taz, 10.1.2000 Seite 12 Skandalöse Vorschriften Das Leben von "Ausländern", die die Anforderungen des neuen deutschen Staatsbürgerschaftsrechts nicht erfüllen, könnte in der Bundesrepublik in Zukunft noch weit unangenehmer werden Das neue Staatsbürgerschaftsrecht ist in Kraft, und die Republik lehnt sich angesichts der eigenen Modernität zufrieden zurück. Dabei sind vor allem die Sozialdemokraten froh, dass das leidige Thema endlich vom Tisch ist - die eigene Klientel ist "Ausländern" bekanntlich nicht immer wohl gesonnen. Die Grünen haben zwar eine historische Niederlage erlitten, aber immerhin ist die Änderung durch, und man hat ein weiteres Mal bewiesen, dass Rot-Grün nicht zu blöd zum Regieren ist. Die FDP könnte wirklich feiern, schließlich hat sie sich durchgesetzt - aber für die Erfolge der Liberalen interessiert sich niemand mehr. Die CDU ist derweil mit sich selbst beschäftigt, dabei hätte man hier eigentlich den meisten Grund zum Jubeln. Denn jeden Tag wird deutlicher, dass die Union in der Migrationspolitik auf geheimnisvolle Weise weiter die Zügel in der Hand hält. Das neue Staatsbürgerschaftsrecht realisiert die Forderungen der sensationell erfolgreichen Unterschriftenkampagne gegen den "Doppelpass": Zu uns gesellen dürfen sich nur solche, die bereits "integriert" sind. Derweil zeigt das SPD-regierte Schleswig-Holstein stolz seine erste Neubürgerin her: eine 50-jährige Akademikerin mit fester Anstellung. Der Leiter der Ausländerabteilung im Kieler Innenministerium bescheinigt: "Frau Moaali steht fast symbolhaft für Integration." Mit ihr wolle man demonstrieren, dass nicht etwa Leute eingebürgert würden, die nicht wirklich integriert sind. Im Grunde hat sich also überhaupt nichts geändert: Wer nicht deutschen Blutes ist, der muss etwas Entsprechendes mitbringen - in den Einbürgerungsrichtlinien von 1977 hieß das "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse", heute einfach "Integration". Dass der bisherige unendliche Hürdenlauf auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft für das Gros der "Ausländer" diese Integration massiv erschwert hat und heute nur wenige Selbstassimilanten alle Anforderungen erfüllen, wird wieder einmal unter den Teppich gekehrt. Und das republikanische Modell ist wohl endgültig gestorben: Hier wäre umgekehrt der rein formale Akt der Einbürgerung der Königsweg zur Eingliederung. Derweil versucht die neue Ausländerbeauftragte Marieluise Beck, den von ihr anlässlich der Reform angekündigten "Bruch mit der Vorstellung, wer deutsch ist", mit einer Plakat- und Postkartenkampagne dem Publikum schmackhaft zu machen. Auf den Bildern sind eine Reihe von Migranten und Migrantinnen unterschiedlichster Herkunft zu sehen, während die Losung jeweils "Typisch Deutsch" lautet. Doch der Bruch findet eben nur auf der Ebene der Physiognomie statt, ansonsten sehen die dargestellten Personen so "integriert" aus wie die modernisierte Version des deutschen Fünfzigerjahre-Leistungsträgers. Zudem sind die ausgewählten "Vorbilder", wie aus kleinen Legenden hervorgeht, gewöhnlich selbst noch eingewandert. Das ist fast schon perfide angesichts der Tatsache, dass das neue Gesetz durch die verschärften Ansprüche an Sprachbeherrschung gerade Einwanderer der "ersten Generation" deutlich diskriminiert - also die klassischen "Gastarbeiter", an deren Deutschkenntnissen in der Fabrik niemand Interesse hatte. Aber vielleicht kann man auch kein Fingerspitzengefühl von einer Ausländerbeauftragten erwarten, die sich nicht lange nach Amtsantritt das Vertrauen der Migranten erwarb, indem sie dafür eintrat, "ausländischen Männern zuzumuten zu akzeptieren, dass in dieser Gesellschaft Frauen und Männer gleichberechtigt sind". Selbstverständlich erwähnt sie nicht, dass "diese Gesellschaft" bei der Gleichstellung der Geschlechter im westlichen Vergleich am weitesten hinten liegt. Im Grunde ist das paternalistische Amt der Ausländerbeauftragten ohnehin völlig überholt, doch so lange es existiert, wäre angesichts solcher Aussagen eine Restrukturierung nach dem Vorbild des nordrhein-westfälischen "Landeszentrums für Zuwanderung" zu empfehlen: Hier sind Leitung und ein großer Teil der Stellen von Migranten besetzt. Außerdem ist es ein starkes Stück, dass besagte Kampagne unter dem Motto "Einbürgerung: Fair. Gerecht. Tolerant." steht, wenn man einen Blick auf die frisch erlassenen bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Thema Lebensunterhalt wirft. Hier wird nämlich unverhohlen der Fünfzigerjahre-Normtypus verlangt. Wer Deutscher werden will, muss nachweisen, dass er "nachhaltig und auf Dauer" seinen Lebensunterhalt sowie - falls vorhanden - den seiner Familie sichern kann. Zudem umfasst die Unterhaltsfähigkeit auch "eine ausreichende soziale Absicherung gegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und für das Alter." Doch wer kann das angesichts der allgemeinen "Flexibilisierung" der Beschäftigungsverhältnisse gewährleisten? Wer schließlich auf Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe angewiesen ist - selbst wenn die Ursache nicht im eigenen Verschulden liegt -, kann sich seinen Antrag sowieso sparen: Einbürgerung ausgeschlossen. Diese Vorschriften sind schlichtweg skandalös! Während solche Anforderungen vor allem Teile der "zweiten Generation" weiter von der Staatsbürgerschaft fern halten werden, wächst gleichzeitig der Anpassungsdruck. Bekannte nicht deutscher Herkunft berichten, dass die gleichen Leute, von denen sie seit Jahren immer wieder auf ihre "ausländische" Mentalität angesprochen wurden und die nie verstanden haben, was am Wahlrecht eigentlich so furchtbar wichtig sein soll, heute scharf fragen, warum sie denn noch nicht Deutsche geworden sind. Durch den Druck und den Zwang zur Entscheidung für einen Pass lässt der Wunsch nach Einbürgerung selbst bei "integrierten" jungen Leuten absurderweise gerade wieder nach. Von grüner Seite hört man zudem, dass die Förderung von Migrantenvereinen neu überdacht werden soll: Geld bekommen sollen nur noch "jüngere" Organisationen, für deren Mitglieder klar ist, dass die "erste Heimat" hier ist, und eben keine rückwärts gewandten Folkloretruppen mehr. Vorschläge wie diese verkennen allerdings völlig, wie sehr die "Heimatpflege" das Ergebnis vergangener Ausgrenzung war, und richten sich somit gegen die ohnehin reichlich gebeutelte "erste Generation". Daher wird die Reform wohl zu massiven Spaltungen führen: Wer die Leistungsanforderungen der Nation, die heute unter Integration firmieren, nicht erfüllen kann oder will, für den könnte das Leben als "Ausländer" in der Zukunft noch weit unangenehmer werden. Mark Terkessidis |