Frankfurter Rundschau, 6.1.2000 Der Sturz des Denkmals Kohl erfüllt viele Türken mit Genugtuung Vor lauter Häme ignorieren Kritiker, dass es auch am Bosporus einen Sumpf trockenzulegen gälte / FR-Serie (Teil II) Von Gerd Höhler (Athen) Helmut Kohl hat sich stets als Macher auf internationalem Parkett stilisiert. In dieser Serie berichten FR-Korrespondenten über Reaktionen auf die CDU-Spendenaffäre um den Altkanzler und den Umgang mit Parteifinanzen im Ausland. In großen Teilen der türkischen Öffentlichkeit wird die Demontage des "ewigen Kanzlers" Helmut Kohl mit einer gewissen Häme verfolgt. Kohl war in den Augen der meisten Türken jener europäische Politiker, der in den neunziger Jahren die Annäherung ihres Landes an die EU immer wieder hintertrieb. Dass die Türkei in Helsinki endlich den lange ersehnten Status eines Beitrittskandidaten erhielt, ist nach Überzeugung der türkischen Medien, aber auch vieler Politiker in Ankara wesentlich dem Umstand zu verdanken, dass der deutsche Kanzler jetzt Gerhard Schröder und nicht mehr Helmut Kohl heißt. Während Kohls Amtszeit erreichten die deutsch-türkischen Beziehungen einen Tiefpunkt. 1998 rückte der damalige türkische Premier Mesut Yilmaz Kohl in die Nähe Hitlers. Die Deutschen, so Yilmaz, verfolgten "die gleiche Strategie wie früher: sie glauben an den Lebensraum".Und die Turkish Daily News meinte, es sei "kein Geheimnis", dass Kohl mit der Ost-Erweiterung der Europäischen Union "mit friedlichen Mitteln durchzusetzen versucht, was die Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht schafften". Deutschland sei "wieder eine Bedrohung für Europa", fand auch der frühere türkische Botschafter in Bonn und spätere Außenminister Vahit Halefoglu. Offen ergriffen zahlreiche türkische Regierungspolitiker im Bundestagswahlkampf 1998 Partei für die SPD und gegen Kohl. Dass nach der Wahlniederlage nun auch das Denkmal Kohl stürzt, erfüllt viele in der Türkei mit großer Genugtuung. Aber es gibt auch nachdenklichere Stimmen. Faruk Sen, der Direktor des Essener Instituts für Türkeistudien, mahnte in einer von der Turkish Daily News publizierten Erklärung, die Türkei solle aus dem Fall Kohl Lehren ziehen. Wie nun in Deutschland den Vorwürfen gegen den Bundeskanzler a. D. nachgegangen werde, das sieht Sen als ein Vorbild auch für die Türkei an. Die Politiker in Ankara, so meint er, müssten für "mehr Transparenz" sorgen und "europäische Normen" einführen. Freiwillig allerdings werden das die meisten kaum tun. Denn verglichen mit den Vorwürfen, die gegen prominente türkische Politiker erhoben werden, nehmen sich Kohls Verfehlungen wie Kavaliersdelikte aus. Die Ex-Premiers Mesut Yilmaz und Tansu Ciller wurden verdächtigt, befreundete Unternehmer bei der Vergabe von Staatsaufträgen und Privatisierungen begünstigt zu haben. Brisanter noch sind die nie ganz durchleuchteten Verbindungen türkischer Politiker zum organisierten Verbrechen. Kein Geringerer als ein türkischer Innenminister besorgte einem der meistgesuchten Killer und Drogenhändler des Landes einen gefälschten Pass. Ernsthafte Versuche, die Mafia-Kontakte türkischer Regierungspolitiker zu durchleuchten, wurden nie unternommen. Unaufgeklärt bleiben auch mehr als 4000 politisch motivierte Morde an Bürgerrechtlern, die vermutlich auf das Konto von Todesschwadronen gehen. Selbst die Islamisten, die sich gern als Saubermänner brüsten, gerieten in Verdacht: Sie sollen Spendengelder, die für die moslemischen Glaubensbrüder in Bosnien bestimmt waren, in die Parteikasse umgeleitet haben. Zu den ganz wenigen türkischen Politikern, die als integer gelten und noch nie in Verdacht gerieten, sich persönlich bereichert zu haben, gehört der gegenwärtige Ministerpräsident Bülent Ecevit. Nicht zuletzt diesem Umstand verdankte der schon in den siebziger Jahren als Premier amtierende Veteran im vergangenen Jahr seine Rückkehr an die Macht.
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