Süddeutsche Zeitung, 4.1.2000 Zwischen allen Zielen Wie die Linken Beer und Erler eine Politik vertreten, die auch mit Waffen argumentiert Von Christoph Schwennicke Berlin, im Januar - Neulich im Berliner Reichstag fuhr Angelika Beer eine Pranke von hinten auf den prall gefüllten Rucksack. "Na? Tellerminen?", fragte einer von hinten, der sich beim Umdrehen als der Bundeskanzler erwies. "Nein", gab Angelika Beer zurück, "Panzerabwehrminen - gegen deutsche Leos in der Türkei!" Da schüttete sich Gerhard Schröder wieder mal aus vor Lachen, und auch Angelika Beer lacht laut, als sie die Geschichte erzählt. Sarkasmus gegen die Verbitterung: Das ist Angelika Beers Art, mit ihrem Problem fertig zu werden. Neulich abends, im Konzerthaus in Freiburg, traf Gernot Erler den Bundeskanzler. Er habe höchste Sorge, sagte Erler seinem Parteifreund Gerd, wenn die Bundesregierung der Türkei einen Testpanzer Leopard 2 A 5 liefern lassen würde. Schröder war nicht sehr Ohr, was Erler im Nachhinein damit erklärt, dass er nur zwei Minuten bis zu seinem Auftritt hatte. Am nächsten Tag entschied Gerhard Schröder im Bundessicherheitsrat, dass der Panzer geliefert wird. Von da an hatte Gernot Erler dafür zu sorgen, dass eine Entscheidung getragen wird, die er nie so gefällt hätte und zu der er nie gehört wurde. "Schwer erträglich", findet Erler das. Das Ringen mit der Rolle: Das ist Gernot Erlers Art, mit seinem Problem umzugehen. Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, und Gernot Erler, Fraktionsvize für Außen- und Sicherheitspolitik, nach einem Jahr als Scharniere zwischen Basis, Fraktion und Regierung. Gehätschelt von Gerhard Schröder hier, dort gebeugt von den Enttäuschungen derer, die auf sie hoffen. Geprägt in Ostermärschen und Friedensdemos, Symbolfiguren eines pazifistischen Ideals, das in den ersten Monaten des Regierens rundgeschliffen wurde. Stützpfeiler einer rotgrünen Regierung, die im abgelaufenen Jahr den Krieg im Kosovo mittragen musste, die demnächst über die Lieferung des Kampfhubschraubers Tiger und der Kampfpanzer an die Türkei zu entscheiden hat und insgesamt eine konsistente Theorie und Praxis für Rüstungsexporte erst entwickelt. Bei den politischen Biographien von Erler und Beer ist das eine Aufgabe mit Deformationsgarantie. Beide entstammen der Friedensbewegung und kamen 1987 im Bundestag an. "Ziemlich zufällig", sagt Angelika Beer, die sich bis dahin vor allem dem Verbot von Landminen verschrieben hatte. Erler fällt in der Rückschau als Besonderheit ein, eine neue Note in den Verteidigungsausschuss gebracht zu haben. Es sei ihm wichtig, dort "das fortzusetzen, was ich mit meiner Arbeit in der Friedensbewegung begonnen habe", berichtete die Badische Zeitung über den heimischen Entsandten, der sich als "erstes aktives Mitglied der Friedensbewegung im Verteidigungsausschuss" betrachtete. Als 1992 die Regierung von Helmut Kohl beschloss, der Türkei 46 Phantom- Jagdflugzeuge zu verkaufen, die vorher in Bremgarten bei Freiburg stationiert waren - um die Ecke von Erlers Zuhause - und in Leck bei Flensburg, bei Beer um die Ecke, unterschrieben sie ein flammendes Protestschreiben von Rüstungsgegnern. "Stoppt die menschenverachtenden Waffenexporte in die Türkei!", riefen Erler und Beer im Chor. "Wir haben dich satt!" 1993 sah sich Angelika Beer in heftigstem Kampf gegen die "Militarisierung" der SPD unter dem Vorsitzenden Björn Engholm. Menschenrechte wollte er mit militärischen Einsätzen verteidigen. "Gibt es eine Alternative? Ich meine ja!", schreibt Angelika Beer zum Ostermarsch in Schleswig-Holstein: "Rüstungsexporte verhindern, Rüstungsproduktion verbieten. Die Instrumente zur Verletzung der Würde des Menschen in aller Welt müssen geächtet werden." Gernot Erler sagt noch 1995 zu Einsätzen der Bundeswehr auf dem Balkan: "Die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen lehnen wir grundsätzlich ab." Solche Einsätze in einer Region, in der ein Teil der Konfliktparteien durch jahrelange Propaganda antideutsche Ressentiments entwickelt hätten, seien "sowohl zu Lande wie auch in der Luft in keiner Weise verantwortbar". Am 24. März 1999 starteten die deutschen Tornados Richtung Kosovo. Erler hatte im Bundestag zugestimmt. Als Regierungslinker musste Erler den Luftkrieg mitverantworten, auch die Folgen einer schleichenden Unglaubwürdigkeit. Sein Dilemma wird nur begreifbar, wenn man Erlers Lage zwischen Wahlkreis und Regierungsverantwortung umreißt. Der Wahlkreis Freiburg ist eine Besonderheit wie etwa die Studentenhochburgen Tübingen oder Göttingen. Am 28. März 1999 muss sich Erler von einstigen Weggefährten im Freiburger Karlsbau nieder brüllen lassen. "Gernot, wir haben dich satt!", schlug es ihm aus dem Saal entgegen. Das sei eine Geschichte, "mit der er bis heute nicht fertig geworden ist", sagt einer, der damals "beinahe Mitleid" mit Erler hatte. Er stehe als stellvertretender Fraktionsvorsitzender sicher in Sachzwängen, konzediert ein anderer, Jürgen Grässlin vom Freiburger Rüstungsinformationsbüro, "die Frage ist nur: Warum ist er so eingebrochen?" Gerade Erler hätte "mit unglaublicher Qualifikation begründen können", warum diese oder jene Entscheidung so besser nicht getroffen wird. Erler ist die Verletzung aus der Freiburger Veranstaltung noch anzumerken. Er hat sich die Aufgabe, als Brückenkopf zwischen der Fraktions- und Parteilinken und der Bundesregierung zu wirken, etwas anders vorgestellt. Von wegen unglaubliche Qualifikation einbringen. Es sei "gewöhnungsbedürftig", dass die eigenen Fähigkeiten offenbar vor einer wichtigen Entscheidung nicht gefragt seien. Weder im Kosovo noch beim Panzer für die Türkei sei er gehört worden, "aber man hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich dafür verantwortlich bin, dass der Laden hinterher zusammenbleibt". So kam es, dass Erler noch am 19. Oktober vehement gegen den Testpanzer für die Türkei Position bezog und am 20. Oktober rabulistisch erklären musste, warum das doch in Ordnung geht. Es sei "überzeugender", wenn man das Panzergeschäft nicht anbahne, sonst nehme die türkische Regierung die deutsche Kritik an ihrer Menschenrechtspolitik nicht ernst, sagt der Erler vom 19. Oktober. Der Erler vom 20. dreht das eigene Wort im Mund um und nennt die Initiative des Kanzlers "konstruktiv", weil nun die Türkei stärker nachweisen müsse, mehr für die Menschenrechte zu tun. Er hat sogar geholfen, diese Sprachregelung zu finden. Es gebe Bedarf für eine solche Funktion, sagt Erler illusionslos. Ihm ist klar, dass er instrumentalisiert wird. Gewachsene Vertrauensverhältnisse zu Nichtregierungsorganisationen und dem pazifistischen Flügel der SPD "werden da benutzt". Seine Aufgabe sei, diese Vertrauensverhältnisse nicht zu gefährden, obwohl die Inhalte anders geworden sind. "Aber", sagt Gernot Erler, "so was braucht sich auf." Dieses "Der Erler sorgt schon dafür, dass es nicht ganz so schlimm kommt", sei wie ein Vorrat in einem Gefäß, der zur Neige gehen kann. Das Gefäß müsse auch mal aufgefüllt werden. Also "zwischendurch" eine Entscheidung, zu der die Leute sagen: "Na also, jetzt erkennen wir den wieder." Erler redet vom Ringen um neue Rüstungsexportrichtlinien. Mit der Grünen Claudia Roth saß Erler in dem Ausschuss, der die Richtlinien entworfen hat. "Da werde ich eine harte Position haben. Das wird nicht billig für die Regierungsseite", prophezeite er. Er und die Bündnisgrüne haben auf dem Papier beachtliche Ergebnisse erzielt, was für Erler mehr als nur Erfolg in der Sache war: "Wenn ich da ohne Erfolg rausgekommen wäre, wäre das Gefäß leer gewesen." Marmelade für Rühe Ob die Praxis der Theorie folgen wird, muss sich erweisen. Angelika Beer ist jedenfalls nicht in diesen Richtlinien-Ausschuss gegangen. Sie hatte offenbar wenig Hoffnung, dass Rüstungsexporte künftig mehr Auflagen erhalten. Erst einen Krieg, dann Panzergeschäfte mit der Türkei ihrer Partei verkaufen zu müssen - das überschreitet ihre Schmerzgrenze. "Ich bin selber vor NVA-Panzern in der Türkei davongelaufen", sagt sie. Die zierliche Frau, die sich mit einem dicken Schutzpanzer umhüllt, hat sich in der Welt des Militärischen mit einer Burschikosität behauptet, die auch Generälen und Verteidigungsministern, die etwas von Ruppigkeit verstehen, Achtung abgerungen hat. Dafür steht sie bei den Grünen manchmal in Verdacht. Dass sie Volker Rühe als Verteidigungsminister selbst gekochte Marmelade geschenkt hat, werfen manche ihr heute noch vor. Videostunde mit Angelika Beer. "Ich glaube, ich weiß, was jetzt kommt", sagt sie, als das Band vom Bielefelder Kriegsparteitag der Grünen im Mai anläuft. Auf dem Schirm sagt sie: "Mir wird vorgeworfen, dass ich die Identität vieler Grüner in Frage gestellt hätte, weil ich meine Position gewechselt hätte wie ein Handtuch." Kunstpause. "Ich habe es nicht. Aber, liebe Freunde, ich gebe zu, dass dieser Krieg verändert, vielleicht auch ein Stück Identität bei mir, vielleicht auch ein Stück Identität unserer Partei. Deswegen ist es die Glaubwürdigkeitsfrage für Rotgrün, nach diesem Krieg nach Mitteln zu suchen, Frieden und Menschenrechte wieder parallel durchzusetzen. Auf dem Balkan, in der Türkei, gegenüber den Kurden, in China, da darf sich diese Regierung dann keine Doppelzüngigkeit mehr erlauben." Das Video ist zu Ende. Bevor die Frage gestellt ist, sagt Angelika Beer: "Ich habe davon nichts zurückzunehmen. Nur das, was ich eingefordert habe, ist nicht passiert." Weniger als Erler gibt sie Einblick in den persönlichen Kampf, den sie seit dem Kosovo-Krieg der Nato auszufechten hat. Ihr eigener Panzer umgibt sie auch da. Sie nimmt für sich in Anspruch, von der Aufgabe an der Nahtstelle zwischen Macht und Basis nicht deformiert zu sein. Wofür das alles? Für die Partei, die sie mitgegründet habe, sagt sie. Fast in der Diktion von Außenminister Joschka Fischer spricht sie davon, dass sie "alles andere als Sekt getrunken" habe, als klar war, dass die Grünen zum ersten Mal in Deutschland an einer Regierung beteiligt sein würden. Wie Fischer an seine Hessen-Zeit erinnert, denkt sie an Schleswig-Holstein zurück, wo sie am Koalitionsvertrag mitgearbeitet habe. Ein Ende von Rotgrün würde für sie - wie für Fischer - ein konservatives "Rollback" bedeuten. Was sie aufrecht erhält, ist eine diffuse Hoffnung auf das Kommende. Der Kosovo-Krieg? "Für mich noch lange nicht abgehakt!", sagt sie, als ließe sich die Diskussion wieder aufrollen. Sie sagt, es gebe eine "Grenze der Schmerzfähigkeit", an der alle Machtbesessenheit ende. Bei einem Beschluss von 1000 Panzern für die Türkei bei der derzeitigen Menschenrechtssituation "könnte ich morgens nicht mehr in den Spiegel schauen".
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