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Que Se Vayan Todos

- Argentinas Popular Uprising -


Ein Augenzeugenbericht des finanziellen Zusammenbruchs und der fortschreitenden Grasswurzelrebellion

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Die Erhebung der Nachbarschaften

Jede Woche machen die Leute aus allen Ecken von Buenos Aires diese Pilgerfahrt, die für manche bis zu sieben Kilometer lang ist. Sie laufen mit ihren Asembleas Populares, den Nachbarschaftsversammlungen, die in den letzten paar Monaten in über 200 Nachbarschaften der Stadt und der sie umgebenden Provinzen spontan entstanden. Diese Versammlungen werden schnell zu autonomen Zentren gemeinsamer Teilnahme. Die meisten treffen sich wöchentlich (besonders ehrgeizige zweimal pro Woche) und sie treffen sich immer draussen - auf Plätzen, in Parks und sogar in Strassenecken.
Jeden Sonntag gibt es eine Versammlung der Versammlungen, ein alle Nachbarschaften umfassendes Plenum im Park, an dem über 4000 Leute teilnehmen und das oft über 4 Stunden dauert. SprecherInnen aus reichen, armen und Mittelklasse- Gegenden sind anwesend, um über die Arbeit und die Vorschläge der lokalen Versammlungen zu berichten, Ideen auszutauschen und die Strategie für die Stadt-weiten Mobilisierungen der nächsten Woche zu besprechen.
Die lokalen Versammlungen sind für fast jeden und jede offen, eine Versammlung jedoch hat BankerInnen und ParteiaktivistInnen ausgeschlossen und einige andere lassen keine Presse zu. An einigen Versammlungen nehmen bis zu 200 Menschen teil, andere sind wesentlich kleiner. Bei einer Versammlung, bei der auch wir waren, nahmen ungefähr 40 Leute teil, angefangen bei zwei Müttern, die auf dem Gehweg ihre Kinder stillten über einen Anwalt im Anzug, einen dürren Hippie in Batik-Klamotten, einen älteren Taxifahrer, einen Fahrradkurier mit Dreadlocks und einen Krankenpflege-schüler. Es war ein ganzer Ausschnitt der argentinischen Gesellschaft, der in einem Kreis auf der Strassenecke im orangen Licht der Strassenlaterne stand, ein nagelneues Megaphon herumreichte und diskutierte, wie die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen sei. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei und hupte in Unterstützung, und all das passierte zwischen acht Uhr und Mitternacht an einem Mittwoch Abend.
Es schien alles so normal und doch war es vielleicht das aussergewöhnlichste, radikale politische Ereignis, dem ich jemals beiwohnte - gewöhnliche Leute diskutieren ernsthaft Selbstorgani-sierung, verstehen spontan direkte Demokratie und beginnen das in ihren Nachbarschaften umzusetzen. Vervielfache das mit 200 allein in dieser Stadt und Du hast die Entstehung einer unwiderstehlichen öffentlichen Rebellion, eine Graswurzel- Basiserhebung, die zentralisierte politische Macht ablehnt. Wie Roli, ein Buchprüfer der Almagro Versammlung sagte: "die Leute lehnen politische Parteien ab. Um aus dieser Krise herauszukommen ist wirkliche Politik nötig. Diese Treffen gewöhnlicher Leute auf den Strassen sind die fundamentale Form um Politik zu machen."
Ausserhalb der wöchentlichen Treffen, kommen die Versammlungen in kleineren Komitees zusammen von denen jedes einem verschiedenen, lokalen Thema oder Problem gewidmet ist. Komitees für Gesundheit sind häufig - da die Budgets der lokalen Krankenhäuser drastisch gekürzt wurden besteht eine dringende Notwendigkeit Alternativen zum zusammenbrechenden Wohlfahrtssystem zu entwickeln. Einige schlagen vor, dass Leute, die ihr eigenes Haus besitzen ihre Eigentumssteuer zurückhalten und das Geld stattdessen den lokalen Krankenhäusern geben. Viele Versammlungen haben auch alternative Medienkomitees angesichts der weitverbreiteten Kritik an der Darstellung der Rebellion in den Mainstreammedien. Ein grosser Cazerolazo vor ihren Hauptbüros war nötig, sie dazu zu bringen, die Erhebung exakter darzustellen. Wie auch immer, der Geist des Misstrauens jeglicher enormen Einheit an Eigentum gegenüber bleibt gross, und die lokalen Versammlungen fangen an ihre eigenen Nachrichtenblätter zu drucken, Neuigkeiten über lokale Nachrichtensender zu verbreiten und Internetseiten aufzubauen.
Zusätzlich zu den unzähligen Treffen und dem wöchentlichen Cacerolazo, organisieren die Versammlungen auch lokale Strassenparties und Aktionen. In einer Nachbarschaft zum Beispiel, organisierte die Versammlung Posten, um die Autoritäten davon abzuhalten eine Bäckerei, die die Miete nicht bezahlen konnte, zu schliessen.
Für viele TeilnehmerInnen an den Versammlungen ist es das erste mal in ihrem Leben, dass sie in irgendeiner Form von Basismobilisierung eingebunden sind. Indem ein Raum geschaffen wurde, in dem die Leute den Problemen und Veränderungswün-schen anderer zuhören, haben die Versammlungen es den Menschen ermöglicht, zu realisieren, dass ihre persönlichen, täglichen Kämpfe mit den Problemen anderer Leute verbunden sind, und das eventuell alle Wege zu einer ähnlichen Ursache führen, ob es die Regierung, die Banken, der IWF oder das ganze ökonomische System selbst ist. Ein älterer Ladenbesitzer, dessen Erfahrung für die vieler TeilnehmerInnen steht, sagt: "Nie in meinem ganzen Leben habe ich mich auch nur im geringsten für irgendjemand in meiner Nachbarschaft interessiert. Politik war mir egal. Aber diesmal merkte ich, dass ich genug hatte und dass ich etwas tun musste." Damit radikale Veränderungen möglich sind, muss sich sowohl in unseren Kämpfen, als auch in unseren sozialen Strukturen etwas ändern, und es ist oft das Werkzeug Sprache, durch das die radikalsten Wechsel im Bewusstsein sich ausdrücken. Eine wunderschöne Illustration dafür ist, dass aus den Erfahrungen mit den Versammlungen eine neue Grußform aufkam. Die traditionelle linke Grußform in der lateinamerikanischen Kultur, companero /a, GenossIn, wurde, zugunsten der neuen Form, vecino /a, NachbarIn, abgelehnt. Es ist ein einfacher Trick der Sprache, aber es wird ein grundsätzlicher Wechsel damit ausgedrückt, weg von autoritärer Politik aufgebaut auf Macht und Parteien, hin zu einer partizipatorischen Politik der Menschen und Orte.

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