-Berlin gegen den Reagan-Besuch am 12.6.87 mobilisiert werden konnten. Die unmittelbare Demovorbereitung wurde ohnehin von technischen Fragestellungen, z.B. »Bullenspalier weghauen ja oder nein«, »mit oder ohne Helm« überrollt.
An der Bündnisdemonstration nahmen ca. 50.000 Menschen teil, darunter auch ein relativ geschlossener, in dichten Reihen untergehakter autonomer Block mit 4.000 GenossInnen, der sowohl bei den Bullen als auch in der Öffentlichkeit einen enormen Eindruck hinterließ.
Aufgrund der Auseinandersetzungen während der Demo entschlossen sich die Bullen und der Senat am nächsten Tag ­ dem Besuchstag von Reagan ­ dazu, den gesamten Bezirk Kreuzberg vom Rest der Stadt abzuriegeln und damit 170.000 EinwohnerInnen quasi unter Arrest zu stellen. Zusammen mit der von Alliierten am gleichen Tag erlassenen Verfügung des vollständigen Demoverbots im Raum Tiergarten, wo Reagan eine Rede am Brandenburger Tor halten sollte, und eines Demoverbots in der Innenstadt wurde damit über weite Teile der Stadt zum Zeitpunkt des Reagan-Besuches der Ausnahmezustand verhängt. Die Kreuzbergabsperrung richtete sich nicht nur gegen die Autonomen, sondern auch gezielt gegen ihr Umfeld. Die BewohnerInnen dieses Bezirkes waren ohnehin seit dem 1. Mai einem permanenten Belagerungszustand durch die Bullen ausgesetzt. Diese Erfahrungen spielten in den Vorbereitungen der Autonomen zu dem ein Jahr später stattfindenden IWF-Kongreß eine nicht zu unterschätzende Rolle.
In den Nächten des 11. und 12.6.87 kam es insbesondere in Kreuzberg 36 zu schweren Straßenschlachten hauptsächlich auswärtiger Autonomer mit ebenfalls aus Westdeutschland herbeigekarrten Spezialbullen. Diese Randale paßte sich völlig vorausberechenbar in die wochenlangen Planspiele der Bullen ein, so daß diese weitgehend den Verlauf ­ mit vielen schwerstverletzten und verhafteten DemonstrantInnen ­ bestimmen konnte. Versuche von West-Berliner Autonomen, diese perspektivlose und für die GenossInnen auch gefährliche Randale zu unterbinden, fruchteten nicht. Der »Mythos Kreuzberg« übte nach dem 1. Mai eine große Faszination auf viele westdeutsche Autonome aus, die stellvertretend an diesem Ort ihre Wut auf die Verhältnisse austobten. So kam es dann in diesen Nächten zu Situationen, die von West-Berliner Autonomen sarkastisch mit der Bemerkung: »Münchener Autonome kämpfen mit bayerischen Bullen am Heinrichplatz« kommentiert wurden.
Es bleiben aus der Anti-Reagan-Mobilisierung zwei Momente wichtig: Mit dem Begriff »Hönkel« konnten viele Menschen zu den verschiedensten, spontanen, anarchistisch gefärbten Aktionen inspiriert werden, die nicht zum engeren Umfeld der Autonomen zählten. Das Moment eines bisher wenig gekannten einheitlichen Blocks auf Demonstrationen vollzog sich am 31.10.87 in beeindruckender Weise ein zweites Mal auf einer Bündnisdemonstration zur Durchsetzung der Hafenstraße. Fast 2.000 schwarzgekleidete entschlossene Autonome demonstrierten eine unverhüllte Gewaltandrohung gegen den Hamburger Senat im Falle einer Räumung der Hafenstraße.

Autonome Stadtteilpolitik in Kreuzberg
Nach der Reagan-Demo orientierten sich ein paar autonome Gruppen wieder verstärkt auf die Organisierung einer autonomen Stadtteilarbeit. So wurde von Autonomen z.B. nach dem 1. Mai ein sogenanntes »Kiezpalaver« in SO 36 eingerichtet, um die eigenen politischen Vorstellungen mit der Bevölkerung öffentlich ­ und damit kritisierbar ­ zu diskutieren. In der Folge schlug sich die Stadtteilarbeit in einer Reihe von Aktionen im Sommer bis Winter '87 zu den Problemen der Wohnungsnot und der Umstrukturierung des Wohnviertels nieder. Dabei ging es darum, die schleichende Veränderung der Bewohnerstruktur dort zu thematisieren. Kreuzberg ist sowohl eine der »Hochburgen« der Autonomen, als auch Arbeitsfeld eines sich formierenden grün-alternativen Mittelstandes. Das drückt sich in entsprechend hohen Wahlergebnissen für die grüne Reformpartei ­ teilweise über 30% ­ aus.
»In Metropolen, wo 'Mode, Kultur, Banken und High-Tech prosperieren', schreiben ... Stadtsoziologen, ... tragen die erfolgreichen Yuppies gemeinsam mit den Alternativen die 'Reurbanisierung'. Das vereinfachte Schema: Zunächst tritt die alternative Szene mit Intellekt und Kreativität an, um sich eine passende Infrastruktur mit Läden, Kneipen und Kulturangeboten herzurichten. Auf dem Nährboden der Alternativen entwickelt sich dann ... 'ihr Erfolgszwilling, die Yuppie-Kultur' ... Mit Kulturangeboten soll die Anziehungskraft für hochqualifizierte Arbeitskräfte, moderne Betriebe und auswärtige Besucher gesteigert werden: 'Es ist eine Angebot, weniger für die, die bereits am Ort wohnen, als für jene, die noch kommen sollen.' Das Zusammenwirken der Yuppies und Alternativen bei der Veränderung des Stadtviertels ... (belegt eine) empirische Untersuchung über 'Gentrification in der inneren Stadt von Hamburg' ... (Sie) zeigt den Einfluß von Modernisierungen, Miethöhe und Infrastruktur auf die Zusammensetzung der Stadtbevölkerung« (SPIEGEL Nr. 36/88).
Diese Umstrukturierung läuft darauf hinaus, sozial schwächere Bevölkerungsschichten zugunsten von Besserverdienenden mit entsprechend gehobenem Lebensstandard aus billigen Wohn- und Lebensräumen, insbesondere in den Innenstädten, zu verdrängen. Der Kampf gegen die »Yuppiesierung« von Wohnvierteln ist zugleich auch Ausdruck von sozialen Trennungsprozessen zwischen einkommensschwachen Bevölkerungsschichten und den Autonomen auf der einen und weiten Teilen der ehemaligen Alternativbewegung auf der anderen Seite. Im Hamburger Schanzenviertel spitzte sich diese Entwicklung im Laufe des Jahres 1988 in dem breiten Widerstand gegen einen riesigen Kulturkommerztempel beim Kampf um die »Rote Flora« zu. In West-Berlin eskalierten diese Auseinandersetzungen am Beispiel des Baus einer Kindertagesstätte ausgerechnet auf dem Gelände eines von GenossInnen selbstverwalteten Kinderbauernhofes sowie an einer Aktion gegen ein Luxusrestaurant. In beiden Fällen verliefen die Konfliktlinien zwischen den Autonomen und den politischen Agenturen der Alternativbewegung, der AL und der TAZ. Die AL setzte bei dem Konflikt um die Kindertagesstätte erstmals in ihrer eigenen Geschichte verantwortlich die Bullen gegen die GenossInnen ein; die TAZ-Berlin versuchte die Autonomen nach einer legitimen, jedoch etwas schwach begründeten Aktion gegen ein Luxusrestaurant als eine Art unpolitische, jedoch kriminell-gefährliche und vor allem unberechenbare »Kiezmafia« zu denunzieren, die angeblich wahllos und willkürlich Kiezbewohner mit Terrormethoden in Angst und Schrecken versetzt. Die dagegen von Autonomen entwickelten Diskussionsprozesse führten im Jahr 1987 dazu, sich eigenständiger und unabhängiger von reformistischen Organisationen zusammenzuschließen. So fand denn auch in strikter politischer Abgrenzung zu dem ganzen »Sumpf« von Mieterorganisationen, Stadtteilerneuerungsausschüssen und der AL im November '87 eine ausschließlich von Autonomen vorbereitete und getragene Kiezdemo gegen Leerstand, Wohnraumspekulation und Umstrukturierung statt. An der Demonstration nahmen ­ trotz massiver Bullendrohungen aufgrund der Schüsse an der Startbahn-West ­ fast 3.000 Menschen teil. Sie machte deutlich, daß die etablierten Mieterorganisationen im Kreuzberger Kiez kaum noch über einen politischen Basiseinfluß verfügen. Die Stadtteilaktivitäten setzten sich im Dezember '87 mit dem Kampf um das Haus an der Reichenberger Straße 63a fort. Durch mehrere Hausbesetzungen konnten schließlich der West-Berliner Senat und die Spekulanten dazu gezwungen werden, auf den geplanten Abriß dieses Hauses zu verzichten und es einer Selbsthilfegruppe zur Verfügung zu stellen.

Es kräht das Küken aus dem Ei:
Heraus zum revolutionären 1. Mai!
Die Erfahrungen aus den geglückten Mobilisierungen im eigenen Kiez waren ein wichtiger Grundstein für die Durchführung einer sowohl örtlich als auch politisch vom DGB völlig getrennten autonomen »revolutionären 1. Mai Demonstration« durch die Stadtteile Kreuzberg und Neukölln. Gegenüber der DGB-Demonstration, die mit der Abschlußkundgebung traditionell am Reichstag Erinnerungen an »Kalte Krieg«-Zeiten weckt, war es das Ziel der Autonomen, durch die Kieze zu demonstrieren, in denen alltäglich politische Konflikte und Auseinandersetzungen stattfinden. Unter dem offensiven Motto »Heraus zum revolutionären 1. Mai« und dem Rosa Luxenburg-Zitat: »Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark« konnten zu dieser Demonstration über 8.000 Menschen mobilisiert werden. Die massenhaft aufgefahrenen Bullen, die sich während der Demonstration im Hintergrund gehalten hatten, versuchten im Anschluß an das traditionelle Straßenfest am Lausitzer Platz den politischen Erfolg anzugreifen. Sie veranstalteten ohne größeren Anlaß ­ auch im Hinblick auf die konkreter beginnende Anti-IWF-Mobilisierung ­ eine Art »Strafexpedition« in Kreuzberg 36. Alle Besucher des Straßenfestes wurden quasi für »vogelfrei« erklärt und eine Vielzahl von Menschen in brutalster Art und Weise zusammengeschlagen.
Die Demonstration des »revolutionären 1. Mai« machte erstmals sichtbar, daß die Autonomen zwischenzeitlich zur mobilisierungsfähigsten politischen Kraft im Spektrum der West-Berliner Linken geworden waren. Die Bedeutung dieser scheinbar schlichten Tatsache wird umso größer, wenn man und frau bedenkt, daß die in den Jahren zuvor präsente linke Oppositionspartei AL ein knappes Jahr später gemeinsam mit der Sozialdemokratie die politische Regierungsgewalt übernahm.

An der Startbahn-West gibt es falsche Schüsse
Die Entwicklung der Autonomen im Rhein-Main-Gebiet war auch nach der Inbetriebnahme der Startbahn durch den Widerstand gegen dieses Projekt bestimmt. In den Jahren 1984­87 existierte weiterhin eine bemerkenswerte Kontinuität der verschiedensten öffentlichen und subversiven Aktionen, angefangen bei den Sonntagsspaziergängen, über Mauerstreben knacken bis zu Anschlägen. Durch das Abbrennen von Strohballen im Frühjahr '87 konnte sogar erstmals der gesamte Flugbetrieb für mehrere Stunden lahmgelegt werden. Die Kontinuität des Widerstands ließ das hessische Innenministerium in den Jahren 1986/87 sogar über ein generelles Demonstrations- und Versammlungsverbot im Startbahnwald nachdenken. Diese Überlegungen wurden jedoch nach Protesten und juristischen Problemen wieder fallengelassen. Trotzdem gelang es den Rhein-Main-Autonomen nicht, eine breitere politische Diskussion mit der Orientierung auf überregional mobilisierbare Massenaktionen auszulösen. Autonome StartbahngegnerInnen schrieben zur Situation des Startbahn-Widerstandes in der Ausgabe Nr. 7 des »Hau Ruck« im Spätsommer '86:
»Daß wir auch ohne konkrete Inhalts- und Handlungsperspektive im Wald an den Spaziergängen festhalten, können wir nur wiederholen. Sie sind ­ und bleiben auf unabsehbare Zeit ­ für uns ein Treffpunkt, ein lebendiger Ort des Austausches ... und nicht zuletzt hängen wir ganz subjektiv am sonntäglichen Ritual ... Der Mensch hat halt seine Gewohnheiten...«

Das ungeklärt im Raum schwebende Militanzproblem
Im Herbst 1986 liefen innerhalb der autonomen Rhein-Main-Zusammenhänge heftige Diskussionen über die schweren körperlichen Verletzungen, die eine bekannte Startbahngegnerin beim Umsägen eines Strommastes erlitten hatte. Die Aktionsform hatte sich innerhalb der Anti-AKW-Bewegung, insbesondere nach dem Zusammenschlagen der beiden Massendemonstrationen am 7.6.86 in Brokdorf und Wackersdorf, steigender Beliebtheit erfreut. Mit ihr konnte man der direkten Konfrontation mit der militärisch stärkeren Staatsmacht ausweichen, und es existierte dabei die Hoffnung, der Atommafia wirksame Schläge versetzen zu können.
Es kursierten Sabotageanleitungen für Strommasten, die den Eindruck erweckten, als handele es sich dabei um gefahrlose, nach Feierabend realisierbare Aktionen, was sich jedoch nach dem lebensgefährlichen Unfall der Startbahngegnerin als großer Irrtum herausstellte. Das Verhalten der Strommastsägergruppe, die aus Selbstschutzinteresse mehr Wert auf Anonymität legte, anstatt eine schnelle medizinische Versorgung der Schwerverletzten zu gewährleisten, wurde von Teilen der Bewegung einer scharfen Kritik unterzogen.
»Eine solche Haltung widerspricht nicht nur den Idealen des befreienden Kampfes gegen ein unmenschliches System, von dem wir zu oft erfahren, daß es über Leichen geht. Es untergräbt auch den Zusammenhalt und die Solidarität in jeder kleinsten politischen Aktion, ist demnach selbstzerstörerisch« (Diskussionspapier der BI gegen die Startbahn-West).
Bemühungen, die verantwortliche Strommastsägergruppe zu einer politischen Diskussion und Selbstkritik zu bewegen, verliefen im Sande. Statt dessen wurden diese gravierenden Fehler in Teilen der Szene entweder verdrängt oder zynisch damit gerechtfertigt, daß im Kampf »Opfer« in Kauf genommen werden müssen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine intensive Diskussion über oberflächliche und militaristische Verhaltensweisen. In diesem Kontext ist auch das l.u.p.u.s.-Papier aus dem Frühjahr '87 entstanden. In sehr zugespitzten Thesen wurde darin das Erscheinungsbild der Autonomen und ihre Aktionsformen kritisiert:»Unter uns Autonomen hat sich ein Begriff von Militanz entwickelt, der sich eher der Logik der Gewaltfrage unterordnet als unseren Utopien von sozialer GEGEN-Macht.«
Der Text diente auch als Diskussionsgrundlage für die »Libertären Tage«, die über Ostern in Frankfurt unter dem Motto »Von den sozialen Bewegungen zur sozialen Revolution« stattfanden. Dieses Treffen zog rund 1.500 Linksradikale aus dem ganzen Bundesgebiet an, die dort über ihre Erfahrungen und Arbeitsbereiche diskutierten. Am Ende des Treffens wurde von den mehreren hundert TeilnehmerInnen ein gemeinsamer Startbahn-Spaziergang durchgeführt, bei dem es zu weiteren verantwortungslosen militanten Aktionen einiger autonomer Gruppen kam, die zu einer Gefährdung von vielen anderen GenossInnen führten.

Dem Staat keinen Millimeter, für Polizisten 9 mm?
Die ungeklärte Militanzfrage zog sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Aktionen des Startbahn-Widerstandes. Die Entwicklung spitzte sich schließlich am 2. November 1987 zu. An diesem Tag organisierten Autonome mit Resten aus der BI gegen die Startbahn-West, anläßlich des Jahrestages der Hüttendorfräumung im Jahre 1981, eine Demonstration. Dabei wurden durch Schüsse aus den Reihen der DemonstrantInnen zwei Polizisten getötet und mehrere schwer verletzt. Die Schüsse zogen im Rhein-Main-Gebiet gegen die völlig unvorbereiteten Autonomenzusammenhänge eine große staatliche Repressionswelle nach sich: Nachdem sich sofort die Generalbundesanwaltschaft aus Karlsruhe wegen einer »drohenden Gefahr für die Ordnung der BRD« zuständig erklärt hatte, kam es zu über 200 Hausdurchsuchungen, zu zahlreichen Festnahmen und Haftbefehlen. Insbesondere die Flut von Zeugenaussagen aus den Reihen der StartbahngegnerInnen führten in der Folge zu einem tiefen gegenseitigen Mißtrauen bis hin zu Verratsvorwürfen. Erschlagen von der Bedrohung durch den Mordvorwurf, quatschten viele Leute zum Teil stundenlang mit den Bullen, belasteten dabei sich und manchmal auch andere, ohne überhaupt etwas zur »Aufklärung« der Pistolenschüsse »beitragen« zu können. Die Aussagen führten die Bullen zur Aufklärung einer ganzen Reihe von Anschlägen auf Banken, Atomfirmen und Strommasten. Das Hauptinteresse der Ermittlungstätigkeit bezog sich für die Staatsschutzinstanzen ohnehin nur sehr kurz auf die Aufklärung der Schüsse. Sie wurden im weiteren Verlauf der Ermittlungen fast nebensächlich. Die Staatsschutzinstanzen bedienten sich so gut wie ihres gesamten in den letzten Jahren angesammelten Wissens aus den verschiedensten Überwachungsaktionen. Die wahrscheinlich von den Bullen selbst nicht für möglich gehaltene Aussagenflut aus der Startbahn-Bewegung war für sie von unschätzbarer Hilfe, ohne die niemals die spätere Anklageschrift gegen neun Personen hätte erstellt werden können.
Nur mühsam konnte von einigen GenossInnen eine »Aussageverweigerungskampagne« unter dem Titel: »Anna und Arthur halten's Maul« entwickelt werden. Diese zielte im Kern darauf ab, die bei fast allen Autonomen vorhandenen Widersprüche zu den Schüssen gemeinsam und untereinander und nicht alleine und isoliert mit den Bullen in stundenlangen Vernehmungsprotokollen abzumachen. Die Kampagne kam jedoch schon zu spät. Die Aussagen bei den Bullen waren in Frankfurt zudem nicht nur ein Ergebnis von politischen Widersprüchen. Zugleich waren sie auch Ausdruck von kaum geführten Alltagsdiskussionen über eine von Drohungen der staatlichen Gewaltpolitik eigenständige soziale und persönlich-politische Integrität jenseits von bürgerlichen Normen.

Zum Problem von Kontinuität und Bruch
Mit dem Abflauen des Massenwiderstandes, spätestens nach der Startbahn-Einweihung zerbröckelte zugleich auch ein wichtiges Widerstandssymbol autonomer Politik. Dieser Entwicklung wurde von Teilen der Autonomen zeitweise mit einem erhöhten Grad an organisierter Militanz begegnet, die jedoch zunehmend zu einem Ritual erstarrte. Die Verselbständigung einer Militanz, die nicht mehr mit einer breiten politischen Bewegung diskutiert werden konnte, bildete die Folie für einsame Entscheidungen von innerhalb der Bewegung agierenden Individuen, deren politisch kollektivierender Zusammenhang verloren gegangen war. Allerdings ist mit diesen plausibel erscheinenden Bemerkungen die Frage nach der Kontinuität oder dem Bruch von autonomer Politik nach den Schüssen vom 2.11.87 nicht geklärt. Die Konstruktion diverser Kontinuitätslinien auf Grundlage aller seit Jahren bekannten Unzulänglichkeiten und Schwächen autonomer Politik sind in der Realität allenfalls eine »Hilfskrücke«. Sie wird errichtet aus dem innigen Wunsch des Verstehens, »Weil-daraus-lernen-Wollens«. Die Schüsse bleiben ein politisch nicht mehr zu erklärender Bruch aller Prinzipien und Linien bisheriger autonomer Politik. In diesem Sinne sind die Schüsse zugleich auch als Ausdruck der grenzenlosen Freiheit oder Willkür in dem sich selbst setzenden Handeln einzelner Menschen zu verstehen. Dieses kann eben nicht nur bürgerliche Normen, sondern auch alle Prinzipien autonomer Politik brechen. Zu keinem Zeitpunkt waren die Pistolenschüsse im Rahmen von Demonstrationen auf Polizeibeamte durch wie auch immer geartete innerhalb des autonomen Spektrums geführte »öffentliche« Diskussionen legitimiert. Die Schüsse an der Startbahn-West waren weder Ausdruck noch zielgerichtete Konsequenz der autonomen Politik der letzten Jahre. Nur so ist auch die große Überraschung und das große Entsetzen der Autonomen nach dem 2.11.87 zu verstehen.

Reaktionen und Diskussionen
Nach dem 2.11.1987 wurde in der BRD innerhalb der autonomen Zusammenhänge die Befürchtung laut, daß es zu einer bundesweiten Repressionswelle kommen könne. Sie beschränkte sich jedoch zunächst auf die autonomen Strukturen im Rhein-Main-Gebiet. Der im Dezember gestartete staatliche Angriff auf die autonomen Frauenzusammenhänge konnte im Gegensatz dazu durch eine breite Solidarisierungswelle abgefangen werden. Für die unmittelbare Praxis von anderen autonomen Zusammenhängen im Bundesgebiet kann sogar behauptet werden, daß der 2.11. relativ bedeutungslos gewesen ist. Kurz danach wurde der Hafen entschlossen durchgekämpft und in Kreuzberg fleißig demonstriert.
Seitens autonomer Gruppen wurde aus dem ganzen Bundesgebiet eine Vielzahl von Stellungnahmen zu den Schüssen an der Startbahn-West publiziert. Trotz der staatlichen Repression und der quer durch alle Spektren des bürgerlichen Lagers betriebenen Einschüchterungspolitik stellten sich die Autonomen den verbalen Auseinandersetzungen, anstatt einfach sprachlos wegzutauchen. Wenn auch ein paar autonome Gruppen vor allem aus dem Rhein-Main-Gebiet, unter dem unmittelbaren Damoklesschwert der staatlichen Repression, von der nackten Angst diktierte Distanzierungsbekenntnisse gegenüber den Schüssen veröffentlichten, so zeigte sich doch in der Struktur der Argumentation der meisten anderen autonomen Gruppen eine differenzierte Reflexion zu Fragen von Militanz und den damit verbundenen Zielsetzungen revolutionärer Politik. Diese Positionen waren bei aller Kritik an den Startbahnschüssen von der Intention geprägt, ohne brutales Distanzierungsritual Verantwortlichkeiten, Prinzipien, Widersprüche und Schwächen autonomer Politik genau herauszuarbeiten, darzustellen und damit kritisierbar zu machen. Stellvertretend für andere Einschätzungen. Auszüge aus einer Erklärung von Bonner Autonomen:
»Es wurden zwei Menschenleben vernichtet, ohne daß sich die Tat aus dem Zusammenhang der Startbahnkämpfe heraus hätte legitimieren können. Weder war sie zum Schutz der Demo oder des Schützen notwendig, noch hat sie den Kampf um Befreiung vorangebracht, sie hat ihn eher zurückgeworfen. Hier hat sich die Gewalttätigkeit, die dieser Staat jedem aufzwingt, der seine Gewalt bekämpft, abgekoppelt vom Ziel der Befreiung und ist zum Selbstzweck geworden.
Wir müssen dafür sorgen, daß keiner in unseren Zusammenhängen für sich individuell beschließen kann, jetzt reicht's, jetzt schieße ich. Wir müssen mit dem Mißverständnis aufräumen, die Radikalität des Kampfes lasse sich an der Gewalttätigkeit der Mittel bestimmen ... Eskalation nach dem Motto: erst Molli, dann Zwille, dann Knarre, ist genau die Eskalation, wie sie den Herrschenden ins Konzept paßt. Ihnen tut es nicht weh, wenn einer ihrer Söldner abgeknallt wird ...
Die Tötung eines Menschen (ist) nicht allein damit zu rechtfertigen ..., daß er auf der Seite der Herrschenden steht. Und genau das, diese Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben, die zum Charakter des Systems gehört, das wir bekämpfen, dürfen wir bei uns nicht zulassen. Weil wir eine solche Gleichgültigkeit unter uns zugelassen haben, können wir uns von der Tat in Frankfurt nicht distanzieren. Wir müssen die politische Verantwortung übernehmen. Wir müssen die Wirkungsweise des Systems in uns und untereinander bekämpfen. Wir dürfen uns aber auch nicht vom Kampf abhalten lassen dadurch, daß uns ein menschenverachtendes System Mittel in diesem Kampf aufzwingt, die uns immer ein Problem sein müssen. Und wir dürfen nie aufhören klarzumachen, wer für die Toten in diesem Kampf eigentlich verantwortlich ist, nicht nur für unsere, sondern auch für tote Polizisten und Soldaten. Für den Tod eines Söldners trägt allemal Schuld er selbst, der sich für sein Handwerk bezahlen ließ, aber noch mehr sein Kriegsherr, der ihn ins Feld schickte« (»2.11.87 Dokumentation«).
Der insbesondere von den Grünen gewünschte Kniefall vor dem Dogma der Gewaltfreiheit als Demuts- und Unterwerfungsgeste an die bürgerlichen Herrschaftsnormen konnte in den Debatten energisch zurückgewiesen werden. Diese gerade in relativ »ruhigen Zeiten« so scheinbar banale Selbstverständlichkeit ist insofern nicht ganz unwichtig, als daß es damit weder den Grünen noch dem Staat gelang, ihre Formen des Diskurses mit den dazugehörigen Inhalten gegenüber den Autonomen durchzusetzen. Möglicherweise mag das ein Grund dafür gewesen sein, daß die Bundestagsfraktion der Grünen geschlossen die Forderung nach einer staatlichen Fahndung und Kriminalisierung gegen die Autonomen in einer eigenen Erklärung aufstellte.

Anschlagsrelevante Themen
Im Dezember 1987 kam es zu einem massiven Angriff gegen die autonome Frauenbewegung. Unter dem Vorwand des Vorwurfs der »Unterstützung der terroristischen Vereinigung Revolutionäre Zellen« führten die Staatsschutzinstanzen eine bundesweite Hausdurchsuchungswelle ­ vorzugsweise im Ruhrgebiet und Hamburg ­ durch, die zu den Verhaftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl führte und mehrere GenossInnen in die Illegalität zwang. Im Gegensatz zu der Repression nach den Startbahnschüssen bewirkte die Hausdurchsuchungswelle das genaue Gegenteil von Einschüchterung und politischer Verunsicherung. Gegen die Verhaftungen mobilisierten sich sofort viele Menschen. Die Beschäftigung mit den Ulla und Ingrid vorgeworfenen sogenannten »anschlagsrelevanten Themen«, insbesondere Gentechnologie, Bevölkerungspolitik, Frauenhandel und Sextourismus weitete sich im ganzen Bundesgebiet enorm aus, noch nie vorher waren Veranstaltungen zu den oben genannten Themen so gut besucht.
Die Bullen stießen bei ihren weiteren Ermittlungen zunächst auf eine Mauer des Schweigens, so daß sie ihre Konstruktionen nicht weiter entwickeln konnten. Erst durch die Androhung von Beugehaftbefehlen konnten sie im nachhinein ein paar wertlose Aussagen von ZeugInnen erpressen.
Nach acht Monaten U-Haft mußte Ulla Penselin freigelassen werden. Die Unterstützungsarbeit für die auch weiterhin inhaftierte Ingrid Strobl konnte weit über den autonomen Frauenzusammenhang hinaus organisiert werden. Die vielfältige Solidaritätsarbeit ist ein Beispiel dafür, wie bei einem entsprechend entwickelten Stand des politischen Bewußtseins der Zielsetzung von staatlicher Repression, Isolierung, Abschreckung und Einschüchterung offensiv begegnet werden kann.

Und gegen den IWF-Weltbank-Kongreß gab es eine politisch sehr richtige Kampagne
Die Jahre 1986/88 standen bundesweit in allen autonomen Zusammenhängen weitgehend im Zeichen der IWF-Kampagne. Sie stellte in gewisser Weise eine Fortsetzung von Bemühungen dar, die bereits im Frühjahr 1985 zu einem Tribunal und einer bundesweiten Demonstration gegen den in Bonn stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel geführt hatten. Die IWF-Kampagne wurde für knapp zwei Jahre ein gemeinsamer Bezugspunkt von Diskussionen im autonomen Spektrum. Die teilweise daran geknüpften Hoffnungen waren auf Grundlage eines im Frühjahr '87 formulierten Aufrufes nicht eben gering. Tiefgreifende inhaltliche Diskussionen zu so komplexen Fragestellungen wie ökonomische Entwicklungstendenzen des kapitalistischen Weltmarktes, Kapital- oder Klassenbewegung versus Patriarchat usw. sollten sich mit theoretischen Analysen und praktischen Kräfteeinschätzungen bei gleichzeitiger strikter Abgrenzung zum »Reformerspektrum« zu einem politischen Angriff unter der gemeinsamen Parole »Verhindern wir den Kongreß« verbinden. Unter »Reformerspektrum« wurden dabei Organisationen wie z.B. die AL, kirchliche Kreise, die im »Bundeskongreß entwicklungspolitischer Gruppen« (BUKO) zusammengeschlossene traditionelle Solidaritätsbewegung und Gewerkschaften verstanden.
In den ersten bundesweiten Diskussionstreffen zeigten sich schnell die enormen Schwierigkeiten bei dem Versuch, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Einer auf die Bewegungen der »Klasse« orientierten Fraktion stand der größere, an Kampagnenbewegungen ausgerichtete Flügel gegenüber. Im autonomen West-Berliner Vorbereitungsplenum spaltete sich zudem die Frauen von den Männern ab. Die Frage des Patriarchats stand quer zu allen anderen Problemen im Raum. Versuche der Männer, das »Problem« doch noch in die eigenen partriarchalen Sichtweisen zu vereinnahmen, blockten die Frauen schließlich durch eine eigenständige Organisierung ab.
Trotz einer Reihe von bundesweiten Treffen gelang es den Autonomen nicht, bundesweit kontinuierliche Arbeitszusammenhänge aufzubauen. So stand im Laufe des Jahres 1987 die Kampagne mehr als Anspruch in der Luft, als daß sie mit Hilfe verschiedenster Aktionen Realität hätte gewinnen können. Übrig blieb über den gesamten Zeitraum eine gegenseitige diffuse Unklarheit zwischen West-Berliner Autonomen und ihren bundesdeutschen GenossInnen über das, was im Rahmen dieser Kampagne eigentlich entwickelt und vorbereitet werden sollte.

Bei den theoretischen Höhenflügen ist die Freiheit bis zur Bauchlandung grenzenlos ...
Allerdings kam es im Rahmen der Anti-IWF-Kampagne zu einem wahren Boom der unterschiedlichsten Theoriediskussionen. Die in diesen Debatten angehäuften Fragen nach dem revolutionären Subjekt in der Metropole und/oder im Trikont sowie nach der Rolle des Patriarchats drohten zeitweise die Diskussionen um konkrete Störaktionen gegen die IWF-Weltbank-Tagung zu lähmen. Die Diskussionswut war zugleich aber auch ein Ausdruck für einen enormen Nachholbedarf der Autonomen, der sich aufgrund der vielfältigen Praxis in den Bewegungen der 80er Jahre angestaut hatte. Teilweise wurden die Diskussionen um verschiedene Theorieansätze in einer Form geführt, die einerseits eher an akademische Spiegelfechtereien erinnerte und andererseits dazu führte, ein notwendiges Theorie-Praxis-Verhältnis aus dem Auge zu verlieren. Ein exemplarisches Beispiel war ein im April '88 in Bremen veranstalteter »Internationalismuskongreß« mit rund 500 TeilnehmerInnen. Soweit der Ablauf dieses Treffens »inhaltlich bestimmt« war, dominierten dort die Vorstellungen von GenossInnen aus dem ehemaligen »Autonomie ­ Neue Folge«-Zusammenhang und den daraus hervorgehenden »Materialien für einen neuen Antiimperialismus«. Im Ansatz eines »neuen Antiimperialismus« wird bei einer grundsätzlichen Kritik an allen Formen von nationalen Befreiungsbewegungen das revolutionäre Subjekt in den Riots und Ghettoaufständen, in den Slums, Favelas und Barrios vermutet und mit großer analytischer Tätigkeit abzusichern versucht. Die an die Macht gelangten nationalen Befreiungsbewegungen seien nur noch dazu da, »Verwertungsposten des transnationalen Kapitals gegen die Klasse« auszufüllen. Aufgrund dieser Position fällt es sehr schwer, eine Vorstellung von einer eigenständigen sozialrevolutionären Praxis in den Metropolen zu entwickeln, die sich dem Anspruch von materieller Befreiung hier stellen kann. Anstatt aber diesen Umstand als Problem des ganzen theoretischen Ansatzes im Ablauf des Kongresses auszuweisen, um darüber die Diskussionen um die Perspektiven hier (wo sonst?) zu entwickeln, war dieses Problem den KongreßinitiatorInnen kaum eine relevante Anstrengung wert. Statt dessen betrieben sie Theorieproduktion um ihrer selbst willen, damit es dann auch wirklich alle wissen, und ohne eigene Anstrengung darüber, was damit in der Praxis anzufangen ist. Folgerichtig wurde dann auch den zum Schweigen verurteilten KongreßteilnehmerInnen bei den in dunklen Räumen abgehaltenen Großveranstaltungen langatmige und monologartige Abhandlungen über die Bösartigkeiten der Welt und des Kapitals zugemutet. Und nachdem von den Veranstaltern sowohl mit der gewählten Form als auch dem Inhalt dieser ganzen Unternehmung jede Möglichkeit einer Auseinandersetzung komplett der Boden entzogen worden war, wurden die Referate doch tatsächlich mit dem sowohl lapidaren als auch gelogenen Hinweis abgeschlossen, »man könne das jetzt ja alles im Zusammenhang diskutieren«. Erfrischend waren da nur noch die Interventionen sowohl von feministischen Frauen als auch von eher traditionell antiimperialistisch ausgerichteten Hamburger Genossen. Zunächst sprengten die Frauen eine Veranstaltung zum Thema »Der marxistische Klassenbegriff unter Einbeziehung feministischer Konzepte« mit der Begründung, daß die veranstaltenden Männer eine derartige Fragestellung lieber umgekehrt diskutieren sollten. Allerdings wußten die Frauen danach unter sich leider auch nicht mehr weiter. Auch die Hamburger Antiimperialisten konterten die gespenstischen Veranstaltungsformen des Kongresses, zogen in einen anderen Raum und suchten ihr Vorgehen mit »Thesen für einen revolutionären Internationalismus« zu begründen. War in dem demonstrativen Auszug der Hamburger noch einige Musik drin, so meinten sie sich leider in der politischen Begründung ihrer »Internationalismus-Begriffs-Thesen« der Vorstellung einer allerspätestens seit 1917 von der Sowjetunion erfolgreich praktizierten Möglichkeit einer »Politik der nationalen Befreiung« bedienen zu müssen. Noch nicht einmal ein Wimpernschlag in der Weltgeschichte später, zeigte sich dann nachfolgend die ganze Blamage dieser Vorstellung von »nationaler Befreiung«.
Die wie üblich holpernde und stolpernde Praxis der nachfolgenden Kampagnenbemühungen sah glücklichweise anders aus: Immerhin ermöglichte dieser Kongreß das erste Mal einen breiteren Überblick über den tatsächlichen Stand der inhaltlichen und praktischen Vorbereitungen der verschiedenen Aktivitäten. Allerorts wurde von den Gruppen über große Schwierigkeiten in der Arbeit berichtet. Trotzdem stellten die West-Berliner Autonomen (Frauen- und Männerplenum) einen in bewußter Abgrenzung zu den vom Reformerspektrum organisierten Aktivitäten entwickelten Vorschlag für »Aktionstage« im September vor. An die Teilnahme von auswärtigen Autonomen wurden ziemlich hohe Voraussetzungen formuliert, die z.B. darin bestehen sollten, sich monatelang vorher mit den Örtlichkeiten der Stadt vertraut zu machen. Die Reduzierung auf »strategische Fragen« in den Vorbereitungen kehrte die Intention des West-Berliner Vorschlages um, mit einer klar formulierten Position, die gemeinsamen Diskussionen weiter entwickeln zu wollen, und führte letztlich eher zu einer Demobilisierung westdeutscher autonomer Gruppen.
Diese Tendenz wurde dann im Sommer '88 durch die Androhung der staatlichen Repression noch verstärkt. So tauchten vermehrt in der Presse ­ vorhersehbare (!) ­ aus Staatsschutzquellen gespeiste Artikel auf, die die Autonomen als große Gefahr für die Durchführung des IWF-Kongresses darstellten (z.B. SPIEGEL, Handelsblatt, Welt usw.).

Ein Sommercamp der Autonomen
Während in den Sommermonaten des Jahres '88 die meisten der engagierten autonomen West-Berliner PolitaktivistInnen in ihren Gruppen und Schreibtischen vollends damit beschäftigt waren, die von ihnen gehandhabten komplizierten Theorien einigermaßen mit dem Bedürfnis nach einer noch komplizierteren Praxis in Einklang zu bringen, scherten sich andere Autonome aus dem Kiez nicht soviel um diese »wichtigen Inhalte«. Angewidert von zuviel Beton in der Stadt zogen sie einfach an einen grünen Flecken am Mauerstreifen, riefen dort das Kubat-Dreieck aus und praktizierten nicht nur in den Augen der Bullen soetwas wie ein »Sommercamp der Autonomen«. Die ganze gelungene Aktion brachte nicht nur einen ganzen Haufen von Pflastersteinen und Molotowcocktails gegen unnütz herumlungernde Polizeiketten in Bewegung, sondern endete auch ­ bei dem Versuch der Bullen, das Gelände zu räumen ­ mit einem in jeder Hinsicht phantasievollen Mauersprung von 400 Leuten auf das Territorium eines Nationalstaates, der damals DDR genannt wurde.

Danach ging's aber wieder mit richtiger Politik weiter ...
In der Vorbereitungsphase gegen den IWF-Kongreß begannen sich die paradoxen Momente in der Mobilisierung zu häufen. Obwohl fast zwei Jahre lang intensiv das politische Projekt IWF-Kampagne diskutiert worden war, stellte sich heraus, daß eine gemeinsame praktische Mobilisierung in Richtung West-Berlin nicht möglich war. Die scheinbar radikale Parole »Verhindern wir den Kongreß« zielte in den praktischen Aktionsplanungen zudem darauf ab, den IWF-Kongreß nicht vorher, sondern erst dann zu verhindern, wenn er bereits in der Stadt West-Berlin zu tagen begonnen hatte. Trotz zweijähriger Diskussionen, in denen ausreichend Raum und Zeit dafür zu sein schien, sich auf eigene Aktivitäten einzurichten, schmolz die konkrete Vorbereitungszeit in West-Berlin schließlich auf wenige Wochen zusammen.
Es stellte sich heraus, daß die regional unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der autonomen Gruppen im Bundesgebiet zu wenig diskutiert worden waren. Während eine Reihe von GenossInnen in ihren Regionen und Städten eine offensive Bündnispolitik mit allen Spektren der Linken betrieben, wurde von West-Berlin aus die politische Linie einer strikten Abgrenzung zu allen »Reformeraktivitäten« vertreten. Diese unterschiedliche Herangehensweise lag zum Teil am Charakter der IWF-Kampagne selbst. Sie war ­ mit Ausnahme von West-Berlin ­ letztlich als »abgehobene« politische Kampagne nicht in die soziale Realität von anderen Regionen in der Bundesrepublik übertragbar. Während in West-Berlin stets auch unter dem Blickwinkel mobilisiert werden konnte, die 14.000 anreisenden IWF-Schergen samt einem riesigen Bullenapparat im September '88 für eine Woche im Alltag präsent und damit wie auch immer »angreifbar« zu haben, ließ sich der Bezug zur IWF-Politik in der sozialen Realität der BRD politisch nur sehr vermittelt aufgreifen.
Im September 1988 kam es dann, relativ getrennt voneinander, im Bundesgebiet zu den verschiedensten autonomen Aktivitäten (so z.B. Demos und Aktionen in Neumünster, Hamburg, Wuppertal, Frankfurt, Stuttgart, München usw.). Für West-Berlin wurde eine von mehreren hundert Leuten besuchte mehrstündige Vollversammlung für alle öffentlich-praktisch-organisatorischen Tätigkeiten zum Ausgangspunkt. In allgemeiner Erwartung der Vorstellung eines ganz großen, wilden und gefährlichen revolutionären Programms gegen die Tagung der Schweine wurde einfach hinter dem Rücken aller Teilnehmenden in gebotenem politischen Ernst eine volle Stunde lang gemeinsam miteinander ­ geschwiegen. Nach diesem nur als phantastisch zu bezeichnenden Ablauf dieser Vollversammlung war allen Beteiligten klar, daß alles was da noch kommen soll, in ihren, aber nur in ihren Händen liegen würde. Und so nahmen sie denn als Folge dieser denkwürdigen Vollversammlung ihr politisch gewolltes Schicksal in die eigenen Hände. Großartig!
Und so stellten die West-Berliner GenossInnen, weitgehend auf sich alleine gestellt, ein gigantisches Programm von Aktionstagen auf die Beine, in dessen organisatorischen Strukturen sie sich auch folgerichtig (fast) zu Tode rödeln mußten. Nachdem im unmittelbaren Vorfeld der geplanten Aktionstage sich selbst als »Autonome Zellen« bezeichnende Gruppierungen eine zweistellige Zahl von Autos des allseits beliebten Siemenskonzerns eingeäschert hatten, wurden die von den Autonomen organisierten Aktionstage durch die eigenständige Beteiligung vieler Menschen, auch aus ganz anderen Zusammenhängen, ein relativer politischer Erfolg. Es soll dabei aber nicht verschwiegen werden, daß die von den Autonomen mit Hilfe von Aktionen so »politisch richtigen wie wichtigen auf die Straße transportierten Inhalte« in der Regel für alle engagiert Beteiligten eher als staubtrocken zu erleiden waren. Mehr Spaß machte es, mit vielen tausend anderen in der West-Berliner City auf dem Breitscheidplatz lärmend herumzutrommeln und mit den zunehmend überforderten Bullen Katz und Maus zu spielen. Jedenfalls wurden die Aktionen auf der Straße nicht von dem Motto »Schuldenstreichen« der Reformergruppen, sondern von der autonomen Parole »IWF-Mördertreff« beherrscht.
Die Aktionstage wurden mit einer »internationalistischen revolutionären Demonstration« abgeschlossen, an der 8.000 Menschen teilnahmen. Trotz dieser »politischen Erfolge« konnte der konkrete Ablauf des IWF-Kongresses jedoch in keinster Weise beeinträchtigt werden. Im Hinblick auf die zuvor im autonomen Spektrum formulierte »Verhinderungsparole« war das ein krasser Widerspruch. Es bleibt im nachhinein offen, ob es mit einer anderen Art der politischen Vorbereitung möglich gewesen wäre, sehr viel dichter an die Umsetzung der »Verhinderungsparole« heranzukommen. Spätestens der Ablauf der Aktionstage bestätigte, daß der von den Staatsschutzinstanzen auch in vielen Köpfen von Autonomen erweckte Eindruck einer vollständigen Abriegelung und Überwachung der gesamten Stadt nicht mit der Realität übereinstimmte. Und daraus kann für die Zukunft immer nur gelernt werden...


1989
Dieses Kapitel verdankt sich nur der schlichten Tatsache, daß es sich bei dieser Jahreszahl um das allerletzte Jahr der gerade mal 40 Jahre zuvor unter der Obhut der Westalliierten gegründeten (West-)BRD handelt. Und gerade für Revolutionäre erscheint das ein mehr als bemerkenswerter Umstand zu sein, daß ausgerechnet der sich in der unmittelbaren Handlungsreichweite befindliche Staat, mit dem man doch überhaupt nichts anfangen mag, auf eine Art und Weise verschwindet, mit der zumindestens zu Beginn dieses Jahres niemand gerechnet hat. Es scheint wohl manchesmal auch in der Politik erstens immer anders und zweitens, als man und frau so denkt, zu kommen. Und aus dem Umstand, daß jemand, der noch im Sommer 1989 sowohl das Verschwinden der DDR als auch das Ende der alten West-BRD binnen eines Jahres prophezeit hätte, als ein verrückter Spinner verlacht worden wäre, kann zumindestens in der Zukunft nur folgen, den Einschätzungen und Ansichten von liebenswürdigen Spinnern mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
In der Rückschau betrachtet, stellen sich die Aktivitäten hinsichtlich »großer Politik« von Autonomen in diesem Jahr noch einmal als ein buntes Kaleidoskop der unterschiedlichsten Themen und Kampagnen dar.
Zu Beginn des Jahres wird der Genosse Fritz aus Hamburg, dem wir viel verdanken, wegen einer lausigen Presserechtsgeschichte bei der Herausgabe des Autonomeninfos »Sabot« unter dem Vorwand eines § 129a -Verfahrens zu einem ganzen Jahr Knast ohne Bewährung verknackt. So'n Mist!
Im Februar demonstrierten 10.000 Menschen in einem breiten Bündnis in Essen für die sofortige Freilassung von Ingrid Strobl aus dem Knast. Zur gleichen Zeit versuchte das damals existierende Kollektiv der Gefangenen aus der RAF noch einmal mit einem rund zwei Monate dauernden Hungerstreik eine Zusammenlegung in große Gruppen zu erreichen. Allerorten gründeten sich in größeren Städten der BRD Hungerstreikplena, bestehend aus Antiimps und Autonomen, die eine Vielzahl von Besetzungsaktionen und zum Teil größeren Demonstrationen organisierten. Nachdem zwei Gefangene kurz davor waren zu sterben, wurde der Hungerstreik von dem RAF-Häftlingskollektiv, ohne größere Zugeständnisse von den staatlichen Behörden erreicht zu haben, abgebrochen.
Durch die Wahlerfolge der Partei der Republikaner (REP) bekam die antifaschistische Bewegung eine neue Aktualität. An der Antifa-Bewegung beteiligten sich viele neue, hauptsächlich junge Leute. Auch erste Ansätze einer eigenständigen, parteiunabhängigen Organisierung der dritten, hier geborenen Immigrantengeneration wurden sichtbar. In der Folgezeit stellten sich sowohl für die Theorie als auch für die Praxis dieser Bewegung eine Reihe von schwierigen Fragen: So z.B., in welchem genauen Verhältnis der historisch durch die Organisationen der traditionellen Arbeiterbewegung nicht unproblematisch aufgeladene Begriff des »Antifaschismus« zu Fragen des Rassismus und Antisemitismus als auch zu einem Begriff von Autonomie stehe.
An der zweiten »revolutionären 1. Mai«-Demo knallt's noch mal ganz kräftig in Neukölln und Kreuzberg. Während der Demo wurde durch das Aufmachen von ein paar Supermärkten demonstriert, daß ein »proletarischer Einkauf« durchaus auch nach Ladenschluß möglich ist, und bei der mehrstündigen Abschlußrandale auf dem Lausitzer Platz sahen die West-Berliner Bullen außerordentlich schlecht aus. Wer sich bis zu diesem Zeitpunkt seitens des links-alternativen Mittelstandes noch nicht von den Autonomen distanziert hatte, tat dies spätestens nach diesem Krawall. Auch in den nachfolgend innerhalb der Autonomen geführten Diskussionen gingen die Einschätzungen über den politischen Charakter des militärtaktisch siegreich über die Bullen erfochtenen Straßenkampf auseinander. Von einigen Diskussionsteilnehmern wurde die »kalte Technik der Randale« kritisiert, die »keine Zeit zu verschenken« habe, und es wurde mit Erschrecken festgestellt, daß der 1. Mai-Randale jeder Anflug von Witz und Lust wie überhaupt das befreiende Lachen auf Seiten der aktiv Beteiligten gefehlt habe.
Derweil versuchte der Hamburger Senat mit sogenannten »Begehungen« weiter die BewohnerInnen der Hafenstraße zu schikanieren. Das mußte unweigerlich nicht nur zu Protesten in der Bevölkerung, sondern auch dazu führen, daß einem Verantwortlichen des Senats das Nasenbein kaputtging.
Trotz der großen Solidarität wurde Ingrid Strobl im Mai erstmal zu fünf Jahren Knast verurteilt. Derweil kam die Staatsanwaltschaft Itzehoe doch glatt auf die Idee, dem zwischenzeitlich leider gefangenen Genossen Fritz aus Hamburg die doch außerordentlich gelungene und populäre Mastsprengaktion in Brokdorf des Jahres 1984 unter dem Vorwand einer »Beteiligung an einem Sprengstoffverbrechen« anhängen zu wollen. Nachdem aber auch Teile der liberalen Öffentlichkeit ihr Unverständnis über die staatliche Repressionspraxis gegenüber dem Genossen Fritz kundgetan hatten, wurde schlußendlich das Mastsprengungsverfahren eingestellt und Fritz schon nach einem (viel zu langen) halben Jahr wegen der § 129a-Geschichte ganz aus dem Knast entlassen. Mit Ausnahme der Bullen, der Idioten und aller Gleichgültigen war das dann für alle anderen ein großer Grund für Luftsprünge heller Begeisterung und Freude. Und in einer großen gemeinsamen Freilassungsfete in der Roten Flora spielte Klaus, der Geiger unter einem großen Transparent: »Fritz ist frei!« zum Tänzchen auf.
Und so wäre vermutlich alles erstmal immer so weiter gegangen, wenn nicht mit einem Male die Mauer in Berlin umgefallen wäre. Und danach blieb nicht mehr alles anders, und alles wurde nicht mehr so wie wahr. Vermutlich gemeinsam mit dem sonst so abgelehnten Rest der West-BRD-Bevölkerung rieben sich auch die Autonomen ob dieses »Ereignisses« ein wenig die Augen und überlegten auf die schnelle die Königsfrage: »Was tun?« Zumindestens hatten die Autonomen in West-Berlin aufgrund der gerade mal ein Jahr zurück liegenden IWF-Kampagne gelernt, daß es ein kompletter Unsinn ist, sich für den Erhalt von sogenannten »Nationalstaaten« einzusetzen. Aber sonst?
So wurde dann wegen des »wohl irgendwie als wichtig« zu vermutenden "Ereignisses" in aller Schnelle und in großer Aufregung erstmal auf dem Kudamm eine Demo gemacht. Und so konnten gerade mal ein paar Tage nach dem Fall der Mauer zehntausende von BesucherInnen der billig glitzernden Konsumwelten des Kudamms staunende Zeugen einer Demonstration von West-Berliner Autonomen werden, die so freundlich waren, ihnen folgende Parolen zuzurufen:
»Begrüßungsgeld ist nicht genug, knackt die Banken, das tut gut!«
»Kein Kohl, kein Krenz, kein Vaterland!«
»Im Westen sind sie schlauer, da ist das Geld die Mauer!«
Zumindest die letzte, instinktiv während des Demoverlaufs gerufene Parole hat auch heute noch, ein halbes Jahrzehnt später, nichts von ihrer kritischen Aktualität eingebüßt.