Tagesspiegel 6. Januar 2000 Premiere im Nahost-Friedensprozess Erstmals direkte Gespräche zwischen Israelis und Syrern Nach dem Ende des Streits über die Tagesordnung haben Israel und Syrien in Shepherdstown ernsthafte Verhandlungen über eine friedliche Beilegung ihres jahrzehntelangen Konflikts aufgenommen. Der israelische Regierungschef Ehud Barak und der syrische Außenminister Faruk el Schara führten am Dienstagabend erstmals direkte Gespräche über eine Friedensregelung. Das Treffen kam auf Druck und unter Vorsitz von US-Präsident Clinton zu Stande, der wieder aus Washington in die 120 Kilometer entfernte Kleinstadt geflogen war. Die Staatsmänner hätten "produktiv und gründlich" über die Grundfrage gesprochen, "wo wir sind und in welche Richtung wir gehen müssen", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin, anschließend. Zuvor hatten in Shepherdstown bereits mehrere israelisch-syrische Arbeitsgruppen zu verschiedenen Sachfragen getagt. Sie wurden auf Vorschlag von US-Außenministerin Madeleine Albright gebildet, die als Vermittlerin an den Gesprächen teilnimmt. "Wir sind in der Lage gewesen, alle relevanten Arbeitsgruppen einzusetzen", sagte Rubin, "und wir glauben, dass alle Fragen in den nächsten Tagen erörtert werden können. Mit einem Wort, das prozedurale Hindernis ist überwunden." Israel hatte gefordert, zuerst über Sicherheitsgarantien und die Normalisierung der Beziehungen zu verhandeln. Syrien sah dagegen die Rückgabe der Golan-Höhen als vorrangiges Thema an. Auf der Tagesordnung steht außerdem die Verteilung von Wasser-Ressourcen. Nach dem Kompromissvorschlag Albrights sollen alle diese Punkte nun gleichzeitig in den Arbeitsgruppen erörtert werden. Israelische Medien berichteten allerdings am Mittwoch, beide Seiten hätten am Dienstag zuerst über die Normalisierung und die Sicherheitsregelungen gesprochen. Am Mittwochabend sollten die Wasserfrage und am Donnerstag der Grenzverlauf diskutiert werden. Syrien warnte Israel unterdessen vor Ablenkungsmanövern. Die Regierungszeitung "Al-Thawra" schrieb am Mittwoch, sollte Israel den Abzug von den Golan-Höhen verzögern wollen und die Normalisierung zwischen beiden Ländern für wichtiger halten, schmälere dies die Chancen auf "einen bedeutenden Durchbruch". Das Blatt rief Israel auf, "die jetzige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen". Die israelische Zeitung "Jedioth Achronoth" berichtete, Israels Armee empfehle als Teil eines Friedensabkommens mit Libanon die Entwaffnung der pro-iranischen Hisbollah-Miliz und anderer Israel-feindlicher Organisationen. Israels Generalstabschef Schaul Mofas sagte nach diesen Angaben, die libanesische Regierung müsse nach einem israelischen Abzug aus der so genannten "Sicherheitszone" in Süd-Libanon die Verantwortung für das Gebiet übernehmen. Unterdessen hat Israel am Mittwoch mit der Übergabe weiterer Gebiete im Westjordanland an die Palästinenser begonnen. Jubelnde Palästinenser hissten über dem früheren israelischen Militärstützpunkt Mahaneh Josef ihre Flagge. Nach wochenlangen Verhandlungen hatten sich beide Seiten am Vortag auf Details eines weiteren Rückzugs der israelischen Armee aus den Palästinensergebieten geeinigt. Gemäß dem im September unterzeichneten Abkommen von Scharm el Scheich werden weitere zwei Prozent des Westjordanlandes unter völlige Kontrolle der Palästinenser gestellt. |