Vorbemerkung Kapitel XII


ImmigrantInnen und Flüchtlinge in der BRD
Von 1955 (deutsch-italienischer Anwerbevertrag) bis zum »Anwerbestopp« im Krisenjahr 1973 wurden »GastarbeiterInnen« entsprechend den jeweiligen wirtschaftlichen Bedürfnissen ins Land geholt - bzw. wieder ausgewiesen. Rentabel für die Unternehmen in der BRD sind sie vor allem deshalb, weil sie unter schlechtesten Arbeitsbedingungen und zu niedrigeren Löhnen arbeiteten, soziale Kosten wie Ausbildung etc. nicht von der BRD aufgebracht werden müssen und sie - da oftmals die Aufenthaltserlaubnis einen konkreten Arbeitsplatz gebunden ist - in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können, sobald für sie kein Bedarf mehr besteht.
Zusätzlich zu den ArbeitsimmigrantInnen reisten bis Mitte der 70er Jahre politische Flüchtlinge, vor allem aus osteuropäischen Ländern ein, die ohne größere Probleme in die BRD integriert wurden.
Mitte der 70er Jahre veränderte sich dann die nationale Zusammensetzung der Flüchtlinge: mehr als 50 % kamen nun aus Krisenregionen der 3. Welt (z.B. aus Sri Lanka, Äthiopien, Libanon). Gleichzeitig sank die Anerkennungsquote rapide; hatte sie zuvor zwischen 15 und 50 % gelegen, sollte sie von nun an die 15 %-Marke nicht mehr überschreiten. Die Armuts- und Kriegsflüchtlinge können die Kriterien, an die eine Anerkennung als Asylberechtigter gebunden sind, wie z.B. die konkrete individuelle Verfolgung durch staatliche Organe, nicht erfüllen.
Ab Anfang der 80er Jahre führten weltweite ökonomische und soziale Veränderungen, die die Existenzgrundlagen vieler Menschen in den Ländern der 3. Welt vernichten, Kriege, Hungerkatastrophen und Krisen zu einer enormen Zunahme der weltweiten Flüchtlingsströme. Nur ca. 5 % dieser Flüchtlinge erreichten - nach offiziellen Statistiken - ein westliches Industrieland.
Die Bundesregierung begann nunmehr - wie auch die Regierungen der anderen westeuropäischen Industriestaaten - die gesetzlichen, administrativen und ideologischen Grundlagen für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen zu schaffen: das Asylrecht wurde mehrfach verschärft, die Anforderungen für die Anerkennung als politischer Flüchtling wurden teils durch politische, teils durch gerichtliche Entscheidungen hochgesetzt.
Gleichzeitig wurden die Möglichkeiten für flüchtende Menschen, überhaupt bis Europa zu gelangen, durch die Einführung eines Visumszwangs oder auch den mit Hilfe der SPD ausgehandelten Vertrag mit der ehemaligen DDR, die gegen Kredite aus der BRD die Einreise von Flüchtlingen über Ostberlin unterband, einschneidend begrenzt. Auch die sozialen Lebensbedingungen von Asylsuchenden in der BRD wurden »zur Abschreckung« verschärft: auf das bereits 1980 beschlossene zweijährige Arbeitsverbot, die Ausgabe von Sozialhilfe in Form von Sachleistungen, der räumlichen Beschränkung auf eine Stadt bzw. Landkreis folgte die Zwangseinweisung in Lager.
Propagandistisch begleitet wurden diese Maßnahmen von einer rassistischen Hetze der Politiker, Sprachregelungen wie »Asylantenschwemme«, »Wirtschaftsflüchtlinge« etc. wurden mit Hilfe einer willigen Presse etabliert.

Autonome Flüchtlingspolitik
Im Sommer 1986 erreichte die staatlich instrumentalisierte und von den Medien begleitete Kampagne gegen die Flüchtlinge einen Höhepunkt. Zusätzlich zu den bereits länger bestehenden UnterstützerInnenkreisen aus kirchlichen und sozialen Bereichen entstanden autonome Flüchtlingsgruppen und Gruppen aus dem politischen Spektrum der Grün-alternativen Listen in Bremen, Hamburg und Berlin.
Neben praktischen Ansätzen, wie Umtausch von Gutscheinen gegen Bargeld, Sprachkursen etc., Unterstützung von Widerstandsaktionen der Flüchtlinge bis hin zu Fluchthilfe, thematisierten die Gruppen die Fluchtursachen, die weltweiten wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen 1. und 3. Welt und mögliche Formen einer internationalen Solidarität.
In der praktischen Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen entstanden allerdings zunehmend Probleme, die die autonomen Flüchtlingsgruppen an Grenzen stoßen ließen.
Nehmen schon die Fluchterfahrungen, die unsichere rechtliche Stellung in der BRD, die permante Konfrontation mit Ausländerbehörden, alltägliche rassistische Übergriffe etc. vielen Flüchtlingen jeglichen Mut zum Widerstand, wurde offensichtlich, daß unter den in die BRD gelangten Flüchtlinge viele der Mittel- oder Oberschicht entstammen (meist sind nur in diesen Schichten die finanziellen Möglichkeit für eine Flucht nach Europa gegeben) und somit die politischen Ziele und Interessen der Flüchtlingen und ihrer linken UnterstützerInnen - jenseits der Forderung nach Aufenthaltsrecht - weit auseinandergehen. Andere Flüchtlinge, z.B. aus der Türkei, aus Kurdistan oder Eritrea bezogen sich in ihrem politischen Handeln vor allem auf den Befreiungskampf in ihrem Heimatland und konnten sich in der BRD auf soziale und politische Strukturen ihrer Landsleute stützen.
Auch die Verhältnisse der Flüchtlinge zueinander, die nationalen oder ethnischen Abgrenzungen und Hierarchisierungen oder das Verhalten männlicher Flüchtlinge gegenüber Frauen widersprach dem Selbstverständnis der UnterstützerInnen. Hinzu kam, daß viele Flüchtlinge aufgrund ihrer tatsächlichen Situation in der BRD eine praktische, auf die einzelnen Personen bezogene Unterstützung brauchen. Dies überfordert zum einen die Kräfte der meisten UnterstützerInnengruppen und kollidiert auch mit dem Anspruch, über »Einzelfallhilfe« hinaus politisch wirksam zu handeln.

Revolutionäre Zellen
begannen 1985 eine Kampagne gegen Rassismus und Sexismus. Zunächst richteten sich ihre Anschläge gegen deutsche Firmen, die mit dem südafrikanischen Apartheit-Regime zusammenarbeiten, um den schwarzen Befreiungskampf als Widerstand gegen eine der schärfsten Formen rassistischer Unterdrückung zu unterstützen.
Ab August 1986 griffen sie Institutionen, die für die staatliche Flüchtlingspolitik verantwortlich sind, an. Ab Ende 1989 konzentrierten sie sich auf die Unterstützung der von Abschiebung bedrohten Roma und Sinti.
Im Revolutionären Zorn Extra von Oktober 86 formulieren sie diese Aktionen als einen Vorschlag an die autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD, mit der Orientierung an der Flüchtlingsfrage zur »Rückgewinnung eines konkreten Antiimperialismus in der BRD beizutragen«.
Wie die RZ heute schreiben (in »Das Ende unserer Politik«) hofften sie, in dieser Kampagne über die Teilbereichsbewegungen hinaus zur »sozialen Frage« zu kommen, sich einem »möglichen revolutionären Subjekt anzunähern und seine Kämpfe vorwegnehmen zu können« und »in der Verbindung von sozialer Thematik und Flüchtlingskampagne [...] einen neuen Handlungsspielraum für internationale Solidarität in der Metropole selbst zu eröffnen.« Das Scheitern dieses Ansatzes führte bei dieser Gruppe der RZ zu dem Entschluß, ihre bisherige Politik aufzugeben, da sie keine Resonanz erhielten und politisch isoliert blieben. Sie kritisieren an ihrer Kampagne, daß sie bei ihrem Versuch einer Neubestimmung weder die eigene Organisationsform, die bisherigen Methoden noch das linksradikale Milieu als Addressatenkreis in Frage stellten.

Das Diskussionspapier »Was ist das Patriarchat«:
In den Erklärungen zu ihrer Kampagne rücken die RZ zunehmend die schwarzen, die Flüchtlings-, später die Roma-Frauen als durch Rassismus und Sexismus doppelt Unterdrückte in den Vordergrund. In ihren Positionen spiegelt sich die Diskussion über die Mechanismen der »Triple Oppression«, der dreifachen Unterdrückung durch Kapitalismus, Rassismus und Sexismus wider, die Anfang der 80er Jahre in der Frauenbewegung initiiert, dann aber auch in der autonomen Linken aufgegriffen wurde.
In dem Diskussionspapier »Was ist das Patriarchat« untersuchen die Revolutionären Zellen die Lage der südafrikanischen schwarzen Arbeiterin, die dreifach unterdrückt ist als Schwarze, Frau und Arbeiterin. Das Papier sollte die Grundlage einer Diskussion über Imperialismus und Patriarchat sein, fiel aber - wie sie heute schreiben - internen Spannungen zum Opfer.
Da dieser Text offensichtlich im Kontext der Flüchtlingskampagne der RZ steht, ist er am Ende dieses Kapitels dokumentiert.


Die Anmerkungen zu diesem Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 742 ff.




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