Hunde, wollt ihr ewig bellen ...

November 1978

Unserer Erklärung »Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter« aus dem Mai 1977 wäre nichts hinzuzufügen, hätte Hans-Joachim Klein seine - wie er es nennt - Auseinandersetzung mit der Guerilla auch weiterhin auf die deutsche Presse gestützt. Was er dem »Spiegel« im Sommer aufgetischt hat, bedarf keiner Entgegnung. Er schwätzt, klatscht, bewundert sich, betreibt Public Relation in eigener Sache - ein Pfau, der das Radschlagen übt. Er hat das Spektakel gesucht und ist längst in die Mühlen des Showgeschäfts geraten: er weiß, daß er sein Publikum nur halten kann, wenn er ständig was Neues zu bieten hat. Selbst die, die ansonsten keine Gelegenheit verstreichen lassen, der Guerilla eins reinzuwürgen, haben Gespür genug, daß sich aus diesem HJK kein politischer Profit schlagen läßt.
Mit Hilfe von »Liberation«, wohlwollenden Übersetzungen aus dem Deutschen ins Französische und wieder zurück, sowie einer vorgegebenen Argumentationsstruktur wird dem Tratsch nun wieder das Image einer politischen Linie gegeben. Die, die HJK für ihre eigenen Interessen brauchen, haben ihren Kronzeugen wieder auf Vordermann gebracht, wieder zurechtgeputzt. HJK, dessen Biographie als Linksradikaler blütenweiß ist, ohne Fehl und ohne Tadel, der von der Bundeswehr bis zu den Hausbesetzungen stets den aufrechten Gang gegangen ist und sich nun nach einer schlichten Currywurst zurücksehnt »Wie man sie an Büdchen am Frankfurter Straßenrand kaufen kann«, der seine Liebe zur Literatur entdeckt und zur klassischen Musik bewahrt hat; dem man selbst die Beteiligung an der OPEC- Operation nachsehen muß, weil er allen Anfechtungen zum Trotz seinen ursprünglichen Motiven treu geblieben ist und nun seine Erfahrungen und sein Wissen als »internationaler Terrorist« zur Verfügung stellt, um Schlimmeres zu verhindern. So aufgemöbelt wird HJK einem neuen, internationalen Publikum präsentiert, das weder ihn noch sein Metier, die Revolutionären Zellen, kennt. Dies ist der Grund, warum wir zum Thema HJK doch nochmal Stellung nehmen.
Es ist nicht unser Bier, HJK die Show zu stehlen, indem wir seine Geschichten zurechtrücken, nun statt seiner Version mit unserer aufwarten. Wer glauben will, was er ohnehin schon weiß, wird auch nicht durch Gegendarstellungen eines Besseren zu belehren sein. Wer verunsichert ist, Zweifel bekommen hat, dem ist auch durch Dementis nicht geholfen. Der möge HJK beim Wort nehmen, um zu wissen, wo er hingehört:
* im »Spiegel« heißt es, das Prinzip einer Gruppe wie der RZ sei es, daß ihre »Chefs« keine gefährlichen Aktionen unternahmen. Der angebliche RZ-Chef Wilfried Böse ist tot, HJK aber lebt.
* in »Liberation« rühmt er sich, schon vor OPEC den »Standpunkt des Massakers« bekämpft zu haben. Im »Spiegel« sagt er über die Diskussion mit den Mitgliedern der OPEC- Operation lapidar: »Bedenken wurden nicht geäußert.«
* Er wird nicht müde zu verbreiten, daß, wer aussteigt, liquidiert wird, er deshalb gar keine andere Möglichkeit hatte, als seinen Bruch mit der Guerilla im »Schutz« der Sponti-Öffentlichkeit zu vollziehen. Von »Carlos« erzählt er im gleichen Atemzug, der wäre auch ausgestiegen, ohne daß ihm offensichtlich ein einziges Haar gekrümmt worden ist. Außerdem weiß er selbst: »... wenn wirklich was läuft, habe ich sowieso keine Chance. Also, wenn die den Buback kriegen oder den Schleyer, dann kriegen die mich auch.« (Spiegel). Drei beliebige Beispiele.
Nicht, daß HJK die Guerilla verlassen hat, ist das Problem, sondern wie er sie verlassen hat. 1977 haben wir geschrieben: »Da HJK weiß, daß es die Alternative Fighter oder Bulle für uns nicht gibt, hätte er mit uns lösen können, was ihm die Fortführung des bewaffneten Kampfes verunmöglichte, wie er aussteigt, wie seine Zukunft zu sichern ist. Wir, er, die Linken wissen, daß das Verlassen der Guerilla selbstverständlich immer möglich ist. Jeder, jede hat die Möglichkeit unauffällig zu leben und zwar mit Unterstützung von allen, mit denen er vorher gekämpft und gelebt hat. Das weiß jeder, der diese Politik anfängt. Gerade HJK hätte viele Möglichkeiten gehabt. Wie schon viele vor ihm.« Sicher, aber unauffällig leben - das war nicht nach dem Geschmack von HJK. Er war und ist nach wie vor nicht fähig, den Weg zu gehen, den wir ihm vorgeschlagen haben. Er hat nicht die Stärke von Astrid Proll [11], die sagt: »Während der letzten Jahre habe ich mich niemals dafür entschieden, Interviews aus dem Dunklen zu geben und die Leute aufzufordern: Werft die Waffen weg!, weil ein Akt wie dieser nur aus Papier ist. Er bereichert seine und ihre Perspektive nicht, es behindert sie oder ihn eher. Statt dessen bildete ich mich mit EG-Geldern aus und versuchte, etwas anderes zu machen - und ich tat es.« HJK hat einen anderen Weg gewählt. Er hat sich aus der Guerilla fortgestohlen, um wieder die Trommel rühren zu können, wenn auch in einem anderen Takt. Dadurch, allein dadurch ist er zum Problem geworden. Dem teuflischen Zwang ausgesetzt, immer neue »Wahrheiten«, Anekdoten, Stories bringen zu müssen, um sein Publikum bei Laune zu halten, hat er die Grenze zum Verrat längst überschritten. Nichts ist zu schäbig, keine Lüge zu gemein, kein Tratsch zu lächerlich, keine Projektion zu niederträchtig. The show must go on, der Rubel muß rollen. Als wäre er noch imstande zu unterscheiden, wo Kritik aufhört und Denunziation beginnt. Daran ändert auch die hundertfache Beteuerung des Gegenteils nichts. Verrat beginnt, wo er bereitwillig Auskunft über Strukturen, über innere Zusammenhänge, über den Hergang von Aktionen, über Logistik, über Bewegungen von Genossen gibt, die gesucht werden. Verrat beginnt letztlich, wo er seinen Drang zur Selbstdarstellung, den er kennt, akzeptiert. Dies sollten vor allem HJKs Marktstrategen wissen, die ihn in diesem Drang solange bestärken, wie er für ihre Interessen verwertbar ist und zugleich glauben, sich aus ihrer Verantwortung stehlen zu können, sobald sich seine Schwatzhaftigkeit nicht mehr als politische Kritik verkaufen läßt.
Ihm diesen Drang als seine politische Identität abgenommen zu haben, ist unser Fehler, ist Ausdruck dessen, wie schwer wir uns tun, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Genauigkeit im Umgang miteinander, Offenheit und gegenseitiges Vertrauen, bedingungslose Solidarität gegenüber jedem, der mit uns kämpft, sind mehr als jede Logistik, mehr als jede erworbene Fähigkeit Existenzbedingung der Guerilla - HJK ist ein beredtes Beispiel dafür. Wir haben seinen verzweifelten Zwang, immer der »King« sein zu müssen, stillschweigend geduldet, weil wir uns opportunistisch zu seiner proletarischen Herkunft verhalten haben. Wir haben ihm seine Großmäuligkeit durchgehen lassen, weil uns seine Radikalität auch fasziniert hat. Wir haben seine Sprüche hingenommen, weil er auch was gemacht hat. Wir haben zu wenig, zu oberflächlich nach seinen Beweggründen gefragt, weil es leichter war, auf ihn abzufahren. Weil dies unsere Fehler sind, macht uns seine Geschichte und sein jetziges Verhalten eher betroffen, als daß wir ihn hassen. Es gibt keinen Grund für Selbstgerechtigkeit, wenn man mitverantwortlich ist für die Illegalität von jemandem, der weder dies noch bewaffnete Politik jemals ernsthaft gewollt hat. Es mischt sich darin auch heute keine Schadenfreude; es wäre besser für alle, HJK säß wieder in seiner Frankfurter Stammkneipe.
Wie wenig HJK begriffen hat, was die Politik der Revolutionären Zellen ist, davon zeugt sein Interview mit »Liberation«. Für ihn - ebenso wie für »Liberation« - ist es der »kleine Krämer im Böse«, wenn Genossinnen und Genossen der RZ über Aktionen gegen Fahrscheinautomaten des öffentlichen Nahverkehrs diskutieren, wenn sie andere Möglichkeiten der Geldbeschaffung überlegen, als die des Banküberfalls. »Kleinkrämerei«, weil es nicht in das Klischee von der Eigendynamik bewaffnet kämpfender Gruppen paßt, die diese unumstößlich in eine militaristische Politik treibt. Für ihn reduziert sich der Unterschied zwischen den drei deutschen Bewegungen der bewaffneten Linken auf ihr Verhältnis zur Illegalität. Die RZ seien nicht dafür, systematisch in den Untergrund zu gehen. Als sei dies allein eine strategische Frage, die die Existenz von drei verschiedenen Gruppen begründen könnte.
Wer unsere Politik kritisieren will, kommt an unserer Praxis nicht vorbei. Diese Praxis ist überprüfbar. Die 70 bis 80 Aktionen der RZ seit 1973 zeigen zumindest eines: sie waren und sind Bestandteil eines Konzeptes, in dem illegale, gewaltsame Aktionen nach ihrem politischen Stellenwert durchgeführt werden.
Wir führen keinen Krieg. Auch der Vernichtungswille des Staates wird uns nicht zum militärischen Schlagabtausch provozieren, in dem wir ohne Massenbewegung in der BRD keine Chance hätten. Der Grund für die Existenz und Praxis der bewaffneten Gruppen liegt in der Tendenz der präventiven Konterrevolution, die Legalität politischer Betätigung einzuschränken, revolutionäre Minderheiten zu liquidieren, die Mehrheit zu überwachen und zu kontrollieren.
Jede der politisch bedeutsamen Bewegungen der letzten Jahre ist an einen Punkt geraten, wo für sie nur noch die Alternative zwischen Resignation und Rückzug oder militärischer Eskalation bestand. Dies gilt für die spontanen Streiks 1973, für den Häuserkampf 1974/75, die Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen zuletzt im Jahr 75, für die Anti-KKW-Bewegung 1977, auch teilweise für die Frauenbewegung. Alle diese Bewegungen sind in die Defensive geraten.
Die Organisierung und Vorbereitung der Illegalität bedeutet nicht, auf legale, offene Arbeit zu verzichten. Vielmehr wollen wir dadurch erreichen, der Sackgasse von Resignation oder Massaker ausweichen zu können, weiterhin trotz der massiven Repression in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen den Feind angreifen zu können. Die Isolierung der Guerilla, in die sie sich mit der Form ihrer Organisierung begibt, ist nicht hauptsächlich durch »gewaltige Schläge« zu überwinden, sondern durch die Zustimmung zu ihrer Politik, durch die politische Weiterentwicklung der Vielen, durch eine Vermassung ihrer Organisations- und Aktionsformen, durch die Entstehung vieler selbständiger politisch-militärischer Kerne kurz: durch eine revolutionäre - und das heißt auch militante - Bewegung des Volkes.
Die militärischen Aktionen müssen deswegen auch in einem genauen Verhältnis zum öffentlichen Bewußtsein stehen und erfahren von daher auch ihre Akzente und Begrenzungen. Die Reaktion des Staates auf die Existenz der Guerilla ist gerade der Versuch, das militärische Moment vom politischen zu trennen, um damit eine Legitimation für den staatlichen Krieg gegen die Fundamentalopposition zu haben. Wir kämpfen auch nicht um die Macht. Es geht nicht darum, in der Metropole die staatliche Bürokratie auszutauschen, sondern um die Zerstörung von politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Strukturen. Der Weg dorthin wird mit einem »Aufstand« weder begonnen noch abgeschlossen. Eine solche Entwicklung kann nur dann erfolgreich sein, d.h. weder in faschistischer Barbarei noch im Staatskapitalismus enden, wenn sie als langanhaltender Zersetzungsprozeß auf allen Ebenen vor sich geht, wenn gegen die Verstaatlichung der Gesellschaft, die Institutionalisierung der Organisationen, die Parlamentarisierung der politischen Auseinandersetzung Volksmacht, Gegenmacht entwickelt wird. In der BRD geht es dabei heute kaum um reale Machtpositionen, es geht um symbolische, zeitweilige Gegenmacht, um die Aufrechterhaltung und Stärkung des Moments der Revolte, des Widerstandes. Gleichzeitig kämpfen wir heute im Modell Deutschland gegen ein Europa unter amerikanisch-deutscher Hegemonie, für ein Europa freier Völker, das ohne die Zerschlagung der BRD eine Fiktion bleiben wird. Wer diesen Weg des Widerstandes nicht gehen will, diese Hoffnung auf eine revolutionäre Zukunft nicht leben kann, sollte dann der Linie der eurokommunistischen Parteien [12] folgen, der Linie des Kompromisses mit dem Imperialismus, der Unterordnung der Linken unter die reaktionären Sektoren der Gesellschaft. Aktionen und politische Positionen von Revolutionären Zellen zu schildern, kann und soll weder entwickelte theoretische Positionen noch ungebrochene, unablässige Praxis vorspiegeln. Die RZ verfügen über eine 5jährige Praxis in der Organisierung der Illegalität, ihre Aktionen und politischen Interventionen sind dennoch nur eine sporadische Realität der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der BRD. Dennoch können einige Momente dieser Linie und ihrer praktischen Umsetzung festgehalten werden:
(1) Die Methode der Illegalität erlernen, illegale Organisationsformen aufbauen, die Linke auf die Illegalität vorbereiten.
(2) Theoretisch und praktisch in die Bewegung intervenieren, die Bewegungen gegen die Gewalt des Staates unterstützen, den Widerspruch von politischem Anspruch und praktischer Defensive aufgreifen. Seit zwei Jahren haben RZ in vielen Städten der BRD begonnen, Aktionen gegen die Betreiber, Propagandisten, wissenschaftlichen Wegbereiter und Bullen des Atomfaschismus durchzuführen; auch, um damit der Fixierung der Anti-AKW-Bewegung auf die Bauplätze entgegenzuwirken; auch, um dabei zu helfen, die an die Grenzen der Repression gestoßene, offene, massenhafte Militanz der Bewegung in der vielfältigen Subversion fortzusetzen. Als 1975 in mehreren Städten der BRD die Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen von der Polizei niedergeknüppelt wurden, haben RZ in Westberlin 120.000 gefälschte Fahrkarten verteilt. Auch in den folgenden Jahren wurde dem allgemeinen Protest gegen die Fahrpreise, gegen die schlechten Beförderungsbedingungen usw. mit der Zerstörung der Fahrscheinautomaten, dem Niederbrennen der Schwarzfahrerkarteien in Berlin und Frankfurt Ausdruck verliehen. Im Jahr 1977 hat eine RZ dem verantwortlichen Vorsitzenden der Frankfurter Anwaltskammer eine Bombe vor das Schlafzimmer gelegt, nachdem die Mobilisierung eines Teils der Linken gegen Berufsverbote für linke Rechtsanwälte wieder abgeflaut war. Dem größten und übelsten Spekulanten der BRD, der sich gern mit dem Nimbus der Unangreifbarkeit schmückte, wurde in sein schwerbewachtes Wohn- und Verwaltungsgebäude ein dickes Loch gesprengt - sehr zum Wohlgefallen all derer, die in Kaußen-Häusern zur Miete wohnen müssen.
(3) Der Resignation und Ohnmacht entgegenwirken. Der scheinbar allgewaltige gesellschaftliche und staatliche Apparat in der BRD vermittelt auch der Linken massive Ohnmachtsgefühle. In den Mord- und Repressionskampagnen gegen die Linke werden diese Gefühle zelebriert, verstärkt oder befestigt. Auf den Mord an Ulrike haben RZ mit Angriffen auf das Oberlandesgericht Hamm und auf das amerikanische Hauptquartier in Frankfurt, das zugleich die größte CIA-Station außerhalb der USA ist, geantwortet. Als trotz einer massiven Kampagne der Frauenbewegung für eine Aufhebung des Abtreibungsverbots das höchste Gericht der BRD 1975 gegenteilig entschied, haben Frauen der RZ in dieses Gebäude eine Bombe gelegt.
(4) Den Legalismus im deutschen Volk und in der Linken auflösen. Die Deutschen sind ein entsetzlich gesetzestreues Volk. Schon kleine Übertritte fallen schwer. Diesen Legalismus aufzubrechen, war ein Ziel beim Verteilen gefälschter Fahrkarten. Eine andere RZ hat ebenfalls in Westberlin gefälschte Essensgutscheine an Sozialhilfeempfänger ausgegeben. Als wegen ihrer Einlösung einige bestraft werden sollten, hat eine RZ dem zuständigen Richter und Staatsanwalt die Autos angesteckt. Die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums setzt den Bruch mit der bürgerlichen Gesetzlichkeit voraus, Aktionen wie diese sind ein kleiner Schritt dazu.
(5) Einzelne bestrafen, um viele zu verunsichern. An vielen Punkten haben wir die kleinen Feinde des Volkes angegriffen, die anonymen Bürokraten und Schinder. In Westberlin wurde einem Staatsverteidiger im Schauprozeß gegen die Genossen der »Bewegung 2. Juni« in die Beine geschossen. Dem für die Maßnahmen gegen die Kalkar [13]-Demonstranten verantwortlichen Duisburger Polizeipräsidenten wurde der Mercedes angesteckt, ebenso anderen, die für den Abriß von Jugendzentren, für Entlassungen verantwortlich waren.
(6) Durch illegale Propaganda Gegenöffentlichkeit herstellen. Die bürgerliche Öffentlichkeit und zunehmend mehr ein Teil der linken Öffentlichkeit unterschlagen die Existenz der RZ bzw. sie bereiten deren Praxis nach den Rezepten ihrer Giftküchen auf. Durch Flugblätter, Zeitungen, illegale Radiosendungen haben RZ begonnen, staatliches und linksfraktionelles Informationsmonopol zu durchbrechen.
(7) Gegen die Internationale des Kapitals eine antiimperialistische Praxis entwickeln. Daß die Linke es nicht den Imperialisten überlassen sollte, welche Teile der Erde sie zum Kriegsgebiet erklären und wo ihre befriedeten Rückzugspunkte sind, war ein wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses der Studentenbewegung; daß andererseits eine revolutionäre Bewegung, die an den nationalen Grenzen haltmacht, perspektivlos bleiben muß, ist eine Binsenwahrheit. Befreiungsbewegungen in den unterentwickelt gehaltenen Ländern können nur erfolgreich sein, wenn sich in den Metropolen der Internationalismus praktisch entfaltet; umgekehrt ist die Befreiung hier untrennbar verbunden mit revolutionären Initiativen in der Dritten Welt. Die Linke in der BRD ist sich dieses Zusammenhangs bewußt, eine praktische Dimension hat dieses Bewußtsein jedoch kaum noch. Das Fehlen einer antiimperialistischen Praxis der Linken kann unsere Betroffenheit über die Massaker des Imperialismus, die Ausbeutung der Menschen und der Ressourcen, über täglichen Hunger, Elend, Krankheit als Folge des imperialistischen Kalküls nicht beschwichtigen.
Seit 1973 haben RZ deshalb immer wieder Aktionen gegen Niederlassungen imperialistischer Staaten und faschistischer Diktaturen in der BRD unternommen. Sie haben ITT und Institutionen des faschistischen Chile angegriffen; sie haben Bomben gelegt gegen militärische Anlagen, Kasinos, das Hauptquartier der US-Armee. Vor kurzem zerstörte eine RZ in der Nähe von Bremen ein für eine Anti-Guerilla-Einheit bestimmtes Gebäude schon vor deren Einzug. Gerade wegen der Verbrechen des Faschismus am jüdischen Volk haben wir Aktionen gegen den Zionismus, seine staatlichen Institutionen, seine Firmen und Gesellschaften in der BRD durchgeführt; denn die Zionisten betreiben heute mit amerikanischer und deutscher Unterstützung Völkermord an den Palästinensern, dessen Opfer die Juden vor 40 Jahren geworden sind.
Neben dem Kampf im eigenen Land hat der antiimperialistische Kampf seit 15 Jahren eine weitere Dimension. Che Guevara hat den revolutionären Internationalismus in den 60er Jahren inspiriert; entsprechend der Parole »Schafft zwei, drei, viele Vietnam« den Kampf dort geführt, wo er geführt werden mußte. In den 70er Jahren ist die Führungsrolle bei der Organisierung multinationaler Gruppen von der lateinamerikanischen Guerilla auf die Palästinenser übergegangen. Der palästinensische Revolutionär Wadi Haddad hat im Rahmen dieses Konzeptes, nämlich die ganze Welt zum Aktionsfeld des antiimperialistischen Widerstands zu machen, einen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit der Befreiungsbewegungen zu leisten, eine große Bedeutung.
(8) Die gefangenen Kämpferinnen und Kämpfer befreien. [14] Jede radikale Bewegung, der es ernst ist, weiß, daß sie repressiven Angriffen ausgesetzt sein wird. Die Linke in der BRD, besonders die bewaffnete Linke, macht da keine Ausnahme. Ebenso klar ist, daß denen, die im Magen des Haies gequält werden, die dort einen langsamen Tod sterben sollen, in Zeiten des zugespitzten Konfliktes auch ermordet werden, unsere besonderen Überlegungen und Anstrengungen gelten. Verschiedene Versuche sind gemacht worden, die gefangenen Genossinnen und Genossen zu befreien, nur wenige waren erfolgreich. Dabei steigt ihre Zahl ständig; zu den über 120 Gefangenen aus Gruppen der bewaffneten Linken kommen mindestens ebenso viele, die wegen Kriegsdienstverweigerung, wegen »Landfriedensbruch«, wegen anderer politischer »Delikte« im Knast sitzen.
Die Ereignisse des »Deutschen Herbstes«, die faschistoide Entschlossenheit des polizeilich-politischen Führungszentrums, Befreiungsversuche der Guerilla um jeden Preis zu vereiteln, hat uns erschreckt und macht uns noch mehr Bangen um das Leben unserer Freunde und Genossen in den Knästen.
Fast jede Befreiungsaktion unterliegt Bedingungen, die wir nicht wollen: eine Machtauseinandersetzung zwischen Staat und Guerilla. Dies kann und darf nicht heißen, daß der Zweck die Mittel heiligt. Auch Befreiungsaktionen dürfen nicht zur Identifizierung des Volkes mit dem Staat führen, dürfen nicht in Widerspruch zu unseren politischen Perspektiven stehen, dürfen sich nicht gegen das Volk richten. Dennoch gibt es für eine kämpfende Bewegung aus diesem Dilemma keinen Ausweg: die politischen Gefangenen müssen befreit werden.
Von all dem, was wir beschrieben haben und was Realität wie Kontinuität ausmacht, findet sich kein einziges Wort - bei HJK nicht und in den Fragen von »Liberation« auch nicht. Nicht die RZ als Bestandteil der radikalen Linken in der BRD interessieren, von Interesse ist, was sich gegen die RZ verwenden läßt. Darin unterscheidet sich »Liberation« nicht von HJK. Ginge es euch ernstlich um Kritik, ihr wüßtet, daß ihr das Interview durch den Kamin jagen könntet. Statt dessen strapaziert ihr »Argumente«, die so abgestanden, so verbraucht sind, daß wir darauf nicht mehr einzugehen bereit sind. »Reden über Dinge, die durch Reden nicht zu lösen sind, muß man sich abgewöhnen.«(Bert Brecht). [15] Wer behauptet, daß die »Logik der Waffen« unser Handeln bestimmt, beweist nichts, außer daß er nicht eine Aktion der RZ zur Kentnnis genommen hat. Wem zu unserer Praxis nur einfällt, sie würde die präventive Konterrevolution provozieren, der soll dann auch den jüdischen Antifaschisten Herschel Grynspan [16] für das Judenpogrom 1938 in Deutschland verantwortlich machen, der glaubt sicher auch, das Attentat von Sarajewo [17] habe zum ersten Weltkrieg geführt. Wer unterstellt, die westdeutschen Guerillagruppen seien gekaufte Söldner des palästinensischen Widerstands, der projiziert den Rassimus des weißen Herrenmenschen (der in der Tat auf ein Heer von Söldnern angewiesen ist) auf die Völker, die sich eben davon befreien. Wem zu den Problemen, die ein Leben in der Illegalität mit sich bringt, nichts anderes einfällt, als daß sie zwangsläufig bürgerliche Verhaltensweisen und autoritäre Strukturen zur Folge haben, dem sprechen wir ein Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung ab. Das ist Dreck, der auch nicht dadurch besser wird, daß ihn der Abwechslung halber mal »Liberation« in den Mund nimmt.
Welches Interesse habt ihr, hat »Liberation«, hat »Lotta Continua« [18], wenn ihr HJK für euch sprechen laßt? Ihr wollt die Guerilla zur Raison rufen oder richtiger - ihr wollt, daß die Akteure wieder in den Kulissen verschwinden, daß sie wieder »Deckchen sticken«. Weil für euch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ein Stadium erreicht haben, in dem ihr nicht mehr fragt, wer für die gesellschaftliche Gewalt verantwortlich ist, sondern einzig und allein, wer aufhört. Es soll wieder Ruhe einkehren, nicht die tödliche Stille faschistischen Terrors, wohl aber der bürgerliche Frieden. Ihr wollt die Guerilla zurückpfeifen, weil ihr insgeheim hofft, daß dann auch der Staat zu seiner »Rechtmässigkeit« zurückfinden würde. Andererseits müßt ihr die Guerilla angreifen, weil ihr um eure Ohnmacht wißt, den Staatsapparat zur Vernunft zu bringen. Als wäre das Problem der Faschisierung dadurch zu lösen, daß die, die sich wehren, sich zur Ruhe setzen. Der bürgerliche Frieden ist bewaffneter Frieden; daß Krieg ist, in verschiedenen Formen zwar, aber dennoch Krieg, ist doch nicht die besondere Hinterhältigkeit, eine gemeine Erfindung der Guerilla gegen die legale Linke, sondern Ausdruck der Gewalt, mit der die Internationale der Menschenfresser ihre Einflußzonen freizuhalten versucht. Glaubt ihr ernsthaft, wir könnten Situationen wie in Nicaragua, wie im Iran, wie in Rhodesien oder wie im Nahen Osten vermeiden und dennoch gleichzeitig den revolutionären Weg gehen? Die Vorstellung, die Herren würde ihre Postionen qua Mehrheitsentscheid räumen, ist verlockend; danach zu leben, ist korrumpierend oder tödlich.
Daß wir Niederlagen einstecken müssen - Mord, und Folter an unseren Genossen, Verrat, Verhaftungen, Illegalisierungen - kann kein Grund sein, an der Rechtmäßigkeit unseres Vorhabens zu zweifeln. »Sind wir eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind? Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt sind, hat das Unrecht doch nicht Recht! Unsere Niederlagen beweisen nichts, als daß wir zu wenige sind, die gegen die Gemeinheit kämpfen und von den Zuschauern erwarten wir, daß sie wenigstens beschämt sind.« (B.B.) Wenn ihr es statt dessen zu eurer Sache macht, die ohnehin dünne Basis der Guerilla anzugreifen, kann euch letztlich keiner daran hindern. Aber ihr solltet wissen, in wessen Fußstapfen ihr tretet.
Ihr werdet euer Publikum finden und gefunden haben. Die Zeiten sind günstig für euch. In der BRD sind es diejenigen, die von der »Allmacht« des staatlichen Gewaltapparats überrascht worden sind, denen der »Deutsche Herbst« fürs erste jeden subversiven Gedanken ausgetrieben hat; die sich wie wir auch Illusionen über den Gang der Revolte gemacht haben und nun schon am Ende aller Träume angekommen sind. Sie haben ihre Hoffnungen vertagt, wenn nicht begraben. Aber anstatt über Konsequenzen nachzudenken, kehren sie den Spieß um; anstatt aus ihrer Hoffnungslosigkeit keinen Hehl zu machen, dazu zu stehen, zetern sie gegen die los, die nicht ihren Weg gehen. Anstatt neue Lösungen zu suchen, machen sie selbst aus ihrem Rückzug noch Strategie.
Euer Interview ist ihnen Genugtuung und Legitimation zugleich. Es trägt dazu bei, daß die Probleme, die auf den Nägeln brennen, erfolgreich verdrängt werden; es verhindert, daß Fragen gestellt werden, die gestellt werden müssen, z.B.:
* Mit welcher Perspektive tretet ihr noch an? Gibt es für euch noch eine Perspektive von Macht und Gegenmacht? Und wenn ja, welche Möglichkeiten seht ihr, um aus der Situation der strukturellen Unterlegenheit der Linken rauszukommen? Was habt ihr der bewaffneten Übermacht des Staatsapparates engegenzusetzen?
* Auf welche gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bezieht ihr euch noch und wie begreift ihr eure eigene Identität im Verhältnis zu den kleinen Revolten, den Unruheherden, dem Protest, der noch nicht abgeflaut ist? Habt ihr die Arbeiterbewegung abgeschrieben? Wenn ja, gibt es überhaupt noch eine Kraft, auf die ihr euch stützt? Welche Rolle spielen die Befreiungsbewegungen in euren Überlegungen?
* Was heißt es für euch, daß einer legalen Massenbewegung die Entwicklungsbedingungen schon im Vorgriff abgeschnitten werden, daß der Spielraum politischen Handelns auf das reduziert wird, was ohnehin konform ist und zugleich Konformität mit Staatstreue identifiziert wird? Wie wollt ihr den Schwierigkeiten begegnen, die aus der Illegalität herrühren, in die die Linke absehbar gedrängt wird? Schwierigkeiten nicht nur des Handelns, sondern auch der Kommunikation, des Erfahrungsaustauschs, der Entscheidung, des Miteinander-Kämpfens?
* Welche Schlußfolgerungen zieht ihr aus euren eigenen Analysen? Daß, seitdem wir die Ruinierung des Ökosystems bewußter wahrnehmen, der Faktor Zeit in all unseren Überlegungen eine ganz neue Dimension bekommen hat? Welchen politischen Sinn gibt es, von Ökofaschismus zu reden, ohne die Konsequenzen mitzudenken? Was kommt nach Malville [19], was nach Grohnde und Kalkar?
* Was habt ihr aus Chile, aus Portugal gelernt? Was ist eure Antwort auf die Kämpfe in Südafrika, im Iran, im Libanon - Länder, in denen der Imperialismus keineswegs vor seiner endgültigen Niederlage steht, sondern an der Schwelle zur kriegerischen Intervention, der gegenüber all die Barbarei der letzten Jahre ein Scharmützel gewesen sein wird. Wird die französische Linke dem absehbaren Angriff des französischen Imperialismus tatenlos zusehen, wie seinerzeit der blutigen Intervention in Algerien? [20]
Dies ist nur ein Teil der Fragen, die wir an euch haben, die wir uns selbst stellen. Wir behaupten nicht, die Antworten zu wissen; aber wir beanspruchen, durch unsere Praxis auf diesen Fragen zu beharren, um eine Lösung zu finden.
Es gibt keine Garantie auf Erfolg. Wer sich fürchtet, auf der Seite der Verlierer zu stehen, wird auch nie gewinnen. Wir wissen ebenso wenig wie ihr, ob historische Legitimität als Bedingung und Subjektivität als Motor bewaffneten Widerstands der Totalität des Staates auf Dauer gewachsen sein werden. Wir wissen nicht, ob es gelingt, die Basis des Widerstands entscheidend zu verbreitern oder ob die Kolonialisierung der Köpfe so weit fortgeschritten ist, daß sich das deutsche Volk noch einmal einer faschistischen »Lösung«, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, anschließt. Es wäre nicht nur unehrlich, sondern selbstmörderisch zu behaupten, wir hätten alle Probleme, die aus der Organisation der Illegalität folgen, im Griff.
Dennoch: schon einmal - 1933 - hat die organisierte deutsche Linke klein beigegeben. In der Hoffnung, der Nazismus ginge an sich selbst zugrunde, haben SPD und KPD auf eine Organisation des Widerstands verzichtet; auch weil ihnen das Risiko von 10.000 Toten im Kampf gegen den Faschismus ein zu hohes Opfer schien, standen am Ende die 56 Millionen Tote des 2.Weltkrieges. Noch einmal werden wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen, wir hätten etwas unversucht gelassen!
Revolutionäre Zellen




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