Frankfurter Rundschau, 3.1.2000 Türkei: Wie Nachrichten von einem anderen Planeten Die Männer von Kaynasli haben sich im Kaffeehaus versammelt - doch nach Feiern ist niemandem zumute: Die Stadt Kaynasli im Nordwesten der Türkei wurde bei dem schweren Erdbeben im November fast völlig zerstört, viele Menschen verloren Verwandte und Freunde und müssen in Zelten hausen. An Fernsehgeräten verfolgen die Erdbebenopfer die Parties zum Jahrtausendwechsel. Die Ausgelassenheit, die auf den Bildschirmen zu sehen ist, ist für sie so weit weg, als werde auf einem ganz anderen Planeten gefeiert. Die schwere Zeit, die hinter den Menschen im Katastrophengebiet liegt, bestimmt ihre Erwartungen für das neue Jahr: "Ich wünsche mir ein Jahr ohne Erdbeben", sagt ein Mann. Die türkischen Neujahrsfeiern haben durch das Schicksal der Erdbebenopfer einen bitteren Beigeschmack bekommen. Daran ändern auch die großen Feste in Istanbul und anderen Städten nichts. Am Taksim-Platz in der Innenstadt von Istanbul versammeln sich zehntausende Menschen zu einem Mitternachts-Konzert der Ska-Gruppe "Athena"; auch im südtürkischen Antalya wird auf den Straßen ausgiebig gefeiert. Doch viele Millionen Fernsehzuschauer im Land werden daran erinnert, dass nicht das ganze Land tanzt: Immer wieder schalten die TV-Sender ins Erdbebengebiet, um von dort zu berichten. Die Erdbebenopfer selbst spüren jeden Tag, dass die Folgen der Katastrophen vom August und November längst nicht ausgestanden sind. Ein paar verlieren am Silvestertag sogar zum zweiten Mal alles: In Adapazari und Düzce geraten fünf Zelte von Erdbebenopfern in Brand. (afp)
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