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Que Se Vayan Todos
- Argentinas Popular Uprising -
Ein Augenzeugenbericht des finanziellen Zusammenbruchs und der fortschreitenden Grasswurzelrebellion
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Vorsicht vor dem bürgerlichen Block
18. Februar 2002
Es ist Montag Nachmittag, wir sind in der Florida Avenue, der Haupteinkaufsstraße von Buenos Aires, die sich mit ihren vielen Mc Danald`s, Tower Records und Benettons durch nichts von der Londoner Oxford Street unterscheidet. Die geschäftige Straße, normalerweise voll mit Bänkern und Geschäftsmännern- und Frauen, die in der Mittagspause ein paar Einkäufe machen, verläuft am Rand des Finanzviertels. Aber heute ist irgendwas nicht normal. Das Geraschel der Einkaufstüten wird von einem ohrenbetäubenden Lärm übertönt.
Eine Gruppe von ungefähr 200 Leuten schlägt auf die Metallplatten, die einen Bankeingang schützen ein. Sie schlagen mit Hämmern, Schöpflöffeln, Werkzeugen, eine Frau zieht sogar ihren Schuh aus um ihn als Schlaginstrument zu benutzen. Die ganze Fassade des Gebäudes wird von der Wut, der auf sie einprasselnden Schläge, erschüttert. Durch die Stärke einiger Werkzeuge werden klaffende Löcher direkt in das Metall geschlagen, durch Handschuhe geschützte Hände reissen die Platten auseinander. Plötzlich fällt der Schutz und die Menge jubelt.
Eine Handvoll Leute trennt sich ab und dringt in die Lobby einer Bank gegenüber ein. Im Bruchteil einer Sekunde sind alle sechs Geldautomaten systematisch zerstört, Glas splittert und eine Frau sprüht "chorros" (Diebe) in grossen Buchstaben auf die Marmorwand. Nervöse Bankangestellte beobachten die Scene hinter einer Glaswand; ein Ei segelt durch die Luft und zerbricht daran. Die Banker zucken zusammen, dann verschwinden sie.
Die Menge wiederholt die anklagenden Rufe: "ladrones, ladrones" (Diebe), dann gehen sie zu einem längeren Sprechchor über, während sie, ekstatisch hüpfend, Aktenmappen und Geldbörsen durch die Luft schwenken. Der Sprechchor lässt sich ungefähr so übersetzen:"Wer nicht springt ist ein Bänker, wer nicht springt ist ein Dieb..." Als dies langsam erstirbt verlassen alle die Lobby und bewegen sich in Richtung der nächsten Bank, ungefähr 40 Meter die Strasse hoch.
Diese Taktiken wurden zur Urform modernen Protests: das zersplitterte Glas, mit Grafitti beschmierte Wände von Banken, die Symbole des Kapitals zerstört. Diese Bilder waren in unsere Vorstellung der vergangenen Jahre eingebettet, und zwar durch eine mega Maschine der Mainstream Medien mit dem Ziel die antikapitalistische Bewegung, die zunehmend als"terroristische Schläger", "gewaltätige Anarchisten" und "durchgedrehter Mob" bezeichnet wird, zu spalten, zu diskreditieren und anzugreifen. Von London nach Genua über Seattle, Prag und Quebec, war es die gleiche Geschichte, die gleichen Bilder, die gleichen Rituale symbolischer Zerstörung, immer und immer wieder gespielt; ein dramatisches Stück, das wirksam Zeitungen verkauft, wenn es auf die Frontseite geklatscht wird und das dazu dient von den wirklichen Themen abzulenken. Wie auch immer, hier in Buenos Aires liegen die Dinge ganz, ganz anders.
Zum einen, war es unmöglich Passanten von Demonstranten zu unerscheiden. Männer in Anzug und Krawatte mit Aktentaschen in der einen und Hämmern in der anderen Hand, Frauen mit goldenen Armreifen, Handtaschen und hochhackigen Schuhen teilen sich Spraydosen, anonyme Anzugträger machen in ihrer Mittagspause am Aufruhr mit und verschwinden dann wieder in der Menge. Durch die Fussgängerzone zu gehen war erstaunlich - nicht nur, dass es nicht möglich war zu erkennen wer wer ist, auch blieben die Geschäfte und deren Türen und Fenster geöffnet, ohne Angst, vor Plünderung oder Zerstörung, da völlig klar war, das die Banken und nichts anderes die Ziele sind. Sogar Mc Donald`s, der üblicherweise die Ehre hat als erster die Scheiben zu verlieren lässt seine Tür, nur von einem einzelnen Sicherheitsmann bewacht, offen.
Ein weiterer großer Unterschied ist, dass das hier gar nicht der black-bloc ist - um genau zu sein, sind auch keine Kaputzenpullis zu sehen. Niemand ist maskiert, bis auf eine Frau die ihr, Gesicht hinter einer Zeitung und einer großen Sonnenbrille versteckt, was verständlich ist, wenn jemand die Verschleppung von über 30.000 seiner Mitbürger überstanden hat. Der Geist von militanter (und häufig machomäßiger) Vermumung ist völlig abwesend. Es ist helllichter Tag - wärend die Bank gecrashed wird kaufen Leute nebenan Turnschuhe, und die Handvoll Polizisten steht unfähig einzugreifen herum und schaut blöde. Das ist die offenste, und disziplinierteste Zerstörung von Eigentum (von Riots kann keine Rede sein, wenn die Polizei nicht dagegen ankämpft), deren Zeugen wir je wurden. Wahrscheinlich auch die surrealste. Wenn man sie als Block bezeichnen will, warum auch nicht, nachdem sie sich wie einer bewegen und handeln, wäre "bürgerlicher Block" vielleicht am passensten.
Die Ahorristas (SparerInnen), oder Schützer, halten ihre Demonstrationen dreimal die Woche ab. An dem Tag, an dem wir sie begleiteten, wurden 17 Banken "besucht". Bevor wir sie trafen war es schwer sich Frauen mit Einkaufstaschen und hohen Absätzen vorzustellen, die Schalterfenster eintreten, ein breites Lippenstift-Grinsen im Gesicht, wenn sie das Glas in tausend Stücke zerbersten sehen. An diesem Tag haben sie auch jeden bewachten Geldtransporter, welche Bargeld von Bank zu Bank transportieren, dem sie begegneten umringt und besprüten ihn mit Graffiti, wärend Männer in Nadelstreifenanzügen die Reifenmut-tern lösten, und andere die Motorhaube öffneten und Kabel aus den laufenden Motoren rissen. Mütter sprangen auf den Autodächern auf und ab, und zerschlugen alles was kaputt gemacht werden konnte: Seitenspiegel, Lichter, Nummernschilder und Antennen. Für drei Stunden an einem Montag nachmittag wurde unser Weltbild auf den Kopf gestellt. Alle unsere Vorurteile und Stereotypen schmolzen dahin, und die ganze Zeit mussten wir denken: "Das könnte meine Mutter sein."
Die Ahorristas sind die obere und untere Mittelklasse, deren Ersparnisse durch den von der Regierung verhängten Corralito eingefroren wurden. Mit Hemd und Krawatte, Stöckelschuhen und Designersonnenbrillen sehen sie einfach nicht aus als ob sie Firmeneigentum zerschlagen würden. Sie sind ArchitektInnen, ProgrammiererInnen, ÄrztInnen, Hausfrauen, BuchhalterInnen und sogar Bankangestellte, eine von ihnen, im Geschäftsanzug und mit einem Schraubenschlüssel sowie einer Metallkugel in der Hand, erklärte:"Nicht nur die Banken sind die Diebe, die Regierung und die Unternehmen sind es. Sie konfiszierten das ganze Geld das wir auf der Bank hatten. Sie stahlen es." Sie macht eine Pause und schüttelt dann ihre Faust: "ch bin sehr wütend!"
Die Ahorristas sind nicht einfach nur die selbstsüchtige kleine Bourgeoisie, die sich um ihr eigenes Geld sorgt. Ihr Kampf ist als Konsequenz aus den eigenen Interessen ausgebrochen, und hat begonnen viele Teile des sozialen Systems mit einzubeziehen. sie haben sich öffentlich mit den Piqueteros verbündet und viele nehmen an den Asambleas teil. "Hier muss sich viel mehr als nur die Regierung ändern", sagt Carlos, ein Computer Programmierer, der seinen ganzen Anzug mit Slogans bemalt hat. Seine Worte folgen denen Alejandros: "Wir, die Piquetoros, und alle Leute, die kämpfen, tun dies für soziale Veränderung. Wir glauben nicht mehr an das kapitalistische, neoliberale System."
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