Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
22763 Hamburg (Othmarschen), Behringstr. 120
Werk:
22880 Wedel, Industriestrasse 29
Stammkapital: 22 Mio. DM (1991)
Beschäftigte: 1555, davon
417 Ingenieure, ferner 117 Auszubildende (Ende 1990), 1603 (Ende
1991)
Umsatz: 304 Mio DM, davon 32 % Exportanteil (1990) 487 Mio
DM, davon 56 % Exportanteil (1991)
Geschäftsführer:
Klaus Dieter Gerster, Hans E.W. Hoffmann, Helmut Meyer-Baumeister
Die DMT Marinetechnik führte ab 1.1.1990 - zunächst noch als 100prozentige Tochter der -> Telefunken Systemtechnik GmbH (TST) - die Geschäftsaktivitäten des einstigen AEG-Fachbereichs Marinetechnik weiter. Mit Wirkung vom 23. Juli 1990 wurde die DMT entsprechend einer Auflage, die Bundeswirtschaftsminister Haussmann 1989 an die Genehmigung der Übernahme von MBB durch Daimler-Benz geknüpft hatte, aus dem Imperium des Daimler-Benz-Konzerns herausgelöst. Die -> STN Systemtechnik Nord GmbH, eine Holding des Bremer Vulkans, übernahm zunächst 51 Prozent der DMT-Anteile, zum 30. September 1991 auch die übrigen 49 Prozent.
Die DMT stellte allerdings nur eine Übergangslösung im Zuge der Bildung eines grossen norddeutschen Hochtechnologie- bzw. Rüstungsverbundes dar. Mitte 1992 wurden die ehemaligen Marinetechnikbereiche von AEG in Hamburg/Wedel und von MBB in Bremen zu einem gemeinsamen Unternehmen unter dem Dach des Bremer Vulkan zusammengeschlossen. Dies erfolgte auf dem Wege der Verschmelzung der DMT, Hamburg, auf die MSG Marine- und Sondertechnik GmbH, Bremen, bei gleichzeitiger Umbenennung in -> STN Systemtechnik Nord. Dieser Vorgang wurde mit der Eintragung ins Handelsregister am 30.6.1992 rechtswirksam. Es wurde vereinbart, dass die Verschmelzung mit wirtschaftlicher Rückwirkung ab 1.1.1992 gelten sollte. In diesem Firmenabschnitt werden daher nur die Geschäftsjahre 1990 und 1991 behandelt (zur weiteren Entwicklung -> STN ATLAS Elektronik GmbH).
Die Umsatzerlöse in den einzelnen Tätigkeitsbereichen betrugen in Mio. DM: 6
|
1990 |
1991 |
Marinesysteme und -logistik |
23,6 |
14,8 |
Marine-Informationstechnik |
28,2 |
29,5 |
Unterwassertechnik |
85,6 |
251,8 |
Schiffs-, Offshore- und Meerestechnik |
97,8 |
123,6 |
Service |
67,2 |
65,7 |
Sonstiges |
1,6 |
1,5 |
|
304 |
486,9 |
Unterstellt man, dass der im zivilen Bereich erzielte Umsatz im wesentlichen dem Umsatz der Schiffs-, Offshore- und Meerestechnik und etwa der Hälfte des Umsatzes im Servicebereich entsprach, ergibt sich, dass der militärische Umsatzanteil 1990 bei 56 und 1991 bei 68 Prozent lag.
1990 konnte "für die Fregatten F 123 der Bundesmarine ein nennenswerter Auftrag zur Lieferung von E-Installation und Automationsanlagen sowie Dienstleistungen hereingenommen werden".7 Die vier Fregatten dieser Klasse wurden 1992-96 bei -> Blohm + Voss, HDW, den Thyssen-Nordseewerken und dem Bremer Vulkan gebaut.
In der Zeitschrift "Naval Forces" wurde die DMT Marinetechnik 1991 im Zusammenhang mit einer nicht erklärten Abkürzung, MTDS, erwähnt. MTDS, so hiess es dort, sei Bestandteil des DMT-Konzepts zur Modernisierung und Standardisierung von Waffensystemen auf existierenden Kriegsschiffen.8 Das Kürzel MTDS steht offenbar für "Marine Tactical Data System" oder "Modular Tactical Data System".
Auf die sog. Unterwassertechnik - dies ist eine freundliche Umschreibung für Unterwasserwaffen - entfiel im Jahr 1990 ein Anteil von 28,2 Prozent am DMT-Gesamtumsatz, 1991 sogar ein Anteil von 51,7 Prozent (vgl. obige Übersicht). Geld brachten - wie zuvor beim AEG-Fachbereich Marinetechnik und wie später bei der STN - vor allem Torpedos.
Im Lagebericht der DMT für das Geschäftsjahr 1991 heisst es: "Die Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr resultiert im wesentlichen aus der Abrechnung von Exportaufträgen im Bereich der Unterwassertechnik."9 Wohin die Unterwasserwaffen exportiert wurden, ist dieser Qülle nicht zu entnehmen; dies erfährt man zumindest teilweise aus dem Geschäftsbericht des Mutterkonzerns Bremer Vulkan: "In der Unterwassertechnik wurden umfangreiche Teillieferungen für Indonesien und Korea vorgenommen."10
Hinsichtlich des Empfängerlands Korea ist klar, dass der Hinweis im Geschäftsbericht des Bremer Vulkans sich auf die Lieferung von Torpedos für die ersten drei der von Südkorea bestellten U-Boote bezogen hat. 1989 hatte HDW in Kiel mit dem Bau des U-Boot-Prototyps begonnen, 1990 lief auch das Nachbauprogramm auf der koreanischen Werft Daewoo an. Die koreanischen U-Boote sind mit jeweils 14 Torpedos des Typs SUT Mod. 2 ausgerüstet. Es handelt sich laut "Jane's Defence Weekly" um die ersten deutschen Export-Torpedos, die mit einem Audio-Kanal zur Übertragung analoger Signale vom Zielsuchkopf zur Leitstelle im U-Boot ausgerüstet sind.11
Im Fall Indonesien betrafen die erwähnten Teillieferungen die 1982 von -> AEG und dem indonesischen Forschungs- und Technologieminister Habibi eingefädelte Torpedo-Produktion bei P.T. Nurtanio. Ein Teil der dort mit deutschem Material endmontierten SUT-Torpedos mag das Waffenarsenal der indonesischen Seestreitkräfte vergrössert haben. Ein wesentlicher Teil ist aber von Indonesien an ein anderes Land geliefert worden: Taiwan! Belege hierfür finden sich in voneinander unabhängigen Insider-Publikationen, die in Sachen Seekriegsrüstung - wohl auch dank geheimdienstlicher Qüllen - über einen aussergewöhnlich guten Informationsstand verfügen. In dem US-amerikanischen Verzeichnis "The Naval Institute Guide to the Combat Fleets of the World 1995" heisst es unter dem Stichwort Taiwan: Etwa 200 in Indonesien gebaute, in Westdeutschland entwickelte SUT-Drahtlenk-Torpedos wurden 1988 zur Nutzung durch U-Boote bestellt.12 Und aus "Jane's Fighting Ships", Ausgabe 1995/96, ist zu entnehmen: Die taiwanesischen U-Boote "Hai Lung" und "Hai Hu", die 1982-88 auf einer holländischen Werft gebaut wurden, führen je 20 SUT-Torpedos aus indonesischer Lizenzproduktion mit sich. 13 Nach derselben Quelle hat Taiwans Marine auch den aus US-Beständen übernommenen Uralt-U-Booten "Hai Shih" und "Hai Bao" durch SUT-Torpedos neue Kampfkraft verliehen.
Offensichtlich erhielt auch Pakistan zu einem bisher nicht sicher bestimmbaren Zeitpunkt (vor oder nach 1990) Torpedos aus deutsch-indonesischer Koproduktion. Dieses Land hat seit 1988 mehrere (drei oder mehr) Klein-U-Boote in Dienst gestellt, die von der italienischen Werft Cosmos, Livorno, konstruiert wurden. Bewaffnet sind die Zwerg-U-Boote, wie Jane's erstmals 1994 berichtete, mit Unterwassergeschossen des deutschen Typs SUT.14 Auch die grösseren U-Boote Pakistans (Hangor-Klasse) können diesen Torpedotyp abfeuern.
Die Bundesregierung hat 1997 auf Anfrage erklärt, sie habe "keine Erkenntnisse über den Export von Torpedos oder Torpedoteilen" nach Taiwan und Pakistan.15 Zugleich hat sie mitgeteilt, dass im Rahmen der Torpedo-Koproduktion mit Indonesien eine Regelung hinsichtlich des Endverbleibs getroffen worden sei: "Diese Regelung lässt eine Weitergabe der Materialpakete bzw. der Torpedos an dritte Länder nur mit Einwilligung der Bundesregierung zu." 16 Da zumindest die Torpedolieferung an Taiwan angesichts der mehrfach bestätigten Informationslage als Fakt gelten muss, bleiben nur zwei Deutungsmöglichkeiten übrig: Entweder hat Indonesien die Bundesregierung durch heimliche Torpedo- Exporte hintergangen, dann dürfte letztere die betont freundschaftlichen Beziehungen zum Suharto/Habibi-Regime nicht länger fortsetzen, oder die Bundesregierung täuscht Unwissenheit nur vor (dies ist die wahrscheinlichere Variante).
Im Dezember 1991 sicherte sich die DMT einen neuen Grossauftrag in der Unterwassertechnik. Damals bestellten die deutsche und die norwegische Marine "Seehecht"-Torpedos mit einem Gesamtwert von 415 Mio. DM (zur Abwicklung dieses Geschäfts -> STN ATLAS Elektronik).
Die DMT ist in der Nachfolge von AEG auch weiter als Anbieterin von Seeminen aufgetreten. Eine aus der deutsch-dänischen Seemine SAI (= SM G 4) abgeleitete Exportvariante AIM (Anti-Invasion Mine) scheint jedoch auf dem Weltmarkt keinen Erfolg gehabt zu haben.17
Zitat aus dem Lagebericht der DMT für 1991: "Zusätzlich von den von Kunden bezahlten Entwicklungsaufträgen wurden umfangreiche Eigenmittel für Forschung und Entwicklung eingesetzt, insbesondere um den Anteil des zivilen Geschäftes zu steigern, wobei die aus der Wehrtechnik gewonnenen Erkenntnisse eine gute technologische Basis bilden." Ein grundsätzlicher Ausstieg aus dem Rüstungsgeschäft wurde von der DMT aber nicht angestrebt.
Konkrete Konversionsvorschläge sind auch bei der DMT von einem Arbeitskreis Alternative Produktion entwickelt worden. Eine Idee bestand darin, den neuentwikelten Torpedomotor (160 PS) als Antrieb für ein Elektroauto zu nutzen. Giessmann/Wehner schreiben zu diesem Vorschlag:18 "Hier hätte sich eine sehr gute Möglichkeit der Produktkonversion angeboten. Damit hätte man in den von schweizer Unternehmen dominierten Markt einsteigen können. Diese Möglichkeit wurde vonseiten der Geschäftsleitung immer abgelehnt, ebenso wie die Entwicklung eines elektronisch angetriebenen Fahrrades. Diese Ablehnung führte auf Seiten der hier engagierten Beschäftigten zu erheblichen Frustrationen."
Es muss allerdings angemerkt werden, dass allein der Motor des Torpedos 150.000 DM kostet. Ein solcher Preis macht es im Grunde schon unmöglich, sich mit einem neuen Produkt auf dem zivilen Markt durchzusetzen.19
Anmerkungen: