War das etwa alles an der Geschichte der Autonomen? Ein Kurzgutachten
Die Autonomen agieren in der Kontinuität der 68er Revolte. Ohne die abgebrannten LKWs der Springerpresse in den 60er Jahren, die militanten AKW-Bauplatzbesetzungen der 70er Jahre, die illegalen Hausbesetzungen sowie die umgesägten Strommasten der 80er Jahre würde es sie nicht geben. Bis weit in die 80er Jahre blieben die Autonomen mit ihrer politischen Praxis an das »Auf und Ab« der verschiedenen Neuen Sozialen Bewegungen gebunden. Dabei sind sie keine klar identifizierbare Partei, sondern tauchen eher als politische Tendenz in einzelnen gesellschaftlichen Konflikten auf. Sie lassen sich mit ihren Strukturen irgendwie zwischen Bewegung und Organisation verorten, vielleicht sind sie der Anfang eines sich selbst bewußten Organisationskerns, dessen bisherige Diffusität zugleich Ausdruck des Entstehens zersplitterter gesellschaftlicher und ökonomischer Herrschaftsverhältnisse ist.
Einen amerikanischen Politologen veranlaßte die »Feuer und Flamme«-Lektüre dann auch dazu, die Autonomen als eine »movement-party« zu bezeichnen. Hinsichtlich der von diesem Kollektiv in den 80er Jahren ausgeübten politischen Formen mag das vielleicht nicht ganz falsch sein. Bezogen auf die doch stark zu machenden Inhalte politisch verstandener Bemühungen neige ich jedoch als Beschreibung eher dem von Severin Lansac erfundenen Begriff einer »Wanderdüne des gesellschaftlichen Konfliktes« zu, den die Autonomen in ihren besten Zeiten immer auch dargestellt haben.
Auf jeden Fall ist eine verkürzte Sichtweise, die Autonomen lediglich als »linksradikalen und militanten Arm« der verschiedenen Protestbewegungen zu begreifen. Die Autonomen gingen mit ihren Vorstellungen immer weit über den Pragmatismus der einzelnen Bewegungen hinaus, zudem weisen sie eine größere Kontinuität als diese auf. Mit ihrer formulierten Kritik an den bürgerlichen und legalistischen Vorstellungen der Neuen Sozialen Bewegungen haben sie ein Überleben der noch aus der 68er-Revolte herrührenden revolutionären Tendenz in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der BRD und West-Berlin ermöglicht. Das ist umso bemerkenswerter, als sich die Politikformen der Linksradikalen in einem Land entwickeln konnten, das nach dem Krieg über keine starke subkulturelle-libertäre und anarchistisch-spontaneistische Tradition verfügt. Dabei mußte sich das Konzept und vor allem die Praxis der Autonomen in den 70er Jahren gegen die Dominanz scheinbar geschlossener Theorie- und Ableitungsmodelle der ML-Bewegung durchsetzen. Sie konnten sich dabei teilweise als revolutionär, zumindestens aber als radikal verstehende Kraft in einer historischen Situation behaupten, in der kaum wahrnehmbare Klassenkämpfe existierten und sich die Parteikonzeptionen der K-Gruppen ab Ende der 70er Jahre in die Gründung der reformistischen Grünen Partei hinein verlängerten.
Der Einfluß der Theorien der italienischen »Autonomia« auf die bundesdeutschen Autonomen ist unübersehbar. Das Theoriegebäude des Operaismus thematisierte in den 60er Jahren die zentrale Bedeutung des »Massenarbeiters« in den militanten Fabrikkämpfen. Demgegenüber wurde seitens der damaligen Linksradikalen in der BRD auch unter dem Einfluß der Kritischen Theorie das in dieser Theorie existente Moment der Negation und der Verweigerung gegenüber dem kapitalistischen System auf den Reproduktionsbereich verlängert, was sich in den Häuserkämpfen zu Beginn der 70er Jahre ausdrückte. In diesem Prozeß hat aber der Begriff der »Autonomia« in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der BRD in den 80er Jahren einen Bedeutungswandel erfahren. Nach dem Scheitern der bundesdeutschen operaistischen Ansätze spätestens in den Jahren 1973/74 (Niederschlagen der wilden Streiks, vorläufiges Ende der Häuserkämpfe) wurde der Begriff der Autonomie in den neu entstehenden Basisbewegungen (Anti-AKW-Bewegung) und insbesondere in der Revolte 198082 und dem Häuserkampf neu aufgenommen und völlig unabhängig von einer politischen Praxis in der Fabrik in die eigene Wirklichkeit übertragen. Auch wenn einige Gruppen nach wie vor operaistische Theorieansätze vertreten und es immer wieder Versuche gab, die Ausbeutungssituationen in Arbeitsverhältnissen zu thematisieren (z.B. Kampagnen gegen die Leiharbeit und Sklavenhändler), blieb dieser Ansatz innerhalb der weitgefächerten autonomen Szene stets marginal und wurde nicht im Sinne einer breiteren Organisierung aufgegriffen. Das ist ein Ausdruck dafür, daß das Verhältnis der Autonomen zur Lohnarbeit nach wie vor widersprüchlich ist. Es pendelt zwischen Ablehnungs- und Fluchttendenzen bis hin zu punktuellen Versuchen der Gegenwehr, mit denen es jedoch nicht gelingt, sich auf andere Gruppen der lohnabhängigen Beschäftigten auszuweiten.
Die Bedeutung der Autonomen für die gesellschaftspolitischen Konflikte in den 80er Jahren läßt sich auch in einer umgekehrten Sichtweise an der staatlichen Reaktion auf sie bemessen. So zielen z.B. die im Jahre 1986 und 1988 verabschiedeten neuen sogenannten »Sicherheitsgesetze« mit ihrer Ausweitung von Straftatbeständen, mit dem politischen Willkürknüppel des Paragraphen 129a (Strommastfällen, Störung öffentlicher Betriebe, Kronzeugenregelung usw.) sowie die Demonstrationsrechtverschärfungen (Vermummungsverbot) in ihrer Intention ganz wesentlich auf die von autonomen Gruppen geübten Formen von Organisierung und Militanz ab. Die Autonomen öffneten in den 80er Jahren den politischen Raum für die Diskussion sozial- und kulturrevolutionärer Ansätze, die zum großen Teil auf den in den außerparlamentarischen Neuen Sozialen Bewegungen gemachten Erfahrungen beruhten.