zurück zur Homepage

Que Se Vayan Todos

- Argentinas Popular Uprising -


Ein Augenzeugenbericht des finanziellen Zusammenbruchs und der fortschreitenden Grasswurzelrebellion

zurück zum Inhalt


Ökonomie im freien Fall

Wir sind an einem Freitag angekommen. Jede Freitagnacht seit Mitte Dezember 2001 gab es einen massiven Cacerolazo (Kochtopfdemo) in Buenos Aires. Die Leute versammeln sich im politischen Zentrum der Stadt, dem Plaza de Mayo, und machen einen riesigen Lärm indem sie auf die cacerolas, Töpfe, schlagen. Diese großen cacerolazos sind spontan am 19. December 2001 entstanden, dem Tag an dem der Aufstand ausbrach, nachdem er in den Provinzen während mehreren Jahren geschwelt hatte, und nun ist praktisch jeder Bereich der argentinischen Gesellschaft miteinbezogen.
Argentinien erlitt zweieinhalb Jahre von IWF-gestützten "Marktwirtschaftsreformen", die bedeuteten daß alles privatisiert wurde: Wasser, Telefonleitungen, Postdienste, Eisenbahnen, Strom - einfach alles was ihnen einfiel - sogar der Zoo wurde privatisiert.Als die asiatischen und russischen Märkte 1998 zusammenbrachen, trockneten Auslandsinvestitionen in den sogenannten "emerging markets", den aufstrebenden Ökonomien der Schwellenländer, aus. Argentinien wurde schwer getroffen und verfiel in eine tiefe Rezession, und ausländische Gläubiger verlangten ihr Geld zurück, rechtzeitig.
Gemäß dem Internationalen Währungsfond, IWF, wäre der einzige Weg daß die argentinische Regierung die 132 Milliarden Dollar Schulden zurückbezahlen könnte, von denen einige noch aus der Militärdiktatur stammen, noch mehr Kürzungen bei den Sozialausgaben, insbesondere da viele Menschen aufgehört hatten ihre Steuern zu bezahlen, weil sie die politische Korruption satt hatten. Renten, Erwerbslosengeld, Gesundheit und Bildung wurden massiv gekürzt, und allen Staatsangestellten wurden die Löhne um 13 Prozent gekappt. Es war die selbe alte Leier die in so vielen Ländern der Welt wiederholt wird - in der Welt - wodurch Staaten noch weiter in die tiefere und tiefere Verschuldung gezwungen werden. Der IMF streicht bis zum letzten Hemd die Ökonomien zusammen zum Vorteil von Großbanken und Anleihekonzernen.
Tatsächlich waren es die Kreditmärkte, die unzufrieden waren mit dem langsamen Tempo der Sparpolitik, die sich als noch heftigere Maßnahmeneinforderer erwiesen als der IWF. Im Gegensatz zum IWF, sandten sie keine Verhandlungsdelegationen, sie erhöhten einfach massiv die Zinsen auf ihre Kredite, manchmal von 9 auf 14 Prozent innerhalb von 14 Tagen. Nun, nach vier Jahren Rezession, ist jede fünfte Person in Argentinien erwerbslos, und manche ÖkonomInnen befürchten daß diese Zahl bald verdoppelt sein könnte. 40 Prozent der Bevölkerung lebt nun unter der Armutsgrenze, und täglich wird diese Zahl um weitere 2000 Menschen erhöht. Krankenhäusern fehlt es an Grundversorgung wie Verband und Spritzen, Schulen müssen schließen weil die LehrerInnen nicht bezahlt werden, Kindersterblichkeit und Hunger nehmen zu. Und dies alles passiert in einem Land das früher als eines der reichsten der Welt bekannt war. Während Jahrzehnten wurde Argentinien als große Erfolgsstory des Neoliberalismus unter den "Entwicklungsländern" betrachtet, Musterschüler des "Washington Consensus" und wichtigster Propagandist des Freihandels in der Region. Als die Rezession schlimmer wurde, fielen argentinischen Aktien ins Bodenlose, und die ungeliebten Sparmaßnahmen wurden imemr fieser.Der Protest verbreitete sich weiter über das Land. Die Zustände spitzten sich im Dezember 2001 zu, als die Regierung, nach dem Strohhalm greifend, sich dazu entschloß, eine komplizierte Neuverhandlung ihrer Schuldenzahlungen vorzunehmen. In der Angst daß das ganze ökonomische Karten-haus in sich zusammen purzeln könnte, und die Währung abgewertet werden könnte und ihre ganzen lebenslangen Ersparnisse vernichtet werden könnten, geriet die Mittelklasse in Panik und entzog etwa 135 Milliarden Dollar von ihren Bankkonten.

Der unbeliebte Finanzminister Domingo Cavallo fürchtete einen Ansturm auf die Banken und kündete massive Einschränkungen an um die Höhe der Geldmenge einzuschränken, die Argentinier-Innen von ihren Bankkoten beziehen konnten. Bekannt als corralito, beinhalteten diese Maßnahmen eine monatliche Begrenzung von 1000 Dollar an Bargeldauszahlungen zusätzlich zu Einschrän-kungen auf off-shore Überweisungen. Als all die Facetten der Krise sich miteinander verschränkten, war die Wirtschaft effektiv gelähmt.
Der IWF drehte aufgrund der Einschränkungen im Bankensystem und des Schuldenzahlungsplans durch, da dies ernsthafte Auswir-kungen auf ausländische Gläubigerbanken hätte, die 40 Prozent der Schulden Argentiniens innehaben. Sie weigerten sich weiteres Kapital zu leihen, und innerhalb von wenigen Wochen konnte Argentninien die Kreditzinsen nicht mehr tilgen, das erste Mal seit Jahren daß ein Land dies nicht bezahlte. Von diesem Moment an befand sich die Ökonomie in freiem Fall. Am 13. Dezember riefen die großen Gewerkschaften zu einem Generalstreik, der das Land für 24 Stunden zum völligen Stillstand brachte. Sechs Tage später brach die Rebellion der Bevölkerung in den Strassen aus, wo sie bis heute geblieben ist.

nächste Seite