Frankfurter Rundschau, 6.1.2000 Nato zeigte verfälschte Videos über Kosovo-Krieg Aufnahmen der Zug-Bombardierung liefen viel zu schnell Von Arnd Festerling Die Nato hat während des Kosovo-Krieges mit zwei Videofilmen der Öffentlichkeit beweisen wollen, dass der Bombenangriff auf einen Personenzug ein unvermeidbarer Unglücksfall war - die Filme liefen jedoch im Zeitraffer. FRANKFURT A. M., 5. Januar. Die US-Luftwaffe ist nach eigenen Angaben erst Monate nach der Bombardierung eines Personenzuges darauf hingewiesen worden, dass die Videos darüber zu schnell liefen und so einen falschen Eindruck der Vorgänge bewirkten. Sie habe schließlich bei eigenen Nachforschungen festgestellt, dass der Fehler von einem Computersystem verursacht worden sei. "Wir haben keinen Anlass gesehen, dies zu veröffentlichen, nachdem wir es bemerkt hatten", sagte der Sprecher der Air Force in Europa der Frankfurter Rundschau. Die aus dem Kopf einer raketengetriebenen Bombe AGM-130 aufgenommenen Bilder zeigen den Angriff vom 12. April 1999 auf eine Eisenbahnbrücke bei Grdelicka. Ein Zug, der die Brücke überquerte, wurde im Abstand von wenigen Minuten von zwei Raketenbomben getroffen, dabei starben mindestens 14 Menschen. Der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, US-General Wesley Clark, entschuldigte diesen "Kollateralschaden" - der Nato-Sprachgebrauch für Tod oder Verletzung Unbeteiligter - damals öffentlich mit dem rasanten Erscheinen des Zuges, das ein Umsteuern der Raketenbombe unmöglich gemacht habe. Die zweite Bombe habe den Zug getroffen, weil die Waggons auf der rauchverhüllten Brücke zu spät zu erkennen gewesen seien. Clark untermauerte seine Darstellung damals mit den beiden Videofilmen. Diese zeigen den Vorgang aber in einem mindestens dreimal schnelleren Ablauf als in Realzeit. Zudem drückte Clark sich derart unpräzise aus, dass er den Eindruck einer zeitlichen "Verdichtung" noch verstärkte. Die US-Luftwaffe erklärte dies mit der damals angesichts der Ausnahmesituation herrschenden Hektik. Noch am Tag nach dem Angriff bei Grdelicka sagte Clark, man tue alles, um Schäden Unbeteiligter "zu vermeiden". Wenige Tage später bombardierten Nato-Flugzeuge einen Flüchtlingstreck. Etwa 80 Menschen starben. Danach änderte sich der Sprachgebrauch bei der Nato, nun galt "Null-Toleranz" gegenüber "Kollateralschäden".
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