Der Angriff auf die FD 624 der Hamburger Polizei ist keine Reaktion auf die gegenwärtige Aktualität des Flüchtlingsthemas. Bislang diente die Konstruktion des »Asylantenproblems« in erster Linie als Vorwand für sozialpolitische Experimente, als Rechtfertigung, Menschen wieder in Lager einzupferchen, sie in ihrer Bewegungsfreiheit zu beschneiden, ihnen Sozialgelder drastisch zu kürzen oder zu verweigern. Zwar trugen diese Verwaltungsakte stets auch den Stempel rassistischer Stigmatisierung einer exponierten Bevölkerungsgruppe, ihr vordringlicher Zweck war jedoch ein anderer.
Die Flüchtlinge taugten als Manövriermasse, an der das sozial-technische Instrumentarium eingeschliffen, sowie auf seine Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit hin erprobt werden konnte. Das Arbeitsverbot stellte sicher, daß dem illegalen Arbeitsmarkt jederzeit frei verfügbare Kräfte zuflossen. Die Lebensmittelgutscheine ermöglichten eine umfassende Reglementierung der Reproduktion. Und die Zwangsumverteilung - zumal in kleine Dörfer und ländlich konservative Randgebiete - folgte zum einen dem Kalkül, die Konfrontation mit der dort ansässigen Bevölkerung zu schüren. In ihr spiegelt sich aber gleichermaßen der Versuch, dem Entstehen einer Subkultur der Minderheiten das Wasser abzugraben, und durch Zerstreuung jede Form der Selbstbestimmung bereits im Ansatz abzubiegen.
Wenn die Flüchtlingsfrage nun jedoch zum Wahlkampfthema, als Medienereignis hochgekocht wird, so liegt darin eine neue Qualität: die behördlich kalkulierte Diskriminierung verbindet sich mit offen rassistischer Mobilisierung. Das sozialtechnische Management der Flüchtlingspolitik probt das Bündnis mit dem fremdenfeindlichen Mob.
Mit verschärften Kontrollen, zusätzlichen Razzien und der Umschreibung von bisher üblicher Duldung in den Asylstatus wird die Zahl der Asylanträge künstlich in die Höhe geschraubt. Demonstrativ werden Baucontainer plaziert und Zeltlager aufgeschlagen unter dem Vorwand, daß die Welle der neuankommenden Flüchtlinge anders nicht zu bewältigen sei. Flüchtlinge, die in Berlin oder Hamburg gar nicht weiter aufgefallen wären, werden in einer Kleinstadt wie Helmstedt zu tausenden konzentriert und erst dadurch sichtbar gemacht.
Diese Form der Zurschaustellung, der sozialen Markierung, ebnet den Weg vom fremdenfeindlichen Ressentiment zum handgreiflichen Pogrom. Bürgerproteste und Rollkommandos gegen die Flüchtlinge erscheinen nun als zwangsläufige und legitime Reaktion auf ein soziales Problem, das durch bürokratische Erlasse und Verfügungen aber erst geschaffen wurde. Und umgekehrt entwickelt sich aus der Dynamik von Medieninszenierung, sozialhygienischen Bürgerinitiativen und Schlägertrupps jener »Druck von unten«, aus dem heraus die fortschreitende Formierung des noch brüchigen Apparats der Flüchtlingsverwaltung, ebenso wie der nächste Schub staatlicher Zwangsmaßnahmen, ihre Legitimation beziehen. Wie im Nationalsozialismus die Auslöschung des »Gemeinschaftsfremden« mit rassistischer Propaganda und einer Differenzierung der Sozialgesetzgebung begann, so ist auch die derzeitige Eskalation im Vorgehen gegen die Flüchtlinge Ausdruck und Modell eines sozialrassistischen Kurses.
Doch auch in der Wahnvorstellung von einer BRD, die durch die große Anzahl von Asylsuchenden bedroht würde, ist ein Fünkchen Wahrheit enthalten.
Die BRD ist ein imperialistisches Land und der Imperialismus hat die weltweiten Flüchtlingsbewegungen in Gang gesetzt. Es ist die transnationale Kapitalakkumulation im imperialistischen Weltsystem, die den Menschen die Existenzgrundlagen zerstört und verwüstet, sie mit Kriegen überzieht und dem Hunger ausliefert. In dieser Entwicklung sind die Nationalgrenzen längst überholt. Sie dienen lediglich noch der Regulation der internationalen Mobilität der Arbeitskräfte und als Barrieren gegen unerwünschte Einwanderungen. Wenn dennoch beharrlich an einer nationalstaatlichen Definition von Bevölkerung festgehalten und die Imagination der Volksgemeinschaft wieder festgeklopft wird, so liegt der Sinn einzig in dem daraus abgeleiteten Rechtsanspruch, andere - Fremde - kenntlich zu machen, sonderzubehandeln, zu verfolgen und zu vertreiben.
Und das ist die Sorge, die die Scharfmacher der Ausländerpolitik tatsächlich umtreibt: daß die Massen der trikontinentalen und südeuropäischen Armutsbevölkerung auf den von der Arbeitsmigration gesteckten Routen nachfolgen und ihren Anspruch auf Leben und Entschädigung hier massiv vorbringen werden - eine Entwicklung, die das soziale und politische Gefüge der BRD in nicht absehbarem Ausmaß durcheinanderwirbeln würde. Was weder die hiesigen Politiker wünschen noch der linke Mittelstand, der einen begrenzten Zuzug von Ausländern allenfalls als folkloristische Bereicherung des sozialen und kulturellen Klimas akzeptiert.
In der Flüchtlingsfrage gibt es keine Forderungen an den Staat zu stellen. Es geht einzig darum, den Flüchtlingen zu einem selbstverständlichen Recht - nämlich zu bleiben, wie lange sie wollen - zu verhelfen, ihnen Lebensmöglichkeiten zu schaffen und zu sichern. Es geht darum, die Grenzen zu durchlöchern und für die selbstbestimmte Mobilität der Armutsbevölkerung zu kämpfen, weil dies die einzig angemessene und die radikalste Antwort auf die transnationale Akkumulation des Kapitals und die Verwertung der Menschen ist. Der Angriff auf die Institutionen der Grenzkontrolle und der inneren Regulation ist daher notwendiger Bestandteil dieses Kampfes.
Gleichermaßen fragwürdig ist die Hoffnung oder der taktische Umgang, was die Versprechungen des Asylrechts betrifft. Nicht nur, daß es die willkürliche Unterscheidung zwischen einheimischer Bevölkerung und »den Fremden« festschreibt und die Interessen der Flüchtlinge einem staatlichen Gnadenakt überantwortet. Gedacht als löcheriges Privileg für eine schmale Schicht politischer und intellektueller, weißer, männlicher Opposition mag es auf einen Teil der hier ankommenden Flüchtlinge noch zutreffen, insofern es sich - etwa bei den Tamilen oder Iranern - um politisch verfolgte Mittelschichten handelt. Es taugt jedoch nicht vor dem Hintergrund weltweiter Mobilisierung der Armutsbevölkerung. Was momentan vor sich geht, ist eine gigantische Umschichtung der Weltbevölkerung, deren Ausmaß die Migrationsbewegungen des 19. Jahrhunderts in den Schatten stellt und deren metropolitane Gestalt bisher nur die Spitze eines Eisberg darstellt.
Die Fachdirektion 624 der Ausländerpolizei ist in Hamburg die Institution, die für Razzien in den Lagern, für Festnahmen und Abschiebungen verantwortlich zeichnet. Sie ist zugleich die Polizeidienststelle, in deren Kompetenz die Kontrolle und Steuerung des illegalen Arbeitsmarktes fällt: sie hält sich im Hintergrund, wenn z.B. die Obsternte im Alten Land den Einsatz der Flüchtlinge erfordert und sie beginnt ihre Menschenjagd, wenn die Nachfrage auf der untersten Stufe des Arbeitsmarktes sinkt.
Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg steht in einem legendären Ruf: nicht nur, weil er bis heute noch jeden Asylantrag mit Erfolg und gleichgültig gegen jeden Inhalt abgeschmettert hat, sondern auch, weil er sich dabei durch Einfallsreichtum und Pioniergeist hervorgetan hat.
In der Abwägung zwischen Staatsraison und Menschenrecht hat er sich unbestechlich von der Devise leiten lassen, daß menschliches Leid hinter dem Wohl des Staates zurückzustehen habe.
- Folter - so der Senat - ist kein Asylgrund, wenn körperliche Mißhandlung zum Arsenal des Strafvollzuges eines Staates, wie zu dessen traditionellen Kulturgütern gehörten.
- Eine drohende Todesstrafe schützt nicht vor Abschiebung, weil deutsche Behörden schon aus Eigenschutz die Hoheitsgewalt fremder Staaten respektieren müssen.
- Ein Ausländer, der hier Asyl beantragt hat, sollte sich jeder politischen Aktivität enthalten, da sonst unterstellt werden muß, daß er mit Absicht im nachhinein »asylrelevante« Gründe provozieren will.
Auch wenn sich dieser »Horrorsenat« mit derlei Entscheidungen und Begründungen in den Vordergrund gespielt hat - der Vorwurf der »Mißachtung« oder gar »Aushöhlung« der Verfassung geht ins Leere. Er schöpft nur die Möglichkeiten aus, die darin enthalten sind. Das Grundrecht auf Asyl ist so vorbehaltlos in die Verfassung hineinformuliert worden, daß ihm jede beliebige Auslegung übergestülpt werden kann. Ein Ausländerrecht, das den Begriff des politischen Asyls nicht definiert, überläßt implizit den Behörden die Entscheidung, ob jemand aufgenommen wird oder nicht. Die Freizügigkeit und vermeintliche Generosität des Artikel 16 GG ist gewissermaßen die Bedingung, daß das Asylrecht administrativ und nach Maßgabe der politischen Opportunität exektuiert werden kann.
Das Paradox, daß sich die BRD einerseits mit einem äußerst liberalen Asylrecht schmückt und andererseits federführend ist, wenn es um die Abschottung der Grenzen Westeuropas geht, erklärt sich aus dieser Unbestimmheit des Artikel 16 GG. Der scheinbare Gegensatz von hohen Werten und brutalen Fakten, von Anspruch und gleichzeitiger Verweigerung ist nicht anderes als das Strickmuster, nach dem die bürgerliche Demokratie funktioniert.
Gradmesser für die Auslegung des Asylrechts ist deshalb nicht etwa, worüber schon 1949 im Parlamentarischen Rat [15] gestritten wurde und was als fauler Kompromiß dabei herausgekommen ist. Gradmesser ist vielmehr das aktuelle politische Programm und dessen Quintessenz lautet schlicht und einfach: »Wir haben nichts gegen Ausländer, aber sie sind zu viele.« (Kohl)
Es ist nur folgerichtig, daß das Asylrecht in dem Maße zu bloßer Makulatur wird, wie es von den falschen Leuten in Anspruch genommen wird. Seine faktische Außerkraftsetzung steht in unmittelbarer Relation zu der interkontinentalen Dimension der heutigen Migration. Es ist ein Privileg für einzelne und kein Rechtsanpruch für Massen, es wird aufrecht erhalten für Weiße und für null und nichtig erklärt, wenn Flüchtlinge aus Asien, Afrika oder Lateinamerika kommen.
Dies ist die Lektion, die zu erteilen die Behörden angetreten sind. Ausgestattet mit der Macht, die ihnen das Grundgesetz einräumt, kommt der Apparat in Schwung, wird jeder Beamte zum funktionierenden Scharnier dieser gewaltigen Maschinerie. Die rassistische Mobilisierung der letzten Wochen hat nicht nur den Mob erreicht, sondern auch die inneren Reihen der Administration geschlossen. Vorstöße wie die des OVG Lüneburg müssen zur Regel werden. Nicht kleinliche Klauseln, Dienstanweisungen, Verordnungen bieten die Gewähr für eine »sachgerechte Abwicklung«, sondern die Gewißheit, daß die staatlichen Organe ihren Auftrag und jeder Beamte seine Mission begriffen haben: um die BRD vor der drohenden »Überfremdung » zu schützen, ist jedes Mittel Recht. Die Politik der Abschreckung schließt Tote ein.
Am 30. September 1983 flüchtete Cemal Altun selbst in den Tod, bevor ihn die deutsche Justiz an die Henker des türkischen Regimes ausliefern konnte.
Nutznießer Rotes Kreuz
»Es ist doch für die meisten von denen eh zu kalt hier, die kriegen doch bloß Schnupfen.« (Prinz Wittgenstein, Chef vom DRK)
In den letzten Wochen sind die Flüchtlinge wieder einmal Thema Nr. 1 in Berliner und westdeutsche Medien. Kaum ein Tag, wo nicht mit reaktionärem Gewäsch über Asylantenschwemme, Überfremdung u.ä. Jagd auf die Flüchtlinge gemacht wird. Parallel dazu verschlimmert der Senat systematisch die Lebensbedingungen der ankommenden Flüchtlinge, die in Turnhallen, Lager oder Container gepfercht werden, bewacht von Bullen und Hunden.
Wir haben uns erlaubt, zwei Repräsentanten der wichtigsten Erfüllungsgehilfen dieser reaktionären Politik, die so häufig vergessen werden, ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Die Herren Schmidt und Meisner haben heute eine unruhige Nacht verbracht, leichten Sachschaden erlitten und sind jetzt vielleicht auch verschnupft. Schmidt ist seit 1976 Präsident des Berliner Roten Kreuzes (BRK), Meisner ist als Abteilungsleiter Soziales für die Unterbringung der Flüchtlinge verantwortlich.
Das Berliner RK ist als einzige Wohlfahrtsorganisation der Stadt bereit, die Machenschaften des Senats voll zu unterstützen. Dies geschieht mittels eines mit dem Senat abgeschlossenen Generalvertrages, durch den das BRK eine Art Monopolstellung in der Flüchtlingsversorgung bekommt. Außerdem betreibt das BRK die Containerunterbringung und die Zeltlager. Es ist zuständig für die medizinische Versorgung - neuerdings mit Lagerärzten und DRK-Krankenscheinen -, die Verpflegung, sowie die Förderung der Rückkehrbereitschaft - sprich: »freiwillig« in die Armut, den Krieg oder die Folterkammer zurück.
Ebenso obliegt ihm die technische Durchführung dieser Rückkehr. Daß sich dieser dubiose Menschlichkeitskonzern dabei eine goldene Nase verdient, versteht sich fast von selbst. Pro Flüchtling kassiert das BRK vom Senat 32,50 DM pro Tag, für jedes Kind weitere 15 DM. Davon werden für alle Versorgungsmaßnahmen nicht mehr als 10 DM pro Tag ausgegeben, der Rest einkassiert. Bei einem Umsatz von 30 bis 40 Millionen pro Jahr ein lukratives Geschäft, allerdings nicht das einzige.
Neben der Flüchtlingsversorgung betreibt das DRK ein weitaus größeres Geschäft mit den sog. Blutspenden. Mit dem daraus gewonnenen Plasma werden im hauseigenen Pharmakonzern Milliardenumsätze und -profite erzielt - steuerbegünstigt, da gemeinnützig.
Unter dem gleichen Deckmantel der humanitären Hilfe verbergen sich die Machenschaften im Dritten Reich, ganz im Sinne der Gesetze über die Rassen- und Erbbiologie. Willfähriger Helfer der Nazi-Ideologie, strategisch erfinderisch und innovativ für die gesamte Politik im Dritten Reich war das DRK im sog. Euthanasieprogamm, der Vernichtung »geistig und moralisch minderwertigen Lebens«. Zigtausende von behinderten Kindern und Erwachsenen, aber auch Schwule und Lesben wurden im DRK-eigenen Wagen in die Tötungslager gefahren. Damaliger Chef des DRK war der Reichsarzt SS Dr. Grawitz, neben Reichsärzteführer Dr. Conti der Planer des Euthanasieprogramms. Ein Wohlfahrtskonzern mit zweifelhafter Vergangenheit.
Wir wollen mit unserer Aktion nicht die tausenden ehrenamtlichen Helfer, die täglich Menschenleben retten und pflegen, angreifen. Die allermeisten handeln aus ehrlichen Motiven und wissen nichts von der Politik ihrer Konzernbosse.
Die wir angreifen, sind die Ärzte, die in den Flüchtlingslagern Menschen mißhandeln, die Berater, die zur freiwilligen Rückkehr in den Tod zwingen, und die Strategen, die einerseits bewußt an der letzten und endgültigen Ausbeutung der Flüchtlinge teilnehmen und andererseits die reaktionäre Hetze von CDU und SPD sowie die Jagd auf die Flüchtlinge mitbetreiben und mitorganisieren.
Für freies Fluten - RZ
Das Ausländerzentralregister (AZR) ist ein rassistisches und totalitäres Register. Es muß deshalb weg.
Die neuen Techniken der Sozialkontrolle, die im Kampf gegen Volkszählung [16], maschinenlesbare Personalausweise usw. blockiert und sabotiert werden müssen, diese Techniken sind nicht wirklich neu. Zumindest für Ausländerinnen und Ausländer haben sie sich in der BRD längst zur materiellen Gewalt formiert - in bruchloser Kontinuität zum Nationalsozialismus übrigens.
Im Ausländerzentralregister beim Bundesverwaltungsamt in Köln ist das gesamte Herrschaftswissen über alle Nichtdeutschen, die in der BRD »aufhältig« sind oder es jemals waren, in einem gigantischen Pool konzentriert. Die angeworbenen Arbeiterinnen- und Arbeiterkontingente, ihre Familien, die anerkannten und abgelehnten, die geduldeten und abgeschobenen oder ausgelieferten Flüchtlinge - insgesamt 10 Millionen Männer und Frauen - sind dort totalerfaßt.
Aufgeschlüsselt nach den berüchtigten Personenkennziffern fließt jedwede behördliche Erfassung ihrer Person durch Meldeämter, Ausländerbehörde, Polizeidienststellen, Zirndorf, Bundeskriminalamt, Verfassungschutz und Interpol im AZR zu einem Datenberg von bis zu 60 Einzelfeldern pro Mensch zusammen - zur absolut größten Erfassungs-, Überwachungs- und Aussonderungskartei in der öffentlichen Verwaltung der BRD. On-line mit dem gesamten Exekutiv- und Verwaltungsapparat, ohne Auskunftssperren, ohne Löschfristen, gewinnt das AZR als vollkommen unlimitiertes Zweitdepot all dieser institutionellen Datenbänke eine immens strategische Bedeutung. Das Ausländerzentralregister ist das Kernstück im Kampf gegen die Flüchtlinge, der zunehmend an die Grenzen, Flughäfen und in die Herkunftsländer der Emigrantinnen und Emigranten verlagert wird. Es speist das Grenzinformationssystem und die Visaabteilungen von inzwischen 40 Botschaften.
Vor allem aber wirkt es nach innen: auf die quantitative Regulierung der Ausländerkontingente, auf die Manipulation ihrer Zusammensetzung, auf ihre arbeitsmarktorientierte Vernutzung oder Aussonderung. Das AZR sammelt und liefert das Material für die Strategien, die auf eine Liquidierung und Durchstaatlichung der Ausländerkolonien und -communities, ihres Solidaritätsnetzes, ihrer verdeckten Strukturen, ihrer Subkulturen und illegalen Lebensformen.
Wie gesagt: Das Ausländerzentralregister ist ein rassistisches und totalitäres Register. Es muß deshalb weg.
Für Freies Fluten
Schotten dicht für die Flüchtlinge, die in die BRD reinwollen. Flug frei für alle, die raus sollen. Die deutsche Lufthansa (DLH), immer treu im Dienste des Staates, macht es möglich.
Wer sich vor Hunger, Verfolgung, Folter, Krieg und Tod in die Bundesrepublik zu retten versucht, muß dazu ein Flugzeug benutzen. Und wer von diesem Staat zum »Abschübling« erklärt wird, wird wieder zurück ins Flugzeug getreten. Von den über 8.000 Abschiebungen im Jahr 1984 hat die DLH rund 6.000 übernommen. Das sind mindestens 16 Flüchtlinge pro Tag. Der Umsatz für diese Hilfspolizeileistungen lag 1984 bei circa 8 Millionen Mark. Um die Lage an Bord unter Kontrolle zu halten, fliegen seit einiger Zeit Ex-GSG-9ler [17] mit; Flüchtlinge, die sich gegen die Abschiebung wehren, werden unter Drogen gesetzt. Piloten und Stewardessen, die sich weigern, bei dieser Praxis mitzumachen, werden mit beruflichen Konsequenzen bedroht.
Frauen können sich meist nicht einmal das nötige Flugticket für die Flucht leisten. Frauen sind nicht nur Opfer der imperialistischen Politik der Profitmaximierung, sondern auch die des Welt-Patriarchats. Es ist keine Frage, wen die Familien zum Überleben mit dem letzten Geld nach Europa schicken: den Sohn, nicht die Tochter; Männer können versuchen, wenigstens die eigene Haut zu retten, während die Frauen mit den Kindern zurückbleiben und höchstens bis ins nächste UN-Flüchtlingslager kommen. Deshalb sind die Frauen der drei Kontinente eine Minderheit unter denen, die es bis in die Metropolen schaffen, obwohl sie weltweit die Mehrheit der Flüchtlinge ausmachen. In Südostasien hat sich eine spezifische Form der Frauenimmigration entwickelt. Da die Frauen nicht anders aus ihrer elenden Lage herauskommen, verkaufen sie sich als Katalogbräute. Käufer sind vor allem bundesdeutsche Männer.
Die Deutsche Lufthansa weiß auch aus dieser Situation etwas herauszuschlagen: über ihre Tochtergesellschaft Condor. Die transportiert die Männer mit Bumsbombern nach Bangkok und Manila und schnappt sich so ihren Teil am internationalen Zuhälterprofit mit Prostitution und Frauenhandel. Während die Ware Frau also locker verschubt wird, weist die DLH andere Flüchtlinge schon im Vorfeld zurück. Als erste Fluggesellschaft führte die Lufthansa beim Check-In in den entsprechenden Abflughäfen Visakontrollen als Selektionsmaßnahme ein.
Wie alle deutschen Traditionsunternehmen hat es auch die Lufthansa geschafft, den historischen Dreck, den sie am Stecken hat, vergessen zu machen und sich als honoriges Unternehmen mit positiver Geschäftsbilanz und positivem Image zu präsentieren. Als Staatsunternehmen leistete die Lufthansa Pionierarbeit bei der Erschließung des südamerikanischen Raumes im Sinne nationalsozialistischer Großraumpolitik. Sie beteiligte sich aktiv am Auf- und Wiederaufbau der Luftwaffe und trug entscheidend zur Zerschlagung der spanischen Revolution bei. Das Lufthansa-Tarnunternehmen Condor transportierte die Franco-Truppe von Marokko nach Spanien, bombardierte als »Legion Condor« die Stadt Guernica. Im selben Jahr, 1939, feierte die Lufthansa ihr erfolgreichstes Geschäftsjahr seit Bestehen.
1985 scheffelte die Deutsche Lufthansa 146 Millionen Mark Gewinn. Ihr »primäres Wachstumsfeld« ist aber weniger die Passagierbeförderung als der Gütertransport. Allein im Geschäftsjahr 1985 wurden mehr als 600.000 Tonnen Fracht gefördert. Ein Großteil davon sind Rohstoffe und Waren, die in den Billiglohnländern den Menschen abgepreßt wurden und an denen die Deutsche Lufthansa via Frachtkosten mitprofitiert.
Und sie verdient noch einmal daran, daß sie die Flüchtlinge aus diesen ausgebeuteten Ländern in die Baracken und Gefängnisse zurücktransportiert, vor denen sie geflohen sind.
Der Berliner Ausländerpolizeichef Hollenberg ist ein Menschenjäger und ein Schreibtischtäter. Sein Jagdrevier Westberlin ist der Brennspiegel bundesdeutscher Ausländerpolitik, das heikle und heiße Pflaster, auf dem sich die jeweiligen Projektierungen exemplarisch verdichten und hochgekocht werden. Mögen die Ausländerpopulationen auch wechseln, die taktische Aufarbeitung bleibt sich doch immer gleich. Über eine Abfolge von staatlich gesteuerter Stigmatisierung einzelner Segmente, zunehmend jedoch der ausländischen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit, über eine genau kalkulierte, völkische Mobilisierung wird das Terrain geebnet für blutige Pogrome und radikale Repressionen. Nach diesem Muster verliefen die Angriffslinien gegen die türkischen Arbeitsemigrantinnen und -emigranten ab Mitte der 70er Jahre mit dem Ziel, sie generell aus den arbeits- und sozialrechtlichen Sicherungen herauszubrechen, um über eine flexible, vollkommen rechtlose Verschiebmasse auf dem Arbeitsmarkt zu verfügen. Nach diesem Muster verliefen auch die verschiedenen Angriffswellen gegen die Flüchtlingskontingente. Nach den bilateralen, schmutzigen Deals mit der NATO-Türkei und dem Libanon, zeichnet sich über das jüngste DDR-Abkommen, die Mitarbeit des Ostblocks an den kapitalistischen Eindämmungstrategien gegenüber den internationalen Flüchtlings- und Wanderarbeiterbewegungen ab. Mag dabei auch politisches Kalkül und ökonomischer Zugzwang eine Rolle spielen, de facto konstituiert sich damit ein Bündnis von Imperialismus und Staatssozialismus gegen die Armutsbevölkerung der drei Kontinente.
Der Chef der Berliner Ausländerpolizei und Lummer [18]-Protegé Hollenberg steht in diesem »Abwehrkampf« an vorderster Front, in Geist und Tradition der »kämpfenden Verwaltung«, wie sie NS-Heydrich [19] definiert und formiert hat. Dabei ist weniger ausschlaggebend, ein scharfer Hund zu sein, vielmehr kommt es darauf an, ein untrügliches Gespür für die Absichten und Planungen der Macht zu haben, um effektiv und flexibel an den Gesamtkonzeptionen mitzuarbeiten. Daß Hollenberg über dieses unersetzliche, symbiotische Verhältnis zur Macht verfügt, beweist seine rasche Wiedereinsetzung als Ausländerpolizeichef - im übrigen ein beispielloser Vorgang - nachdem er zuvor wegen seiner Verwicklungen in die Schmitz-Korruptionsaffaire verabschiedet werden mußte. Seither übt er sein Amt diskreter, dafür umso effizienter aus.
Hollenberg ist zuständig für den täglichen Terror, für die über hunderttausend Kontrollen, für zehntausende von Festnahmen, für tausende von Razzien im Jahr auf »ausländerrelevante Orte«. Er befehligt die zahllosen Überfälle und Durchsuchungen von Ausländerwohnheimen und -wohnungen auf der Suche nach »Asylern, Abschiebern, illegalen Schwarzarbeitern und Scheinehen«.
Und er ist mitverantwortlich für den grauenvollen Verbrennungstod von sechs Männern in der Abschiebehaft Augustastraße [20], denn er sorgt dafür, daß diese Käfige ständig überfüllt sind. Die provozierte Enge, der Dreck, der Gestank und die Aggressionen sind kalkuliert, um einen Rassismus zu schüren, der keine Hemmschwellen mehr kennt, Menschen aus »Pflichtbewußtsein« verbrennen zu lassen.
Das taktische Zusammenspiel zwischen den rigorosen Projekten der Macht und dem exekutierenden Verwaltungsapparat hat in diesem Sommer einen erschreckenden Höhepunkt erreicht. In diesen Manövern hat sich auch der Chef der Berliner Ausländerpolizei blutige Meriten erworben. Um die Flüchtlingszahlen demagogisch hochzutreiben, ließ er durch seine »Greiftrupps zur gezielten Ausländerfahndung« die Frontstadt praktisch dichtmachen und ausnahmslos alle nichtweißen Frauen, Männer und Kinder - selbst Durchreisende und Besucher - einfangen und zwangsasylieren. Zeltstädte und Containerlager wurden in Szene gesetzt - Potemkinsche Dörfer [21] - allein für den Augenblick und Zweck geschaffen, ein mörderisches völkisches Klima hochzuputschen und sich eine breite Akzeptanz zu sichern für die eigentlichen imperialen Lösungsstrategien. Diese zielen, jenseits allen wahltaktisch inszenierten Gerangels »Grundgesetzänderung versus DDR-Deal« [22] auf eine völlige Umkehrung der jetzigen Situation. Über ein ganzes Paket aufeinander abgestimmter, drakonischer Repressionen soll ein grundsätzlich neues, griffiges Instrumentarium geschmiedet werden, um die internationalen Flüchtlings- und Wanderbewegungen im Vorfeld abzublocken und einschneidend zu dezimieren. Die solchermaßen Vorsortierten sollen dann einer neuerlichen Selektion nach Alter, Geschlecht, politischer Gesinnung und beruflicher Qualifikation unterworfen werden, um unter arbeitsmarktstrategischen Kriterien als entgarantierte Ausbeutungs- und Verschiebemasse je nach Bedarf eingesogen oder ausgestoßen zu werden. Das ist der reale, harte Kern der staatlich inszenierten Asylrechtsdiskussion. Insoweit ist dies kein spezifisch bundesrepublikanisches Thema, sondern wird im gesamten kapitalistischen Westen verhandelt. Für die innerdeutsche Aufbereitung dieser Verwertungs- und Vernichtungsstrategien ist allerdings der immense Druck, der in Berlin produziert wurde, von exemplarischer Bedeutung und exakt auskalkuliert. Über dieses Spannungsfeld definiert sich auch die spezielle Funktion des Berliner Ausländerpolizeichefs.
Eine ganze Reihe politischer Weichen in diesem unerklärten Kriegs gegen die Armutsmassen der 3 Kontinente sind hier gestellt worden. Der erste, mit Ostberlin ausgehandelte konzentrierte Angriff galt den Tamilen. Dann dechiffrierte sich der »La Belle«-Anschlag zum einen als bestellter Vorwand der US-Administration für die mörderische Bombardierung libyscher Städte. Zum anderen als die, von den Alliierten legitimierte, Gelegenheit zur Grenzabriegelung und systematischen Durchkämmung Westberlins durch Hollenbergs Sondereinheiten. Vergleichbar national wie international angelegt war die »Operation Libanon«. Die Suche nach vier Libanesen mit Sprengstoffkoffern erwies sich schnell als durchsichtige Konstruktion für die brutale und beispiellose Großrazzia mit 2 Schützenpanzern, 30 Wannen und 12.000 Polizisten, die sämtliche Berliner Zwangslager und Ausländerheime aufrollten. Zweifellos ein wichtiges Datum in der Hollenbergschen Karriere. Für die internationale Auswertung dieser Operation sorgte Innensenator Kewenig mit seinem Libanon-Trip, um den letzten garantierten Schutz, das Verbot der Auslieferung in Kriegs- und Krisengebiete, zu schleifen. In nahtloser Übereinstimmung mit dem Vorgehen der Regierungen in Paris, London und Rom.
Die Strategie ist gesamtimperialistisch, die Aufbereitung national; Westberlin kommt dabei die Funktion eines taktischen Zentrums zu und der Chef der berliner Ausländerpolizei Hollenberg exekutiert diese Repressions- und Selektionstrategien direkt an den Flüchtlingen und Arbeitemigranten.
Unser Angriff auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin richtet sich gegen die Asylpolitik der rassistischen Sonderbehörde.
Es ist kein Appell für eine menschlichere Asylpolitik. Es ist fatal zu glauben, durch Forderungen an die Herrschenden irgendetwas zu erreichen. Am Beispiel der jüngsten Ausweisungen in den Libanon verdeutlicht sich die eiskalte Logik gnadenloser Abschiebepolitiker. Bestandteil und Voraussetzung dieser Politik ist die verwaltungstechnische Umsetzung der Vorgaben des Berliner Senats bzw. des Innenministers. Diese Rolle übernimmt in Berlin die ZSA, eine zentralistische Sonderbehörde, speziell geschaffen für die hier ankommenden Flüchtlinge.
Die politischen, rassistischen Prämissen, unter denen diese Behörde agiert, stehen im direkten Interesse der europäischen Verbündeten: systematische Abschottung gegenüber den weltweiten Migrantenbewegungen durch Schließung der Grenzen, vor allem des Zugangs nach Westberlin, durch Kanalisierung und Konzentration der Flüchtlinge in Sammellager.
Genau wie das Ausländerzentralregister in Köln und die Ausländerabteilungen der Bullen ist die ZSA absolut zentral organisiert - in Abweichung der Struktur sonstiger Sozialbehörden die kommunal bzw. bezirklich gegliedert sind. Mit einem optimierten Verwaltungsapparat und einer rigiden Anwendung des sozialtechnischen Instrumentariums setzt diese rassistische Sonderbehörde Maßstäbe für die Kontrolle kommender sozialer Auseinandersetzungen.
Neben der Verteilung der Flüchtlinge auf die Lager in der BRD bzw. in Sammellager des Deutschen Roten Kreuzes, regelt die ZSA die »soziale und medizinische Betreuung«. Mit dem DRK besteht eine perfekte Symbiose in der täglichen Ausbeutung und Unterdrückung der Lagerbewohner. Das beginnt mit dem Zwang, in der ZSA Soziknete zu beantragen, weil den Flüchtlingen mit einem 2jährigen Arbeitsverbot jede Existenzgrundlage genommen wird. Die ZSA erteilt einen erheblich verminderten Sozialhilfesatz: die Flüchtlinge erhalten 50 DM im Monat und - leben sie außerhalb der Lager - 190 DM an Wertgutscheinen. Mit allen Mitteln, häufig durch Streichung der Wertgutscheine, der Soziknete, der Mietzahlungen etc. versucht die ZSA die Flüchtlinge in die Sammellager zu zwingen.
Die Konzentration auf die Lager hat vorrangig drei Gründe: Zum einen sichert sie die arbeitsmarktorientierte Vernutzung der Flüchtlinge, weil sie leichter zu Zwangsarbeit verpflichtet werden können. Zum zweiten verdient sich das DRK an den Lagern eine goldene Nase. In unserer Erklärung zu den Brandanschlägen auf die Autos der DRK-Funktionäre sind wir darauf eingegangen. Zum dritten zielt die Zwangskasernierung verschiedener Nationalitäten auf die Widerstandskraft der Flüchtlinge: die gegeneinandergetriebenen Flüchtlinge werden von der Organisierung notwendiger Flüchtlingshilfen abgelenkt und am Aufbau klandestiner Strukturen gehindert. Nicht zuletzt erschwert der um die Lager gezogene Stacheldraht eine Vermischung mit dem hier existierenden Milieu. Der auf niedrigstem Niveau eingeengte Lebensstandard und die Mißachtung elementarer Hilfeleistungen - Krankenscheine werden zurückgehalten, Atteste nicht akzeptiert, Krankenbehandlungen unterlassen - ist nicht der Gipfel der Willkür, sondern die Methode eines logisch funktionierenden, rassistischen Verwaltungsapparates.
Unser Ziel ist es nicht, für eine verbesserte Sozialtechnokratie zu kämpfen, unser Angriff auf die Sonderbehörde ist grundsätzlicher Natur.
Die ZSA und mit ihr alle rassistischen Behörden müssen weg!
»Das Unrecht ist nicht anonym, es hat einen Namen und eine Adresse«, sagt Brecht. Eine erste Adresse bei der Vollstreckung moderner Flüchtlingspolitik ist Dr. Günter Korbmacher, Vorsitzender Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht. Dieser 9. Senat ist kein herkömmlicher Senat, sondern ein 1980/81 gegen die trikontinentale Flüchtlingsbewegung einberufener Sondersenat, der den Auftrag hat, sie auf seinem Terrain und mit seinen Mitteln zu brechen. Der oberste Asylsenat mit seiner politisch handverlesenen Richterbesetzung ist als juristischer Begleitschutz konzipiert worden für den ab 1982 forcierten, legislativen und administrativen Gegenangriff auf die Zwangsmobilisierten und Armgemachten des Trikonts, die in wachsender Anzahl den Abwehrkordon der Metropolen überwandern. Erste wesentliche Durchbrüche in diesem Klassenkrieg waren bereits in unmittelbarer Folge zu verzeichnen. Die Zahl der Asylverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch eine Flut einschneidender Sondererlasse von 12.000 im Jahr auf 800 heruntergedrückt und damit ein zuvor durch jahrelange Verfahrensdauer garantierter Überlebensraum für Immigranten vernichtet - in der Begrifflichkeit moderner Sozialtechnik ein »Abschmelzen der Altlasten«.
Die »Neulasten« werden durch industrialisierte Schnellgerichtsverfahren gepreßt, die einen frappierenden Massenausstoß an Urteilsproduktion garantieren. Aufgrund ihrer Massierung sind die Asylverfahren zum bevorzugten Terrain einer fabrikorientierten Durchorganisation und Systematisierung der dritten Gewalt avanciert, die mit seriellen, computerisierten, beliebig verknüpfbaren Urteilssegmentierungen arbeitet. Vergleichbar der seriellen Normierung im Sozialrecht wurde in den letzen Jahren alles lebendige Fleisch aus dem Asylrecht herausgeschnitten und die blanke Maschine installiert, die katalogisiert, zählt und auspunktet. Damit wird jeder herkömmliche Transmissionsriemen zwischen den Projekten der Macht und der dritten Gewalt überflüssig, da die Exekutive jetzt die Justizmaschine im direkten Verfahren selbst programmiert. Zum einen hat das eine immense Steigerung der Effizienz zur Folge. Die Produktionsziffern der Entscheidungen des obersten Asylsenats sprengen zur Zeit jeden Rahmen, ja die Erledigungsquoten der Richter Korbmacher, Eckstein, Säcker, Kemper und Bender sind so enorm, daß sie seit Jahren schamhaft aus den Geschäftslageberichten des Bundesverwaltungsgerichts eliminiert werden müssen, »um die allgemeine Leistungsbilanz nicht unzulässig zu beschönigen«.
Zum strategischen Ort in dieser Variante des Klassenkrieges hat sich das Grundrecht auf Asyl kristallisiert. Da es so gut wie keinem Menschen zugestanden wird - Frauen werden von diesem patriarchalischen Definitionsapparat von vornherein ausgeschlossen - wird viel über seine Aushöhlung geklagt. Doch diese Klage geht völlig in die Irre. Selbstverständlich wußten die Legislatoren des NS-Nachfolgestaates, warum sie die generelle Bestimmung »Flüchtlinge« nicht wollten und statt dessen dem einschränkenden, interpretierbaren Terminus »politisch Verfolgte« den Vorzug gaben und warum sie sich hartnäckig KPD-Forderungen widersetzten, die eine grundgesetzliche Festschreibung existenzieller Rechte, wie Arbeitserlaubnis und Bewegungsfreiheit für die Immigranten bedeutet hätten. Das Asylrecht ist seinem Wesen nach eben nicht als einklagbares Individualrecht konzipiert worden - vielmehr ist es von vornherein allen opportunen staatlichen Auslegungen und imperialistischen Dispositionen geöffnet worden und daher in seinem Kern ein Staatsschutzrecht. Folglich geht es heute nicht um seine Aushöhlung, sondern um seine Modernisierung zu einem paßgenauen Instrument imperialer Flüchtlingspolitik.
Diesen Modernisierungsschub gestalten in letzter Instanz die Richter Korbmacher & Co. vom Bundesverwaltungsgericht. Die Schneisen, die die Flüchtlingsverwaltung und die Untergerichte geschlagen haben, werden von ihnen geordnet und in eine imperialistische Großraum- und Ordnungspolitik umgesetzt. Aus diesem Grund also erschöpft sich die Arbeit dieses Kollegiums nicht in seiner höchstrichterlichen Absegnung von Asylverweigerung als Mittel, die Metropolen gegen die Flüchtlingsbewegung abzuschotten. Seit einigen Jahren geht es entschieden um mehr, um die rechtliche Legitimierung einer Praxis internationaler Aufstandsbekämpfung, die in die zentralen Urteile zum Asylrecht verpackt ist.
Die Technik, das Recht auf Asyl zum Ausgangspunkt einer internationalen Legitimationsordnung für Terror, Folter und Völkermord zu machen, ist frappierend, jedoch im Asylrecht genuin angelegt. Weder die sozialen oder politökonomischen Verhältnisse eines Staates, noch die politische und soziale Praxis der Flüchtenden sind für die Urteilsfindung von Belang. Gewogen wird ausschließlich das Staatsschutzargument der betreffenden Mächte, die unisono versichern, daß es in ihrem Herrschaftsbereich weder einen politisch noch einen sozial legitimierten Widerstand geben könne. Eine grausame Platitüde, denn kein Staat auf dieser Welt definiert das, was ihn grundsätzlich in Frage stellt, als politischen Widerstand, sondern ausnahmslos als kriminelles Verbrechen.
Das weiß natürlich auch der oberste Asylsenat. Ihm geht es bei seiner aktuellen Rechtssprechung darum, die jeweiligen Staatsschutzräume weltweit entscheidend auszudehnen, staatliche Gewalt generell dafür zu legitimieren, alle Poren der trikontinentalen Gesellschaften zu durchdringen, um einen globalen, kapitalgerecht verwertbaren Menschentypus zu erzwingen. Alles Widerständige und nicht Vernutzbare wird ausdrücklich unter dem terminus technicus »Staatsnotwehr« der Vernichtung anheim gegeben. Es geht dabei essentiell nicht um die Souveränität der jeweiligen Regime. Sie dienen nur als Transmissionsriemen einer imperialistischen Weltinnenpolitik, in der die westlichen Kapitalzentren entscheiden, welche Bevölkerungsgruppe zu welchem Zweck und mit welchen Mitteln bekämpft, unterworfen oder vernichtet wird. Dem Asylsenat fällt in diesem Rahmen die Aufgabe zu, Aufstandsbekämpfung in aller Welt zu qualifizieren, mit dem ganzen Gewicht eines Metropolengerichtshofes politisch zu sanktionieren und juristisch zu legitimieren.
Aufhänger für diesen qualitativ neuen Vorstoß waren Verfahren von Kurden, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, da Folter in der Türkei als »allgemein kriminalpolitisches Phänomen« gelten könne. Das war dem Korbmacher-Senat zu anspruchslos und zu kurzsichtig, da dieses Urteil die blutigen Statthalterregime nur generös deckt und auf jede weiterreichende Einflußnahme und Zielsetzung verzichtet. Sie schöpfen die globale ordnungspolitische Dimension im Asylrecht nur unzureichend aus und definieren sich auf dem Hintergrund eines obsoleten Neokolonialismus, anstatt sich als Instrument einer neuen imperialistischen Weltinnenpolitik zu begreifen.
Dagegen bedient sich das Bundesverwaltungsgericht der zur Verhandlung stehenden Verfolgungen, Revolten, sozialen Verwüstungen und Bürgerkriege, um eine Weltordnung rechtsförmig zu legitimieren, die den jeweiligen Staatsterror ausdrücklich fordert. Einen Staatsterror nicht per se, sondern als Voraussetzung, um die Gesellschaften der drei Kontinente einzuschleifen, verwertbare Populationen von nicht verwertbaren zu scheiden und kapitalgerecht aufzubereiten. Im Koordinationssystem dieses Unterwerfungskonzepts entwickelt der Korbmacher-Senat den operativen Begriff vom Staat als absolutem Subjekt. Damit wird per definitionem jeder soziale und politische Widerstand automatisch zum Staatsverbrechen erklärt und seine Bekämpfung verlangt. Zitate aus den Kurden-Urteilen belegen das: Folter und Völkermord, die der »Abwehr von Umsturzversuchen oder Gebietsabtrennungen dienen« sind keine politische Verfolgung, sondern notwendig, »denn der Staat selbst, sein Gebietsbestand und seine Grundordnung sind Schutzgüter«. Jede staatliche Maßnahme, einschließlich Massakern, ist gerechtfertigt, »wenn sie nur zur Überwindung von Notstandssituationen und zur Wiederherstellung der inneren Sicherheit« dient oder zur »Behandlung von Minderheiten, weil ein Mehrvölkerstaat in besonderem Maße auf die Sicherung seiner staatlichen Einheit und seines Gebietsstandes bedacht sein wird und dieses Ziel auch durchsetzen darf«. Insbesonders, wenn ein Flüchtling einer »gewaltbejahenden Gruppe angehört, verstärkt sich grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit einer auf den kriminellen und nicht auf den politischen Gehalt der Tat beschränkten Reaktion, je gravierender die Mittel sind, mit denen der Gesinnungstäter die Ordnung der von ihm abgelehnten Staatsmacht bekämpft«.
Noch deutlicher wird diese Linie, wenn das Gericht tamilische Flüchtlinge in die Völkermordregion Sri Lanka zurückschickt, »weil die wahllosen Vergeltungsschläge gegen die tamilische Bevölkerung mit der hohen Zahl von Todesopfern« nicht der subjektiven Motivation des Staates zur politischen Verfolgung entspringen, sondern der Absicht, »durch den Einsatz der Sicherheitskräfte seine staatliche Einheit und seinen territorialen Stand zu wahren«.
Mit dieser restlosen Ineinssetzung von Staat und Recht besorgt das Bundesverwaltungsgericht die juristische Fundierung für eine international abgestufte Ausbeutungs- und Vernichtungsordnung, die ein Weltrecht konzipiert, mit dem sukzessive alle Klassenantagonismen einem imperialistischen Rechtskodex subsumiert werden, um sie offiziell und effektiver liquidieren zu können.
Über die strategische Funktion seines Amtes hinaus legt der Vorsitzende Richter am obersten Asylsenat Dr. Günter Korbmacher einen ausgesprochen eigenen politischen Geltungsdrang an den Tag. Auf dem Höhepunkt der rassistischen Hetzkampagne gegen die Flüchtlinge warf er sich persönlich an die Medienfront, um vehement eine Grundgesetzänderung des Asylrechts zu fordern, damit in Zukunft garantiert sei, daß nur noch politisch handverlesene und ökonomisch verwertbare, vorselektierte Immigranten zur Disposition stünden. Mit entsprechender Rigorosität hat er sich dem unnachgiebigen Kampf zur Abschaffung der Nachfluchtgründe verschrieben, die er als weiche Stelle und Schlupfloch im Sicherheitskordon ausgemacht hat - geeignet, die gesamte Abwehrfront gegen die Flüchtlingsflut zu unterminieren und ad absurdum zu führen.
Wir meinen, der oberste Asylrichter Korbmacher ist ein furchtbarer Jurist. [23]
Die Entscheidung, einer Person in die Knie zu schießen, enthält eine bewußte und präzise praktische und politische Limitierung. Der Angegriffene und unmittelbare Tatzeuge soll überleben, ja er muß es unter allen Umständen, denn dies ist die entscheidende Bestimmung der Aktion, selbst wenn sie zum Preis eines erhöhten Risikos für die ausführenden Genossinnen und Genossen erkauft werden muß.
Der Angegriffene ist ein Schreibtischtäter par excellence, eine Ausgeburt moderner Herrschaft, ausgestattet mit allen Insignien repräsentativer Macht, die sich selbst zelebriert. Person und Körper verschwinden dahinter, verobjektivieren sich. Richter Korbmacher, der haßt, verachtet, eindämmt, raussäubert, de facto wertes von unwertem Leben am Fließband sortiert, letzte Instanz über Leib und Leben zahlloser Menschen, ritualisiert sich erfolgreich aus seiner Person und existenziellen Verantwortung heraus. Erfolgreich in zweifacher Hinsicht. So hat dieser Berufsstand trotz seiner terroristischen NS-Geschichte ein ungebrochen fettes gutes Gewissen und sich aufgrund seiner spezifischen Herrschaftsstruktur nicht angemessen zum Objekt von Klassenhaß verdichtet. Eine strikt geregelte Arbeitsteilung enthebt ihn der physischen Präsenz in Klassenauseinandersetzungen - er gibt die Richtung an und legt die Regeln fest, legitimiert die Schergen. Drangsalieren, einsperren, rausprügeln tun andere, foltern und exekutieren wieder andere. Bei Folterern, Polizeischergen, terroristischen Ämterchefs hat der Klassenhaß genug konkrete Angriffsflächen, um zu greifen, an Schreibtischtätern gleitet er immer wieder an ihrer fehlenden physischen Präsenz, ihrer mangelnden Körperlichkeit ab, vor die sich die Institutionen, Rituale und Mystifikationen schieben.
Die Schüsse auf die Beine des obersten Asylrichters sollen dem kalt ausgeheckten Unrecht, der kodifizierten Brutalität, die das Leben so vieler Menschen zerstört, wieder einen konkreten Namen, ein Gesicht, einen Körper verleihen. Diese Schüsse sollen ihn zweifach brandmarken. Sie sollen ihn verletzen, eine nachhaltige Erschütterung seiner Existenz durch einen intensiven körperlichen Schmerz und eine langwierige körperliche Beeinträchtigung bewirken und er soll leiden, damit er bezahlt und versteht. Verstehen nicht im Sinne einer Läuterung - darauf haben wir keinen Einfluß - sondern, indem er mit jeder Faser seines Körpers und seines Bewußtseins in eine umgekehrte Situation gezwungen wird, der er sich unmöglich entziehen kann, die an ihm haften wird.
Und diese Schüsse sollen ihn politisch brandmarken. Sie sollen ihn ins öffentliche Bewußtsein brennen als Hauptverantwortlichen im juristischen Kampf gegen die Opfer imperialistischer Großraumpolitik, der darüberhinaus von einem persönlichen Haß und Eifer in seiner Arbeit angetrieben wird. Wir wollen den suggestiven Nimbus der Macht zerstören, durch den er sich geschützt glaubt, und ihn öffentlich vor aller Augen in die Knie zwingen. Und wir wollen seine Karriere zerstören, denn wer einmal dieses suggestiven Nimbus beraubt worden ist, wer einmal der Guerilla in die Hände gefallen ist, der wird seiner eigenen wölfischen Klasse suspekt und zur peinlichen politischen Last. Sie selbst wird dafür sorgen, daß er auf Dauer beruflich und politisch erledigt ist, so wie sie es mit Peter Lorenz [24] gemacht hat.
Außer diesen konkreten Bestimmungen der Aktion gibt es für uns zwei weitere wesentliche Aspekte, die den bewaffneten Angriff auf Personen wie Korbmacher und Hollenberg begründen. Zum einen die NS-Methoden, mit denen die internationale Flucht- und Wanderarbeiterbewegung in den Metropolen eingedämmt werden soll. Die unverhüllte Brutalität, die Klassenherrschaft hier annimmt, übersteigt bewußt und gezielt das austarierte, kalkulierte Niveau, auf dem Klassenkämpfe in den Metropolen gehalten werden. Die Schärfe des Angriffs auf Existenzrecht und Egalitätsansprüche muß in den politischen Antworten des revolutionären Widerstands, der adäquaten Wahl der Waffen und Aktionsebenen seine Entsprechung finden, wenn er glaubwürdig sein will. Jemandem, der Menschen in die Folter oder einen drohenden Tod schickt, kann man nicht das Auto anstecken oder eine Abreibung verpassen. Das ist unangemessen und verniedlicht sein Verbrechen.
Warum ihn dann nicht gleich töten? Wir meinen, wenn nicht offener Klassenkrieg herrscht, in dem die Liquidierung des Gegners zu einer Macht- und Überlebensfrage der Unterklassen wird - Zustände, von denen wir weit entfernt sind - kann ein politischer Mord nur einen exemplarischen Charakter haben.
Seine Bedeutung, seine einzige Rechtfertigung liegt in seiner politischen Dimension, da er die realen Machtverhältnisse nicht wirklich erschüttern und ernsthaft in Bedrängnis bringen kann. Seine Legitimation muß sich in seiner direkten Wirkung auf die Klassenauseinandersetzungen und die Zuspitzung des Klassenbewußtseins erweisen und kann sich nicht ausschließlich in der Bekämpfung des Gegners erschöpfen. Der politische Mord an einem bislang anonymen Funktionsträger von Staat und Kapital - und mag er noch so wichtige Funktionen bekleidet haben - muß politisch verpuffen. Denn was sagt die Aktion anderes aus als: da war jemand, der für das und das verantwortlich war und jetzt ist er weg, aus der Welt geschafft. Das Volk erfährt von seiner Existenz erst, nachdem sie ausgelöscht ist. Es gibt keine Chance, ihn zu hassen, seinen Tod zu wünschen.
Ein solcher Tod kann kein Aufatmen, keine Erleichterung auslösen. Das ist das politische Dilemma der Ermordung eines von Braunmühl [25] zum Beispiel.
Etwas anderes dagegen vermittelte die Hinrichtung des Menschenjägers Buback. [26] Mit ihm ist ein allgemein verhaßter und gefürchteter Volksfeind gefallen, dessen Tod ein Gefühl der Befreiung und Ermutigung ausgelöst hat. Einzig und allein diese Wirkung rechtfertigt etwas dermaßen Schwerwiegendes wie die politische Tötung eines Menschen, dieses äußerste und extremste Mittel im Klassenkampf, das sich durch seinen inflationären Gebrauch selbst entwertet.
Eine Guerilla, die leichtfertig gegen diese absolut verpflichtenden Gesetze der politischen Moral und Verantwortung verstößt, die zunehmend ihre Skrupel - dieses wesentliche Merkmal, das revolutionäre Frauen und Männer vom Klassenfeind unterscheidet - über Bord wirft, verspielt und verliert damit auch ihren eigentlichen Kredit und Anspruch: einen Klassenkampf mit dem Volk und für das Volk zu führen, in dem die Ziele einer freien, egalitären, menschlichen Gesellschaft aufscheinen.
Soziale Revolution gegen imperialistische Flüchtlingspolitik
Nachts, zwei Uhr. Eine Gruppe Berber, Nichtseßhafter, Sozialhilfeempfänger und Arbeitssuchende für eine schnelle Mark finden sich vor dem Gebäude des Schnelldienstes des Dortmunder Arbeitsamtes ein. Mit lautem Hallo und einigen Pullen Bier gegen die Kälte und Langeweile wird der Morgen erwartet. Viele kennen sich, denn die Prozedur wiederholt sich Nacht für Nacht. Sie kommen nicht freiwillig.
Das Programm, das sie herzwingt, bekannt als »Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger« ist die Knute der Sozialverwaltung, ihre Klientel zu disziplinieren, und sie führt gleichzeitig den verschiedensten Unternehmen frei disponible Arbeitskraft zur billigsten Vernutzung zu.
Das System funktioniert so: wenn es auf der »Schelle« Arbeit gibt - und sei es auch nur für einen Tag - gibt es keine Sozialhilfe; wer keine Arbeit bekommt, braucht unbedingt den Amtsstempel, mit dem die Bereitschaft dokumentiert wird, am staatlichen Sklavenmarkt teilzunehmen. Denn ohne Stempel keine Sozialhilfe.
Szenenwechsel: ein paar Stunden später, dasselbe Gebäude, eine Tür weiter: hier ist die Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Zirndorf.
Diejenigen, die zur Arbeit gezwungen werden, sind längst weg. Nun finden sich die ein, denen von Amts wegen für Jahre jegliche Arbeit verboten wird: Flüchtlinge, Immigranten, AsylantragstellerInnen.
Hier wird im ersten Anlauf festgestellt, was vom Staat als politischer Asylgrund akzeptiert wird, was nicht. Sogenannte Entscheider, bundesrepublikweit 140 an der Zahl, befinden nach diesem Verhör über die Anerkennung, 70.000 Verhöre in einem Jahr. Inzwischen werden 90 % abgelehnt. Und Ablehnungsgründe gibt es viele. Wer aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen flieht, wer gar eine Strafverfolgung befürchtet, ist sofort aus dem Rennen. Desertation oder Kriegsdienstverweigerung (Iran), Folter und Totschlag (Türkei), sogar Völkermord (Tamilen) sind schon lange kein Asylgrund mehr, weil diese Formen der Behandlung von Menschen zum normalen, traditionellen und nicht außergewöhnlichen Instrumentarium der jeweils herrschenden Klasse gehören.
Hektographierte Zettel als Ablehnungsbescheide mit Standardbegründungen erleichtern das Geschäft, es ist der alltägliche zynische Umgang mit der Macht, die über Menschenleben entscheidet.
Den Zurückgestoßenen bleibt der mühsame, erniedrigende und erfolglose Weg über die Verwaltungsgerichte, um dort die Rückfahrkarte und den Abschiebeknast verpaßt zu bekommen.
Die Zufälligkeit, mit der in Dortmund zwei Ausformungen derselben Sozialpolitik örtlich zusammengeführt wurden, versinnbildlicht den repressiven Charakter des Sozialverwaltungssystems: Sonderbehandlung von Minderheiten mit dem Ziel der Kontrolle und der Selektion, mit der Intention rassistisch vermittelte Klassenspaltung zu schaffen und der stillschweigenden Akzeptanz der Auspressung in ungarantierten Arbeitsverhältnissen.
Wo im letzten Sommer noch aus Zeltstädten und überquellenden Sammellagern dem deutschen Stammwähler die »Asylantenflut« den sicheren Heimatboden wegzuspülen drohte, wo des Volkes Stimmung mobilisiert wurde, um in alter Tradition Fremdenhaß zu säen, wird heute die Einkreisung der hier verbleibenden Flüchtlinge organisiert.
Hatten noch Maßnahmen wie Grenzschließung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und die Kasernierung Gegenkräfte mobilisiert, scheint das Thema »Asyl« nur noch als billiges Profilierungsgequatsche zu den Menschenrechten zu taugen. Die Torturen und die Leideswege der Flüchtlinge der drei Kontinente sind immer noch die gleichen geblieben.
Die Einkreisungspolitik zielt darauf ab, die restlichen Flüchtlinge aus dem Land zu treiben, indem ihnen die Lebensgrundlagen entzogen werden. Die geplante Herausnahme aus dem Bundessozialhilfegesetz und die Schaffung eines Sondergesetzes, das nur noch Gelder bewilligen soll, die dem Lebensstandard in den Heimatländern entsprechen sollen, hungert die Menschen aus.
Die Anerkennungsquote wird systematisch runtergeschraubt. Daß die Flüchtlinge auf diese Weise dem illegalen Arbeitsmarkt zugeführt werden, gehört zum Repertoire kapitalistischer Ausbeutungsmethoden. Einige Branchen setzen zunehmend auf die Vernutzung illegaler Arbeitskraft aus dem Flüchtlingsmilieu.
Im Zusammenhang mit der Leiharbeit und dem staatlichen Zwangsarbeitssystem wird deutlich, daß der Anteil der ungarantierten Arbeit wächst. Gegen diesen Klassenkrieg von Oben müssen die Angriffslinien gegen das System liegen, um die Kampagen gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik auszuweiten zum Kampf gegen die repressive Sozialpolitik und ihren Vermittlungsagenturen.
Unser Angriff auf beide Orte stellt eine Verbindung her, die die Ausweitung der Kampagne thematisiert. Dabei wissen wir natürlich, daß unsere Aktion die Politik der Spaltung und Desorientierung durch die Herrschenden nicht aufhebt und die rassistische Klassenstruktur nicht überwindet. Sie gibt eine Möglichkeit für zukünftige Konfliktlinien an.
Die verbrannten Akten in der Dortmunder Außenstelle des Zirndorfer Amtes sollen den Flüchtlingen eine Atempause verschaffen und ein Beitrag dazu sein, das faktische Aufenthaltsrecht durchzusetzen.
Soziale Revolution gegen imperialistische Flüchtlingspolitik
Sie machen sich nicht selbst die Hände schmutzig. Sie beteiligen sich nicht selbst an Folterungen, Vergewaltigungen oder Hinrichtungen, etwa von kurdischen oder tamilischen Frauen und Männern.
Dennoch - ihre Arbeit ist ein blutiges Geschäft.
Sie sind ein kleines, aber wirksames Rad im internationalen Klassenkrieg gegen die Armen der drei Kontinente. Ihre Waffe ist das Asylrecht. Ihr Schutz die Anonymität des Justizapparates: die Richter an den Asylkammern der westdeutschen Verwaltungsgerichte.
Wenn überhaupt was über die rassistischen Praktiken der Gerichte bekannt wird, sind es die ganz spektakulären Fälle - etwa der Tod eines Schwarzen aus Sierra Leone, der, nachdem er von der 18. Kammer des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts ausgesondert worden war, in seiner Heimat von seinen Verfolgern ermordet wurde - der Täter: Richter Fix.
Die Geschwindigkeit und Präzision, mit der dieser Richter an der »Horrorkammer« abschlägige Urteile gegen Flüchtlinge fällt, hat in Deutschland Tradition. Der zynische Kommentar seines Dienstherrn: der Tod des Schwarzafrikaners seit letztlich ein »schicksalhaftes Geschehen«.
Der alltägliche Horror, die Normalität ist die Aussonderung der Flüchtlinge aus dem Trikont - die Verweigerung ihres Existenzrechts.
Der weitaus größte Teil der weltweit zwangsmobilisierten Flüchtlinge sind Frauen. Die meisten von denen, die es trotz Abschottung der Metropolen überhaupt schaffen herzukommen, sind Männer. Es ist angesichts des 5jährigen Arbeitsverbotes, Bewegungsverbotes, dem Leben in Lagern, der ständigen Unsicherheit ein zweifelhaftes Privileg - aber immerhin noch besser als die Lebensbedingungen der Frauen und Kinder, die in den Flüchtlingslagern der Armutszonen der Welt täglich um ihr Überleben kämpfen müssen - wie z. B. die kurdischen Flüchtlinge in der Türkei, die vor den deutschen Giftgasgranaten [27] aus dem Irak fliehen mußten.
Die Flüchtlingsfrauen [28], die sich hier nicht als Prostituierte in Bordellen wiederfinden oder als Ehefrauen verkauft werden, sondern ihr Recht auf Leben in Form von Asyl einklagen, haben ganz schlechte Karten: sexistische Gewalt ist vor den Gerichten in der BRD kein Fluchtgrund - trotz Folter und Vergewaltigung an Frauen aus dem Widerstand oder von sozialen Minderheiten.
Wird Folter an politischen Gefangenen z.B. aus der Türkei von den Gerichten hier nur als normale Verfolgungsmaßnahme im Staatsschutzinteresse bezeichnet, so charakterisiert das Oberverwaltungsgericht Münster in einer Grundsatzentscheidung sexistische Gewalt gegen Frauen als allgemeine Verfolgungsnahme, die nicht gegen Frauen als Geschlecht gerichtet sei. In diesem konkreten Fall entschied dieses Gericht gegen eine Frau aus Sri Lanka, weil eine Vergewaltigung als ganz normale Erscheinung in Bürgerkriegssituationen kein individuell einklagbares Recht auf Asyl begründen würde.
Wenn Flüchtlingsfrauen überhaupt ein Aufenthaltsrecht zugebilligt wird, dann als Ehefrau eines anerkannten Mannes.
Es ist die Verachtung gegenüber Frauen, die ihnen hier wie dort als Sexismus gegenübertritt. Der Angriff auf die weibliche Identität ist aber auch die Angst der Herrschenden vor dem zunehmenden weltweiten Widerstand von Frauen - dem Widerstand der Besitzlosen, der alle Machtverhältnisse zum Einsturz zu bringen droht.
Wir haben heute am Oberverwaltungsgericht Münster und im Verwaltungsgericht Düsseldorf Sprengsätze gezündet, weil alle, die sich an der Aussonderung und Kontrolle von Flüchtlingen beteiligen, wissen sollen, daß auch sie die Solidarität der Unterdrückten treffen kann.
Wir haben inzwischen gelernt, daß die imperialistische Flüchtlingspolitik nicht geschlechtsneutral ist. Wenn Männer in der Metropole den Kampf gegen institutionalisierte Formen männlicher Macht aufnehmen, dann nicht unter dem Vorzeichen einer angeblichen Gleichheit. Das wäre nichts anderes, als der Ansatz zu einer neuen Dimension des Betrugs.
Denn als Metropolenmänner sind wir selbst Teil des Problems, Profiteure der sexistischen und rassistischen Machtstrukturen. Deshalb ist unser Kampf für die Aufhebung aller Gewaltverhältnisse mit Sicherheit erstmal ein widersprüchlicher Prozeß. Der Bezug auf den weltweiten Widerstand von Frauen und Farbigen muß aber praktisch werden und hier die institutionalisierten Formen des Rassismus und Sexismus angreifen - Solidarität ist ein Kampfbegriff.
Wir knüpfen heute an unsere Kampagne gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik an, die wir begonnen hatten, als im Sommer 86 die rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge als Hetzkampagne gegen »Wirtschaftsflüchtlinge« und »Überfremdung« einsetzte. Ergebnis dieser wohlinszenierten Staatskampagne waren die verschärften Lebensbedingungen für Flüchtlinge und die dichten Grenzen. Die rassistische Ausländerpolitik hier ist Teil einer globalen Bevölkerungs- und Sozialpolitik gegen die arm gemachten Massen der 3 Kontinente. Sie richtet sich gegen ihren Versuch, ihr Recht auf Leben und Existenz hier in den imperialistischen Zentren zurückzufordern. Sie ist aber auch Teil der Sozialpolitik hier zur Neuzusammensetzung der Klasse. Die rassistisch vermittelte Klassenspaltung und der Sexismus sind die einzigen ideologischen Kampfmittel der Herrschenden zur Ablenkung von den sozialen Folgen der kapitalistischen Umstrukturierung, dem Angriff auf den Soziallohn, der Entgarantierung der Arbeitsverhältnisse, den miesen Jobs zu Niedriglohnbedingungen, dem Arbeitszwang für Sozi-Empfänger, die Aussonderung der Alten und Kranken.
Die Propagierung der Kleinfamilie, die Kampagne der Rechten gegen den 218, die Einführung der neuen Reproduktionstechniken sind Teil des Angriffs auf die Identität von Frauen, die sich auch hier zunehmend patriarchalen Strukturen verweigern und widersetzen.
Die Bevölkerungs- und Sozialpolitik ist von ihrem Charakter her sozialdarwinistisch. [29] Das Prinzip der Auslese und Ausmerze wird schon daran deutlich, wie die Verschärfung des Ausländerrechts und die Durchsetzung der Gen- und Reproduktionstechnologien propagiert werden. So sind in der Begründung für ein europäisches Forschungsprojekt »Prädikative Medizin« offen eugenische Kriterien benannt worden. Im ersten Entwurf für ein neues Ausländerrecht wurden nationalistisch-völkische Kriterien in den Gesetzestext wiedereingeführt. Dieser Entwurf verdeutlicht nur die Essenz der Ausländerpolitik: die Abschottung der Herrenmenschen vor den unnützen Essern, den Farbigen des Trikonts und gleichzeitig ihre Verwertung als Arbeitsvölker. Nach den Plänen für das neue Ausländerrecht wird es für die schon aus der Zeit vor dem Anwerbestop 1973 hier arbeitenden ImmigrantInnen minimale Verbesserungen geben, für alle anderen gibt es keinen gesicherten Aufenthalt. Die Bestimmungen sind so vage gehalten, daß die Ausländerbehörden, je nach den Erfordernissen des Arbeitsmarktes und politischem Wohlverhalten, befristete Arbeitserlaubnisse erteilen können. Die de-facto-Flüchtlinge sollen konsequent abgeschoben werden.
Die Aufnahme von hunderttausenden von Flüchtlingen aus Osteuropa steht zur restriktiven Ausländerpolitik nicht im Gegensatz: die Aussiedler werden zum begehrten Objekt zur Sicherung der Niedriglohnpolitik, analog der Adenauerschen Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik in der Nachkriegszeit. Sie werden aber auch selbst zum Objekt des Rassismus in der Gesellschaft.
Die Tatsache, daß an den Grenzen der BRD heute ein NSDAP-Mitgliedsbuch mehr gilt, als die Folterspuren am Körper einer Farbigen, weist auf eine Kontinuität europäischer Großraumpolitik seit dem Nationalsozialismus hin.
So ist die Vereinheitlichung der Flüchtlingspolitik zum Schmiermittel zur Durchsetzung der Vereinigten Staaten von Europa geworden, des Europa der Bullen und Bonzen, im Interesse der Multis. Gegenstand vieler Konferenzen und Verträge im Vorfeld des europäischen Binnenmarktes, wie TREVI [30] und Schengener Abkommen [31], waren immer die Vereinheitlichung der Sicherheitsapparate und die Ausländerpolitik. Es geht dabei um nicht weniger, als den Entwurf einer modernisierten Innen- und Sozialpolitik im europäischen Großraum. Dabei sind die einheitlichen Mechanismen zur Zwangsmobilisierung der Arbeitskräfte aus den angrenzenden Armuts- und Aufstandsregionen des Nahen Ostens (einschließlich der Türkei) und Nordafrikas von besonderer Bedeutung.
Wir hatten unsere Kampagne gegen die imperialistische Flüchtlingspolitik im Herbst 86 als Vorschlag an die gesamte autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD formuliert.
Wir gehen nach wie vor davon aus, daß Antiimperialismus in der Metropole nur konkret werden kann, wenn er sich auf gesellschaftliche Konflikte hier bezieht und sich ins Verhältnis setzt zu einem möglichen Klassensubjekt in der Metropole und gleichzeitig zu den Kämpfen der Massen in den drei Kontinenten. In diesem Zusammenhang sehen wir auch unsere Aktionen gegen transnationale Konzerne hier zur Unterstützung des Befreiungskampfes im südlichen Afrika.
Auch wenn unser Vorschlag nicht massenhaft praktisch aufgegriffen wurde, so waren die Auseinandersetzungen um die Kampagne gegen das Treffen des internationalen Mordkartells in Berlin [32] ein wichtiger Schritt zur Entwicklung eines antiimperialistischen Bewußtseins der Linken.
Daß der Feind aber nicht schläft, ist schon nach den Schüssen an der Startbahn [33] deutlich geworden. Die Schüsse waren nur der Auftakt einer Verfolgungswelle, mit der der Staat versucht, all die politischen Ansätze der letzten Jahre und die Entwicklung des militanten Widerstandes seit Anfang der 80er einzudämmen. Durch den permanenten Belagerungszustand, die Ausweitung der Anti-Terror-Gesetze, den verstärkten Einsatz geheimdienstlicher Mittel, ist die radikale Linke seitdem auf sich selbst zurückgeworfen.
Die Repression wird aber nicht im Protest gegen die Repression selbst gebrochen, sondern durch die Verankerung sozialrevolutionärer Politik.
Die politische Entwicklung in diesem Land, insbesondere die Wahlerfolge neofaschistischer Gruppen [34], haben uns darin bestätigt, daß antiimperialistische Politik in der Metropole nur dann eine Perspektive hat, wenn sie gleichzeitig auch eine Antwort ist auf soziale Fragen: Das Herz des Staates ist das Bewußtsein der Unterdrückten - Revolution ist ohne den Kampf um die Köpfe der Menschen nicht denkbar.
Wir hatten nie die Illusion, daß Teile der proletarischen Jugend, der Frauen, der Arbeitslosen oder anderer Teile der Gesellschaft rasch gemeinsame Interessen mit Flüchtlingen und ImmigrantInnen entwickeln würden, dafür greift der Sexismus und der Rassismus nur zu gut. Antiimperialismus muß aber genau dort angesiedelt sein und diesen Knoten durchschlagen.
Den Befreiungskampf der Frauen und Farbigen in den drei Kontinenten aufgreifen -
den antiimperialistischen Kampf im »Herz der Bestie« führen!
Morgens hörst du die Nachrichten: »Bundesinnenminister Schäuble schlägt vor, daß die west- und osteuropäischen Länder eine abgestimmte und umfassende Abwehrstrategie gegen die Einreise von Flüchtlingen entwickeln sollen.
Du gehst beim Bäcker vorbei. Im Laden hörst du, wie die Verkäuferin zur Kundin sagt: »Da muß man aufpassen, die klauen doch immer.« Sie meint einen Mann mit schwarzer Hautfarbe, der vor dem Ladenregal steht.
Mittags schlägst du die Zeitung auf und liest die Überschrift: »Brandanschlag auf Flüchtlingswohnheim. Einige BewohnerInnen wurden mit Rauchverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.«
Du fährst in die Stadt. Unterwegs triffst du eine kurdische Genossin. Sie erzählt dir, daß ihre vor einer Woche abgeschobene Freundin in der Türkei festgenommen wurde. Sie haben sie mehrere Tage gefoltert. Abends gehst du in deine Szene-Kneipe. Dort hängt ein Plakat:«Internationales Fest für Völkerverständigung mit ausländischem Essen und afrikanischer Trommelmusik.«
Das ist sicherlich nur ein Ausschnitt von dem, was wir täglich hören, lesen und sehen. Beispiele für den alltäglichen Rassismus und Vernichtungswillen, dem die hier lebenden Flüchtlinge und ImmigrantInnen permanent ausgesetzt sind. Situationen, die auch bei uns Wut und Haß gegen die dafür Verantwortlichen hervorrufen.
Doch durch unsere politische Arbeit wissen wir, daß Betroffenheit alleine keine ausreichende Grundlage für kontinuierliches politisches Handeln ist. Denn erst das Analysieren der Herrschaftsverhältnisse, daß z.B. Rassismus ein integraler Bestandteil der imperialistischen Ausbeutung ist und daß diese durch die rassistische Sozialisation jeder und jedes einzelnen gesellschaftlich abgesichert wird, macht es uns möglich, Ansatzpunkte für einen revolutionären Widerstand zu finden. Hinzu kommt, daß Betroffenheit allein dazu führen kann, in Flüchtlingen und Immigrant/inn/en nur die Opfer zu sehen, anstatt auch ihren tagtäglichen Widerstand gegen die hier bestehenden Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse wahrzunehmen.
Es ist notwendig, daß wir unsere rassistische Sichtweise ablegen und unseren Blickwinkel erweitern: Ob in überfüllten Sammellagern oder auf Dörfern in der Ex-DDR, ob auf Ämtern oder auf der Straße - überall kämpfen sie gegen ihre Diskriminierung und für ein menschenwürdiges Leben. Sie organisieren sich und machen Demonstrationen, Besetzungen, Hungerstreiks und andere Protestaktionen.
Herrschaftsabsicherung auf unterster Ebene
Die Ausländerbehörde spielt für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en eine zentrale Rolle. Permanent sind sie mit dem institutionalisierten Rassismus dieser Behörde konfrontiert.
Auf der Grundlage des Ausländergesetzes und anderer Sondergesetze wird hier über Aufenthaltsstatus, Arbeitserlaubnis oder Ausweisung entschieden. Neben diesem in Gesetze gegossenen Rassismus treffen Flüchtlinge und Immigrant/inn/en auf den Rassismus der Schreibtischtäter/innen und müssen sich gegen deren Willkür, Schikanen und Erniedrigungen zur Wehr setzen. Die Beamt/inn/en spielen in vielen Fällen ihre Macht aus, z.B. wenn sie Flüchtlingen die notwendige Erlaubnis zum Besuch von Familienangehörigen in einem anderen Landkreis verwehren. Immer bleibt Flüchtlingen und Immigrant/inn/en das Gefühl, hier nicht erwünscht zu sein, den herrschenden Normen in den Metropolen nicht zu entsprechen, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen: sei es die richtige Hautfarbe oder das richtige Geschlecht, sei es ausreichender Wohnraum oder die angepaßte politische Überzeugung, sei es die falsche Kultur oder Religion, sei es die unbrauchbare Arbeitskraft oder die Herkunft aus dem Trikont. Die Mechanismen zur Absicherung der imperialistischen, rassistischen, patriarchalen Herrschaft greifen auf unterster Ebene: Die Beamt/inn/en selektieren Flüchtlinge und Immigrant/inn/en nach deren Verwertbarkeit. Die Beamt/inn/en kontrollieren deren Alltag und politische Aktivitäten. Die Beamt/inn/en leiten die Abschiebung ein, wenn Flüchtlinge und Immigrant/inn/en nicht oder nicht mehr verwertbar sind. Auch einzelne, sozial eingestellte Beamt/inn/en ändern nichts an der Tatsache, daß sie Handlanger/innen der imperialistischen Migrationspolitik sind.
Das Unrecht ist nicht anonym. Es hat einen Namen und eine Adresse (Brecht)
Zum Beispiel das Ausländeramt in der Steinbeisstraße in Böblingen. Am 22.8.91 haben wir bei diesem Amt einen Sprengsatz gezündet.
Mit der Einführung des neuen Ausländergesetzes am 1.1.91 eröffneten die Herrschenden in der BRD eine neue Etappe gegen die Menschen aus Nicht-EG-Ländern. Es ist die Grundlage für die am 3. Mai auf der Innenministerkonferenz beschlossene Abschiebung von De-Facto-Flüchtlingen. Über 50.000 Menschen, die bisher »wegen der besonderen Lage im Heimatland« aus humanitären Gründen in der BRD geduldet wurden, sollen jetzt wieder der Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt werden. Gegen die angekündigten Massenabschiebungen regte sich überwiegend aus dem humanistisch-christlichen Spektrum Protest, der dazu beigetragen hat, daß es am 15. Juli zu einer erneuten Innenministerkonferenz kam. Die Herrschenden änderten die Modalitäten der Abschiebungen und einigten sich auf eine Salami-Taktik. Der bisher praktizierte generelle Abschiebstopp für Flüchtlinge aus bestimmten Ländern wurde beseitigt. Flüchtlinge sollen, je nach Herkunftsland, zeitlich versetzt abgeschoben werden. Daß diese Politik jetzt nur noch die ab dem 1.1.89 eingereisten De-Facto-Flüchtlinge betreffen soll, ändert nichts am Zynismus der BRD, Menschen überhaupt in Krisen- und Kriegsgebiete abzuschieben. Diese aktuelle Regelung entspricht voll und ganz den bürokratischen und organisatorischen Möglichkeiten der Abschiebebehörden. Wir sehen dahinter das Ziel, das reformistische und christliche Spektrum zu beruhigen und den gemeinsamen solidarischen Widerstand der Betroffenen zu spalten und isolieren. Den von Abschiebung bedrohten De-Facto-Flüchtlingen bleibt nur noch die Möglichkeit der Einzelfallprüfung. Etliche wissen, daß dieser Weg aussichtslos ist und reisen statt dessen »freiwillig« aus, bzw. versuchen, illegal in ein anderes Land zu kommen.
Krieg gegen die Immigrant/inn/en und Flüchtlinge - Abschottung und Selektion
Innerhalb der EG wird es für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en schon vor dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens zunehmend schwerer, sicher zu leben. So will z.B. Frankreich rigoros gegen legale und illegale Flüchtlinge vorgehen und über 70.000 von ihnen abschieben. Ein französischer Regierungssprecher nennt diese Politik gegen die illegalen Immigrant/inn/en konsequenterweise »Krieg«.
Es ist ein Krieg in Italien, der mit brutalster Härte gegen albanische Flüchtlinge geführt wird. Die italienischen Behörden schrecken nicht davor zurück, tausende von Menschen im Stadion von Bari zu internieren, um sie dann zu deportieren. Durch die absichtlich ungenügende Versorgung mit Lebensmitteln, die miserable ärztliche Betreuung und den Einsatz von Waffen, haben sie Verletzte und Tote in Kauf genommen.
Es ist ein Krieg, der Flüchtlinge oft schon umbringt, wenn sie z.B. aus dem Maghreb unter lebensgefährlichen Bedingungen übers Meer nach Spanien fliehen müssen. An den Grenzlinien zwischen Nord und Süd wird der Krieg bald die Form des Krieges der USA annehmen, die schon jahrelang am Rio Grande auf die Immigrant/inn/en aus dem Süden schießen.
Inzwischen ist überall in den Metropolenstaaten offensichtlich, wie dieser Spezialkrieg aussieht und sich entwickeln wird. Die bürgerlichen Medien verbreiten im Sinn der Herrschenden das Schreckensszenario von einer »Flüchtlingsflut«, als ob nicht bekannt wäre, daß die Mehrheit der Migrant/inn/en (80 % davon sind Frauen und Kinder) innerhalb des Trikonts selbst flüchten. Nur ein geringer Teil der Menschen, die auf der Flucht sind, kommen bis nach Europa. Genauso bekannt ist, daß die imperialistische, patriarchale und rassistische Ausbeutungspolitik der Metropolenländer zur massiven Zerstörung der Subsistenzwirtschaft im Trikont beiträgt. Das ist eine der Hauptursachen für die weltweite Migrationsbewegung.
Die Folgen dieser Zerstörung treffen Frauen und Männer unterschiedlich. Frauen haben im Gegensatz zu Männern weit weniger die Möglichkeit zu Lohnarbeit in weiter entfernten Ländern oder anderen Kontinenten. Sie sind weniger mobil, weil sie die Versorgung der Familie leisten müssen. Wenn sie flüchten, flüchten sie zumeist in Nachbarregionen oder in angrenzende Länder, vegetieren in Flüchtlingslagern dahin oder versuchen ihr nacktes Überleben in den Großstadtslums zu organisieren. »Bestenfalls« werden die jüngsten und gesündesten von ihnen in den Weltmarktfabriken vernutzt. Vielen Frauen bleibt nichts anderes übrig, als sich als Prostituierte über Wasser zu halten. Nicht selten müssen sie sich an weiße Sextouristen verkaufen.
Erst in den letzten Jahren kommen aus bestimmten Trikontländern und Osteuropa mehr Frauen als früher in die reichen Metropolen. Hier erwartet sie eine patriarchale Gesetzgebung, die sie zum rechtlosen Anhängels der (Ehe-)Männer macht und ein sexistisches Klima, das sie zwingt, sich und ihren Körper für die rassistisch-sexistischen Interessen weißer Männer zu prostituieren. Die Frauen haben auch in den Metropolen die Aufgabe, »ihre« Männer zu reproduzieren. Frauenspezifische Fluchtgründe werden im Asylverfahren nicht anerkannt. Als Ehefrauen erhalten sie kein eigenständiges, gesichertes Aufenthaltsrecht.
Nur wenige Frauen und Männer haben das oft zweifelhafte Glück, den Weg in den reichen Norden zu schaffen. Sie sind die sinnlich erfahrbare Rückwirkung der Folgen der imperialistischen Ausplünderung, der ökologischen Zerstörung und der dadurch entstehenden Kriege und Befreiungskämpfe.
Dazu schreiben Immmigrant/inn/en: »Heute, wo fast 20 Millionen ImmigrantInnen in den europäischen Staaten leben, kann niemand mehr die Realität verdrängen, daß aus der Armut eine Völkerwanderung stattfindet: zu dem Reichtum.
Ursachen für diese Völkerwanderung sind 500jährige Kolonialgeschichte, neue kolonialistische und gegenwärtige Export- und Kriegswirtschaft. Aufgrund dieser jahrhundertelangen kolonialistischen und imperialistischen Ausbeutungspolitik herrscht im größten Teil der Welt Hunger und Armut. Und aufgrund dieser Politik sind die in den Metropolen lebenden Menschen privilegiert und leben im Wohlstand. Deshalb sind die Menschen, die aus der Armut zu dem Reichtum immigrieren, berechtigt, hierzubleiben. Egal, aus welchem Grund sie da sind. Diese Migration ist als eine Art Kriegsführung zu verstehen. Gegenüber den Armutsverursachern und als eine Art Manöver, um vorzuzeigen, daß sie berechtigterweise Anspruch auf die jahrhundertelang geraubten Güter geltend machen werden.« (aus: radikal 142)
Diese alte »neue« Weltordnung, die jetzt gegenüber den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en die letzten Masken fallen läßt, zeigt offenkundig für jede/n, die und der es sehen will, wie der imperialistische Weg als globales Modell faktisch funktioniert. Der Status quo kann in den reichen, relativ befriedeten Metropolen nur abgesichert werden, wenn 3/4 der Welt abgehängt werden. Systematische Verelendung und Vernichtung sind das Prinzip. Daß hierbei inzwischen etliche Länder und halbe Kontinente als Ausschuß betrachtet und abgeschrieben werden, juckt die wenigsten Metropolenbürger/innen.
In Europa setzt die BRD-Politik den Maßstab für den Abwehrkrieg, den andere europäische Staaten übernehmen müssen. Die Herrschenden bereiten sich darauf vor: rechtlich, politisch, ideologisch, militärisch. Sie werden sich die menschlichen Rosinen sprich: (aus-)gebildete, leicht integrierbare Menschen aus dem Trikont und zukünftig auch aus der Sowjetunion und Osteuropa herauspicken und den Rest - sofern nicht kurzfristig verwertbar - abschieben.
Reuter von Daimler-Benz und Geißler von der CDU sind sich gegenüber der deutschen und europäischen Rechten einig: »Einwanderung im richtigen Maß« ist die Zukunftsparole. Welches Maß das ist, können wir uns denken. Flüchtlinge und Immigrant/inn/en sind dann kein Problem, wenn sie sich kontrolliert für die Absicherung des »beutemachenden Lebensstils« einsetzen lassen. Ob als billige, nicht aufmuckende Hamburgerproduzent/inn/en bei MacDonalds ob als tschechoslowakische oder polnische Saisonarbeiter/inn/en in Bauwesen, Landwirtschaft oder Gastronomie, ob als zwangsarbeitende Flüchtlinge für 2,50 DM die Stunde im bayrischen Wald, ob als erotisch-exotische Prostituierte und/oder Hausfrauen oder ob sie als Unterhaltungskünstler/innen den öden deutschen Alltag bereichern, so sind sie willkommen.
Der Selektionskatalog ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Abschottungs- und Abschiebepolitik. Europaweit werden Flüchtlinge und Immigrant/inn/en aussortiert, gezielt eingesetzt, geschlechtsspezifisch vernutzt, ausgetauscht und kontrolliert. Es ist wichtig, daß ihre potentielle Verwertbarkeit schnell genug herausgefunden werden kann - die europäischen Selektionsexpert/inn/en stehen schon bereit.
Wer aussortiert wird - wie z.B. die Roma - gelangt in Zukunft kaum wieder in die reichen europäischen Metropolenländer. Roma sind immer die letzten, die hier gebraucht werden und erwünscht sind, und sie sind immer die ersten, die abgeschoben werden.
So funktioniert neben dem Sexismus ein sich multikulturell gebender, aber knallhart kalkulierender Rassismus als Herrschaftsinstrument.
Die Hilflosigkeit der Linken
Immigrant/inn/en und Flüchtlinge, die hierher kommen, handeln im Sinne der Wiederaneignung ihrer Lebenschancen, ihrer Gesundheit und ihrer Würde. Das ist den Herrschenden - im Gegensatz zur metropolitanen Linken -längst klar. Dazu schreiben die Immigrant/inn/en: »Aber leider kann der größte Teil der antiimperialistisch und antikapitalistisch gesinnten Linken in diesem Land diesen antiimperialistischen Ansatz nicht verstehen. Dieser Migrationsprozeß, der aus der Vertreibung und Entwurzelung von Millionen resultiert, der auch als Rache der Enterbten und als Kampfansage gegen das Kapital verstanden werden soll, läßt die deutsche Linke in Hilflosigkeit und Lähmung fallen.« (aus: radikal Nr. 142)
Wenn sich die Linke »nur« über die Abschiebeseite der Migrationspolitik entrüstet und die Seite der selektiven Verwertung in ihrem postmodernen Lebensstil ausblendet, trägt sie damit ihren Teil zur Zementierung der globalen Ausbeutungsverhältnisse bei. Der »Gewinn«, der immer noch abfällt, korrumpiert und vernebelt den Blick gegenüber den patriarchalen, rassistischen und imperialistischen Interessen. Er läßt den Protest gegen Abschiebungen als Krokodilstränen daherkullern und lähmt die Entwicklung eigener radikaler Handlungsansätze.
Was tun? Was tun!
Die Entscheidung, der herrschenden imperialistischen Flüchtlingspolitik Widerstand entgegenzusetzen, ist eine praktische Konsequenz aus unserem antiimperialistischen Verständnis. Denn die Solidarität endet nicht bei der Unterstützung von Befreiungsbewegungen, sondern zeigt sich auch in unserer praktischen Solidarität mit den Flüchtlingen und Immigrant/inn/en hier. Sie findet ihren notwendigen Ausdruck im Angriff auf die Verantwortlichen für die Ausländergesetze, auf die Schreibtischtäter/inn/en, Abschiebeschweine und Gesetzesvollstrecker/innen mit weißen Kragen.
Antiimperialismus hat zwar immer eine wesentliche Rolle in linker Theorie und Praxis gespielt, aber die patriarchalen und rassistischen Grundlagen der weltweiten Ausbeutungsverhältnisse sind erst in den letzten Jahren ansatzweise Bestandteil im linksradikalen Spektrum geworden.
Wir kämpfen für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Dazu müssen wir die verschiedenen Unterdrückungformen und die gesellschaftlichen Widersprüche benennen, die wir abschaffen wollen. Mit Freiheit verbinden wir die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen weltweit und das Ende aller patriarchalen und rassistischen Gewaltverhältnisse.
Wir werden hier als weißer Zusammenhang für antirassistische Lebensvorstellungen kämpfen und das in einer eigenständigen Auseinandersetzung und politischen Praxis umsetzen. Dabei gibt es für uns nach wie vor mehr Fragen als fertige Antworten. Unser Ausgangspunkt unser politisches Ziel und unsere politische (Alltags-)Praxis müssen sich deshalb immer wieder der Diskussion stellen und hinterfragen lassen. Unsere Glaubwürdigkeit ergibt sich nicht nur aus Schreibtischanalysen, sondern entscheidend auch aus unserer Praxis.
Wir solidarisieren uns mit Flüchtlingen und Immmigrant/inn/en und beziehen dabei Position. Fehler und Widersprüche werden sich immer wieder herausstellen.
Wir kämpfen nicht stellvertretend für Flüchtlinge und Immigrant/inn/en, doch wir haben die Hoffnung, daß wir perspektivisch eine politische Kraft entwickeln, gemeinsam mit ihnen genauso wie mit anderen gesellschaftlichen Gruppen.
Eigenständige Organisierung und Praxis sehen wir als Basis für diese Perspektive. Wie die Zusammenarbeit aussehen kann, ob in Bündnissen oder in gemischten Zusammenhängen, wird sich zeigen. Für uns stellt sich die Frage, was wir dazu beitragen können und welche Voraussetzungen wir von unserer Seite aus schaffen müssen. Als weiße Linke und als weiße Feministinnen profitieren wir von rassistischer Unterdrückung und wissen, daß es nicht ausreicht, die Vorteile, die uns dieses System bietet, zurückzuweisen und so zu tun, als ob wir uns einfach auf die andere Seite stellen könnten. Als weiße Männer und Frauen müssen wir uns bewußt machen, daß wir in einer langen Geschichte von kolonialistischer und imperialistischer Ausplünderung der Welt und dem vielfältigen Widerstand der Menschen dagegen stehen.
Wir sehen die schwierige, aber unumgängliche Aufgabe, dieses historische Erbe genau aus unserer Situation als metropolitane Linke aufzuarbeiten und uns kritisch anzueignen.
Es ist ein theoretischer und praktischer Prozeß, der nicht individuell, glatt und platt gelingen kann, sondern mit Menschen aus dem antiimperialistischen Widerstand, mit Flüchtlingen und Immigrant/inn/en allmählich erarbeitet werden muß. So kann internationale Solidarität lebendig werden und indem sie praktisch wird, können wir sie gegen die Verantwortlichen für die imperialistische Zerstörung richten, ohne unsere metropolitane Geschichte zu verleugnen.
Aus diesem internationalistischen Verständnis heraus verstehen und erleben wir die Abschaffung rassistischer Spaltungs-, Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen als Teil unserer eigenen Befreiung und als Teil der Befreiung von sämtlichen Machtstrukturen. Es wird ein langer widerspruchsvoller Weg sein, zu dem es keine Alternative gibt.
Es geht darum, die alltägliche Gewöhnung an rassistische und sexistische Übergriffe zu durchbrechen, uns zu sensibilisieren und schlagkräftig zu werden auf allen politischen Ebenen. Das bedeutet auch, die ausländerbehördliche Praxis vor Ort aus dem Schatten der Anonymität zu reißen, die Orte des rassistischen Alltags, der vielen Flüchtlingen und Immigrant/inn/en gerade dort begegnet, ans Licht zu bringen und anzugreifen. Die Arbeit der Abschiebeschweine muß be- und verhindert werden, wo es uns möglich ist. Wir wissen, daß sich im Moment nur wenige Menschen hier in den Metropolen mit Flüchtlingen und Immigrant/inn/en solidarisieren.
Doch unser Kampf hat zum Ziel, genau diese Solidariät zu entwickeln, um damit den Herrschenden ihre Spaltungs- und Ausbeutungswerkzeuge zu entreißen.
Uneingeschränktes Bleiberecht für Sinti und Roma!
Als im April 1919 bewaffnete Arbeiter der Münchner Räterepublik das Polizeipräsidium besetzten, da flogen zusammen mit den Akten der politischen Polizei auch tausende von »Zigeuner«-Personalakten aus den Fenstern und gingen im Hof in Flammen auf. Die revolutionären Arbeiter vernichteten die Aktenbestände der bereits 1899 in Bayern eingerichteten »Zigeunerzentrale«, die mit den damals verfügbaren modernsten Polizeimethoden und in Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden im ganzen Reich das Ziel einer zentralisierten und totalen Registrierung und Überwachung der in Deutschland lebenden Sinti und Roma verfolgte.
Die Episode wirft ein Licht auf die Tradition, in der die Kölner Sozial- und Ordnungsbehörden siebzig Jahre später eine »Zigeunerdatei« über alle in Köln lebenden heimatlosen Roma angelegt haben. Seit 1986 wurden im Rahmen des sogenannten »Kölner Modells« der Roma-«Betreuung« umfangreiche Daten gesammelt, die sämtliche Lebensbereiche der Kölner Roma erfassen. Im Zusammenspiel von Ordnungs- und Sozialbehörden, Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz diente das Material nicht nur dazu, im tagtäglichen Kleinkrieg von Kontrolle, Diskriminierung und Terrorisierung den Roma das Überleben so schwer wie möglich zu machen. Es begründet heute die Forderung und Androhung der Abschiebung gegen Roma-Familien durch die Kölner Sozialbehörde und das Ausländeramt.
Wir sehen den Skandal dieses Vorgangs nicht in dem einen oder anderen Verstoß gegen den Datenschutz, vielmehr in der Normalität und Kontinuität der rassistischen Sondererfassung und Sonderbehandlung, der die Roma immer noch ausgesetzt sind.
Wer sich auch nur im Ansatz mit der Geschichte der Verfolgung von Sinti und Roma in Deutschland beschäftigt, dem erscheint die fast bruchlose Kontinuität unfaßbar, mit der die gleichen Institutionen der Verfolgung unter wechselnden Namen, aber mit den immer gleichen Methoden, Inhalten und Personal den sozialen Krieg gegen die »Zigeuner« organisierten, um durch Zwangsassimilierung, Kriminalisierung, Vertreibung und die schließliche Vernichtung im Nationalsozialmus ihre Lebensgrundlage und Lebensweise zu zerstören. Das Instrumentarium der lückenlosen Ausforschung, Überwachung und Sozialkontrolle war dabei immer Basis und Vorausetzung für alle weiteren staatlichen Maßnahmen zur Drangsalierung, die im Völkermord an einer halben Million Sinti und Roma ihren Höhepunkt fand.
Die Bestände der Münchener »Zigeunerzentrale«, deren Akten den revolutionären Arbeitern in die Hände gefallen waren, wurden nach Niederschlagung der Räterepublik schnell wieder aufgebaut. Ihre Tätigkeit läßt sich bis in den Nationalsozialismus weiterverfolgen, wo sie durch Erlaß Himmlers [35] in die »Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens« als Teil des Reichskriminalpolizeiamtes und des Reichssicherheitshauptamtes überführt wurde. Die Aufgaben der modernisierten und neustrukturierten Reichszentrale bleiben dieselben. Der Bruch, den der NS markiert, liegt darin, daß er der alltäglichen verwaltungsmäßigen Repression den Vernichtungswillen hinzufügte, der die Sinti und Roma in die Gaskammern und vor die Gewehrläufe der Einsatzgruppen [36] in den besetzten Gebieten zwang. Gleichzeitig stellte der NS die bisherige rassistische Verfolgung durch die Verstaatlichung der Rassentheorie und Rassenforschung auf eine »wissenschaftliche« Grundlage.
Zum wichtigsten Instrument der Verfolgung der »Zigeuner« im NS wurde die »Rassenhygienische und erbbiologische Forschungsstelle« des Dr. Ritter, die ab 1937 im Auftrag und mit Unterstützung des Reichssicherheitshauptamtes die »Rassische« Erforschung und Selektion der Sinti und Roma vorantrieb. Die Gutachten und Empfehlungen des »Rassenhygieneinstituts« bstimmten richtungsweisend alle staatlichen Maßnahmen der Ausgrenzung, Umsiedlung, Deportationen, Ghettoisierung, Zwangssterilisierung und am Ende den Völkermord an Sinti und Roma. Der weitgehende Abschluß der »wissenschaftlichen« Erfassung und »rassischen« Begutachtung und die darauf aufbauenden Empfehlungen bildeten die Datenbasis für Himmlers »Auschwitz-Erlaß«, mit dem die systematische Deportation der deutschen und europäischen Sinti und Roma in die Vernichtungslager begann.
Das Instrumentarium und Personal der »Zigeuner«-Verfolgung überlebte den NS beinahe bruchlos. Der Geist der Ausmerze bestimmte auch nach 1945 das Vorgehen gegen die Sinti und Roma in Deutschland. Schon 1953 wurde in Bayern die »Landfahrerzentrale« beim LKA unter Leitung von Josef Eichberger - im RSHA der hauptverantwortliche Organisator von »Zigeuner«-Deportationen - eingerichtet. Sie arbeitete auf der gesetzlichen Grundlage der von den Alliierten bis dahin aufgehobenen »Landfahrerordnung«, mit der die überlebenden Sinti und Roma nun wieder sondererfaßt und -behandelt wurden.
Teile der NS-«Zigeunerakten«, die die Unterlagen zur Planung und Durchführung des Völkermordes an Sinti und Roma bildeten, gelangten in den Besitz der gerade eingerichteten »Landfahrerzentrale«. Sie dienten der Reorganisation des polizeilichen Überwachungssystems auf der Basis der Erkenntnisse der nazistischen »Zigeunerforschung«. Gleichzeitig stellt das LKA in München den Ritter-Schülern NS-Rasseakten als empirisches Material für ihre »wissenschaftlichen« Abhandlungen zum »Zigeunerproblem« zur Verfügung. Aus diesem Personal rekrutierten bis in die 70er Jahre das Bundesinnenministerium und das Bundesgesundheitsministerium ihre »Berater in Zigeunerfragen«. Die bayrische »Landfahrerzentrale« wurde zwar 1970 offiziell aufgelöst. Die polizeiliche Überwachung und Verfolgung der Sinti und Romas speist sich aber noch bis heute aus dem Material, Methoden und Inhalten der »Zigeunerexperten« jener Tage. Ihr Wissen ist für die Herrschenden umso wichtiger, als im Zuge der sozialen und politischen Veränderungen in Europa die Anwesenheit von Sinti und Roma in der BRD wieder aktuell wird.
In den letzten Jahren kamen sie besonders aus den südosteuropäischen Ländern auf der Flucht vor staatlich betriebener und geduldeter Verelendung, Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung. In den nächsten Jahren erwarten die europäischen Sozial- und Bevölkerungsplaner im Zuge der Herstellung des Großraums Europas den Zuzug weiterer »Zigeunergruppen« aus den Südregionen der EG. Sie wollen in ihnen diejenige europäischen Bevölkerungsgruppe ausgemacht haben, die am schnellsten wächst und aufgrund ihrer Mobilität auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und Verelendung am ehesten in den reicheren Norden drängt. Offen und unverhohlen wird deshalb auch die gegenwärtige Politik der Vertreibung südosteuropäischer Sinti und Roma mit der Furcht vor dem Nachzug vieler Tausend begründet, wenn den bereits Ansässigen erst ein Bleiberecht eingeräumt wird.
So schändlich die rassistische Behandlung der Sinti und Roma in den Ländern des real existierenden Sozialismus auch ist, der Teufelskreis aus Verelendung, Vertreibung und Flucht ist für sie im »freien Westen« nicht aufgebrochen. Nur die wenigsten von ihnen besitzen hier einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Für die meisten ist das Leben in polizeilich überwachten Lagern und auf Stellplätzen, miserable Existenzbedingungen, ständige Schikanen durch Behörden und Bevölkerung und die Unklarheit über das weitere Schicksal Realität. Unbemerkt von der Öffentlichkeit versuchen die Ausländerbehörden seit Jahren, die hierher geflohenen Sinti und Roma wieder loszuwerden. Die Abschiebungen wurden - z.B. in Hamburg und NRW - immer nur für kurze Zeit und nur unter dem Druck und durch den Widerstand der Betroffenen und ihrer Unterstützer ausgesetzt, während anderswo weiter abgeschoben wurde.
Eingekeilt in die Alternative: Zwangsassimilierung oder Vertreibung setzen die Behörden Sinti und Roma sozialpädagogischen und polizeilichen Sondermaßnahmen aus, bei denen die »Betreuung« oft zur Vollzugshilfe für Polizei und Abschiebungen wird. Dabei ist von vornherein klar, daß nur wenige auf einen gesicherten Aufenthalt hoffen können. Das Bleiberecht ist an kaum erfüllbare und im Ermessen der Behörden stehende Kriterien der Zwangsintegration und -assimilierung gekoppelt, mit dem die Verantwortlichen über ein Selektionsinstrument und ein abgestuftes System der Hierarchisierung und Kontrolle verfügen, das darüber entscheidet, wer bleiben darf und wer nicht. Im Wissen um die Langlebigkeit einmal erhobener Daten (NS-Akten wurden noch in den 80er Jahren EDV-isiert) haben wir uns in den Besitz von Aktenbeständen der Kölner »Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten« gebracht. Wir haben gleichzeitig der Forderung der Roma und ihrer Unterstützer nach Schließung der Projekte des »Kölner Modells« Nachdruck verliehen, indem wir die Räumlichkeiten und das zurückgebliebene Material in Flammen gesetzt haben.
Die »A+B-Stelle«, dem Kölner Ordnungsamt unterstellt, ist eines der beiden Projekte, in dem die Ausforschung der Roma organisiert wurde. In rund 80 Ordnern wurden hier Sozialdaten über Lebensgewohnheiten, Personen und Familienstrukturen der Kölner Roma festgehalten. Aus dem gesammelten Material haben sich Polizei und Ausländerbehörden bedient und ihre Informationen im Kleinkrieg gegen die Roma bezogen. Seit Anfang August steht die Androhung der Abschiebung durch die Kölner Ausländerbehörden im Raum: begründet und legitimiert mit den Erkenntnissen der »A+B-Stelle«.
Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, daß das Asylrecht als Teil des Instrumentariums der Ausgrenzung und Abschottung gegen Sinti und Roma funktioniert: ohne jede Aussicht auf Erfolg und entgegen den realen Gründen und Ursachen, die sie zur Flucht aus den Herkunftsländern veranlaßt haben, durchlaufen Sinti und Roma das Anerkennungsverfahren als politisch Verfolgte. Danach steht ihr Aufenthalt zur Disposition der Ausländerbehörden. Wenn die Abschiebungsmaßnahmen gegen Sinti und Roma in den nächsten Wochen wieder aufgenommen werden, dann wird ein gespenstisches Szenario wahr: die »Züge in die Freiheit« [37], mit denen die DDR-Bürger in die BRD gelangen, kreuzen sich an den Grenzen nach Osteuropa mit den Deportationszügen, die Sinti und Roma in die verelendeten Regionen Europas transportieren.
Das restriktive Asylrecht und die ethnisch-völkisch legitimierten Aufenthaltstitel der Staatsbürgerschaft erweisen sich denn einmal mehr als selektives Instrument der Einwanderungskontrolle in den Händen der Herrschenden, die Flüchtlinge entlang rassistischer und nationalistischer Kriterien spalten und entscheiden, wem die Segnungen der westlichen »Freiheit und Demokratie« zustehen und wem nicht. Was bedeutet Freizügigkeit für die Arbeitsemigranten aus Nicht-EG-Ländern, für die vom Giftgas vertriebenen Kurden oder diejenigen, die in den Hunger- und Bürgerkriegsregionen ums nackte Überleben kämpfen?
Die Ausgrenzung und Abschottung der Elendsflüchtlinge und die großzügige Aufnahme der DDR-Bürger sind nur ein scheinbarer Widerspruch: Beide sind Manövriermasse in den Planungen von Staat und Kapital, mit dem der Wohlstand der imperialistischen Metropolen gegen die Ansprüche der Armen gesichert und gleichzeitig durch Einordnung der Menschen in die Hierarchie der Ausbeutung erst geschaffen wird.
Im sozial- und bevölkerungspolitischen Kalkül der Herrschenden eignen sich die gut ausgebildeten Facharbeiter aus der DDR, die seitenlang in den Spalten der Bild-Zeitung vom Kapital angeheuert werden, allemal besser zur Sanierung der Sozial- und Rentenversicherungen als die Armut aus den verelendeten Regionen der Welt, die diffamiert werden, sich nur in der BRD aus dem »Sozial- und Arbeitsamt der Welt« bedienen zu wollen. Daß die Flüchtlinge aus den Ländern der Dritten Welt, die trotz aller Abschottung den Weg hierhergefunden haben, dem Arbeitszwang durch illegale Beschäftigungen und den neuesten staatlichen Planungen zur Vernutzung am untersten Ende der Ausbeutungshierarchie ausgesetzt werden, steht hierzu nicht im Widerspruch.
In einer Situation der nationalistischen Begeisterung und Besoffenheit, in der die Träume großdeutscher - und das heißt imperialistischer Lösungen - wieder ernsthaft erwogen werden, wird es darauf ankommen, den sozialen Widerstand zu rekonstruieren. Den Widerstand gegen die Umstrukturierungsmaßnahmen, mit denen die Sozialplaner den globalen Klassenwiderspruch unsichtbar machen sollen. Diesem Ziel dient die Verwandlung Europas in eine Festung gegen Armutsflüchtlinge genauso wie die rassistische Hierarchisierung und Selektion der Flüchtlinge und Einwanderer durch Verteilung von Wohnraum, Arbeit und Sozialleistungen. Es wird notwendig sein, der rassistischen und nationalistischen Mobilisierung und Besetzung der Flüchtlings- und Ausländerthematik durch staatliche und rechtsradikale Abgrenzungs- und Abschottungspopulisten Aktionen entgegenzusetzen, die diejenigen zum Anknüpfungspunkt nehmen, deren Existenz und Überleben hier und in den Drittweltländern in Frage gestellt wird.
Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Nationen, sondern zwischen oben und unten!
Mit unserer Aktion gegen die »Anlauf und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten« in Köln haben wir der öffentlich erhobenen Forderung der Roma und ihrer Unterstützergruppen nach Schließung der städtischen Roma-Projekte Nachdruck verliehen.
In dieser Stelle wurden im Rahmen des »Kölner Modells« der Roma-«Betreuung« umfangreiche Daten gesammelt, die sämtliche Lebensbereiche der Kölner Roma erfassen.
Bevor zwei von uns hinterlassene Brandsätze das Projekt in Flammen aufgehen ließen, haben wir umfangreiches Material mitgenommen. Nach unserem Aktenstudium hat sich unsere Einschätzung, daß es sich bei der Kölner A+B-Stelle um eine der umfangreichsten »Zigeuerdateien« in der BRD handelt, bestätigt.
Wir haben uns entschlossen, einen kleinen, aber wesentlichen Teil der geklauten Aktenberge zu dokumentieren und zu veröffentlichen, um exemplarisch deutlich zu machen, wie unter dem sozialarbeiterischen Mäntelchen der »Betreuung von Flüchtlingen« eine Sondererfassungsstelle zur Registrierung, Kontrolle und Aussonderung von Roma und Sinti eingerichtet wurde. Innerhalb eines Jahres gelang es den Schreibtischtätern in der Kölner Liebigstraße, sämtliche in Köln lebende Roma + Sinti zu erfassen.
Das vorgefundene Material besteht im wesentlichen aus der eigentlichen Datei und aus einer umfangreichen Sammlung verwaltungsinterner Strategie- und Konzeptionspapiere, der Korrespondenz der beteiligten Behörden und den Tagesprotokollen der Sozialbullen über den gesamten Lebensbereich der Roma.
Die »Zigeunerdatei« besteht aus drei verschiedenen Erfassungsformen:
* Personalakten: Die rund tausend personenbezogenen Handakten, von denen wir nur einen Teil mitnehmen konnten, beinhalten im wesentlichen Fotokopien von Ausweispapieren, Lichtbildern. In »Beratungs«-Protokollen werden die jeweiligen Familienzusammenhänge festgehalten. Außerdem sind in den Akten verschiedene Recherchen bei anderen Ämtern, z.B. Wohnungsämtern und Justizbehörden gesammelt.
* Personenkartei: Diese rund tausend Karteikarten beinhalten den Namen, die Geburtsdaten sowie die Angehörigen. Daneben wurden sämtliche straffällig gewordenen Romakinder mit Datum und Delikt erfaßt.
* Ausweiskopien:Zusätzlich wurden alle Ausweise, die an diejenigen Roma und Sinti, die auf dem Schiffhof [37a] leben und eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben, ausgegeben worden sind, fotokopiert und gesammelt. Diese Ausweise enthalten ebenfalls alle ein Lichtbild.
Aus den gefundenen Unterlagen geht hervor, daß folgende Personen die Hauptverantwortlichen für die Errichtung der »Landfahrerzentrale« sind:
* Rossa, Oberstadtdirektor
* Kappius, Beigeordneter Ordnungsbehörden
* Ruschmeiner, Beigeordneter Soziales
* Häger, Leiter Amt für öffentliche Ordnung (32)
* Arntz, Stellv. Leiter Amt für öffentl. Ordnung (32)
* Hohn, Leiter der Ausländerabteilung (323)
* Luhr, Ausländeramt (323)
* Weber, Asylgruppe Ausländerabteilung (323)
* Spital, Leiter der A+B-Stelle (320/2)
* Pyro, A+B-Stelle (320)
* Delens, A+B-Stelle (320)
(A+B-Stelle steht für »Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten«.)
Nachdem seit Mitte der achtziger Jahre immer Roma und Sinti nach Köln kamen, haben die Verantwortlichen der Ordnungs- und Sozialbehörden nach Wegen gesucht, wie sie sich diese Leute wieder vom Hals schaffen können, bzw. wie sie einen weiteren Zuzug unterbinden können. In diesem Zusammenhang hat ein von der Verwaltung eingerichteter Arbeitskreis (AKEM) in Zusammenarbeit mit »Zigeuner«-Spezialisten aus dem Caritasverband ein Konzept entwicket, den Zuzug von Roma und Sinti zu verhindern und einen kleinen Teil der in Köln lebenden Familien zu integrieren. Neben dem Roma-Kinderprojekt ist die Anlauf- und Beratungsstelle die zentrale Stelle in diesem Projekt. Die Verantwortlichen verkaufen das ganze Projekt als Hilfe für die Betroffenen, die Praxis sieht jedoch anders aus.
Wie wir aus den Unterlagen rekonstruieren konnten, besteht die alltägliche Praxis im wesentlichen darin
* in Zusammenarbeit mit den Bullen, der Presse und dem Jugendamt die Romakinder als Kriminelle zu stigmatisieren;
* den Bullen, Ausländer- und Sozialbehörden Hilfestellung für die Identifizierung von Roma und Sinti zu geben;
* das soziale Geflecht und die Zusammenhänge zu entschlüsseln (Sippenforschung);
* es findet ein permanenter Datenaustausch aller mit den Roma und Sinti befaßten Behörden statt, vom Ausländerzentralregister bis zu den Mitarbeitern eines privaten Wachdienstes auf dem Stellplatz;
* die untersten Chargen der Macht, die für die unmittelbare Überwachung und Kontrolle zuständig sind, sind die wichtigsten Informationsbeschaffer an der Basis, die sämtliche Lebensäußerungen dokumentieren und für die Behörden relevante Informationen weitergeben;
* dazu hat die Adlerwache (priv. Wachschutz) im Tag- und Nachtdienst den Stellplatz der vorübergehend geduldeten Roma und Sinti überwacht und diese Informationen an die A+B-Stelle weitergegeben;
* und die Sozialwachtel Delens akribisch Tagebuch über alle Lebensäußerungen geführt;
* die Errichtung kontrollierter Lagerplätze und Asylheime ist wesentliche Bedingung für die lückenlose Überwachung und Kontrolle. Es sind die Bewährungslager für all diejenigen Roma und Sinti, die integrationsbereit sind;
* die weitere Kontrolle der integrationswilligen Roma wird durch Patenschaften gewährleistet;
* nach dem Prinzip »Teile und Herrsche« werden Widersprüche zwischen den Familien geschürt und einzelne kooperationsbereite Familien funktionalisiert;
* bestürzt haben wir festgestellt, wie weit die Unterstützergruppen in das Gesamtkonzept mit einbezogen werden.
Die in der A+B-Stelle entwendeten Akten sind in der von der Berliner Zeitschrift »Interim« unter dem Titel »Interdoku« im Dezember 1991 in Auszügen veröffentlich. Gleichzeitig gibt es eine umfassende »Dokumentation von Akten zu •zentralen Anlauf- und Beratungsstellen ethnischer Minderheiten« von den Revolutionären Zellen selbst.
Wer erinnert sich nicht an die Demonstration der Roma und Sinti vor dem Rathaus am 2. Oktober. Die Polizei hatte das Klinkerwerk in Neuengamme geräumt, und die Busse waren von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) zum Abtransport bereitgestellt. Aber die Roma zogen mit ihrer Habe die 35 km zum Rathausplatz. Knüppelnde Polizei schlug dort auf Frauen und Kinder ein. Es gab eine Sitzblockade, Decken und Nahrung wurde benötigt. Während der erste Lastwagen aus der Hafenstraße mit Decken und Matratzen eintraf, äußerte sich SPD-Sozialsenator Ortwin Runde: Erstens seien alle Decken an die Übersiedler aus der DDR ausgegeben worden. Und selbst, wenn er welche hätte, er würde sie den Zigeunern nicht geben.
Das Zusammenspiel zwischen Runde und Hackmann [38] hat in der Asylfrage und in Bezug auf die Roma und Sinti Tradition. Die Senatsvorlage zur Entscheidung über die Behandlung der Roma und Sinti wurde im August in der BAGS erarbeitet. Sie wurde in der Innenbehörde verschärft und von beiden verantwortlichen Senatoren vorgelegt. Nach dieser Vorlage sollten nur etwa 150 Roma und Sinti, die bereits 4 Jahre in Hamburg leben, bleiben dürfen, während alle übrigen zur Abschiebung freigegeben werden.
Mit diesen 150 sollte nach dem Kölner Modell verfahren werden: 5jährige Bewährungszeit mit intensiver sozialarbeiterischer Kontrolle, Integration durch Arbeit und kulturelle Anpassung. In der Kölner Erfassungsstelle für Roma und Sinti wurden Spitzelberichte der Sozialbürokratie gesammelt und an das Ausländeramt weitergebeben. Das ermöglichte einen kontinuierlichen Selektionsprozess durch Abschiebung. Dieser Erfassungsstelle galt der Anschlag in Köln.
Am 9. November wurden von vielen eine günstige Entscheidung des Hamburger Senats zum Bleiberecht für Roma und Sinti erwartet. In Wirklichkeit war die Entscheidung schon längst gefallen. Der Senat zog es vor, das Echo auf die offene DDR-Grenze auszunutzen und das Thema aus den Schlagzeilen zu nehmen. Stillschweigend wird nach dem sozialdemokratischen Selektionsmodell verfahren:
Auf der Innenministerkonferenz brüstete sich Innensenator Hackmann, daß zwar die CDU/CSU schärfere Gesetze fordere, jedoch kein Bundesland über eine so effiziente Abschiebepolitik verfüge wie Hamburg. Die Abschiebepolitik wurde auf der Grundlage der BAGS-Vorlage schon ab Anfang September in die Tat umgesetzt.
Die Öffnung der Grenze für die Trabi-Kolonnen und die Umarmungsszenen auf der Mauer haben ihr Gegenstück in der rassistischen Selektion von Flüchtlingen. Wer nicht deutschen Bluts ist, wird abgeschoben oder kommt zur Bewährung und Assimilation ins Lager.
Roma und Sinti sind ein in Europa lebendes Volk ohne Grenzen. Schon immer waren sie Zielpunkt rassistischer Ideologie und der Vernichtung und Deportation ausgesetzt. Aber gegen den staatlichen Rassismus sozialdemokratischer Machart gibt es im Schatten der deutschen Frage zum ersten Mal wieder die Hoffnung, daß das faktische Bleiberecht für Flüchtlinge von vielen Menschen durchgesetzt wird. Wir fühlen uns mit all denen, die Roma und Sinti heute unterbringen, herzlich verbunden.
Unser Anschlag auf die BAGS (Abteilung Grundsatzfragen für Ausländerpolitik) gilt der Behörde, die für die sozialdemokratische »Lösung des Zigeunerproblems« in Hamburg verantwortlich ist.
Wir haben am 5.5. das Amt für öffentliche Ordnung in Köln mit einem Sprengsatz angegriffen. Der Big Bang blieb aus. Die Aktion ist fehlgeschlagen.
Wir bedauern diesen Fehlschlag sehr, weil das Amt für öffentliche Ordnung das administrative Zentrum des Vorgehens gegen ImmigrantInnen, Flüchtlinge und die in Köln ansässige Roma-Bevölkerung ist. Geplant war unsere Aktion als militante Antwort auf die bundesweite Großrazzia gegen Roma von Anfang April. [...]
Die Polizeiaktion von April zielte auf die Einschüchterung der Roma-Bevölkerung, auf Spaltung der Unterstützerbewegung und beackerte nicht zuletzt das »gesunde Volksempfinden«, indem die Verantwortlichen ein Klima schaffen, das weitere Repressionsmaßnahmen bis hin zur Deportation der Roma in ihre Heimatländer zuläßt. Was die Betroffenen dort erwartet, läßt sich leicht erahnen, wenn die nationalistischen Pogromaufrufe etwa in Rumänien, der Tschechoslowakei oder Jugoslawien nur zur Kenntnis genommen werden.
Wir beziehen uns mit unserer Aktion gleichzeitig auf den Widerstand gegen das neue alte Ausländerrecht, das beim Amt für öffentliche Ordnung täglich gegen ImmigrantInnen und Flüchtlinge exekutiert wird. Mit dem neuen Ausländergesetz haben sich die Herrschenden ein Instrument geschaffen, das die Abschottung vor weiterer Zuwanderung perfektioniert, die Ausgrenzung der Nichtdeutschen fortschreibt, den Anpassungsdruck erhöht und alle Mittel zu ihrer Vertreibung bereitstellt.
Weg mit dem rassistischen und sexistischen Ausländerrecht!
Schluß mit der Terrorisierung der Roma!
Bleiberecht! Grenzen auf für alle!
Rassistische und sexistische Angriffe gegen Roma in Osteuropa
Die Unterdrückung der Roma in den osteuropäischen Staaten hat eine lange Geschichte. Sie wurde in den 45 Jahren des »Realen Sozialismus« keineswegs aufgeknackt. Im Gegenteil, rassistische und sexistische Politik von oben sorgten zum einen dafür, daß die Roma auch weiterhin diejenigen waren, denen es wirtschaftlich am schlechtesten ging, zum anderen trug sie sicher nicht dazu bei, dieses Gedankengut in den Köpfen der Menschen zu verändern. Durch die Entwicklung der letzten Jahre, der immer stärkeren kapitalistischen Durchdringung dieser Staaten, spitzte sich für die Roma die Situation noch mehr zu. Sie trifft die wirtschaftliche Lage am härtesten. In ganz Jugoslawien, z.B. besonders im Kosovo, droht den Roma die wirtschaftliche Existenzvernichtung, die Lebenshaltungskosten haben sich dort innerhalb eines Jahres versiebenfacht, während der Reallohn nur um 6 % stieg, die Preissteigerung z.B. bei Brot ist 655 %, bei Zucker 1608 %. Die Arbeitslosenqote unter den Roma liegt bei ca. 90 % (Statistiken gibt es nicht), Krankenversicherungen sind für die Familien unerschwinglich. In Schultka, jenem Ghetto bei Skopje, in das die nordrhein-westfälische Landesregierung 1.400 Roma »auf freiwilliger Basis reintegrieren« will, leben 40.000 bis 50.000 Roma - oft ganze Familien - in »Hütten« aus Lehm und Blech, ohne Wasser, Strom, Heizung und Kanalisation.
Doch wenn wir von Migrationsbewegungen reden, »mit denen die neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung, ihrer Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten in Westeuropa sucht«, dann stellt dies im Zusammenhang mit den Roma nur einen Teil der Gründe dar, die sie dazu zwingt, hierher zu kommen. Zunehmend sind sie in ihren Herkunftsländern mit sowohl staatlich betriebenem oder geduldetem Rassismus wie auch mit Pogromen von Seiten nationalistisch gesinnter Teile der Bevölkerung konfrontiert - und die Roma-Frauen mit permantenten brutalen sexistischen Angriffen.
»Ich war gerade draußen, um Wasser zuholen, und als ich zurückkam, sah ich, wie meine beiden Töchter von den Polizisten vergewaltigt wurden. Wir haben es wieder den Behörden gemeldet. Sie sagten: Ach, ihr Zigeuner, immer das gleiche mit euch.
Meine Kinder, die noch in Jugoslawien sind, und ich telefonieren oft zusammen. Sie flehen mich an, auch nach Deutschland kommen zu dürfen. Sie sagen mir jedesmal, daß die Lage in Jugoslawien noch viel schlimmer geworden ist. Meine Tochter hat mir am Telefon gesagt: ganz egal, welcher Mazedone oder Polizist vorbeikommt, ich muß mit ihm schlafen ...«
(Aus einem Gesprächsprotokoll der Roma-Union mit einer Frau aus Skopje, Mazedonien.)
Von solchen Angriffen berichten fast alle Roma-Frauen, die aus Jugoslawien kommen. Welchen, die schon einmal hier in der BRD waren, einen Asylantrag stellten und dann wieder abgeschoben wurden, droht der Tod. Sie werden direkt am Ankunftsflughafen von den Bullen abgeholt und in den Knast gesteckt. Von einigen ist seither nichts mehr bekannt, sie haben sich seit ihrer Abschiebung nicht mehr gemeldet ...
In Bulgarien wurden 1954 knapp 200 Kulturvereinigungen einer antifaschistischen Romaorganisation geschlossen, zahlreiche Roma wurden als »soziale Parasiten« in Lager eingewiesen und umgebracht. In den letzten Jahren wurden viele Romadörfer zerstört, die BewohnerInnen getrennt und in Wohnblocks untergebracht. Als 1989 die bulgarischen TürkInnen in die Türkei vertrieben wurden, befanden sich unter ihnen zahlreiche Roma. Sie wurden von den türkischen Behörden sofort wieder zurückgeschickt.
In der Tschechoslowakei wurden tausende Roma-Frauen zwangssterilisiert. Oft direkt nach einer Geburt, ohne ihr Wissen, schon gar nicht mit ihrem Einverständnis wurden sie in den örtlichen Krankenhäusern sterilisiert.
Unabhängig davon wurden viele durch die Ausnutzung ihrer Situation, dem wirtschaftlichen Überlebensdruck, zur Sterilisation gebracht. Seit 1966 existiert in der CSFR ein Gesetz, das Frauen die Sterilisation möglich macht. Sie müssen zum Zeitpunkt der Operation mindestens 35 Jahre alt sein und schon 3 Kinder zur Welt gebracht haben ... Dieses Gesetz wurde 1986 modifiziert. Seither können sich Frauen ab 18 Jahren sterilisieren lassen und bekommen dafür bis zum 25.000 Kronen (ungefähr das zehnfache eines guten Monatsgehaltes). Roma-Frauen erhalten mehr Geld als Nicht-Roma. Und je jünger die Frauen, je weniger Kinder sie bereits haben (plötzlich interessieren die 3 Kinder niemanden mehr), umso höher ist die Geldsumme, die sie erhalten. Diese direkten oder indirekten Zwangssterilisationen sind nichts anderes als rassistische Bevökerungspolitik mit dem Ziel, die Roma langfristig auszurotten.
In Rumänien agiert die faschistische Organisation »Vatra Romaneasca« mit stillschweigender Unterstützung der neuen Regierung offen gegen die Roma. Sie rief schon zum »blutigen Kampf gegen die Zigeuner« auf. Auch in Ceausescus [39] Zeiten waren sie in Rumänien massiver Repression ausgesetzt. Zugunsten »agro-industrieller Zentren« wurden u.a. auch Roma aus ihren Häusern gezwungen, die Häuser zerstört und die Familien »umgesetzt« oder ihrem Schicksal überlassen. Die Behörden Ceausescus führten jahrelang Übergriffe gegen Roma aus und verschleppten sie zur Zwangsarbeit ins Donaudelta, wo sie - wie Angehörige anderer Nationalitäten - starben.
Dies waren nur einzelne Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie die Roma in ihren Herkunftsländern mit rassistisch/sexistischer Unterdrückung konfrontiert sind. In der Hoffnung, diesen Angriffen zu entgehen, kommen sie nach Deutschland, in ein Land, in dem vor fünfzig Jahren ungefähr eine halbe Million ihrer Eltern und Großeltern von den Nazis ermordet wurden. Um geplanten Abschiebungen zu widerstehen, haben in Hamburg vor 2 Jahren Romafamilien ein ehemaliges KZ, die Stätte dieser Vernichtung besetzt. Und heute entscheiden saubere deutsche Beamte über die »Zumutbarkeit einer Rückführung«, entscheiden deutsche Männer darüber, ob sich Roma-Frauen von Männern in ihren Herkunftsländern bedroht fühlen oder nicht. Sorgen wir dafür, daß diese Schreibtischtäter ihre Drecksarbeit nicht ungestört durchziehen können und vor allem dafür, daß Abschiebungen verhindert werden.
Vor nahezu einem Jahr haben Roma mit einem Bettelmarsch von über tausend Menschen zu Fuß durch NRW gegen ihre rassistische Unterdrückung und Verfolgung protestiert. Diese wochenlange Demonstration sollte ihrer Forderung nach einem Bleiberecht Nachdruck verleihen. Ende Januar 90 brachen die Roma den Marsch ab, nachdem ihnen die Regierung Rau zugesichert hatte, daß alle bleiben könnten, die in einem neuen Aufenthaltsverfahren ihre de-facto-Staatenlosigkeit glaubhaft machen können. Obwohl diese Vereinbarung bereits an selektive Kriterien und Bedingungen (u.a. Integrationsbereitschaft, längerer Aufenthalt) gebunden war, schien sie doch den Roma ein Bleiberecht zu sichern.
Mit dem Kabinettsbeschluß vom 4.12.90 hat die Regierung Rau [40] die Vereinbarung endgültig gekippt und jede Hoffnung auf ein Bleiberecht, zumindest für einen Teil der hierher geflüchteten Roma, zunichte gemacht. Der Skandal eines als »neue Flüchtlingspolitik« etikettierten Deportationsprogramms ist nicht der »Wortbruch« eines Ministers. Die jetzt unmittelbar bevorstehende Abschiebung der Roma, die am Bettelmarsch teilgenommen haben, ist nur ein Teil eines umfassenden Programms, das darauf aus ist, NRW (und später auch die gesamte BRD) »zigeunerfrei« zu machen. Das Abschiebeprogramm, dem nach Ablauf der Asylverfahren nach und nach alle 5.000 Roma aus NRW unterworfen werden sollen, wird flankiert von einer sozialpolitischen Offensive, mit der die Roma rausgeekelt werden sollen.
Die »neue Flüchtlingspolitik« der SPD-Landesregierung ist die administrative Umsetzung und Verallgemeinerung einer gezielt rassistischen Politik im letzten Jahr, die die nationalistische Stimmung in Großdeutschland gegen die aus Osteuropa geflohenen Roma bündelt und sozialpolitisch mit Ausgrenzung und Druck gegen sie durchsetzt.
Im Sommer waren es die Sozialverwaltungen der Städte, die aktiv als »kämpfende Verwaltung« das Instrumentarium zur Vertreibung der Roma erprobten. Streichungen von Sozialhilfe, Zelt- und Containerlager, Naturalienzuweisung waren die Mittel, mit denen die »Zigeunerfrage« sozialtechnisch inszeniert wurde und den Boden bereitete, mit der verhetzte Bürger und bezahlte Schlägertrupps gegen die Roma mobilisiert wurden. In diesen Wochen und Monaten zeigte das sich wiedervereinigte Deutschland seine rassistische Fratze.
Was zunächst als Einzelmaßnahme exekutiert wurde, faßte das Ministerium für Arbeit-, Gesundheit- und Sozialordnung (MAGS) und die Staatskanzlei auf Betreiben der flüchtlingsfeindlichen Forderungen kommunaler Verwaltungsspitzen in einem Katalog repressiver Sozialmaßnahmen zusammen, mit denen das Leben der Roma und der Flüchtligen insgesamt unerträglich gemacht wird. Beide Institutionen fungieren in diesem Prozeß als die Planungszentren einer endgültigen Bereinigung der »Zigeunerfrage« in NRW. Sie bestimmen und geben die Systematik vor, mit der die Sozialverwaltungen und Ausländerbehörden den politischen Druck umsetzen, um die Vertreibung der Roma durchzusetzen.
Während das MAGS die Speerspitze der sozialpolitischen Abschreckung darstellt, wurde im Kabinett und in der Staatskanzlei das »Rückführungsprojekt« nach Jugoslawien ausgeheckt. Wieder einmal tut sich die SPD mit einer verschärften Abschottungspolitik hervor und übernimmt die Vorreiterrolle. Erinnert sei hier an die sozialdemokratischen Bemühungen von 1987, das »Berliner Loch« durch einen Kreditvertrag mit der DDR zu stopfen. Und auch diesmal ist es als Kernpunkt wieder ein Kreditvertrag, heute mit der jugoslawischen Regierung, der Massendeportation von mehreren tausend Roma nach Skopje möglich machen soll. Zwar wird das »Reintegrationsprogramm« mit Millionenbeträgen flankiert, die jedoch in einem ökonomischen Nutzenkalkül mit den hier entstehenden Kosten aufgerechnet werden und die darüber hinwegtäuschen sollen, daß die Roma gegen ihren Willen in die gleiche Not- und Verfolgungssituation zurückgebracht werden, aus der sie geflohen sind. Es bedeutet einen grenzenlosen Zynismus, die Roma in ein Land zu schicken, das sich in einem unübersehbaren Auflösungsprozeß befindet und in dem die Verfolgung von ethnischen Minderheiten sich in rassistischen Pogromen und staatlich betriebenen oder geduldeten Zwangsmaßnahmen entlädt.
Als Kern des »Rückführungsprogramms« bleibt der brutale Wille, sich der Flüchtlinge, die vor Armut und Verfolgung geflohen sind, zu entledigen und die Verarmungsprozesse in Osteuropa hier in den reichen Metropolen unsichtbar zu machen. Der Staat weiß sich mit einem Großteil der Metropolenbevölkerung in Übereinstimmung, den Wohlstand - zusammengeraubt durch die Ausbeutung überall in der Welt - gegen die heranrückenden Armen zu sichern.
Das sich neu formierende Westeuropa hat in den letzten Jahren das Abschottungsinstrumentarium entwickelt und vervollkommnet, um sich von den Flüchtlingsbewegungen aus dem Trikont in die imperialistischen Metropolen abzukoppeln. Durch die Zerrüttung der osteuropäischen Ökonomien, denen der imperialistische Zugriff und die Einführung der kapitalistischen Marktökonomie den Todesstoß versetzt hat, wird Westeuropa mit einer neu entstehenden Armutsbevölkerung konfrontiert. Die politischen Planungstrategen der westeuropäischen Metropolen arbeiten fieberhaft an Konzepten, die Verarmungsprozesse im Zuge der imperialistischen Durchdringung Osteuropas nicht in den Metropolen sichtbar werden zu lassen. Zwei Strategien lassen sich heute ausmachen:
Die Grenzen zwischen Arm und Reich werden dichtgemacht. So wie italienisches Militär die Masseneinwanderung aus Nordafrika verhindern soll, läßt die österreichische Regierung die Grenzen zu Osteuropa militärisch sichern, sperren die CSFR und Polen ihre Grenzen nach Osten, nachdem sie sie dem Westen geöffnet haben.
Gleichzeitig dient die Stabilisierung der ost- und südosteuropäischen Reformstaaten im Zuge einer neu konzipierten europäischen Großraumpolitik sowohl der hierarchischen und selektiven Zurichtung, Vernutzung und Ausbeutung als auch der Schaffung eines politischen und ökonomischen Schutzwalls gegen die unkontrollierte Migrationsbewegung, mit der die neu entstehende osteuropäische Armutsbevölkerung, ihrer Lebensgrundlage beraubt, nach Überlebensmöglichkeiten in Westeuropa sucht.
Dabei stehen die Roma als der absolut unverwertbare »Bettel der Straße« im Zentrum der Angriffe, zumal sie ihr Lebensrecht hier nicht als Bittsteller vortragen, sondern offensiv einklagen und einfordern. Gleichzeitig ist es ihr mittlerweile über zehnjähriger zäher Kampf, der die Herrschenden mit einer sich formierenden Flüchtlingsgruppe konfrontiert. In vielen provokativen Aktionen und politischer Praxis haben die Roma an Kampferfahrung gewonnen, der Bedeutung und Gewicht für alle Flüchtlinge in der BRD zukommt, und gerade dies ist es, was die Herrschenden nun zur raschen und endgültigen Zerschlagung des Romawiderstands treibt. Schon jetzt haben hunderte von Roma-Familien aufgrund der sozialpolitischen Angriffe das Land verlassen, teils haben sie sich »freiwillig« abschieben lassen oder sind untergetaucht. Inzwischen hat sich das Ausmaß der rassistischen Verfolgung und Drangsalierung der Roma in NRW derart zugespitzt, daß in den kommenden Wochen mit dem Beginn von Massenabschiebungen gerechnet werden muß. Der Widerstand gegen diese Maßnahmen formiert sich.
Wir haben heute am Sitz der Düsseldorfer Staatskanzlei und des Arbeits- und Sozialministeriums einen Sprengsatz gezündet. Wir begreifen diese Aktion gegen die politische Schaltzentrale der Vertreibungspolitik gegen die Roma als Unterstützung eines Kampfes gegen die anstehenden Massendeportationen. Wir verstehen diese Aktion als einen Beitrag, die Verantwortlichen zu treffen und als Aufforderung, auf allen Ebenen Druck zu schaffen und praktische Widerstandsformen zu entwickeln, die das Vertreibungsprogramm blockieren und verunmöglichen. Die Massendeportationen müssen verhindert werden.
Wir haben in den letzten Jahren gelernt, daß der Rassismus eine wesentliche Säule imperialistischer Herrschaft ist.
Eine Linke, die ihre gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit durchbrechen will, muß in einer umfassenden antirassistischen Mobilisierung den Widerstand von Flüchtlingen und ImmigrantInnen aufgreifen und unterstützen. Nur so ist es möglich, einen politischen Gegenpol gegen die Politik der Herrschenden zu bilden, die sich endgültig von der blutigen Geschichte Deutschlands abkoppeln.
Die Verankerung antirassistischer Initiativen ist eine Voraussetzung für eine Widerstandsperspektive gegen das imperialistische Großdeutschland.
In Gefahr und größer Not
bringt der Mittelweg den Tod!!!