Neues Deutschland 4.1.2000
Hoffnung in Shepherdstown
Zweite Runde der israelisch-syrischen Gespräche
Von Hans Lebrecht, Tel Aviv
In Shepherdstown, rund 100 Kilometer von Washington entfernt, begannen
Syriens Außenminister Faruk el Shara und Israels Ministerpräsident
Ehud Barak gestern die zweite Runde der bilateralen Friedensgespräche.
Der Engel, der laut Apostel Lukas vor 2000 Jahren den Schafhirten bei
Bethlehem erschienen sein soll, verkündete ihnen »Ehre sei
Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen«.
Da zu dieser Jahreswende alles amerikanisiert erscheint, sei Ehre dem
Herrn aus dem Weißen Haus, der die Vertreter Israels und Syriens
nach Shepherdstown, der Stadt der Schafhirten in Westvirginia unweit
von Washington, gerufen hat, um Friede auf Erden sowie den Menschen
ein Wohlgefallen zu tun und ihr Kriegsbeil endlich zu begraben.
Wenn es nur so einfach wäre. Denn der Streit dieser Schafhirten
geht um Ländereien und Weidegebiete auf den fruchtbaren Golanhöhen,
die Israel vor knapp 33 Jahren nach langen Grenzstreitigkeiten und gegenseitigen
Schießereien mit militärischer Gewalt den syrischen Bauern
und Fellachen raubte. Die Eroberer vertrieben über 150 000 Einwohner
- mit Ausnahme der Bewohner von vier Drusendörfern im Norden -
und siedelten eigene Leute an. Um das Kriegsbeil zu begraben, fordert
Syrien die Rückgabe dieser 1967 okkupierten Ländereien sowie
die Rückkehr der Vertriebenen und ihrer inzwischen auf nahezu eine
halbe Million Menschen gewachsenen Familien. Das würde dem internationalen
Recht entsprechen.
In seiner Ansprache bei der formellen Eröffnung der syrisch-israelischen
Gespräche in Washington Mitte Dezember 1999 ließ der syrische
Außenminister Faruk el'Shara keinen Zweifel, dass Damaskus eine
Lösung des Konflikts nur bei Respektierung dieses Rechts sieht.
Syrien jedenfalls hofft, dass die israelische Delegation in Shepherdstown
den ernsten und aufrichtigen Wunsch hat, Frieden zu erzielen, wie die
Regierungszeitung »Tischrin« in ihrer Montag-Ausgabe auf
der Titelseite schreibt.
Der israelische Regierungschef Ehud Barak scheint prinzipiell dazu bereit,
die Souveränität Syriens über die Golanhöhen »mehr
oder weniger« anzuerkennen. Doch muss er auch berücksichtigen,
dass viele Israelis damit Probleme haben. Also wird er in Shepherdstown
um einige Quadratkilometer hier oder dort feilschen sowie um so genannte
Sicherheitsmaßnahmen, die die eigene militärische Vormachtstellung
in den zukünftigen Grenzgebieten sichern sollen.
Barak versprach, die Friedensregelung mit Damaskus und Beirut, die den
Rückzug von den Golanhöhen und aus der »Sicherheitszone«
im Süden Libanons umfasst, dem Volke zur Abstimmung vorzulegen.
So begann mit dem neuen Jahr auch der Wahlkampf um dieses Referendum.
Die Schabbath-Spazierfahrer, die das schöne und warme Winterwetter
nutzten, wurden an allen wichtigen Straßenkreuzungen im Lande
von Transparenten und großen Plakaten begrüßt, auf
denen Losungen wie »Die Golanhöhen sind unser!« oder
»Kein Land für Frieden!« zu finden waren. Die von rechtsradikalen
Parteien aufgeputschten »Golanvorteidiger« wurden an einigen
Stellen sogar handgreiflich gegen die meist jungen Aktivisten aus den
Reihen der Arbeitspartei. In Tel Aviv etwa ohrfeigte die Knesset-Abgeordnete
und frühere Ministerin Limor Livnat (Likud) einen Referendumsbefürworter.
Das dadurch entstandene Handgemenge musste von der Polizei beendet werden.
Frau Livnat wird sich wahrscheinlich in einem parlamentarischen Disziplinarverfahren
zu verantworten haben.
Trotz Millenniumsberichterstattung und Jahr-2000-Hysterie fanden die
Friedensgespräche in den israelischen Medien große Aufmerksamkeit.
Laut Meinungsumfragen gibt es zur Zeit nur eine sehr schmale Mehrheit
für die Formel »Frieden durch Aufgabe der Golanhöhen«.
Aber man erwartet hier, dass die gestern begonnenen Gespräche in
Shepherdstown diese Mehrheit ausbauen werden - wenn Barak und sein Verhandlungsteam
besagte »Sicherheitsmaßnahmeii« durchsetzen. Nicht
nur in rechtsgerichteten Kreisen, sondern auch unter Friedensanhängern
wird heute oft gefragt, was eigentlich gibt uns Syrien bei diesem Handel
Eine Frage, die vergisst, dass es hier um geraubtes Land geht.
Zugleich warnte am Wochenende der (überparteiliche) Rat für
israelisch-palästinensischen Frieden davor, angesichts des Rummels
um das Schicksal der 17 000 jüdischen Siedler auf den Golanhöhen
die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern zu vergessen.
Während Barak gegenüber Damaskus den vollen territorialen
Preis für Frieden zu zahlen bereit scheine, versuche er die Palästinenser
zu zwingen, einer Scheinregelung zu zustimmen, die weiter ausgedehnte
territoriale Annexionen im Westjordangebiet und im Gazastreifen enthalten
soll. Er wolle zwar einer palästinensischen Staatsgründung
formell zustimmen, doch in der Realität würde dieser Staat
aus vielen voneinander isolierten Enklaven bestehen. Man wird sehen,
was von Baraks Versprechen zu halten ist, den seit einigen Wochen feststehenden
Verhandlungstreck nach Abschluss der Gespräche in Shepherdstown
wieder flott zu machen. Yasser Arafat ist von USA-Präsident Clinton
zu Gesprächen nach Washington eingeladen worden, die je nach Ausgang
der israelisch-syrischen Verhandlungen am 14. oder 21. Januar stattfinden
sollen. Dabei soll Arafat konkrete Vorschläge für die palästinensische
Souveränität mitbringen. Clinton sei daran interessiert, sie
noch vor den israelisch-palästinensischen Gesprächen im Februar
mit den Vorstellungen Baraks zu vergleichen. Gute Aussichten also auf
Frieden, noch ehe Clinton das Weißen Haus verlassen muss?
|