nzz, 11.1.2000 Belgien gibt illegalen Einwanderern eine Chance Kampagne für die «Papierlosen» - mehr Grenzkontrollen In Belgien können sich illegale Personen seit Montag um eine Regularisierung ihrer Papiere bewerben. Wie viele Menschen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, ist schwer einzuschätzen; Politik und Interessengruppen prognostizieren unterschiedliche Zahlen. Um insbesondere die Rechtsparteien im flämischen Landesteil zu beruhigen, wird die Kampagne von systematischen Grenzkontrollen begleitet. vau. Amsterdam, 10. Januar Belgien hat am Montag das 1995 in Kraft gesetzte Schengener Abkommen, welches in 9 der 15 EU-Mitgliedsstaaten zur Anwendung kommt und in einem Verzicht der Personenkontrollen zwischen den Ländern mündet, vorübergehend ausgesetzt. Innenminister Antoine Duquesne (PRL - Liberale Partei Walloniens) begründete diesen Schritt mit der Argumentation, er wolle vermeiden, dass das grosszügige Regularisierungsprogramm von Menschenschmugglern im Ausland wahrgenommen werde und als Folge zur Einschleusung weiterer Illegaler führe. Wann Belgien das Schengener Abkommen wieder in Kraft setzen wird, liess der Innenminister offen. Systematische Kontrollen Die Aktion zur Legalisierung von Papierlosen dauert drei Wochen. Duquesne wies ferner darauf hin, das Land habe insbesondere im Dezember einen markanten Anstieg von Asylsuchenden festgestellt. Neben systematischen Kontrollen an den Grenzen zu den Nachbarländern wird die Polizei vermehrt auch Personenkontrollen im Land selbst durchführen. Dabei sollen auch Helikopter und Hunde zum Einsatz kommen. Diese Massnahmen dürften nach Einschätzung des Innenministeriums zu zusätzlichen Verspätungen für Reisende von und nach Belgien führen. Die systematischen Grenzkontrollen werden ferner unterstützt durch die Behörden Luxemburgs und der Niederlande. Letztere werden auf Grund einer Anfrage der belgischen Behörden vorweg dem Grenzraum zu Deutschland vermehrt Aufmerksamkeit schenken. Der Aktion, welche die Regierung des liberalen Premierminister Verhofstadt präsentiert, waren langwierige und schwierige Verhandlungen innerhalb der Regenbogenkoalition vorausgegangen. Vorweg die flämischen Liberalen, aber auch die Oppositionsparteien hatten darauf gedrungen, dass die Kampagne begleitet werde von der Wiederaufnahme der Rückschaffungen von abgewiesenen Asylsuchenden. Belgien hatte vor 16 Monaten die Ausschaffungen vorübergehend ausgesetzt, nachdem eine junge Nigerianerin bei der Ausschaffung als Folge des harten Anpackens der belgischen Gendarmerie erstickt war. Die von Innenminister Duquesne beantragten Grenzkontrollen müssen deshalb auch als Beruhigung der flämischen Rechtsparteien interpretiert werden. Wie viele Personen von der Aktion Gebrauch machen werden, ist schwer einzuschätzen. Innenminister Duquesne hatte im vergangenen September erklärt, er gehe davon aus, dass 50 000 bis 75 000 Personen von der Kampagne profitieren könnten. Demgegenüber wird die Zahl der Dossiers, die Aussicht auf eine positive Antwort haben, von Asylorganisationen viel kleiner eingeschätzt. Allein in der zweitgrössten Stadt des Landes, in Antwerpen, wurden in den vergangenen Wochen nicht mehr als 800 Dossiers für die Regularisierungs-Aktion vorbereitet. Diese relativ kleine Zahl wird seitens der Asylorganisationen mit der Weigerung des Innenministeriums begründet, eine grossangelegte Informationskampagne durchzuführen. Die belgische Regierung hat verschiedene Bedingungen festgeschrieben, damit Personen von der Aktion profitieren können. So muss die Person, die einen Antrag stellt, am 1. Oktober vergangenen Jahres in Belgien gelebt haben. Der Antrag auf Asyl muss vor vier Jahren eingereicht worden sein. Für Familien wurde diese Frist auf drei Jahre verkürzt. Weitere Kriterien, die die Chancen auf Regularisierung der Papiere erhöhen, sind humanitäre oder gesundheitliche Gründe. Kritik von Menschenrechtsgruppen Die von Duquesne verordneten Grenzkontrollen stossen bei Menschenrechtsorganisationen auf Kritik: Die Bewegung gegen Rassismus, Antisemitismus und Xenophobie (Brax) bezeichnete das Vorgehen des Innenministers nutzlos und gefährlich. Andere EU-Länder hätten bei ihren Regularisierungs-Aktionen auf solche Massnahmen verzichtet. Ferner erfüllten neue Asylsuchende die Kriterien sowieso nicht, um beim Programm für die Sans-Papiers teilzunehmen. Die Massnahmen der Regierung erweckten den Eindruck, Belgien werde von einer immensen Einwanderungswelle bedroht. Die Organisation Offene Grenzen argumentiert, das hermetische Abriegeln der Grenzen treibe die Menschen in die Hände professionell operierender Menschenschmugglerbanden. |