Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
Kapitel 3.5
Nach der ursprünglichen Planung von 1980 hatte die Türkei vier Fregatten des US-Typs Perry in Lizenz bauen wollen, doch ab 1981 wurden auch andere Möglichkeiten sondiert.1 Im Januar 1982 entschied sich die türkische Regierung für das MEKO-200-Konzept von B + V. Zum deutschen Lieferkonsortium gehören bis heute: B + V als Konstruktions- und Leitwerft, HDW als Zweitwerft und die Rheinstahl Technik GmbH, die sich vor allem um Finanzierungsfragen gekümmert hat. Das Fregattengeschäft mit der Türkei ist bisher in drei Etappen verlaufen:
Der erste, am 29.12.1982 unterzeichnete Vertrag zwischen der Türkei und dem deutschen Dreierkonsortium sah vor: Bau von zwei Fregatten des Typs MEKO 200 T in Deutschland, Lieferung von Materialpaketen und technische Assistenz für den Bau von zwei weiteren Fregatten dieses Typs in der Türkei (Programm Track I). Dieser Vertrag wurde - nach Klärung der Finanzierung - am 12. September 1983 rechtswirksam.
Am 19. Januar 1990 bestellte die Türkei die nächsten zwei Fregatten MEKO 200 (Track II - A). Man vereinbarte, je eine Fregatte in Deutschland und in der Türkei zu bauen. Die neuen Fregatten sind etwas grösser und schneller als die Track-I- Fregatten.
Am 14. Dezember 1992 wurde der Vertrag über den Bau der siebten und achten Lenkwaffenfregatte für die Türkei unterzeichnet (Track II - B).2 Eigentlich sollte der Bau schon 1993 beginnen, doch kam es aus später anzusprechenden Gründen zu Verzögerungen, weshalb der Vertrag erst am 25. November 1994 in Kraft trat.3 Wieder wird eine Fregatte in Hamburg, die andere auf der türkischen Marinewerft Gölcük gebaut.
Von Anfang an war klar, dass die Türkei die Schiffe nicht ohne ausländische Finanzhilfen würde bezahlen können; in längeren Verhandlungen war daher zu klären, wer in welchem Umfang an der Finanzierung beteiligt werden sollte.4 Für den Bau der ersten vier Fregatten stellten die USA im Rahmen ihrer Militärhilfe ("Foreign Military Sales") 180 Mio. US-Dollar zur Bezahlung amerikanischer Waffen- und Elektronikanlagen bereit. Die niederländischen und Schweizer Zulieferer sorgten für die Finanzierung ihrer Lieferanteile (nach einer Angabe von 1983 zusammen 280 Mio. DM); auf holländischer Seite war daran die Amro-Bank mit einem Kredit von 200 Mio. Gulden beteiligt.5 Von deutscher Seite wurde die bei weitem höchste Summe vorfinanziert. In einer internen Aufstellung von Blohm + Voss aus dem Jahr 1983 wurde der deutsche Lieferanteil (einschliesslich Preisgleitung) mit ca. 800 Mio. DM angegeben. Davon sollte die Türkei ca. 240 Mio. DM während der Bauzeit überweisen.6 Der Hauptbetrag von 560 Mio. DM wurde über langfristige Bankkredite aufgebracht, die je zur Hälfte von der (bundeseigenen) Kreditanstalt für Wiederaufbau und von einem Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank gewährt wurden. Wie 1984 bekannt wurde, war an dem Bankenkonsortium auch die damals gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft beteiligt.7 Die Namen der übrigen Konsortialbanken und andere Einzelheiten will die Bundesregierung bis heute nicht bekanntgeben.
Der Auftragswert der fünften und sechsten MEKO-Fregatte wurde 1990/91 in der Presse mit 800 Mio. DM angegeben.8 50 Mio. DM steuerte - von der Öffentlichkeit gänzlich unbeachtet - die Bundesregierung bei. Davon entfielen 43,3 Mio DM auf die 17. Tranche der Verteidigungshilfe an die Türkei (1989-91) und 6,7 Mio. DM auf die 18. Tranche (1992-94).
Der Auftragswert der siebten und achten Fregatte wurde von Blohm + Voss ebenfalls mit 800 Mio. DM beziffert; von türkischer Seite wird von 840 Mio. DM gesprochen.9 Am 20. September 1993 sagte Bundeskanzler Kohl der türkischen Regierungschefin Ciller zu, den Bau der beiden Kriegsschiffe mit 150 Mio. DM aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen - ungeachtet der Tatsache, dass Verteidigungsminister Rühe 1992 angekündigt hatte, die Militärhilfe für die Türkei 1995 zu beenden.10 Kohls Versprechen wurde erst Anfang 1995 bekannt. Der Haushaltsausschuss des Bundestages stimmte der neuen Rüstungshilfe am 8. März 1995 gegen die Stimmen von SPD 11, Bündnis 90 / Die Grünen und PDS zu. Die kurz darauf wegen der türkischen Invasion im Nordirak verfügte Sperre dieser Mittel wurde schon einige Monate später wieder aufgehoben (zu den Hintergründen vgl. den folgenden Abschnitt). Der 150-Millionen-Zuschuss soll in drei Raten von 1996 bis 1998 ausgezahlt werden.
Unabhängig von diesen Geldgeschenken wird der Bau der vier Track-II-Fregatten wiederum durch umfangreiche Kredite ermöglicht, an denen auf deutscher Seite die Kreditanstalt für Wiederaufbau und das Konsortium anderer Banken diesmal mit vermutlich über einer Milliarde DM beteiligt sind.12 Die amerikanischen, britischen und niederländischen Lieferanteile werden in der üblichen Art durch Kredite aus diesen Ländern vorfinanziert.13 Der von den USA für die letzten vier MEKO-Fregatten geleistete Gesamtbeitrag soll sich auf 334 Mio. Dollar belaufen.14
Die Bundesregierung hat für die ersten vier Türkei-Fregatten, die zwischen 1984 und 1989 gebaut wurden, Hermes-Bürgschaften über insgesamt 800 Mio. DM. übernommen. Für die vier ab 1990 gebauten Fregatten beläuft sich der Umfang der übernommenen Bürgschaften auf 1,1 Mrd. DM.15
Das von B + V angeführte Konsortium erhielt den ersten Grossauftrag von der fünfköpfigen Militärjunta, die sich am 12. September 1980 an die Macht geputscht und das Land unter Kriegsrecht gestellt hatte. Zwar wurden ab 1983 politische Parteien wieder zugelassen und zivile Koalitionsregierungen gebildet, doch das türkische Militär ist nach wie vor ein entscheidender Machtfaktor in diesem Staat. Bei der Bekämpfung aller inneren und äusseren Kräfte, die von der Armeeführung als Störfaktor oder als Bedrohung wahrgenommen werden, geht das Militär mit rücksichtsloser Härte vor. Es erhebt für die Türkei - als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches - Anspruch auf eine regionale Grossmachtrolle. Hierfür ist nicht nur die Erwerbung moderner Waffensysteme wichtig, sondern auch der Aufbau eigener Rüstungskapazitäten. So strebt die türkische Marine im Zusammenhang mit dem Fregattengeschäft die Fähigkeit an, "alle Kriegsschiffe und Hilfsschiffe für unsere Seestreitkräfte selbst zu bauen".16 Dies kommt vor allem im Ausbau der Gölcük-Werft am östlichen Ende des Marmara-Meers zu einem modernen Zentrum des Kriegsschiffbaus zum Ausdruck; sie ist der grösste Industriebetrieb der türkischen Armee.
Die türkische Rüstung im Marinebereich ist unverkennbar in erster Linie gegen Griechenland gerichtet. Seit 1994 haben sich die seit langem schwelenden türkisch-griechischen Konflikte um die östliche Ägäis und um Zypern wieder deutlich verschärft, wofür die Türkei die Hauptverantwortung trägt
Viermal haben die Türkei und Griechenland im 19. und 20. Jahrhundert gegeneinander Krieg geführt (1821-30, 1897, 1912/13 und 1920-22), die militärische Besetzung Nordzyperns durch die Türkei im Jahr 1974 nicht mitgerechnet. Das türkisch-griechische Verhältnis ist nach wie vor durch tiefes Mißtrauen und schwere Interessenskonflikte geprägt, wobei jede Seite historische Ereignisse instrumentalisiert, um sich als Opfer expansionistischer Bestrebungen der Gegenseite darzustellen. Beim Wettrüsten legen beide Staaten besonderes Gewicht auf die Vergrösserung der Seestreitkräfte - und Deutschland ist hierbei neben den USA die Hauptbezugsquelle. B + V liefert MEKO-Fregatten an beide Seiten, obwohl das Kriegswaffenkontrollgesetz bekanntlich Exporte untersagt, wenn die Gefahr besteht, dass die Waffen bei einer friedensstörenden Handlung verwendet werden.
Neben Zypern, das inzwischen zu den am stärksten militarisierten Gebieten der Welt gehört, ist es vor allem die östliche Ägäis mit ihren Hunderten von Inseln und ihren Meeresbodenschätzen, an der sich immer wieder neue Spannungen entzünden. Seit 1974 hat die Türkei Griechenland über ein dutzend Mal mit Krieg für den Fall gedroht, dass Athen seine Hoheitsgewässer von sechs auf 12 Seemeilen ausdehnen sollte. Die Türkei argumentiert damit, dass durch eine solche Massnahme ihr maritimer Bewegungsspielraum stark eingeschränkt würde. Es geht bei dem Streit aber vor allem um die Erdölvorkommen in der Ägäis und um das Recht zu ihrer Ausbeutung. Bereits 1974, 1976 und 1987 standen beide Länder am Rand eines neuen Krieges. Die folgende Chronologie von Vorfällen und Drohgebärden zeigt, dass die Kriegsgefahr weiterhin nicht gebannt ist.
Die Türkei wirft Griechenland vor, Exocet-Raketen auf den Ägäis-Inseln Lemnos und Skyros stationiert zu haben.
Beide Seiten führen in der Ägäis umfangreiche Seemanöver mit scharfer Munition durch. Athen meldet, die eigene Luftwaffe habe 8-10 türkische Kampfflugzeuge aus griechischem Luftraum vertrieben.
Ministerpräsidentin Ciller streut den Verdacht, Griechenland sei der Drahtzieher der Alewiten-Unruhen in Istanbul.
Das griechische Parlament ratifiziert das Internationale Seerechtsübereinkommen, das Griechenland die Ausdehnung seiner Hoheitsgewässer von 6 auf 12 Seemeilen erlaubt. Die Grosse Nationalversammlung der Türkei ermächtigt darauf die Regierung, gegen Griechenland bei einer entsprechenden Ausdehnung der Hoheitsgewässer militärisch vorzugehen.
Türkisches Phantom-Flugzeug stürzt nach neuem Luftzwischenfall westlich von Lesbos ab.
Türkei und Griechenland ziehen in der Umgebung der winzigen und unbewohnten Felseninsel Imia (unweit von Kos) starke Seestreitkräfte zusammen. Zuvor war ein türkisches Kriegsschiff - wahrscheinlich die bei B + V gebaute Fregatte "Yavuz" - vor Imia auf Grund gelaufen, woraufhin der von nationalistischen Scharfmachern geschürte Streit um die territoriale Zugehörigkeit der Insel weiter eskaliert war. 3 Griechen sterben bei Helikopterabsturz. Druck der USA wendet die unmittelbare Kriegsgefahr ab.
Die Türkei protestiert gegen den Beschuss eines türkischen Fischerbootes durch die griechische Küstenwache (ein Verletzter).
Vor der Felseninsel Imia rammt nach Darstellung aus Athen ein türkisches Militärschiff ein griechisches Patrouillenboot.
Ein türkischer Admiral bezeichnet die südlichste griechische Insel Gavdos als "umstrittene Zone" und schafft damit neuen Konfliktstoff.
Eine Studie der türkischen Militärakademie, in der Anspruch auf über 100 Inseln in der Ostägäis erhoben wird, löst in Griechenland grosse Empörung aus.
Antitürkische Demonstrationen auf Zypern. Bei verschiedenen Zwischenfällen werden drei griechische Zyprioten und ein türkischer Soldat umgebracht.
Sowohl Griechenland als auch die Türkei kündigen massive weitere Aufrüstung an. Die Türkei beabsichtigt laut Frankfurter Rundschau, in den nächsten 25 Jahren 225 Mrd. DM für neue Waffen, darunter 14 Fregatten, auszugeben.
Wegen des Plans der zyprisch-griechischen Regierung, russische Boden-Luft-Raketen auf Zypern zu stationieren, droht die türkische Aussenministerin Ciller mit einer Militäraktion. Türkische Kriegsschiffe nehmen Kurs auf Zypern. Die zyprische Regierung deutet Verzicht auf die Raketen an.
Türkisch-griechische Schiesserei an der innerzyprischen Grenze
In New York beginnen Verhandlungen zur Lösung des Zypern- Konflikts, die im August in Glion (Schweiz) fortgesetzt werden, schliesslich jedoch mit einem Fehlschlag enden.
Anlässlich zyprisch-griechischer Manöver fliegen türkische Kampfflugzeuge erstmals seit zehn Monaten wieder mit scharfen Waffen im zyprischen Luftraum. Türkische Abfangjäger bedrängen am 16.10.1997 auch das Flugzeug des griechischen Verteidigungsministers. Einige Tage später kollidieren in der Ägäis ein türkisches Kriegsschiff und ein griechisches Patrouillenboot. Das türkische Militär wirft Athen eine "ernsthafte Aggression" vor.
Die türkische Armee übt auf Zypern demonstrativ eine Kommando- Operation gegen eine simulierte griechisch-zyprische Raketenstellung.
Anfang Dezember wird gemeldet: "Die NATO-Verbündeten Griechenland und Türkei haben gestern ihren jahrzehntelangen Streit um den Luftraum über der Ägäis beigelegt." (Hamburger Abendblatt 2.12. 1997) Doch schon wenig später kommt es zur nächsten Krise. Die Türkei droht wegen der Luxemburger Entscheidung der EU, wohl mit (Griechisch-)Zypern, aber nicht mit der Türkei über einen baldigen EU-Beitritt zu verhandeln, mit verschiedenen Gegenmassnahmen, namentlich einer stärkeren "Integration" des besetzten Nordzypern.16a
Die starke Beteiligung der USA an der militärischen Ausrüstung der Türkei und hier an dem Fregattengeschäft rührt von dem Interesse her, dieses geostrategisch höchst bedeutsame Land als Bollwerk gegen sowjetische bzw. jetzt russische und fundamentalislamische Einflüsse zu sichern. Mit den Rüstungslieferungen haben sich USA und NATO bisher das Recht zur Nutzung zahlreicher Militäreinrichtungen erkauft, die ihnen Kriegseinsätze in benachbarten Regionen ermöglichen. Spielte die Türkei früher in den US-Szenarien für den 3. Weltkrieg als Startbahn für Atomwaffenschläge gegen den Warschaür Pakt eine wichtige Rolle, so hat nun, wie der zweite Golfkrieg gezeigt hat, ihre Funktion als Sprungbrett für Interventionen im Nahen und Mittleren Osten an Bedeutung gewonnen. Auch die oben genannte Gölcük-Werft gehört zu den Militäreinrichtungen, an deren Leistungsfähigkeit die USA interessiert sind: Sie wird zur Reparatur von Einheiten der 6. amerikanischen Flotte genutzt.17 Daneben haben verschiedene US-Rüstungskonzerne ein grosses Interesse an den Fregattengeschäften mit der türkischen Marine, denn die von der US-Regierung hierfür bereitgestellten Finanzmittel kommen direkt der amerikanischen Waffen- und Elektronikindustrie zugute.
Auf die Frage, aus welchen Motiven die Bundesrepublik Deutschland mehr als jedes andere europäische Land zur Aufrüstung der türkischen Kriegsflotte beiträgt, hat die Bundesregierung 1995 geantwortet, sie messe ,der Rolle der Türkei als Brücke zwischen Europa und Asien sowie als regionalpolitischer Stabilitätsfaktor hohe Bedeutung bei".18 Ein Land, das seit Jahren wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt wird, dessen Armee beim Kampf gegen kurdische Autonomiebestrebungen Tausende von Menschen getötet, hunderte von kurdischen Dörfern zerstört hat und fast regelmässig auf irakisches und iranisches Gebiet vordringt, ein Land, das bei einem Staudammprojekt keine Rücksicht auf den syrischen und irakischen Wasserbedarf nimmt, das Armenien als potentiellen Feind betrachtet, das vor allem Griechenland immer wieder mit Krieg droht und noch immer einen Teil Zyperns militärisch besetzt hält - ein Stabilitätsfaktor? Stabilität" gehört heute zu den Schlüsselbegriffen der militärischen Öffentlichkeitsarbeit, häufig wird er von Militärs und Politikern benutzt, um eigene geostrategische und ökonomische Interessen zu kaschieren - so auch hier. Mit Rüstungslieferungen glaubt man, die führende Stellung der deutschen Wirtschaft auf dem türkischen Markt weiter festigen zu können. Beim Fregattengeschäft orientiert sich das Handeln der politisch Verantwortlichen im Kern wieder am Interesse ,der Werftindustrie", d.h. von B + V und HDW, sowie der Zulieferunternehmen. Ohne Umschweife hat z.B. der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Karl-Heinz Hornhues (CDU), 1995 den 150-Millionen-Zuschuss für die Türkei-Fregatten als ,Werfthilfe" für norddeutsche Schiffbauer eingestuft.19
Die Bonner Lobby der zwei norddeutschen Grosswerften hat das Fregattengeschäft von Anfang an nach Kräften gefördert. So setzte sich Bundesfinanzminister Stoltenberg, dem als schleswig- holsteinischer Spitzenpolitiker das Wohl der Kieler HDW-Werft besonders am Herzen lag, 1983 persönlich für die Bundesbürgschaft zugunsten des Kriegsschiffsauftrags ein.20 Dasselbe tat der Hamburger Senat im Interesse von B + V. Er forderte 1983 , den Bund im Hinblick auf die kritische Beschäftigungssituation bei den Werften" zur Übernahme der Bürgschaft auf.21
Die Gründe, die 1993/94 zur Verzögerung der Inauftraggabe der siebten und achten Türkei-Fregatte führten, sind in der Presseberichterstattung nur in schwachen Umrissen deutlich geworden. ,Politische Gegebenheiten" auf deutscher und türkischer Seite sowie enormer Druck durch ausländische Konkurrenten seien daran schuld gewesen, erklärte B+V-Chef Beer Anfang 1994.22 Vermutlich wurde das Geschäft durch jene Rakete gestört, die in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1992 vom amerikanischen Flugzeugträger "Saratoga" auf den türkischen Zerstörer "Muavenet" abgefeuert wurde. Dieser irrtümliche Beschuss im Rahmen eines NATO-Manövers in der Ägäis kostete fünf türkischen Besatzungsmitgliedern das Leben; mindestens 14 weitere wurden verletzt. Die US-Regierung erklärte sich Anfang 1993 bereit, der Türkei als "Ersatz" für den zerstörten Zerstörer acht (!) Fregatten aus dem Bestand der amerikanischen Marine (Knox-Klasse) zu günstigsten Konditionen zu verkaufen oder zu leasen.23 Nach dieser Zusage hatte es die türkische Marine mit dem Erwerb weiterer MEKO-Neubauten aus Deutschland anscheinend nicht mehr so eilig. Kanzler Kohl, der die Türkei im Mai 1993 besuchte, musste nun der Regierung in Ankara schon mit einem bedeutenden Zuschuss winken, um sie zur Bestellung neuer Fregatten zu bewegen. Wegen der im September 1993 gegebenen 150-Millionen- Zusage kam es übrigens in Bonn zu einem Gerangel zwischen Wirtschaftsministerium, Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt: kein Ressort wollte die Summe aus seinem Etat finanzieren.24 Am Ende wurde entschieden, die Aufrüstungshilfe für die Türkei aus dem Einzelplan 05 (Auswärtiges Amt, Kapitel 0502, Titel 68621) zu bezahlen.
Als am 20. März 1995 die türkische Armee mit 35.000 Soldaten in den Nordirak einfiel, um die PKK ,endgültig" zu zerschlagen, sah sich Aussenminister Kinkel angesichts wachsender Kritik an der deutsch-türkischen Militärkooperation zu einer Reaktion veranlasst. Er verkündete am 27. März 1995, die 150-Mio-DM- Hilfe für die Kriegsschiffe werde vorläufig auf Eis gelegt. Dass dies nur eine symbolische Geste war, um den von Oppositionspolitikern erhobenen Vorwurf, Deutschland unterstütze die türkische Kriegspolitik, zu entkräften, war den meisten Beobachtern klar.25 Nachdem das türkische Militär seinen Irak-Einsatz im Mai 1995 offiziell abgeschlossen hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Mittel wieder "entsperrt" wurden. Der Haushaltsausschuss des Bundestages gab sie ,auf Vorschlag der Bundesregierung"26 am 20. September 1995 frei. B + V konnte nun mit dem Bau der Fregatte "Salih Reis" beginnen - oder ihn fortsetzen, denn laut "Jane's Fighting Ships" hatte die Kiellegung des Schiffes bereits am 16. März 1995 stattgefunden.27
Die Kriegsschiffsgeschäfte sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund der langen Tradition deutsch-türkischer Militärbeziehungen zu sehen. Seit dem 19.Jahrhundert waren deutsche Regierungen stets bestrebt, die Türkei mit Hilfe von Waffenlieferungen und Militärausbildern zu einer deutschen Interessensphäre zu machen.28 Zu Beginn des Ersten Weltkriegs konnte das Deutsche Kaiserreich die Türkei als Bündnisgenossen bzw. Söldner im Kampf gegen England gewinnen. Nicht einmal der Völkermord der türkischen Streitkräfte an den Armeniern 1915/16 konnte die Militärkooperation stoppen (von führenden deutschen Offizieren, so dem Flottenchef Wilhelm Souchon, wurde er vielmehr mit Genugtuung beobachtet).29 Auch mit Kriegsschiffen wurde die Türkei schon unter Wilhelm II. ausgestattet 30; Hitler-Deutschland führte diese Politik mit der Lieferung von U-Booten fort, die Kieler Germania-Werft (heute HDW) 1938/39 baute. Stets waren dabei die Interessen deutscher Machthaber und des deutschen Militärs eng mit den wirtschaftlichen Interessen norddeutscher Grosswerften verzahnt.
Mit dem deutsch-türkischen Militärhilfeabkommen vom 2.5.1964 begann ein neuer Waffenstrom in Richtung Bosporus zu fliessen (bis 1995 lieferte Deutschland Kriegsgerät im Wert von etwa 7 Mrd. DM). Dem Waffenembargo, das die USA nach der Zypern-Invasion von 1974 gegen die Türkei verhängten, schlossen sich die Deutschen nicht an. Im Gegenteil: Kanzler Schmidt und Verteidigungsminister Leber drängten die Amerikaner 1976, das Embargo wieder aufzuheben31 - was 1978 auch geschah.
Vor Beginn des Fregattenbaus liess B + V in der -> Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt ausgiebige Modellversuche durchführen.32 Im August 1984 begann in den Werkhallen von B + V die Produktion des ersten Kriegsschiffs für die Türkei. Die Arbeiten an dem Typschiff der zweiten Vierer-Serie wurden dort im November 1991 aufgenommen. B + V ist generell auch für die Integration der zugelieferten Waffen- und Elektronikmodule zuständig. Im Falle der ersten Fregatte ,Yavuz" wurden im August und September 1986 insgesamt 30 Module (5 Waffen-, 10 Elektronik- und 10 weitere Module) eingebaut.33
Bezeichnung |
Kiellegung |
Taufe |
Indienststellung |
Bauwerft |
Yavuz(F 240) |
Mai 1985 |
07.11.85 |
Juli 1987 |
B + V |
Turgut Reis(F 241) |
September 1985 |
30.05.86 |
Februar 1988 |
HDW |
Fatih (F 242) |
Januar 1986 |
24.04.87 |
Juli 1988 |
Gölcük |
Yildirim(F 243) |
April 1987 |
22.07.88 |
Juli 1989 |
Gölcük |
Verdrängung: 2.800 t (Design-Displacement) bzw. 3.000 t (full load), Länge: 110,5 m (über alles), Höchstgeschwindigkeit: 27 Knoten, Besatzung: 180 Mann
Bezeichnung |
Kiellegung |
Taufe |
Indienststellung |
Bauwerft |
Barbaros(F 244) |
01.03.93 |
29.09.93 |
01.03.95 |
B + V |
Oruc Reis(F 245) |
01.09.93 |
28.07.94 |
01.03.96 |
Gölcük |
Salih Reis(F 246) |
01.03.95 |
07.11.97 |
1998 |
B + V |
Kemal Reis(F 247) |
1996 |
1998 |
2000 |
Gölcük |
Verdrängung: 3.200 t (Design-Displacement) bzw. 3.350 t (full load), Länge: 116,7 m (über alles), Höchstgeschwindigkeit: 31 Knoten, Besatzung: 200 Mann
Hersteller der Waffensysteme
aus den USA: FMC
Corporation (Geschütz auf Vorderschiff), Raytheon (Sea
Sparrow-Flugabwehrsystem), McDonnell Douglas (Seezielflugköper
Harpoon), Loral Hycor (Düppelwerferanlage SRBOC), Honeywell
(Torpedos);
aus der Schweiz: Örlikon/Contraves
(Flugabwehrgeschütze Sea Zenith);
aus Italien: Augusta
(Hubschrauber AB 212 mit Raketen)
Weitere Zulieferfirmen 34
aus Deutschland: MTU Friedrichshafen (Dieselmotoren),
Zahnräderfabrik Renk (Getriebe), Siemens (Laserradarsystem
,Albis" für Geschütze, Generatoren), AEG
(Scheinwerfer), Anschütz (Kompassanlagen), Litton/C. Plath
(Kompassanlagen), Äromaritime Systembau (Freund-Feind-Kennung),
Radarleit (Taktisches Informationszentrum), Hagenuk (Integration
Fernmeldesystem), Honeywell-ELAC (Echolot), Elektro Spezial
(Fernmeldetechnik), Piller (Generatoren), Klöckner-Humboldt-Deutz
(Notgenerator), Varta (Batterien), Wilh. Lambrecht (Windmessanlage),
Weier (Elektromotoren), H.A. Springer (Choking-Technologie), CEAG,
Miele, Westfalia Separator, Zöllner, -> ELNA
(Satelliten-Navigationsanlage), -> Noske Käser
(Klimatechnik), -> G + H Montage (Feuer- und Lärmschutz), ->
Rheinhold & Mahla (Hitze- und Lärmschutz), ->
Metallverarbeitungsgesellschaft Schubert & Co. -> Sulzer Weise
(Pumpen), -> Ross Industrie, -> Alfons Haar (Maschinen), ->
Hatlapa (Maschinen)
aus den USA: Loral Hycor (Elektronik),
ITT (Elektronik), RCA (Elektronik), Gould (Elektronik), E-Systems
(Radiotechnik), General Electric (Gasturbinen für Track II);
aus den Niederlanden: Hollandse Signaalapparaten
(Feuerleitradar u.a.),
aus der Schweiz: Contraves
(Radaranlagen),
aus Grossbritannien: AGI, Racal (Radar),
Plessey (Radar),
aus Schweden: KaMeWa (Propeller)
Zwischen 1983 und 1995 hat es bei B + V wegen der beiden Kriegsschiffe ,Yavuz" und ,Barabaros" mindestens fünf Feiern mit Beteiligung türkischer Militärprominenz gegeben:
Symbolischer Fertigungsbeginn in Anwesenheit des Marineoberbefehlshabers und Junta-Mitglieds Nejat Tümer
Taufe der ,Yavuz" durch die Frau des türkischen Marineoberbefehlshabers, Admiral Atakan, und Festbankett im Hotel Interkontinental.
An der Indienststellung der ,Yavuz" nehmen 300 geladene Gäste teil, darunter der türkische Marineoberbefehlshaber Admiral Göksan und der Befehlshaber der deutschen Flotte, Vizeadmiral Rehder. Grosses Militärritual mit Nationalhymnen, Flagge-Küssen und Paradeaufstellung.35
Taufe der Fregatte ,Barbaros" im B+V-Baudock durch die Frau des türkischen Marinebefehlshabers Bayazit vor fast 500 geladenen Ehrengästen
Indienststellung der ,Barabaros" wiederum mit grossem Zeremoniell
Für den 12. März 1997 war die Taufe der Fregatte ,Salih Reis" bei B + V angekündigt; die Feier wurde jedoch abgesagt (möglicherweise wegen des Konflikts zwischen der islamisch orientierten Regierung und der Militärführung in der Türkei).
Nachtrag:
Die Taufe der "Salih Reis" wurde am 7.11.1997 bei B + V nachgeholt. Taufpatin war die Frau des türkischen Marineoberbefehlshabers, Admiral Dervisoglu.35a
Wie so oft geben auch hier die Schiffsnamen Hinweise auf die Gedankenwelt und die historischen Ideale der Auftraggeber. Der Name ,Yavuz" hat eine doppelte geschichtliche Bedeutung. Er rührt ursprünglich von Sultan Selim I. her, der von 1512 bis 1520 Herrscher des Osmanischen Reiches war und wegen seiner Härte und Grausamkeit ,Yavuz" (der Gestrenge) genannt wurde.36 Er ist durch Eroberung von Gebieten in Ostanatolien und Aserbeidschan, aber auch von Syrien und Ägypten in die türkische Geschichte eingegangen. In Erinnerung an diesen Kriegshelden nannten die Türken 1914 den bisherigen Schlachtkreuzer ,Göben", den sie bei Kriegsbeginn vom Deutschen Kaiserreich erhalten hatten, in ,Yavuz Sultan Selim" (später nur noch ,Yavuz") um. Gebaut worden war der Schlachtkreuzer 1909-12 bei B + V. Deutsche Kriegsnostalgiker erzählen immer wieder gerne, ,wie ein Kreuzer aus Hamburg die Türken zum Krieg animierte" und wie dieser - unter dem Kommando eines deutschen Admirals - bis 1918 ,die ganze russische Schwarzmeerflotte in Schach hielt".37 (Dieses erste Kriegsschiff ,Yavuz" wurde erst 1974-76 abgewrackt.) Mit der Entscheidung, das erste Schiff aus dem neuen Fregattenbauprogramm ,Yavuz" zu nennen, wurde also bewusst an zweifelhafte Traditionslinien der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft angeknüpft.
Mit dem Schiffsnamen ,Barbaros" ehrt die türkische Marine einen anderen Gewalttäter des 16. Jahrhunderts: den 1533 zum osmanischen Grossadmiral aufgestiegenen ehemaligen Seeräuberführer Hayr üd-Din, der in Europa unter dem Namen Barbarossa (Rotbart) Angst und Schrecken verbreitete.38 Mit dem Bau einer gewaltigen Kriegsflotte legte er den Grundstein für die osmanische Vorherrschaft im Mittelmeer. Unter ihm wurden nicht nur venezianische Inseln in der Ägäis erobert, sondern auch süditalienische Küstenorte gebrandschatzt und geplündert. 1538 brachte Barbaros(sa) einer von Andrea Doria geführten Koalitionsflotte europäischer Mächte eine vernichtende Niederlage bei (Schlacht von Preveze). Die Grabanlage von Barbaros ist noch heute im Istanbuler Stadtteil Besiktas zu besichtigen, wo sich auch ein martialisches Barbaros-Denkmal und das türkische Marinemuseum befindet. Im übrigen hat auch das Kriegsschiff ,Barbaros" einen Vorläufer von kaiserlich-deutscher Herkunft: Als das wilhelminische Deutschland 1910 ein Schlachtschiff (,Kurfürst Friedrich Wilhelm") an die Türkei abgab, bekam es dort den Namen ,Barbaros Hayreddin".
Die Lieferung der sog. Materialpakete an die Werft von Gölcük haben sich B + V und HDW untereinander aufgeteilt.39 Die Zulieferungen für die dritte Fregatte ,Fatih" schloss B + V 1988 ab. Die Verschiffung der Materialpakete von B + V erfolgt über den Grevenhofkai (Schuppen 69/70), der schon seit vielen Jahren ein wichtiger Umschlagsplatz für Rüstungsexporte in die Türkei ist. Im April 1995 nahm dort z.B. das türkische Frachtschiff ,Kayseri" diverse Komponenten für die sechste Fregatte ,Oruc Reis"- von Systemen der elektronischen Kampfführung bis hin zur Propellernabe - an Bord.
B + V hat im Rahmen des Geschäfts auch Schulungen für das Personal der türkischen Nachbauwerft durchgeführt. Auch ein Teil der Schiffsbesatzungen sind durch B+V-Instrukteure eingewiesen worden.40 Im übrigen hat beim Seetraining der türkischen Besatzungen die Bundesmarine wesentlich mitgewirkt.
Der Kriegsschiffshunger der Türkei ist mit den bisher acht MEKO-200-Fregatten und den zusätzlich aus den USA und Deutschland erhaltenen Gebraucht-Fregatten noch immer nicht gestillt. 1995/96 war von der Beschaffung von weiteren 6-8, dann sogar von 14 neuen Fregatten die Rede.41
Wie 1991 berichtet wurde, haben sich die ersten vier Fregatten ,bei Manövern im Mittelmeer, im Schwarzen Meer aber auch in der fernöstlichen See bewährt".42 Nach Meldungen der türkischen Presse wurden die Fregatten ,Yavuz" und ,Turgut Reis" beim Golfkrieg 1991 auf allierter Seite in Stellung gebracht.43 Vor allem nutzt die Türkei ihre Fregatten zu Demonstrationen ihrer Kriegsbereitschaft gegenüber Griechenland, wie dies z.B. beim Manöver ,Seewolf 2-94" im November 1994 geschah.44 Die ,Yavuz" lief 1996 beim Kreuzen in umstrittenen Gewässern in der östlichen Ägäis auf Grund 45 und löste damit neue Spannungen zwischen Ankara und Athen aus.
Die Vertrauensleute-Vollversammlung der Blohm + Voss AG lehnt in einer schriftlichen Stellungnahme gemeinsam mit dem Arbeitskreis ,Alternative Fertigung" den Bau von Fregatten für die Türkei ab. Von der Bundesregierung wird gefordert, stattdessen Mittel für die Produktion nützlicher Zivilgüter auf den norddeutschen Werften zur Verfügung zu stellen.
Die GAL-Fraktion fordert die Hamburger Bürgerschaft auf, folgenden Beschluss zu fassen: ,Die Bürgerschaft appelliert an den Vorstand und den Aufsichtsrat von Blohm + Voss, keine Fregatten für das antidemokratische und militaristische Regime der Türkei zu produzieren. Gleichzeitig appelliert die Bürgerschaft an die Bundesregierung, die hierfür bereitgestellte Bürgschaft zurückzuziehen und das Geld für arbeitsplatzerhaltende zivile Fertigung in der Werftindustrie zu vergeben."46 Der Vorstoss stösst auf die Ablehnung von SPD und CDU.
Der Besuch des türkischen Junta-Mitglieds Admiral Tümer bei B + V führt zu Protestaktionen vor den Werkstoren und an den Landungsbrücken. Nejat Tümer wird dabei als einer der fünf Generäle angeprangert, die 1980 ,die Regierungsgewalt an sich rissen, die gesellschaftliche Opposition ausschalteten und mit Mord und Folter Ruhe und Ordnung im Lande herstellten".47
Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies rügt auf dem Gewerkschaftstag in München die Beteiligung der Bank für Gemeinwirtschaft an der Kreditfinanzierung der türkischen Fregatten. Frau Wulf-Mathies ist Mitglied des BfG- Aufsichtsrats.48
An einer Protestdemonstration der Hamburger Friedenskoordination und anderer Gruppen anlässlich des Stapellaufs der Türkei-Fregatte ,Yavuz" nehmen etwa 200 Menschen teil. Die Demonstration endet beim Hotel Intercontinental, wo vom türkischen Marineoberbefehlshaber Atakan ein Festbankett gegeben wird. Die ,Bild"-Zeitung berichtet am nächsten Tag: ,Am `Interconti' wollten vier Demonstranten den Gästen des Empfangs ein Papier mit Forderungen überreichen. Aber die verweigerten die Annahme."
Zur Taufe der Fregatte ,Barbaros" am 29. September 1993 findet erneut eine Protestkundgebung vor dem Haupttor bei Blohm + Voss statt.
Der ,Informationskreis Rüstungsgeschäfte in Hamburg" weist in einer Presseerklärung auf die Gefahr hin, dass ein möglicher türkisch-griechischer Seekrieg ,auf beiden Seiten mit Kriegsschiffen von Blohm + Voss ausgefochten" würde. Die Medien nehmen von der Erklärung keine Notiz.
Im Bundestag wird die Bundesregierung mit kritischen Fragen zahlreicher SPD- und Grünen-Abgeordneten zu der Fregatten-Beihilfe für die Türkei eingedeckt. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), antwortet ausweichend und verniedlicht die türkisch-griechischen Spannungen zu einer Frage der ,bisweilen von beiden NATO-Partnern gewählten Rhetorik". In Anträgen fordern Bündnis 90/Die Grünen und PDS einen konseqünten Stopp der Rüstungslieferungen an die Türkei.49
Das Bonner SPD-Präsidium fordert, den Zuschuss von 150 Mio. DM, zu streichen und die Fregatten nicht zu liefern".50
Der Informationskreis Rüstungsgeschäfte veranstaltet, unterstützt von der Hafengruppe Hamburg - Dritte Welt und der GAL-Bürgerschaftsfraktion, mit zwei Barkassen eine Informations- und Protestfahrt zu der Fregatte ,Barbaros", die noch am Ausrüstungskai von B + V liegt. Ein Teilnehmer tauft die ,Barbaros" in ,Klaus Kinkel" um - nicht mit Sekt, sondern mit roter Farbe (Folge: drei Farbflecken am Schiffsrumpf). Anschliessend werden am Grevenhofkai zur Verschiffung bereitstehende Kisten besichtigt, die für den Bau des Kriegsschiffs "Oruc Reis" in Gölcük bestimmt sind. Wegen der alternativen Schiffstaufe werden danach 18 AktionsteilnehmerInnen von der Hamburger Wasserschutzpolizei vorübergehend festgenommen. Noch am selben Tag stellt der türkische Kriegsschiffskommandant - nach unseren Informationen offensichtlich auf Anweisung der türkischen Botschaft in Bonn - Strafantrag wegen Sachbeschädigung und droht, "dass bei einer erneuten Annäherung von Barkassen an die Fregatte auf weniger als 5 Meter eventuell von der Schusswaffe Gebrauch gemacht" würde. Auch B + V stellt Strafantrag. Hauptbegründung: an dem Speziallack, der die Ortung des Kriegsschiffs durch Radar verhindern soll, sei ein Schaden von ca. 20.000 DM entstanden. Das Landeskriminalamt Hamburg nimmt Ermittlungen auf, zeitweilig ist sogar das Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit der Angelegenheit befasst; zu einer Anklage und einem Gerichtsverfahren kommt es aber nicht.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir bezeichnet die Freigabe der 150 Millionen als "Persilschein" und als ,falsches Signal" für die türkische Regierung. Auch die Grünen-Abgeordnete Angelika Beer und der SPD-Haushaltspolitiker Eckhart Kuhlwein (Ammersbek bei Hamburg) wenden sich gegen die Entscheidung.
Der Friedensforscher Peter Lock kritisiert die Freigabe der 150-Millionen-Subvention: "Niemand und schon gar nicht die Gewerkschaften fragen nach, ob diese Art von Arbeitsplatzsubvention strukturpolitisch sinnvoll ist und ob sich mit den 150 Millionen DM nicht an anderer Stelle sehr viel mehr Arbeitsplätze hätten sichern lassen. Beim Fregattenbau fällt nämlich kaum ein Drittel der Wertschöpfung auf die Werft." 50a
Auf der Betriebsversammlung von B + V hält der Angestellte Ike Walter eine Rede, in der er den Vorstand wegen des neuen Kriegsschiffsgeschäfts mit der Türkei kritisiert.
Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre (Köln) und die Kampagne gegen Rüstungsexport (Idstein) werfen auf der Thyssen-Aktionärs-Hauptversammlung in Duisburg der Thyssen AG vor, mit den Kriegsschiffslieferungen an die Türkei und Griechenland schwelende Konflikte zu schüren. Motto des Protests: ,Die Ägäis gehört den Fischen - nicht den Kriegsschiffen von Thyssen!"
Auf der Thyssen-Aktionärs-Hauptversammlung in Duisburg stellt eine kritische Aktionärin aus Hamburg den Antrag, die Mitglieder des Vorstandes wegen der gleichzeitigen Kriegsschiffsgeschäfte mit der Türkei und Griechenland nicht zu entlasten. Der Antrag findet keine Mehrheit.
Anmerkungen: