Neues Deutschland, 8.1.2000
Gastkolumne
Friedensring um Israel
von Georg Baltissen / Der Nahostexperte war lange Jahre Pressesprecher
der PLO-Vertretung in Bonn und Korrespondent in Jerusalem
Aufatmen allenthalben: Endlich sitzen auch die letzten der einst so
tief verfeindeten semitischen Brüder an einem Tisch. Im US-Bundesstaat
West-Verginia, nur wenige Flugminuten vom Weissen Haus entfernt, verhandeln
Israel und Syrien, seit Jahrzehnten Erzfeinde im jüdisch-arabischen
Konflikt, über ein Friedensabkommen. Greifbare Ergebnisse haben
die Verhandlungen nach fünf Tagen nicht gebracht, trotz der hochrangigen
Beteiligung. Dennoch ist das, was sich in diesen Tagen im idyllischen
Shepherdstown abspielt, alles andere als ein Treppenwitz der Geschichte.
Es ist der Beginn vom Ende des jüdisch-arabischen Konflikts.
Die Aussichten klingen verlockend, für alle Menschen im Nahen Osten.
Die Ergebnisse dreier Kriege, des Sechs-Tage-Krieges vom Juni 1967,
des libanesischen Bürgerkrieges und der israelischen Invasion von
1982 werden jetzt revidiert. Stück für Stück. Israel
gibt seine militärischen Eroberungen auf, und aus dem Belagerungsring
um Israel könnte ein arabischer Friedensring werden. Nach Ägypten
und Jordanien jetzt Friedensverträge mit Syrien und Libanon, die
Aussichten stehen tatsächlich nicht schlecht.
Vorsicht ist trotzdem geboten. Schon einmal standen Israel und Syrien
knapp fünf Jahre zuvor vor einem vergleichbaren Ergebnis. Israels
ehemaliger Premier Yitzhak Rabin war bereit, die Golan-Höhen gegen
einen Friedensvertrag mit Syrien aufzugeben. Hafiz al-Assad, Syriens
Herrscher von eigenen Gnaden, wollte dies nicht glauben. Er verwehrte
sich der Offerte des Feindes. Der wurde ermordet, und Hafiz al-Assad
zum Abwarten verurteilt.
Außen- wie innenpolitisch aber sind die Voraussetzungen für
erfolgreiche Verhandlungen günstiger denn je. US-Präsident
Bill Clinton könnte am Ende seiner Amtszeit nichts mehr gebrauchen
als einen weiteren Friedensabschluss im Nahen Osten. Und er ist bereit,
dafür zu zahlen. Israels Ministerpräsident Ehud Barak ist
gewillt, in die Fußstapfen seines einstigen Mentors Jitzhak Rabin
zu treten. Als ehemaliger Leiter der Abteilung >>Patrouillen<<
sowie als Generalstabschef der israelischen Armee war Barak persönlich
an jeder bedeutenden militärischen Operation gegen die Araber beteiligt.
Und er hat ihnen mehr gebrochen als nur die Knochen. Als Militär
aber weiß Barak, dass die Golan-Höhen ihre strategische Bedeutung
eingebüßt haben. Und dass Syrien - mit gebotenem Starrsinn
- an der Formel Land gegen Frieden festhalten wird. Die Rahmenbedingungen
stehen: Vollständige Rückgabe eines entmilitarisierten Golans
gegen Sicherheitsgarantien für Israel, die Lieferung von Wasser
und die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen.
Am Ende seiner 30-jährigen Herrschaft muss Hafis al-Assad das syrische
Haus für seine dynastischen Nachfolger bestellen. Die Zeit arbeitet
nicht mehr für den einstigen Erzfeind Israels. Die israelische
Ankündigung eines einseitigen Rückzugs aus dem Südlibanon
hat Damaskus zusätzlich unter Druck gesetzt. Wenn die letzte heiße
Kriegsfront für Syrien verloren wäre, könnte Israel noch
Jahrzehnte auf dem Golan ausharren. Assad ginge leer aus. Einen militärischen
Schlagabtausch mit dem jüdischen Staat kann der ewige Verweigerer
in Damaskus nicht riskieren. Die Öffnung Syriens ist unvermeidlich,
vor allem auch wirtschaftlich. Eine dauerhafte wirtschaftliche Isolation
kann sich das hochverschuldete Land nicht mehr leisten. Die Tage der
islamischen Widerstandsorganisation Hizbollah, die im Süden des
Libanon Israel unter militärischen Druck zu setzen wusste, scheinen
damit allerdings gezählt, selbst wenn die Gralshüter des shiitischen
Fundamentalismus in Teheran mit Querschlägern drohen.
Die Verlierer in diesem nahöstlichen Friedenspoker sind, zumindest
kurzfristig, die Palästinenser. Zwar hat Israel, wenn auch mit
mehrmonatiger Verspätung, in dieser Woche die vereinbarten fünf
Prozent der Westbank geräumt, den Verdacht, die Palästinenser
gegen Syrer in den Verhandlungen nach Belieben gegeneinander ausspielen
zu wollen, vermag Israel dennoch nicht völlig zu entkräften.
Ohne Haken aber wäre ein solches Spiel nicht. Wenn Barak letztlich
den Widerstand jüdischer Siedler und eines Großteils der
Bevölkerung gegen eine Räumung des 1981 annektierten Golans
brechen und im angekündigten Referendum eine Mehrzahl erzielen
könnte, dann werden die Palästinenser analog den vollständigen
Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 fordern. Und eine Auflösung
der israelischen Siedlungen oder ihre Eingliederung in einen palästinensischen
Staat. Ob diese Forderungen aber ohne arabischen Rückhalt noch
Aussicht auf Erfolg haben, darf bezweifelt werden. Am Ende wird deshalb
Yassir Arafat mit einem Mini-Staat Palästina die >>arabischen
Friedenserfolge<< bezahlen müssen.
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