Tagesspiegel, 11.1.2000 Aussetzung des Schengener Vertrags Belgien führt Grenzkontrollen für drei Wochen ein - Illegale Einwanderer können Aufenthaltspapiere beantragen Thomas Roser Seit Montag werden Reisende nach Belgien erstmals seit 1995 bei der Einreise wieder streng kontrolliert. Das Innenministerium in Brüssel hat hunderte zusätzlicher Polizisten, Helikopter und Suchhunde zur möglichst lückenlosen Überwachung der Grenzen aufgeboten. Die Identität aller einreisenden Personen werde überprüft, sagt ein Gendarmerie-Sprecher: "Illegale, die an der Grenze geschnappt werden, schicken wir sofort zurück." Eigentlich sieht der 1995 in Kraft getretene Vertrag von Schengen den Wegfall von Personenkontrollen zwischen den Grenzen der Unterzeichnerstaaten vor. Doch der liberale belgische Innenminister Antoine Duquesne fühlt sich nun zur vorübergehenden Aussetzung des Vertrags genötigt, da er verstärkte Aktivitäten von Menschenschleppern befürchtet. Der Grund: Drei Wochen lang können sich in Belgien lebende Illegale unter bestimmten Bedingungen bei den Gemeinden des Königreichs um eine nachträgliche Aufenthaltsgenehmigung bemühen. Bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Sommer hatten die grünen Schwesterparteien Agalev und Ecolo die Legalisierung langjähriger Illegaler zur Bedingung für den Eintritt in die Sechsparteienregierung des liberalen Premiers Guy Verhofstadt gemacht. Anrecht auf eine nachträgliche Aufenthaltsgenehmigung sollen im Prinzip alle illegal eingewanderten Ausländer haben, die nachweisen können, bereits sechs Jahre in Belgien zu leben. Auch Asylbewerber, die schon länger als vier Jahre auf ihren Bescheid warten, und lebensgefährlich Erkrankte dürfen sich Hoffnung auf eine Aufenthaltsgenehmigung machen. Duquesne betont die Einmaligkeit der Aktion: "Eine zweite Amnestieprozdur wird es nicht geben. Wir werden darüber wachen, dass künftig nicht erneut Formen der Illegalität entstehen." Dimitry Neuckens vom flämischen Minderheitenzentrum weist jedoch darauf hin, dass in Frankreich, Spanien und Italien schon wiederholt "einmalige" Legalisierungskampagnen gestartet wurden - ohne jedoch das Phänomen der illegalen Einwanderung zu beseitigen: "Südeuropäische Länder wollen mit diesen Kampagnen legale Arbeitskräfte finden. Nordeuropa legalisiert meist aus Scham." In Belgiens Großstädten ließen am ersten Tag der dreiwöchigen Frist bereits einige hundert Personen ihren Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung registrieren. Duquesne rechnet damit, dass 20 000 bis 25 000 Illegale sich bei den Gemeinden melden werden. Menschenrechtsgruppierungen werfen dem Minister jedoch vor, die Zielgruppe unzureichend informiert zu haben und mit der Verstärkung der Grenzkontrollen unnötig Ängste vor einer "Invasion von Illegalen" zu schüren. Und die Tageszeitung "De Morgen" kritisiert: "Es scheint, als ob der Minister vor allem den Eindruck wecken will, dass er in der Asylpolitik die nötigen Muskeln spielen lässt." |