Süddeutsche Zeitung, 4.1.2000

Krieger, Soldaten, Bürger

Deutsche Offiziere und ihr Selbstverständnis

URSULA BREYMAYER, BERND ULRICH, KARIN WIELAND (Hrsg.): Willensmenschen, Über deutsche Offiziere, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1999. 200 Seiten, 26,90 Mark.

Der vorliegende Sammelband bietet einen exemplarischen Einblick in den inneren Zirkel des militärischen Teils deutscher Eliten über ein Jahrhundert. Trotz mehrfacher historischer und personeller Umbrüche ist es den restaurativen Elementen in den Armeen gelungen, über Strukturen, Ausbildung und Personalauswahl die militärische Werteordnung zu bewahren. Deren gesellschaftliche Sinn- und Deutungswelten stammen ursprünglich aus dem Kaiserreich und suchen ihren Halt in einem idealisierten elitären Stand, dem Offizier "sui generis".

Mit der Aufstockung der kaiserlichen Armee 1890 und der breiten Öffnung des Offizierskorps für Bürgerliche wurde das soziale Konstrukt des "Adels der Gesinnung" konzipiert. Die Rekrutierung "erwünschter Kreise" durch soziale Kontrolle der Bewerber wurde nach der militärischen Niederlage im I. Weltkrieg 1918 beim Aufbau der Reichswehr durchgehalten. Als 1935 der rasante Aufbau der Wehrmacht zu einer personellen Öffnung des Offizierskorps für alle "erwünschten Volksgenossen" führte, die 1942 nach dem Willen der Nationalsozialisten nochmals eine Beschleunigung erfuhr, kam das alte Konzept vorübergehend ins Wanken.

Aus den besten Familien

Die totale Niederlage 1945 setzte dem ein Ende und führte erst einmal zur Auflösung des Militärs. Doch wurde 1955/56 beim Aufbau der Bundeswehr gerade mit dem Hinweis auf die Nationalsozialisten wieder an dem Konzept der "erwünschten Kreise" angeknüpft. Dies wurde zum ersten Mal mit der Streitkräftereform der SPD Anfang der 70er Jahre aufgebrochen und führte Anfang der 80er Jahre zu einem Offizierskorps, das sich aus allen Schichten der Bevölkerung rekrutierte. Allerdings brachte dies auch die Erkenntnis mit sich, dass noch 1967 immerhin 49 Prozent der Leutnante und 80 Prozent der Generäle aus den sogenannten "erwünschten Kreisen"stammten. Dies macht angesichts der anstehenden Reform der Bundeswehr neugierig auf den heutigen Stand.

Die Herausgeber des Buches wollen nach eigenem Bekunden der Wirkungsgeschichte des Offiziers des 19. und 20. Jahrhunderts als Grundfigur deutscher Selbstthematisierung nachgehen. Dabei machen sie den Willen als eine Kategorie aus, die das äußere Erscheinungsbild sowie die Haltung und Gesinnung des Offiziers prägt. Die Beiträge werfen denn auch einen eher psychologisch-kulturellen denn historischen Blick auf Aspekte des deutschen Militarismus. Besonders interessant sind die Reflexionen zur Rolle von Frauen im Leben des Offiziers, auch weil sie etwas über die gesellschaftliche Bedeutung des Identifikationsmodells Militär aussagen.

Warum ist dieses Thema auch heute noch aktuell? Der deutsche Offizier des 19. Jahrhunderts ist der gesellschaftliche Gegenentwurf zu den aufstrebenden neuen bürgerlichen Eliten, zu Verwaltungsfachleuten, Wissenschaftlern, Technikern, Fabrikbesitzern, Bankiers und Wirtschaftsmagnaten sowie ihren revolutionären Ideen. Das Offizierskorps "soll als echtes Rittertum erscheinen". Nicht Streben nach Besitz und Wohlstand sondern unbedingte Pflichterfüllung und Idealismus begründen seine herausragende Stellung in Staat und Gesellschaft. Seine Opferbereitschaft, "der Wille - zum Kampf, zum Sterben, zum Töten, zur Entsagung, zum gesellschaftlichen Aufstieg, zur Erlangung und Festigung der Macht" - bilden einen wesentlichen Bestandteil der militärischen Sozialisation.

Der Offizier ist die Verkörperung des Kriegers, des Kämpfers. Dieses Selbstbild wird zur gesellschaftlichen Karikatur eines mit veralteten Denk- und Verhaltensweisen, Adels- und Gardeprivilegien, Ineffizienz, Dünkel und Borniertheit behafteten Offiziers. Trotz dieser Kritik verliert die Denkfigur erst nach 1945 ihre gesellschaftliche Wirkkraft. Nicht nur wegen zweier verlorener Kriege, sondern auch wegen der Beteiligung des Militärs an den nationalsozialistischen Verbrechen.

Doch wie die Diskussionen um die Wehrmachtsausstellung verdeutlichen, ist sowohl im Militär als auch in der Gesellschaft ein Teil dieses Denkens noch höchst virulent. Beim Lesen des Buches wurde ich stark an meine Erfahrungen mit Offizieren bei Truppenbesuchen und während des Untersuchungsausschusses Anfang 1998 erinnert. Die Auseinandersetzung innerhalb des Offizierskorps der Bundeswehr, die mit den zugegebener- maßen schablonenhaften Kategorien der Reformer, Traditionalisten und Funktionalisten als handelnde Akteure mangelhaft umschrieben ist, spiegelt ein Teil der Auseinandersetzungen wider. Sie ist innerhalb der Streitkräfte und in den Diskussionen der Gesellschaft um den Staatsbürger in Uniform und die Innere Führung deutlich geworden. Es war eine verdienstvolle Anstrengung politischer Kräfte in Deutschland sowie vieler Offiziere der Bundeswehr, aus dem Topos des Offiziers und Soldaten als Gegenentwurf zur bürgerlich-demokratischen Gesellschaft einen integrierten Teil dieser Gesellschaft zu machen. Gerade der Untersuchungsausschuss hat deutlich gemacht, dass angesichts der traditionalistischen Tendenzen in der Bundeswehr und der Verunsicherung durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen die anstehenden Reform eine Antwort auf die gesellschaftliche Einbindung der Soldaten und Offiziere geben muss. Daher wären einige Texte zur heutigen Bundeswehr eine gelungene Abrundung des Buches gewesen.

Leider konnten keine Beiträge zur heutigen soziologischen Zusammensetzung und Einstellung des Offizierskorps der Bundeswehr der 90er Jahre vorgelegt werden. Dies ist einer der wenigen bedauernswerten Mängel dieses sonst lesenswerten und gelungenen Buches, das Aufklärungsliteratur in bester Tradition darstellt.

ANGELIKA BEER

Die Rezensentin ist verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.