Frankfurter Rundschau, 8.1.2000 Nur begrenzte Hoffnung Wo die Altfallregelung auch in Hessen schwierig ist Von Volker Trunk Der Wunsch, in Deutschland zu bleiben, wird sich für viele abgelehnte Asylbewerber auch dann nicht erfüllen, wenn sie seit Jahren hier leben und längst integriert sind. Von der neuen Altfallregelung profitieren in Hessen nach Schätzungen des Innenministeriums nicht mehr als 2000 Menschen. GIESSEN. Die Stichtagsregelung wird zu neuen Härten führen, denn der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet wird nur den Asylbewerberfamilien mit minderjährigen Kindern gestattet, die vor dem 1. Juli 1993 in die Bundesrepublik kamen, hier ihren Lebensmittelpunkt haben und sich in die "hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt haben". Alleinstehende und Ehegatten ohne Nachwuchs müssen vor 1990 eingereist sein. Die Integrationsbedingungen So heißt es im Text des Kompromiss-Papiers, auf das sich die Innenminister der Länder auf ihrer Konferenz am 18. und 19. November 1999 in Görlitz geeinigt haben. Die Hürden, im Beschluss ist von "Integrationsbedingungen" die Rede, sind hoch: Um die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis zu erhalten, muss etwa die Familie am 19. November 1999 ihren Unterhalt durch Erwerbstätigkeit ohne Sozialhilfe selbst bestreiten können (Ausnahmen in Härtefällen) oder über ausreichenden Wohnraum verfügen. Der Beschluss ist den Ausländerbehörden der kreisfreien Städte und Kreise in Hessen mit einem Begleitschreiben längst zugesandt worden. Genauere Ausführungsbestimmungen seien nicht vorgesehen, heißt es aus dem Wiesbadener Innenministerium. Dort ist man der Ansicht, dass das Papier als Entscheidungsgrundlage für die Ausländerbehörden genügt, zumal die Regelung den Bleiberechtsbeschluss aus dem Jahre 1996 fortschreibe. "Jetzt werden vor Ort die Bedingungen überprüft", sagte Michael Bußer, Sprecher des Hauses von Minister Volker Bouffier (CDU). Natürlich seien die Kriterien "eher streng", meinte Bußer und verwies auf den Wortlaut des Beschlusses: Dort wird in der Tat wiederholt die politische Intention, den Aufenthalt von abgelehnten Asylbewerbern konsequent zu beenden, betont. Am Grundsatz, dass unbegründete Asylbegehren nicht zur Erlangung eines dauerhaften Aufenthalts im Bundesgebiet führen dürfen, hält man darin fest. Kritik freilich gab es an dem Kompromiss von Anfang an: Als "nicht ausreichend" bezeichnet Thomas Eppenstein vom Landesverband des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau die Altfallregelung. Wie er finden es Flüchtlingsgruppen und caritative kirchliche Verbände nicht richtig, dass für traumatisierte bosnische Kriegsflüchtlinge oder für alleinreisende Minderjährige keine Sonderregelungen getroffen worden sind. "Klar" sei man "auch ein bisschen zufrieden", weil sich Bayern und Baden-Württemberg mit ihrer schärferen Gangart nicht durchsetzen konnten, so Eppenstein. Was bleibt, ist vor allem die Hoffnung, dass, wie es Eppenstein formuliert, "die Ausländerbehörden sinnvoll diese Regelung auslegen". Fragt man Betreuer von Asylbewerbern oder Anwälte nach erwarteten Auswirkungen im Zusammenhang mit der Altfallregelung, dann überwiegt Skepsis: "Es gibt viele Menschen, die sich große Hoffnung gemacht haben, und es wird viele geben, deren Hoffnung am Ende enttäuscht wird", sagt der Limburger Rechtsanwalt Wolfgang Hempel, der selbst etliche "Altfälle" bearbeitet hat. Hempel weiß, wie schwer es ist, Einzelschicksale in allgemeingültige Rechtsnormen zu packen. Ein Beispiel: Hempel vertritt eine Familie, bei der die Integrationsleistung hoch ist, die ihren Unterhalt selbst verdient, die aber zwei Tage "zu spät", nämlich am 3. Juli 1993, nach Deutschland eingereist ist. "Es geht doch um Menschen und nicht um Stichtage". Nach seiner Ansicht müsste der Integrationsgedanke viel stärker im Vordergrund stehen: Kinder, die hierzulande sechs Jahre die Schule besuchten, gehörten doch zur deutschen Gesellschaft dazu. Hempel nennt es einen "Skandal", dass Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien von der Altfallregelung ausgenommen wurden. "Was macht das für einen Sinn, die Hauptgruppen, die ja in erheblichem Umfang Asylanträge gestellt haben, nicht zu berücksichtigen". Der Kompromiss sei gemacht "wider die tatsächlichen Erfordernisse". Ein "großes Durcheinander" in den ersten Wochen nach Inkrafttreten der umstrittenen Altfallregelung hat Christel Krummeich-Dural beobachtet. Die Flüchtlingsberater hätten alle Hände voll zu tun, die Papiere ihrer Schützlinge auf die harten Kriterien der Regelung abzuklopfen. Die Sprecherin des in Fulda beheimateten hessischen Flüchtlingsrats rät den Betroffenen, die Anträge schnellstmöglich zu stellen. "Für den ersten Schritt braucht man keinen Anwalt". Zu verlieren hätten die Flüchtlinge nichts, oft laufe ja noch der eigentliche Asylantrag. Ob die Ämter den Innenminister-Beschluss letzten Endes eher großzügig oder restriktiv auslegten, könne man zurzeit ohnehin noch nicht sagen. In den kommenden Wochen dürften die meisten Entscheidungen gefällt werden. Dann werde sich laut Krummeich-Dural zeigen, ob Behörden regional unterschiedlich entscheiden, ob sie zum Beispiel bei der Prüfung vergleichbarer Fälle zu verschiedenen Resultaten kommen. Die Flüchtlingsarbeit ist in dem Punkt in einem Dilemma: Entweder man nimmt Ungerechtigkeiten hin oder man fordert vom Land exakte Bestimmungen ein. Letzteres könnte aber zur Folge haben, dass Spielräume im Sinne der Antragsteller nicht mehr genutzt werden könnten. "Wir warten erst einmal ab", sagt die Sprecherin des Flüchtlingsrates. |